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II.

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Steigt man im Foyer der Universitätsbibliothek Erfurt die Treppen zur ersten Etage hinauf, erreicht man nicht nur die Bücherregale der geisteswissenschaftlichen Disziplinen, sondern wird eher nebenbei und beim Abschreiten der Regale mit einer interessanten Installation des Künstlers Dietrich Förster konfrontiert.1 Von der Decke im Treppenauge hängen 7x7 rot lackierte Aluminiumrohre, die als Würfel arrangiert sind und sich in immer freieren Bewegungen nach oben aus einer klar strukturierten Ordnung lösen. Der Künstler kommentiert diese Bewegung folgendermaßen: „Wissenschaftlicher Fortschritt ist nur möglich, wenn es gelingt, das Fundament aus gesetzmäßig erfassbarer Ordnung zu verlassen, um in einer Art kreativem Höhenflug in noch unbekanntes Terrain vorzustoßen.“2 Für sich genommen scheint die Installation zunächst für diesen Anspruch an wissenschaftliches Arbeiten, an kritische Hinterfragung festgefügter Ordnungsmuster einen sehr gelungenen Ausdruck gefunden zu haben. Ein elementares Werkzeug dieses kreativen Vorstoßens ist dabei sicherlich das kritische Fragen, die Formulierung von Fragen, die die disziplinären Ordnungen der Dinge lockern und andere Anordnungsweisen ermöglichen. Allerdings verkomplizieren sich die Dinge, wenn man das Kunstwerk in seinem architektonischen Milieu kontextualisiert. Eine Rauminstallation steht niemals für sich allein, sondern interagiert notwendigerweise mit dem sie umgebenden architektonischen Raum. Berücksichtigt man dies, so kann festgestellt werden, dass man den besten Blick auf das Kunstwerk hat, wenn man sich auf der geisteswissenschaftlichen Etage der Universitätsbibliothek befindet. Dann aber beginnt Försters Installation nicht mit der starren Ordnung, um anschließend in immer freiere Bewegungen versetzt zu werden, vielmehr steht man am Treppenaufgang zunächst vor der freien Bewegung der Aluminiumrohre, die sukzessive in eine immer klarere Ordnung münden. Das Abschreiten der Installation steht also im umgekehrten Verhältnis zur diskursiven Beschreibung der Intention. Nun könnte man etwas böswillig mit Michel Foucaults Überlegungen zu institutionellen Disziplinierungsmechanismen behaupten, dass diese Umkehrung eine treffendere Metapher evoziert: Im Laufe des Studiums, das hier zugleich als sukzessives Abschreiten der Bücherregale (und damit als fortwährendes Akkumulieren von Wissensbeständen, d.h. als Bildungsgang) und der Rauminstallation versinnbildlicht ist, entstehen aus freien Denkern, kritisch Fragenden im doppelten Sinne disziplinierte, akademische Subjekte, die sich allmählich in feste Gefüge disziplinärer Anordnungen, abgegrenzter Zuständigkeiten, unbeweglicher Fragepositionen und -richtungen einreihen. Auf diese Lesart, die eher zu einer klassischen Institutionenkritik tendiert, möchten die folgenden Überlegungen aber gar nicht hinaus. Viel interessanter scheint die Interaktion von Kunstwerk und Bibliothek, wenn sie auf den strittigen, uneindeutigen Status kritischen Fragens in den Geisteswissenschaften bezogen wird. Dann gerät mit dieser Interaktion das Fragen selbst in eine eigentümliche Zwischenposition, in eine Zone, in der zwischen Anfang und Ende (→ S. Ludwig), zwischen Frage und Antwort als Zweck-Mittel-Relation keine klaren Grenzen zu ziehen sind, wodurch letztlich die Frage des anderen Anfangens, d.h. der anderen Fragerichtungen, der Verschiebung von disziplinären Frageausrichtungen selbst zur Disposition steht. Diese Ununterscheidbarkeit, oder besser: die Zirkularität des Fragens zwischen Anfang und Ende, Vorwärts und Rückwärts, Aktion und Reaktion, Bewegung und Stillstand scheint mir für das Nachdenken über kritisches Fragen in den Geisteswissenschaften ganz entscheidend. Sie betrifft denjenigen, der die Fragen stellt, den Denkenden in seiner perspektivischen Relation zu den Gegenständen, seine Haltung inmitten disziplinärer Anordnungen. Die Bestimmung von Anfang und Ende des Kunstwerkes in der Universitätsbibliothek Erfurt wird dann uneindeutig, wenn sie mit dem Raum in Beziehung gesetzt wird. Als Reflexionsmedium entfaltet es seine Kraft, wenn man die Frage nach Anfang und Ende zunächst unbestimmt lässt und den Fokus auf die gegenläufigen Bewegungen inmitten der räumlichen Anordnung legt, die dann stets eine Frage der sich verschiebenden Perspektive wird.

Kritisches Denken

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