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Der Zirkel des Fragens (Kevin Drews) I.

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„Was denn? fragte ich neugierig. – ‚Wer denn? sollst du fragen.‘ Also sprach Dionysos und schwieg darauf, in der Art, welche ihm zu eigen ist, nämlich versucherisch.“1 – Das Versucherische, das Friedrich Nietzsche in diesem Fragment aus dem Jahre 1885 dem Schweigen des Dionysos anschreibt, resultiert aus einer folgenreichen Verschiebung des Fragemodus. Die Substanz-Frage Was ist …? wird ersetzt durch die Perspektiv-Frage Wer …?, die sich auf denjenigen ausrichtet, der spricht und die Frage stellt (→ Einleitung). Provokativ ist das Versucherische zudem, weil es in der Schwebe lässt, ob es sich in der Verschiebung um eine gefährliche Versuchung als Verführung oder um einen aussichtsreichen Versuch als Experiment eines anderen Fragens handelt. Zwischen Schweigen und Sprechen, Passivität und Aktivität, Reaktion und Aktion wirft die Verschiebung den Fragenden in die Frage zurück, betrifft ihn unmittelbar und macht so die Reflexion des Ortes und der Perspektive des Fragenden zum dringlichen Problem. Der französische Philosoph Gilles Deleuze hat in seinem Buch über Nietzsche darauf aufmerksam gemacht, dass sich diese Verschiebung bei Nietzsche auf das „Perspektivische[…]“2 des Fragens aus der Einsicht ergibt, dass die Substanz-Frage „eine spezifische Art des Denkens voraussetzt3, die weder die mannigfaltigen Elemente zu berücksichtigen vermag, die als Erscheinungen nicht unter einem Allgemeinbegriff subsumierbar sind, noch die konstitutive Frage, „von welchem Blickwinkel aus“4 gedacht, gefragt, gesprochen wird, einbezieht. Die Urszene dieses Bild des Denkens als Befragung (Gilles Deleuze unterscheidet in seinen Arbeiten immer wieder kritisch zwischen interrogation und question5), das der Substanz bzw. dem Wesen nachspürt, findet sich bei Platon. Im Menon befragt Sokrates einen jungen Sklaven nach seinem Verständnis der Geometrie. Was als Zwiegespräch zwischen Menon und Sokrates beginnt, wird sehr schnell zu einer fragenden Prüfungssituation, deren hierarchisches Verhältnis trotz der von Sokrates immer wieder betonten eigenen Unwissenheit offensichtlich wird. Dasjenige, was Aron Ronald Bodenheimer in seinem Buch über die Frage Warum? als die Obszönität des Fragens bezeichnet,6 als den entlarvenden Gestus im Nur-Fragen-Stellen, wird in der Abfrage des Sokrates dann ganz deutlich, wenn er selbst zugeben muss, dass er den Knaben in „Verlegenheit […] und zum Erstarren, wie der Krampfrochen“7 gebracht hat. Entscheidender an dieser Urszene für den Zusammenhang von Fragen und dem vorausgesetzten Bild des Denkens ist vielleicht aber noch die Tatsache, dass die Antwort, die Lösung des Rätsels immer schon gegeben ist. Die Frage zielt hier nicht ins Offene dessen, was fraglich ist, sondern findet in der Anamnesis, in der wiedererinnerten Antwort als immer schon gegebenes Wissen ihren vorausgesetzten Schlusspunkt. Wenn in den platonischen Dialogen Was-ist-Fragen gestellt werden und die Gesprächspartner nicht mit einer allgemeinen Definition aufwarten, sondern nur unterschiedliche Beispiele für das in der Frage Gesuchte geben (bspw. Was ist das Schöne?), dann liegt das nicht zwangsläufig nur daran, dass die Antworten unzureichend sind: „Wenn man gefragt wird ‚Was ist das Schöne?‘, ist es zweifellos einfältig, zu zitieren, was schön ist, aber es steht keineswegs zweifelsfrei fest, ob die Frage ‚Was ist das Schöne?‘ nicht vielleicht selbst auch einfältig ist. Keineswegs ist sicher, daß sie legitimierweise und gut gestellt ist […].“8 In Nietzsches metaphysikkritischer Arbeit Menschliches, Allzumenschliches, mit der er selbst eine Krise im Denken (und in der Darstellungsform) überwindet,9 spricht er bereits einige Jahre vor dem oben zitierten Fragment die Konsequenz aus, die sich für ihn aus der Verschiebung im Fragen ergibt:

Mit einem bösen Lachen dreht er [der befreite, losgelöste Geist, K. D.] um, was er verhüllt, durch irgend eine Scham geschont findet: er versucht, wie diese Dinge aussehen, wenn man sie umkehrt. Es ist Willkür und Lust an der Willkür darin, wenn er vielleicht nun seine Gunst dem zuwendet, was bisher in schlechtem Rufe stand, – wenn er neugierig und versucherisch um das Verbotenste schleicht. Im Hintergrund seines Treibens und Schweifens – denn er ist unruhig und ziellos unterwegs wie in einer Wüste – steht das Fragezeichen einer immer gefährlicheren Neugierde. ‚Kann man nicht alle Werthe umdrehn?‘10

Das Kraftzentrum der Wer-Frage liegt im konstitutiven Perspektivismus, durch den der Fragende selbst der Versuchsanordnung im Denken ausgesetzt wird: „Die Frage ‚Wer?‘ bedeutet nach Nietzsche: etwas sei gegeben, welch Kräfte bemächtigen sich seiner, wessen Willen ist es untertan? Wer drückt sich aus, manifestiert sich, ja verbirgt sich in ihm?“11 Im Folgenden soll jedoch nicht diese Philosophie des Willens im Mittelpunkt stehen, sondern der Fragerichtung nachgespürt werden, die Nietzsche hier zugleich versuchsweise und versucherisch verschoben hat, um den Ort des Fragenden zu reflektieren. Die Verschiebung der Substanz-Frage zur Perspektiv-Frage ersetzt nicht nur eine Frageform durch eine andere, sondern rückt mit der Frage nach der konstitutiven Einbeziehung des Fragenden in die Frage sogleich die Verschiebung des Fragens durch die je perspektivisch bewegbare Blick- und Fragerichtung selbst in den Mittelpunkt: Die Frage nach dem Wer …? zeitigt eine grundlegende Reflexion darüber, wie sich das Fragen verschiebt, wenn es vom Ort des Fragenden, von seiner Konstitution und seinen spezifischen Denkvoraussetzungen ausgeht. Ich möchte daher damit beginnen, anhand eines künstlerischen Objekts, einer Rauminstallation, die in der Universitätsbibliothek Erfurt hängt, den Blick auf die Mehrdeutigkeit (→ A. Renker), die Probleme, ja vielleicht die Paradoxien des Verhältnisses von Fragen und Fragendem zu werfen, indem ich ein paar Fragen an dieses Kunstwerk richte. Es geht darum, die einfache lineare Bewegung von der Frage zur Antwort etwas durcheinander zu bringen, um so dem eigentümlichen Status des Fragens als Vollzugsform kritischer geisteswissenschaftlicher Arbeit auf die Schliche zu kommen.

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