Читать книгу Ein Prinz für Cinderella - Группа авторов - Страница 11
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ОглавлениеAm nächsten Tag
„Hoffentlich haben die hier was zu essen.“
Mein Magen schmerzte, als ich im Tierheim den Kühlschrank aufriss. Die Dosenravioli konnten von den Herstellern dieses Produktes unmöglich ernst gemeint sein. Am Vorabend hatte ich kaum einen Bissen davon hinunterbekommen, das Zeug war einfach ungenießbar. Das Bild auf der Dose stellte eine komplette Irreführung dar, das sollte ich unserem Anwalt mal mitteilen. Man glaubt, man bekäme eine Mahlzeit, und dann entpuppt es sich als widerliche Pampe. Nach wenigen Bissen hatte ich das Zeug in den Mülleimer geworfen und ein paar Scheiben ungetoasteten Toast mit Lachs gegessen, den ich eigentlich fürs Frühstück eingeplant hatte.
„Ah ... Sie sind auch mal wieder da?“, begrüßte mich die Frau mit dem unaussprechlichen Nachnamen. Ich nannte sie der Einfachheit halber Ute.
„Guten Morgen“, erwiderte ich knapp. Im Kühlschrank fand ich ein Stück Butter und selbstgemachte Marmelade, das war besser als nichts.
„Sie sind spät dran, wir haben heute eine Menge zu tun.“
Ich schleppte mich unter Utes misstrauischem Blick mit meinem Frühstück in der Hand zum Tisch.
„Haben Sie Brötchen oder Toast hier?“
„Da hinten im Schrank ist noch ein abgepacktes Brot. Geht es Ihnen nicht gut?“
Ganz und gar nicht. Wo sollte ich anfangen: Dass mich die halbe Nacht ein tropfender Wasserhahn wachgehalten hatte, ich die erste Trambahn verpasst hatte, weil ich meine Sneakers nicht fand, oder sollte ich ihr besser von dem Höllentrip hierher berichten? Wie hielten das die einfachen Menschen nur aus? Erst das Gedränge an der Haltestelle, dann der Sprint zur S-Bahn und nach einer ewigen Busfahrt – eingequetscht zwischen Menschen mit den unterschiedlichsten Körperausdünstungen – nochmals zehn Minuten Gelatsche in diese Straße hier, und das alles mit leerem Magen.
„Ich hatte viel Stress heute Morgen“, sagte ich knapp.
„Ja, die Tage dürften viel länger sein, denk ich mir oft. Sie dürfen heute zu den Katzen, das taugt ihnen vielleicht besser als bei den Hunden.“
Ich nickte hektisch, da ich gerade den Mund voll hatte.
„Heute kommen ein paar unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter, wir haben nämlich am Wochenende Tag der offenen Tür, da müssen wir viel vorbereiten. Wenn Sie bei den Katzen fertig sind, dann schauen Sie runter in den Keller, die Sachen für den Flohmarkt sortieren.“
Als hätte ich dafür noch Kraft, ich bin jetzt schon kurz vorm Einschlafen, dachte ich. Aber da ich etwas beweisen wollte, beließ ich es bei einem weiteren Nicken und goss mir Kaffee ein.
Etwa eine Viertelstunde später war es dann vorbei mit meinem ruhigen Frühstück. Eine Gruppe Frauen trampelte in den Aufenthaltsraum, und jede von ihnen sah mich an, als wäre ich ein Ausstellungsstück.
„Hi“, sagte ich. Die anderen unterbrachen ihr Geplapper, um mir zuzunicken. Eine Frau in einer ausgeleierten Hose mit einem Fünf-Euro-Haarschnitt plumpste neben mir auf die Bank. Sie erzählte etwas von ihrer Tochter, die später vorbeikommen wollte, um zu helfen. Ich bekam das nur am Rande mit, schließlich wollte ich den Tag hinter mich bringen und hier keine neuen Freundschaften schließen.
„Ich muss dann mal“, sagte ich und stand auf.
Eine Frau rief mir noch hinterher: „Wollen Sie die Butter etwa hier stehen lassen? Also so was ...“
Bewaffnet mit Handschuhen, einem Schäufelchen und einem Müllbeutel betrat ich das erste Katzenzimmer. Die Tiere verzogen sich gleich in ihre Kratzbaumhöhlen, sobald ich die Tür öffnete. „Sehr scheu“ stand auf einem Schild an der Tür. Ich wusste nicht so recht, womit ich anfangen sollte. Hoffentlich erwartete niemand von mir, ich würde den Fußboden putzen. Meine Hauptaufgabe fand ich aber noch viel weniger prickelnd. Beim Säubern des Katzenklos wäre mir fast mein Frühstück wieder hochgekommen.
„Sie haben wohl keine Haustiere?“, hörte ich eine Frau hinter mir. Der Stimme nach handelte es sich um die gesprächige Dame in der Schlabberhose.
„Wir hatten mal einen Kater, aber er ist leider vor einem Jahr verschwunden.“
„Ich schätze, die Katzentoilette haben Sie damals nicht selbst saubergemacht?“
„Gott nein“, sagte ich, während ich mit spitzen Fingern und zusammengekniffenen Nasenflügeln eine braune Wurst in die Mülltüte beförderte. „Das hat die Putzfrau erledigt, manchmal auch unsere Köchin oder der Butler.“
Ich hörte deutlich, wie hinter mir eine Kinnlade zu Boden krachte und die Frau nach Luft schnappte. Diese Leute hier und ich, das waren zwei Welten, die nicht zusammenpassten. Trotzdem riss ich mich zusammen, um nicht auch noch Vorurteile über reiche verwöhnte Mädchen zu bestätigen. Beim Öffnen einer Dose Katzenfutter konnte ich mich allerdings nicht mehr beherrschen.
„Was ist das denn für ein Müll?“, rief ich entsetzt. Um mich herum wuselten die ehrenamtlichen Hausfrauen durch den Flur, ein paar von ihnen blieben kopfschüttelnd stehen bei meinem Ausruf. Diese Ute kam zu mir und nahm mir die Dose ab.
„Ist etwas nicht in Ordnung mit dem Futter?“
„Das stinkt ja grauenvoll. Das wollt ihr den Tieren doch nicht ernsthaft zum Fressen geben?“
Ute schnupperte an der Dose.
„Ich versteh schon, was Sie meinen. Das normale Katzenfutter, das in der Fernsehwerbung immer so lecker aussieht, ist im Prinzip nur Schrott.“
„Warum kaufen Sie denn nicht ein Biologisches? Unser Kater hätte so einen Müll nicht bekommen. Wissen Sie eigentlich, wie das hergestellt wird? Da sind nur Abfälle drin, sogar gemahlene Erdnussschalen und Zucker! Es gibt doch auch gutes Futter mit Lebensmittelqualität. Aber das hier stinkt, als wäre es schon mal gegessen worden.“
Jetzt war es Ute, die seufzend den Kopf schüttelte. „Weil wir uns so etwas nicht leisten können. Wenn es nach mir ginge, würden wir unseren Tieren nur frisches Fleisch und selbstgemachtes Katzenfutter geben, aber dann wären wir nach einer Woche pleite und die Tiere müssten verhungern. Wir leben nur von Spendengeldern und Futterspenden, Herzchen.“
Ich wollte noch etwas sagen, da war sie schon wieder auf dem Flur und gab den anderen Anweisungen. Spenden ... Kein Geld für ordentliches Futter ... Wie wenig spendeten diese Geizkrägen denn bitte? Wenn ich daran dachte, wie viele hochwertige Klamotten ich bisher abgegeben hatte, es dürfte in Afrika keine Frau mehr existieren, die nicht in Designerklamotten herumlief. Demnächst würde ich mal mit Clarissa und Roxy reden, damit sie dem Tierheim Geld überwiesen, das war ja kein Zustand hier. Allerdings müsste ich ihnen dann meine eigene Situation gestehen, fiel es mir ein, das wäre mein gesellschaftlicher Todesstoß. Seit meinem unfreiwilligen Umzug am Vortag hatte ich nicht mehr auf die Anrufe und Nachrichten der beiden reagiert, aber wenn ich mich nicht bald meldete, würden sie sich noch mehr wundern.
Unzählige geöffnete Dosen und volle Katzentoiletten später war ich kurz davor, das Handtuch zu werfen. Ich hielt den Gestank jetzt schon nicht mehr aus, und so würde die nächsten Wochen jeder Tag meines Lebens aussehen. Wenn es etwas gab, das ich nicht ertrug, waren es unangenehme Gerüche. Obwohl ich rauchte, besaß ich doch eine feine Nase und verkrampfte mich bei Gestank am ganzen Körper.
Mit verspannten Schultern und einem steifen Nacken betrat ich den letzten Raum.
„Hey, ihr seid ja süß. Na, macht ihr auch so große Häufchen wie die erwachsenen Katzen?“
Ich hatte Katzen sehr gerne. Diese beiden hier waren gerade mal ein paar Wochen alt und das Süßeste, was ich seit Langem gesehen hatte.
„Vorsicht, meine Schnürsenkel brauche ich noch.“
Die beiden kamen sofort zu mir und tollten um meine Füße herum. Während ich ihnen beim Spielen zusah, vergaß ich meinen Stress für eine Weile. Die jungen Kätzchen strahlten so viel Freude aus, dass ich mich augenblicklich in sie verliebte.
„Du bist ja ein besonders Hübscher“, flüsterte ich einem der beiden zu. Ein winziger rothaariger Kater, der sofort anfing zu schnurren, als ich ihn hochhob. Der Kleine füllte gerade mal meine Handfläche aus und machte es sich dort gemütlich.
„Tut mir echt leid, Kleiner, aber ich hab hier noch was zu tun.“ Mit diesen Worten setzte ich ihn wieder ab und kickte eine Spielzeugmaus auf die Seite. Die beiden stürzten sich sofort auf ihre Beute und schleuderten sie durch die Gegend. Ich hatte ganz vergessen, wie wohl ich mich immer bei Katzen gefühlt hatte. Sie strahlten so viel Begeisterung und Frieden aus, das vermisste ich bei den meisten Menschen. Vor lauter Zusehen bekam ich gar nicht mit, dass sich noch jemand im Raum befand. Erst nach einer Weile spürte ich eine Präsenz hinter mir und vernahm leise Atemzüge.
„Du kannst ja sogar lächeln, steht dir gut“, sagte eine angenehme männliche Stimme.
Ich drehte mich um und hielt vor lauter Überraschung den Atem an. Mein gutaussehender Nachbar lehnte grinsend mit verschränkten Armen an der Wand.
„Verfolgst du mich oder ist das Zufall?“, fragte ich ihn lächelnd.
„Ich helf hier manchmal aus, aber meistens bin ich bei den Hunden. Und du?“
Peinlich, peinlich.
„Ich bin ... also manchmal ...“ Puh, was war denn mit mir los? Schlagfertige Antworten waren doch sonst meine Stärke, aber dieser Typ brachte mich ganz durcheinander. Es lag nicht bloß an seinem Aussehen, attraktive Männer begegneten mir oft genug. Er hier war anders, locker und natürlich, mit einer umwerfenden Ausstrahlung. Ganz zu schweigen von seinem Aftershave, das sich mit einem herben Männergeruch mischte.
„Lass mich raten: Charity oder Sozialstunden?“ Er zwinkerte mir zu, und ich wusste, dass er mich durchschaut hatte. Das war auch nicht weiter schwer, ich passte hier so gut rein wie ein Bauarbeiter in die Oscar-Verleihung.
„Ich bin zu schnell gefahren und habe nicht gemerkt, dass die Bullen hinter mir her waren“, sagte ich.
Er lehnte immer noch an der Wand und seine Augen funkelten, wenn er mich ansah. Dabei überzog ein heftiges Kribbeln meinen Körper. Wow ... Ich erinnerte mich nicht, wann ich dieses Gefühl zuletzt in der Nähe eines Typen gespürt hatte. Und warum zitterten meine Hände plötzlich? Damit er meine Aufregung nicht bemerkte, fummelte ich hektisch einen frischen Müllbeutel aus der Halterung an der Wand und griff nach der Katzenklo-Schaufel. Leider übersah ich den Ball, denn die beiden Kätzchen mir zuspielten, genau vor die Füße. Im nächsten Moment verlor ich das Gleichgewicht und landete hart auf meinem Hintern.
„Au scheiße!!!“ Ein stechender Schmerz fuhr mir durch das Steißbein sowie meine rechte Hand, mit der ich mich abfangen wollte.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie mein Nachbar sich die Hand vor den Mund hielt. Es sah wohl ziemlich dämlich aus, wie ich auf dem Boden hockte, mit einem Fuß in der Katzentoilette.
„Hast du dir wehgetan?“
„Passt schon“, presste ich gequält durch die Zähne.
„Ich muss dann wieder los, heute wird meine Waschmaschine geliefert.“ Er hob die Hand zu einer lässigen Verabschiedung. An der Tür blieb er stehen und drehte sich zu mir um. „Wenn du irgendwas brauchst, dann frag mich einfach. Ich wohne genau unter dir.“
„Ich weiß, der Typ vom ersten Stock.“ Trotz meiner Schmerzen brachte ich ein weiteres Lächeln zustande. Gekonntes Flirten war mein peinlicher Auftritt definitiv nicht, dafür hätte ich mir in den Arsch treten können.
„Wie heißt du eigentlich? Ich bin Lucille.“
„Alex“, sagte er, dann war er weg.
In mir prickelte es immer noch, und eine Empfindung durchfuhr mich, die ich bis vor wenigen Minuten nur bei den beiden Kätzchen gefühlt hatte – warm und elektrisierend. Und plötzlich freute ich mich auf die Rückkehr in das alte Mietshaus.