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Vor nicht mal 24 Stunden war für mich die Welt untergegangen, und ich hatte mich noch kein bisschen davon erholt. Bis dahin war mein Leben als durchaus angenehm zu bezeichnen: jede Woche auf einer anderen Party, ausgiebige Shoppingtouren, Wellnesstage, und meine größte Sorge bestand darin, ob der Nagellack zur Handtasche passte. Also nichts, das mich aus der Bahn geworfen hätte. Als Tochter des Großindustriellen Peter Maxdorfer führte ich ein unbeschwertes Leben im Luxus, von dem andere nicht mal zu träumen wagten. Und dann war es passiert ... Das Gericht hatte mich zu zweihundert Stunden gemeinnütziger Arbeit in einer sozialen Einrichtung verurteilt. Schon beim Gedanken daran wurde mir übel, der zusätzliche Entzug meines Führerscheins hatte mir den Rest gegeben.

„Wie war denn deine Verhandlung?“, erkundigte sich mein Vater beim Frühstück.

Ich mied den Blickkontakt zu ihm und fixierte stattdessen den Teller vor mir.

„Das weißt du doch“, murmelte ich. „Dieser Anwalt hat dir doch bestimmt schon alles erzählt.“ Unter gesenkten Lidern spähte ich zu meinem Vater hinüber. Er wirkte nicht gerade so, als empfände er Mitgefühl für seine Tochter. Im Gegenteil, er kam mir erstaunlich gutgelaunt vor, wie er sich schwungvoll die Serviette auf den Schoß legte und den Butler zu sich winkte.

„Die Morgenzeitung, Herr Maxdorfer.“

Mit einem Schmunzeln auf den Lippen griff der Hausherr nach der Zeitung, die ihm unser Diener sauber gefaltet auf einem glänzenden Tablett präsentierte.

„Danke, Cornelius. Dann sehen wir doch mal, was es Neues gibt.“

Ich sank noch tiefer in meinen Stuhl. Es war der blanke Hohn, wie sich mein Vater über meine Verurteilung amüsierte. Wahrscheinlich hoffte er, in der Tageszeitung einen bösen Artikel über die Verhandlung zu finden. Dabei fühlte ich mich keineswegs schuldig, ich war vielmehr wütend über die kleinkarierten Vorschriften in diesem Land. Was hatte ich denn groß verbrochen?

„Ah, auf Seite drei“, hörte ich meinen Vater hinter seiner Zeitung. „Lucia Maxdorfer, die dreiundzwanzigjährige Tochter des bekannten Unternehmers und so weiter und so weiter, hat es wieder einmal in die Schlagzeilen geschafft. Bisher ist sie hauptsächlich als Starlet aufgefallen, das sich nicht zu schade ist, mit mehr oder weniger Prominenten in anzüglichen Posen vor den Kameras zu posieren.“

Schon der erste Satz des Artikels brachte meine Kiefermuskeln in Spannung. Lucia, diesen Namen hatte ich noch nie gemocht, und ihn stattdessen vor einigen Jahren in Lucille umgeändert. Das klang viel interessanter als das altmodische „Lucia“, benannt nach meiner italienischen Großmutter. Die meisten Leute in meiner Gegend sprachen den Namen auch noch falsch aus: „Luzia“, „Luzie“, „Luziah“ – und alles mit „z“ gesprochen. Für mich klang das nach einer alten Gräfin oder deren altjungferlicher Tochter.

Beim Knirschen meiner Zähne sah mein Vater kurz auf, bevor er weiterlas: „Gestern durften wir die dunkle Seite des Glamourgirls kennenlernen. Die junge attraktive Frau, die laut eigener Aussage noch keinen Tag im Leben gearbeitet hat ...

„He, das ist nicht wahr!“, unterbrach ich ihn. „Ich habe schon oft genug gearbeitet.“

Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen über den Rand der Zeitung an.

„Spielst du damit auf deine Bewerbung beim Bachelor an?“ Das Wort betonte er abfällig, als wäre alleine der Name der TV-Sendung eine widerliche Krankheit.

Daraufhin sagte ich nichts mehr, sondern stach energisch auf meine Grapefruit ein. In meiner Fantasie trug das Stück Obst das Gesicht des Journalisten.

„Wo war ich ... ah hier. ... noch keinen Tag im Leben gearbeitet hat, und lieber – diese Stelle gefällt mir besonders – das Geld ihres Vaters mit vollen Händen zum Fenster rauswirft, hat offenbar eine Neigung zu selbstzerstörerischem Verhalten. Wie bei der gestrigen Gerichtsverhandlung ans Licht kam, wurde sie schon mehrmals wegen schwerer Verstöße gegen die StVO sowie gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu hohen Geldbußen verurteilt, doch das hat die hübsche Blondine nicht zur Vernunft gebracht.

Vor einigen Wochen (wir berichteten) wurde sie dabei erwischt, wie sie in den frühen Morgenstunden mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt raste. Lag es am Alkohol oder illegalen Drogen, dass sie vor einer Polizeistreife flüchtete und sich mit sage und schreibe drei Polizeiautos eine wilde Verfolgungsjagd durch Grünwald (b. München) lieferte? Laut Aussage der Beamten konnte Lucia Maxdorfer erst durch ein weiteres Polizeifahrzeug gestoppt werden. Bei ihrer anschließenden Vernehmung zeigte sie sich äußerst aggressiv. Auch bei ihrer Verhandlung ließ sie keine Einsicht erkennen, weshalb das Urteil des Gesichts sehr gnädig erscheint. Der Richter verurteilte die junge Frau wegen o.g. Vergehen und Beamtenbeleidigung lediglich zu 200 Sozialstunden und einem weiteren Bußgeld. Ihren Führerschein wird sie wohl auch nicht so schnell ...

„Ja ja, schon gut, ich hab`s verstanden“, unterbrach ich ihn kleinlaut. Ich wollte das alles nicht hören. Diese Zeitungsfritzen übertrieben fast genau so wie dieser engstirnige Richter. Wem hatte ich denn bitte geschadet? Um diese Uhrzeit war doch nichts los gewesen, die Straße war frei und das Polizeiauto hinter mir hatte ich einfach nicht bemerkt. War es denn meine Schuld, dass dieses Tatatatü der Sirene viel leiser war als meine neue Entertainment-Anlage mit den klasse Lautsprechern inklusive Subwoofer? Hätten die Bullen mitten in der Nacht etwas Besseres zu tun gehabt – zum Beispiel richtige Verbrecher jagen – dann hätte kaum jemand meinen Fahrstil bemerkt und ich wäre wenige Minuten später unbemerkt zu Hause in die Garage gerollt. Wahrscheinlich waren sie alle nur neidisch, weil ich mit der Weltprominenz per Du war und mir aussuchen konnte, ob ich je nach Wetterlage den Maserati oder den Jaguar nahm. Zumindest bis vor Kurzem ... Der Entzug des Führerscheins fühlte sich an, als hätte man mir ein Körperteil amputiert. Ich fuhr für mein Leben gerne Auto, solange es über genügend PS verfügte und ich freie Fahrt hatte. Aber die Krönung war diese Sklavenarbeit, zu der man mich verurteilt hatte. Gleich am zweiten Tag würde ich mir eine Krankmeldung besorgen, das stand fest.

„Ein sehr ausführlicher Artikel“, kam es von der anderen Seite des Tisches. Die Schadenfreude in der Stimme meines Vaters war nicht zu überhören. „Sogar mit Foto. Du siehst etwas verschreckt aus, aber unser Anwalt ist gut getroffen ...“

„Okay, würdest du bitte damit aufhören!“

„Was meinst du?“

„Daddy ...“

„Bitte, wie oft hab ich dir gesagt, dass ich dieses Daddy nicht mag? Wir sind hier in Deutschland, also sprich auch deutsch mit mir.“

„Also gut, Papa, würdest du aufhören, Salz in meine Wunde zu streuen? Was glaubst du, wie ich mich mit diesem ... diesem Urteil fühle?“

Er legte langsam die Zeitung beiseite und sein amüsiertes Schmunzeln wich einem ernsten Ausdruck. Sein Blick und die zuckende Augenbraue kündigten eine längere Ansprache an.

„Lucia“, begann er ruhig.

Shit. Wenn er mich mit meinem Taufnamen ansprach, war die Lage ernst. Richtig ernst. Bestimmt müsste ich mir jetzt den üblichen Vortrag über meinen Leichtsinn anhören und „Wie man Auto fährt, denn ich will nicht irgendwann einen Anruf vom Leichenschauhaus bekommen“.

„Über deine Fahrweise haben wir ja schon öfter gesprochen ...“, Na bitte. „... und bisher hat nichts bei dir Wirkung gezeigt. Du bist mir wichtig, Liebes, der wichtigste Mensch auf der Welt ...“

„Und du willst mich nicht als Leiche sehen, ich weiß.“

„Ja, das auch. Aber was ich sagen wollte: Ich habe viele Fehler gemacht, das ist mir jetzt klar.“

Überrascht hob ich den Kopf. Was mein Vater für Fehler gemacht haben wollte, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Er war der beste Vater der Welt: Ende vierzig – also jünger als die meisten Väter meiner Freundinnen – trotz seines Jobs meistens recht gelassen, er hatte Humor und ich konnte ihn sogar meinen Freunden präsentieren, weil er ganz gut aussah. Ein cooler Dad, der nur manchmal etwas zu spießig war, so wie jetzt.

„Nachdem deine Mutter uns verlassen hat“, redete er weiter, „hatten wir beide eine schwere Zeit.“

„Aber Papa, das ist doch schon so lange her.“

Bei diesem Thema breitete sich ein Kloß in meinem Hals aus, vor allem weil ich wusste, wie nahe es meinem Vater immer noch ging. Ich selbst konnte mich kaum mehr an meine Mutter erinnern, ein paar Bilder, ein paar Momente, ihre Stimme ... mehr aber auch nicht. Bei ihm war es anders. Er bekam immer diesen gewissen Blick, sobald er sie erwähnte. Ich war vier Jahre alt gewesen, als sie uns von heute auf morgen sitzengelassen hatte. Jahrelang war sie nicht auffindbar gewesen, erst, als es mit Papas Firma steil nach oben gegangen war, tauchte sie wieder auf. Nicht persönlich – sie hatte einen herzzerreißenden Brief geschrieben, in dem sie um Verzeihung bat. Was genau daraufhin zwischen den beiden abgelaufen war, hatte ich nicht mitbekommen, aber ihre Entschuldigung hatte nicht die erhoffte Wirkung gezeigt. Trotzdem hatte mein Vater sie bis zu meinem 18. Geburtstag mit kleinen monatlichen Beträgen unterstützt. Und das, obwohl sie sich keinen Tag für mich interessiert hatte. Mir war das ziemlich gleichgültig, ich hatte sie nie richtig gekannt und somit nicht vermisst.

„Schon gut“, sagte er, „es macht mir nichts aus, darüber zu sprechen. Worauf ich aber hinaus will: Mein größter Fehler war wohl, dass ich zu nachlässig war. Ich habe dich mit Geld überschüttet und dir jeden Wunsch erfüllt, anstatt Zeit mit dir zu verbringen.“

Nein, ich hatte immer noch keinen Schimmer, worum es ihm ging. Ich hatte eine einigermaßen schöne Kindheit gehabt, wenn man von der langweiligen Privatschule absah. Das eine Jahr auf dem Internat gehörte ebenfalls nicht zu den besten Zeiten, zum Glück hatte mein Vater eingesehen, dass ich dort nicht glücklich war, und mich wieder nach Hause geholt. Aber meine Teenagerzeit dürfte als die Geilste überhaupt in die Geschichte eingehen, sobald ich das alles in meinen Memoiren offengelegt hätte. Ich sah es bereits vor mir: Lucille Maxwell, Bestsellerautorin (mein spießiger deutscher Name käme mir nicht auf ein Buchcover!). Oh ja, das wäre die Krönung meines Lebenswerkes ...

Die Stimme meines Vaters unterbrach diese Träumerei.

„Ich habe mehr Zeit mit der Firma verbracht als mit meiner eigenen Tochter. Und nachdem Christina mich mit dir alleine gelassen hatte ... ich hab mich wie ein Verrückter in die Arbeit gestürzt.“

„Und in Affären“, ergänzte ich mit einem Augenzwinkern.

„Ähm ... ja.“ Er fuhr sich durch die Haare und räusperte sich betreten. „Auch das. Ich dachte damals, als deine wilde Phase begonnen hat, das würde schon noch werden.“

Und dabei wusste er gar nicht, wie wild es tatsächlich war.

„Gestern bekam ich einen Anruf von deiner Uni“, sagte er langsam.

Sofort schoss mir das Blut in die Wangen.

„Und was wollten sie?“, fragte ich beiläufig.

„Du hast dich seit Wochen dort nicht mehr blicken lassen. Lucia, ich habe dich nie zu etwas gezwungen. Ich habe dich lediglich dazu ermuntert, dir eine Aufgabe im Leben zu suchen, du hattest bei allem die freie Wahl. Warum interessierst du dich nicht mehr für dein Studium?“

Sein Gesichtsausdruck wurde zunehmend finsterer, weshalb ich fieberhaft nach einer guten Erklärung suchte, warum ich seit Monaten nur noch von einer Party zur nächsten unterwegs gewesen war und lieber den Vormittag im Bett verbrachte, statt in einem muffigen Hörsaal.

„Weißt du ... es ist so ...“

„Ich habe mir daraufhin deine letzten Kreditkartenabrechnungen angesehen: Monaco, St. Moritz, Hawaii, okay, das meiste davon war wohl an Wochenenden, unter der Woche warst du in verschiedenen Diskotheken ...“

Clubs heißt das jetzt“, verbesserte ich ihn und schaufelte Räucherlachs auf meinen Toast.

„... in Clubs. Deine Einkaufstouren werden auch immer ausgiebiger – und sag mir jetzt bitte nicht, dass das Shoppingtouren heißt, das macht deine Exzesse auch nicht besser.“

„Dafür hab ich viel von meinen alten Klamotten gespendet!“, verteidigte ich mich. Fast hätte ich mich an einem Kaviarkügelchen verschluckt.

„Warum stellst du den karitativen Einrichtungen nicht einfach einen Scheck aus und kaufst stattdessen weniger ein?“

Das belustigte Glitzern trat wieder in seine Augen, während ich meinen feuchten Hustenanfall mit Kaffee zu bekämpfen versuchte. Jetzt würde es kommen ... Er würde mein Budget kürzen und mich zwingen, meine alten Fetzen aufzutragen. Wusste er denn gar nicht, wie wichtig es in meinem ... Job konnte ich es beim besten Willen nicht nennen, auch wenn ich nach wie vor auf eine Entdeckung durch einen Filmproduzenten oder eine Modelagentur hoffte ... in meinen Kreisen war, immer auf dem neuesten Stand zu sein?

„Hier werden sich jetzt einige Dinge ändern. Ob du es glaubst oder nicht, aber dank deinem Führerscheinentzug werde ich endlich wieder ruhig schlafen können, und die gemeinnützige Arbeit wird dir guttun.“

Und mir verursachte es Alpträume.

„Du findest es richtig, wenn deine Tochter in einem heruntergekommenen Pflegeheim die Klos putzen muss? Und was die Presse erst darüber schreiben wird! Für dein Image ist das sicher auch nicht gut.“

„Um mein Image mach dir mal keine Sorgen, Liebes.“ Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Ich bin nicht mit Diamanten im Arsch auf die Welt gekommen. Die Firma war nach dem Tod meines Vaters ziemlich heruntergekommen, es hat Jahre gedauert, sie aufzubauen. Bevor du geboren wurdest, habe ich in einer Mietwohnung mit kaputter Heizung gewohnt und mein Klo selbst geputzt.“

Diese Geschichte kannte ich. Gleich würde eine dramatische Story über seinen Schulweg durch Eis und Schnee in kurzen Hosen folgen. Ohne Schuhe natürlich. „Als ich in deinem Alter war ...

„Und dir würde ein bisschen ehrliche Arbeit auch nicht schaden. Man kommt in der Geschäftswelt und der Hochfinanz viel besser zurecht, wenn man weiß, wie es ganz unten ist.“

„Aha ...“

„Ich hab bereits heute früh mit dem Richter telefoniert und gute Nachrichten für dich.“

„Er gibt mir Bewährung und vergisst das mit den Sozialstunden?“

„Das hättest du gerne ... Nein, besser. Ich hab ihn gebeten, dich in eine angenehme Einrichtung zu schicken und ich denke, du dürftest dich dort wohlfühlen.“

Ich ahnte Schlimmes ...

Ein Prinz für Cinderella

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