Читать книгу Gegendiagnose - Группа авторов - Страница 28

Fremd- und Selbststeuerung

Оглавление

Im vorherigen Abschnitt wurden die elementaren Fehlannahmen zweier psychiatrisch-psychologischer Deutungen bezüglich ihres Gegenstands der psychischen Tätigkeit des Menschen benannt. Ihnen ist gemein, dass sie das als Abweichung vom Norm-Verhalten klassifizierte Denken und Handeln eines Menschen als Wirkung mehrerer innerer oder äußerer Ursachen beschreiben. Diese würden das Individuum daran hindern, sich in dieser Welt zu bewähren, produktiven Tätigkeiten nachzugehen und den Anforderungen der Gesellschaft, in der es lebt, bei persönlicher Zufriedenheit nachkommen zu können. Das als gestört klassifizierte Individuum ist nicht mehr in der Lage sich diesen Anforderungen zu stellen, es wurde sich selbst ein Hindernis bei dem Versuch des Zurechtkommens in der Welt. Dieses Hindernis gilt es zu überwinden, damit das allgemein ausgegebene Ziel »Teilhabe an der Gesellschaft« erreicht werden kann. Mit der Beeinflussung der behaupteten Wirkungszusammenhänge soll es gelingen, das Individuum zu seiner gesunden Betätigung in dieser Gesellschaft zu befähigen. Gedacht wird der Mensch somit als ein manipulierbares Wesen, dessen Verhalten gesteuert werden kann, damit es sich selbst wieder in der bürgerlichen Gesellschaft zurechtfindet und seinem angeblich natürlichen Auftrag nachkommt. Die Suche nach diesen Steuerungsmechanismen offenbart den eigentlichen Zweck dieser Forschungsrichtungen: Es sind die Mittel ausfindig zu machen, mit denen das menschliche Denken und Handeln so verändert werden kann, dass es zu den Anforderungen dieser Gesellschaft passt. Welchen Zwecken diese Anforderungen folgen, braucht da gar nicht weiter zu interessieren. Diesen mit einem fröhlichen Lachen nachzukommen ist bereits als das Erstrebenswerte festgelegt. Dementsprechend setzen diejenigen Fachrichtungen, welche diesem Zwecke folgen, ständig neue Handlungsanleitungen in die Welt, welche Praktiker_innen dazu befähigen sollen, nützlichen Einfluss auf das auffällig gewordene Individuum nehmen zu können, im Namen des jeweiligen Individuums selbst. Da das Ziel, also die Herrichtung des Individuums dahingehend, dass dieses kann und will, was es muss und soll, schon festgelegt wurde, geht es nur noch um die Frage des Wie. Um die Beantwortung dieser sich selbst auferlegten Frage konkurrieren die verschiedenen Fachrichtungen miteinander.

Neben der Steuerung des Menschen durch die Veränderung äußerer Reize und den Eingriff in den biologischen Stoffwechsel kommt eine weitere Steuerungstechnik hinzu, die den Willen selbst als Produktivkraft zur Herrichtung des gesellschaftlich erwünschten Verhaltens begreift. Die Selbststeuerung zur »gesunden« gedanklichen Stellung zu sich und dieser Welt gilt als ein weiteres brauchbares Mittel. Das Individuum soll verstehen, dass bestimmte Inhalte seiner Gedanken es angeblich daran hindern, im Einklang mit sich und der Welt zu leben. In der kognitiven Verhaltenstherapie12 werden derartige das Individuum behindernde Gedanken als gestörte kognitive Schemata begriffen, die es unter Anleitung von erfahrenen Psychotherapeut_innen zu verändern gilt. Dem Individuum werden Werkzeuge an die Hand, besser: in den Kopf, gegeben, damit es bei sich selbst die angenommen Ursachen ausfindig machen kann, die es darin hindern würden, ein glückliches Leben zu führen. Es soll sich zu seinen eigenen negativen und dysfunktionalen Gedanken als zu manipulierende Bedingungen stellen, damit es selbst wieder das erwünschte Verhalten hervorbringt.13 Nicht verwunderlich ist es dann, dass überzogene Erwartungen seitens des Individuums an die Welt als entscheidendes Hindernis auf dem Weg zum Glücklichsein ausgemacht werden. Um dieses Hindernis aus dem Weg zu räumen, sollen die jeweiligen Ansprüche an die Anforderungen dieser Welt angepasst werden, sich die Wünsche und Ziele an der vorgegebenen Realität orientieren und sich dieser somit unterordnen. Die eigenen Bedürfnisse und Interessen an der vorgefundenen gesellschaftlichen Realität zu relativieren, ist eine Form der Selbstzurichtung des Individuums, die es zur Herbeiführung eines gelungenen Verhältnisses zur Welt ständig neu an sich ausführen soll, um die eigene Zufriedenheit herzustellen: Nimm auf dich selbst so Einfluss, dass du dir im Sinne des fröhlichen Mitmachens nicht mehr selbst im Wege stehst!

Gegendiagnose

Подняться наверх