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Einleitung

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Fragen zu stellen, einem wissenschaftlichen Gegenstand durch Fragen auf die Spur zu kommen, durch kritisches Hinterfragen von überlieferten Denkformen und traditionellen methodischen Herangehensweisen allgemeingültige Annahmen auf den Prüfstand zu stellen, gehört zu den grundlegendsten Formen, in denen geisteswissenschaftliches Arbeiten sich selbst seines kritischen Impulses versichert. Was dabei in Frage gestellt werden darf, wie weit kritisches Nachfragen gehen kann, mag von unterschiedlichen akademischen Kontexten, institutionellen Rahmenbedingungen oder diskursiven bzw. disziplinären Ordnungsgefügen abhängen. Die Form des kritischen Nachfragens als solche scheint dabei jedoch eine ganz unproblematische Praktik im Selbstverständnis des geisteswissenschaftlichen Arbeitens zu sein. Dabei beginnt das moderne Nachdenken über Kritik als In-Frage-Stellen überlieferter Annahmen und Prämissen des Erkennens und Denkens doch mit äußerst problematischen Fragen. In der Vorrede der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, jenem Epoche machenden Werk, in dem das Erkennen auf die Frage nach der Möglichkeit und Grenze der Vernunft verwiesen wird, setzt Immanuel Kant mit Fragen ein, die nicht gestellt werden, sondern sich aufdrängen:

Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.1

In der Geschichte des Denkens neigte der Mensch, so Kant, allzu häufig dazu, diesen unlösbaren Fragen etwa nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt mit transzendenten Urteilen zu begegnen, die aber letztlich unbeweisbar sind und als dogmatische Setzungen den Geltungsraum menschlicher Erkenntnisfähigkeit überschreiten. Nicht diese philosophische Kritik an dogmatischer Metaphysik soll hier aber weiter verfolgt, sondern viel grundlegender der Einsatzpunkt des Fragens selbst betrachtet werden. Das Fragen am Beginn der Kritik der reinen Vernunft, und darauf liegt hier der Fokus, ist nicht einfach eine unproblematische Denkpraktik, mit der man sich langsam einem Gegenstand nähern kann, um ihn sukzessive durch immer kleinteiligere und konkretere Frageformen erkennen, denken und bestimmen zu können. Am Anfang des modernen kritischen Denkens stehen vielmehr Fragen als Probleme, als Bedrängnis. Die Frage wird nicht aktiv gestellt, sondern drängt sich der menschlichen Vernunft auf, bedrängt und führt beinahe eine Art Eigenleben, zu dem sich der Mensch verhalten muss. Damit wird der kritische Einsatzpunkt des Denkens zuerst und grundlegend ein Nachdenken über die richtigen Frageformen, über die Art und Weise, wie Fragen so zu stellen sind, dass sie dem menschlichen Erkenntnisapparat entsprechen und nützlich sein können. Fragen ist demnach nicht eine unproblematische Praxis geisteswissenschaftlichen Arbeitens, sondern betrifft vielmehr ganz entschieden die Frage nach der Art des Fragens selbst: bevor wir Fragen nach dem was des Erkennens stellen können, müssen wir also zunächst nach dem wie dieses Fragens selbst fragen.

Kant hat dieses Problem des Fragens in der Kritik der reinen Vernunft bekanntlich auf ein philosophisches Projekt verpflichtet, das die Bestimmung der Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnisfähigkeit des Menschen zum Ausgangspunkt hat. Diese Form der Kritik ist aber nicht nur eine Untersuchung des Erkenntnisapparats um seiner selbst willen, sondern auch ein aufklärerisches Projekt als Kritik durch Infragestellung anmaßender Geltungsansprüchen von Religion oder Staat. Daher heißt es in der Vorrede weiter:

Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß. Religion, durch ihre Heiligkeit, und Gesetzgebung durch ihre Majestät, wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdenn erregen sie gerechten Verdacht wider sich, und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können.2

Die historische Zäsur, die sich hier in Immanuel Kants Vorrede als Unterscheidung zwischen metaphysischem Dogmatismus und kritischer Aufklärung ankündigt, ist nicht die Beschreibung, Protokollierung eines notwendig geschichtsimmanenten Prozesses, sondern eine starke performative Setzung, die im Akt des Fragens selbst diesen historischen Prozess initiiert. Indem Kant eine historische Differenz zwischen der Vergangenheit und der eigenen Gegenwart markiert, ruft er zugleich eine spezifische Form der Kritik aus, nämlich die Aufklärung im Modus des kritischen Hinterfragens, die dabei allerdings, und das gilt es zu betonen, zuallererst die Frage nach dem Modus des Fragens selbst befragt: Michel Foucault hat darauf hingewiesen, dass das epochale Ereignis vor allem darin besteht, dass mit dieser Frage das Fragen selbst in der Geschichte als kritische Vollzugsform eines Denkens auftaucht, das uns bis heute als Aufgabe beschäftigt. Zu Kants Text „Was ist Aufklärung“ schreibt er:

Ein Text zweiten Ranges, vielleicht. Doch, wie mir scheint, tritt mit ihm eine Frage diskret in die Geschichte des Denkens ein, die zu beantworten die moderne Philosophie nicht imstande war, von der sie sich aber auch nie frei zu machen vermochte.3

Was hier mit der berühmten Frage nach der Aufklärung diskret in die Geschichte eintritt, ist, so Foucault weiter, die Frage nach der eigenen Gegenwart, der Aktualität, der „Reflexion über ‚heute‘ als Differenz in der Geschichte und als Beweggrund für eine eigenständige philosophische Aufgabe[…].“4 Joseph Vogl hat im Anschluss an Foucault nochmals nachdrücklich darauf hingewiesen, dass diese historische Differenzmarkierung entschieden „an die Frageform selbst geheftet“5 sei, dass mithin die Herausforderung der dem Text immanenten Bruchlogik „in der Festigung der Frageform selbst liegt.“6 Mit der Proklamation von Aufklärung als Frage wird demnach das Fragen selbst zum herausragenden Ort der Selbstverständigung. Das Fragen ist seitdem jene kritische Vollzugsform, die sich als unabschließbares (Selbst-)Befragen immer erneut als Problem aktualisiert. Die philosophische Frage, die bis heute „ihre eigene diskursive Aktualität problematisiert“7, betrifft nicht nur die Philosophie als eigenständige Disziplin, sondern ist gleichermaßen allen geisteswissenschaftlichen Disziplinen als Aufgabe gestellt. Diejenigen Fragen zu formulieren, worin die Geisteswissenschaft „zugleich ihre eigene Daseinsberechtigung und die Grundlage für das, was sie sagt, zu finden hat“8, bedeutet auch, die eigenen Selbstbeschreibungen und Darstellungsformeln dergestalt kritisch an die Bestimmungen ihrer Gehalte zu knüpfen, dass damit zugleich auch immer das Problem der Bestimmung ihrer gegenwärtigen (gesellschaftsrelevanten) Aufgabe bedacht ist. Damit kommt der Frage als modus operandi der Bedingungsmöglichkeit für das Ereignen gesellschaftlicher Wirkungseffekte ein Prozesscharakter zu, durch den das Fragen selbst unabgeschlossen bleibt und nicht in einer letztgültigen Antwort stillgestellt werden kann.9 Bezeichnenderweise hat Foucault diese Unabschließbarkeit auch für die Kritik betont, wenn er diese als ein „Projekt“ bezeichnet, „das sich unablässig formiert, sich fortsetzt und immer wieder von neuem ersteht […].“10.

Frage und Kritik, darauf haben die bisherigen Ausführungen hindeuten wollen, stehen also seit Kant und der Koppelung des kritischen Projekts der Aufklärung an den historischen „Einfall der Frage selbst“11 in einem produktiven Wechselverhältnis. Bekanntlich hat dieses Wechselverhältnis bei Kant drei Fragedimensionen: 1. Anthropologisch: Auf dieser ersten Ebene betrifft das Fragen ganz allgemein (und überhistorisch) die menschliche Vernunft, denn diese wird, so Kant, „durch Fragen belästigt […], die sie nicht abweisen kann.“12 Hier ist das Fragen an die menschliche Konstitution als solche gebunden und gehört elementar zu unserem Dasein. 2. Historisch: Auf dieser Ebene betrifft das Fragen den bereits angezeigten historischen Einschnitt um 1800. Mit der Frage Was ist Aufklärung? wird das Fragen selbst zu einem spezifischen historischen Ereignis. 3. Metaphysisch/Erkenntnistheoretisch: Hier leitet das Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis – besonders durch die Frage „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“13 – Kants großes kritisches Projekt ein. Gerade mit dieser letzten Fragerichtung nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis wird, so Foucault, allerdings im Anschluss an Kant im 19. und 20. Jahrhundert das Projekt der Aufklärung auf eine spezifische Form von Kritik verkürzt, sodass die politische Dimension der Aufklärung zugunsten eines Wahrheitsdiskurses und dessen „Konstituierungs- und Legitimationsbedingungen“14 eingeschränkt wird. Dann geht es nicht mehr um die kritische Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern nur noch um die Immunisierung eines Denkens der Wahrheit gegenüber jeglicher gesellschaftlicher Implikation. Die Voraussetzung dieses Wahrheitsdiskurses liegt in einem substanzialisierten, a-historischen Bild der Wahrheit, das nur noch eine Frage zu formulieren vermag: „[W]elche falsche Idee hat sich die Erkenntnis von sich selbst gemacht […]?“15 Foucaults Gegenperspektive zu diesem Diskurs manifestiert sich in der Forderung nach einer kritischen „Ontologie der Gegenwart“16, die der historischen Verschränkung von Macht und Wissen Rechnung trägt.

Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Situation an den Universitäten und speziell in den Geisteswissenschaften lässt sich sagen, dass die Gegenspielerin (und Verbündete?) dieses a-historischen Wahrheitsbildes heute wohl weniger eine kritische Hinterfragung der Gegenwart ist als die Einfassung der Wissenschaft in eine Zweck-Mittel-Logik und in ein Verwertungskalkül, das das Fragen nicht offen hält, sondern permanent seine Nützlichkeit zu berechnen versucht. Die nachfolgenden Beiträge erheben daher auch nicht den Anspruch, Foucault im Versuch einer kritischen Ontologie zu folgen, sondern wollen vielmehr bei der Fraglichkeit der Frage noch einen Moment innehalten und den Fokus auf die (inter-)disziplinären Wirkungseffekte legen, die sich möglicherweise mit einer kritischen Perspektive auf die geisteswissenschaftliche Praxis des Fragens ergeben. Dabei scheint jedoch eins zunächst unhinterfragt zu gelten: Sowohl das Fragen als auch die Kritik, meist sogar in ihrer Verknüpfung als kritisches Hinterfragen, scheinen an Universitäten nicht zu fehlen. Im Gegenteil: Niemand würde wohl bestreiten, dass Kritikfähigkeit (im doppelten Sinne) grundlegend als soft skill im Studium erworben werden soll, wenngleich kritisch angemerkt wird, dass gerade die Rahmenbedingungen dieses Studiums kaum mehr Raum dafür lassen. Doch welche Art kritischen Fragens wird überhaupt adressiert? Wer stellt die Fragen? Wer verfügt über das Fragen und die Zeit, die das Formulieren von Fragen benötigt? Und was bedeutet es für die Geisteswissenschaften, sowohl für ihre interne Selbstverständigung als auch für die Inszenierung nach außen, wenn die grundlegende Eigenschaft des geisteswissenschaftlichen Fragens in ihrer Offenheit und konstitutiven Unabgeschlossenheit liegt? Wie legitimiert es sich, wenn sie sich qua Selbstverständnis einer unmittelbaren Verwertung entzieht und sich gesellschaftliche Wirkungseffekte, wenn überhaupt nur äußerst vermittelt und unvorhergesehen einstellen? Diese Frage der Verwertung und Nützlichkeit, die allzu oft als Bedrängnis empfunden und nicht als solche kritisch benannt, sondern euphemistisch als Frage nach der Bedeutung abgelenkt wird, markiert genau die Einsatzstelle des notorischen und omnipräsenten Krisendiskurses in den Geisteswissenschaften.

Den folgenreichsten Beitrag zur Frage der Geisteswissenschaft und letztlich auch zu ihrer Krise hat in den letzten Jahren Jacques Derrida mit seinem Bekenntnis zur unbedingten Universität geliefert. Derrida antwortet auf die neuen Herausforderungen der Geisteswissenschaften17 mit einem Bekenntnis zur „Verantwortung“18, die in der Ausübung der geisteswissenschaftlichen Praxis an den Universitäten liegt; mithin einer Verantwortung im Verhältnis von Wissen und Denken innerhalb eines Prozesses der Globalisierung, der Wissen selbst zu einer ökonomischen Ressource macht. Es lässt sich feststellen, dass das Plädoyer für eine unbedingte Universität im Anschluss an Derrida als Perspektive für die Geisteswissenschaften mittlerweile gleichwertig neben den unentwegt reproduzierten (Meta-)Diskursen über die Krise der Geisteswissenschaften steht. Der Diagnose eines scheinbar unauflösbaren Zusammenhangs von allgemeiner Verwertungslogik an den Universitäten und Bedeutungsverlust der Geisteswissenschaften widerspricht Derrida dabei mit einer Forderung: „Die Universität müßte also auch der Ort sein, an dem nichts außer Frage steht“.19 Diese immer wieder aufgerufene Forderung verspricht als Möglichkeit eines gesteigerten Selbstbewusstseins zwar zunächst einen potenziellen Bedeutungsgewinn in der geisteswissenschaftlichen Selbstreflexion, hält allerdings einen konkreten Bezug offen. Vielmehr stellt die Forderung sogar „noch die Form und Autorität der Frage, die Form des Denkens als Befragung“20 zur Diskussion. Das In-Frage-Stellen der Autorität des Fragens ließe sich, vielleicht ohne damit Derridas eigener Argumentation stricto sensu zu folgen, an dasjenige knüpfen, was er über das „Souveränitätsphantasma“, das „Phantasma der souveränen Verfügung“21 sagt. Dann ließe sich ein Unterschied im Fragen aufzeigen, der das (kritische) Fragen als soft skill vom Fragen als radikale Vollzugsform geisteswissenschaftlicher Kritik trennt. Dem souveränen Fragen (und der Praxis seiner Einübung) liegt ein Bild vom Subjekt zugrunde, das dergestalt über das Objekt der Frage verfügt, dass es dieses uneingeschränkt anzusprechen vermag. Es verfügt in der Frage über dieses Objekt, ohne selbst konstitutiv in das Fragen eingeschlossen zu sein. Eine kritische Denkarbeit, die die Fraglichkeit der Frage hervorhebt, muss hingegen die konstitutive Involviertheit des Subjekts in die Frage mit einbeziehen. Das Subjekt wird somit selbst Teil der Fragen: Warum stelle ich diese Fragen? In welchen diskursiven Zusammenhängen steht das Fragen? Welche Blickrichtungen und -bahnen werden dadurch abgelenkt? Die Einbeziehung des Subjekts in das Fragen betrifft dann gleichermaßen die Objekte und die Haltung des Subjektes zu seinem Gegenstand, der Disziplin, den institutionellen Rahmenbedingungen.

Diese kritische Frage nach dem Subjekt des Fragens klingt bereits in Max Webers berühmtem Vortrag über Wissenschaft als Beruf an, indem er auf den heiklen Punkt des selbstreflexiven Moments in der Frage nach der Frage hinweist und implizit eine Frage aufwirft, der meist nur in den unterschiedlichen Facetten der geisteswissenschaftlichen Krisendiskurse des Sinns begegnet wurde:

Die Tatsache, daß sie [die Wissenschaft] diese Antwort [nach dem Sinn] nicht gibt, ist schlechthin unbestreitbar. Die Frage ist nur, in welchem Sinne sie ‚keine‘ Antwort gibt, und ob sie stattdessen nicht doch vielleicht dem, der die Frage richtig stellt, etwas leisten könnte.22

Die Abwesenheit des Fragezeichens am Ende des zitierten Satzes ins Licht geisteswissenschaftlicher Selbstreflexion zu rücken, ist der Anspruch der nachfolgenden Beiträge. Diese Frage lautet: Was kann das Fragen leisten, das nicht auf eine letztgültige Antwort zielt? Im besten Falle stellt sie, so die These der nachfolgenden Beiträge, die unhinterfragte disziplinäre Ordnung der Dinge dergestalt in Frage, dass ihre Zusammensetzung und Organisation als erklärungsbedürftig erscheint. Das verbindet die Frage nach den Fragerichtungen der Disziplinen innerhalb eines diskursiven Rahmens mit der Kritik. Gerald Rauning hat in seiner Analyse von Foucaults Was ist Kritik? Kritik als „produktive[n] Prozess der Neuzusammensetzung“23 bestimmt, der hier auf den Modus des Hinterfragens ausgerichtet werden kann, sodass gerade in der Frage der Blick auf andere Formen des Arrangierens, Kombinierens, Komponierens geöffnet wird. Um diesen produktiven Prozess in Gang zu setzten, so unsere Annahme, muss jedoch die Frage der Kritik zugleich eine Kritik der Frage sein: ihrer Blickrichtung und ihrer institutionellen, disziplinären Rahmungen, also dessen, was ohne ein anderes Fragen nicht wahrnehmbar, sichtbar und sagbar bliebe.

Mit dieser Adressierung der geisteswissenschaftlichen Fragepraxis in der Form einer Frage an die Geisteswissenschaften versteht dieser Beitrag sich allerdings keineswegs außerhalb, in einem Außen des Fragens. Mit der Frage nach der Involviertheit des Fragenden, der „kritischen Haltung“ (Foucault) ist sein In-Mitte-Sein in disziplinäre, institutionelle und gesellschaftliche Rahmungen immer mit angesprochen. In den ersten beiden Beiträgen wird es daher auch um die grundlegenden Bestimmungsmöglichkeiten dieser Haltung gehen: dem Raum und der Zeit des Fragens, um anschließend in drei exemplarischen Lektüren das Verhältnis von sichtbaren und abgeblendeten Objekten geisteswissenschaftlichen Fragens zu untersuchen. Kevin Drews nimmt ein Kunstwerk, das als Rauminstallation im Foyer der Universitätsbibliothek Erfurt zu sehen ist, zum Anlass, um daran kritische Anmerkungen zur Zirkelstruktur eines Fragens nach dem Fragen zu knüpfen und den Ort des Fragenden zu bestimmen. Sandra Ludwig wird in ihrem Beitrag dem prekären Status des richtigen Augenblicks des Fragens nachspüren, indem sie vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Krise und Kairos die Zeitlichkeit des Fragens in den Blick nimmt. Anschließend folgen drei exemplarische Lektüren disziplinärer Frageszenen, in denen kritisch beobachtet wird, wie Fragerichtungen und Blickbahnen nicht nur bestimmte Objekte fokussieren, sondern zugleich andere Formen des Fragens ausschließen. Andrea Renker geht in ihrem Beitrag von der grundsätzlich polyvalenten Potenzialität geisteswissenschaftlicher Frageobjekte (Kunstwerke) aus und schlägt in Anknüpfung an Roman Jakobsons Überlegungen zur poetischen Sprachfunktion eine Übertragung der literaturwissenschaftlichen Theorie auf die kritische Betrachtung und Befragung nicht genuin künstlerischer Objekte vor. Friederike Schütt beleuchtet in ihrem Beitrag aus kunsthistorischer Perspektive, wie sich eine wissenschaftsgeschichtlich orientierte Befragung kanonisierter Objekte und Methoden als Form kritischen Denkens manifestieren und Impulse für das Auffinden bisher nicht gestellter Fragen in der geisteswissenschaftlichen Praxis liefern kann. Ann-Kathrin Hubrich nimmt Aby Warburgs Denken der Pathosformel zum Anlass, um das Verhältnis zwischen traditionellen Bildsemantiken und dem uneindeutigen ikonographischen Status gegenwärtiger Bildproduktionen zur Fluchtdebatte in der Presselandschaft auszuloten. Dabei wird die generelle Frage nach dem Ort der Bildwissenschaft in und für die Geisteswissenschaften kritisch in den Blick genommen.

Der Beitrag in diesem Sammelband entstand in Anknüpfung an ein gemeinsames Tagungsprojekt24 und präsentiert sich als experimentelle, bewusst offen gelassene Annäherung an die Theorie und Praxis des geisteswissenschaftlichen Fragens in fünf kurzen Essays. Deren Anordnung leitet in der inhaltlichen Dramaturgie von grundsätzlichen Erwägungen des Fragepotenzials in den Geisteswissenschaften sukzessive in exemplarische Lektüren über. Dabei geht es nicht darum, eine über die einzelnen Beiträge hinausweisende kohärente inhaltliche oder methodische Linie zu verfolgen, die die einzelnen Beiträge zu einer verbindlichen Einheit zusammenfügt. Die gemeinsame Absicht der Essays liegt vielmehr darin, aus ihren verschiedenen Perspektiven Prismen anzubieten, die immer erneut dem Verhältnis von Frage und Kritik im geisteswissenschaftlichen Arbeiten auf die Spur zu kommen suchen. Wenn sich aus der Konstellation der hier vereinigten Perspektiven eine höhere Aufmerksamkeit dafür einstellt, dass geisteswissenschaftliche Arbeit an den Möglichkeiten der Kritik nicht ohne grundsätzliche (methodische) Reflexion über den Status des Fragens zu haben ist, dann hat der Beitrag seinen Sinn bereits erfüllt. Um jedoch zu markieren, wo unter den verschiedenen Beiträgen Zusammenhänge hergestellt werden können, wurden an verschiedenen Stellen der einzelnen Texte Querverweise eingefügt, sodass neben einer linearen Lektüre auch die Möglichkeit gegeben ist, hinsichtlich spezieller Schwerpunkte zwischen den Beiträgen zu springen, diese miteinander zu vergleichen, zu konfrontieren und zu diskutieren.

Kritisches Denken

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