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Behandlungsziel: Arbeit!
ОглавлениеIn der Festlegung dessen, was als psychisch gesund bewertet wird, gilt das Nachkommen einer produktiven Tätigkeit als Ausdruck gelungener gesellschaftlicher Integration. Psychische Gesundheit misst sich vor allem an der Fähigkeit, die eigene Arbeitskraft zur Verfügung stellen zu können, und somit gilt die Wiederaufnahme einer produktiven Tätigkeit als anzustrebendes Resultat geglückter Fremd- und Selbststeuerung. Mit der Formulierung »produktive Tätigkeit« wird von den konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen abstrahiert, in denen eine produktive Tätigkeit stattfinden muss. Die Rückkehr an einen Arbeitsplatz wird nicht als Notwendigkeit verstanden, damit das Individuum an die Geldmittel herankommt, von denen seine Existenz abhängig gemacht worden ist, sondern als Ausdruck geglückter Wiederherstellung psychischer Gesundheit überhaupt. Damit wird die allgemeine Setzung, sich erst fremden Zwecken unterwerfen zu müssen, um die eigene Existenz wenigstens halbwegs zu sichern, als Mittel ausgegeben, welches das Individuum zu seiner psychischen Gesundung benötigt. Die »Teilhabe an der Gesellschaft« ist für die meisten Menschen nur über Arbeit zu haben und als gesund gelten nur diejenigen, die erfolgreich die eigene Arbeitskraft für die Vermehrung des Eigentums anderer zur Verfügung stellen. Tatsächlich sind diejenigen, die nicht über ausreichend Geldmittel verfügen, von vielen Dingen, die sie benötigen, ausgeschlossen. Dies verweist jedoch auf die Verfasstheit dieser Gesellschaft, in der nur diejenigen Individuen etwas zählen, die fremden Erfordernissen genügen. Die Wiedereingliederung in das Regime der Arbeit im Namen der Wiederherstellung von psychischer Gesundheit verweist auf den allgemeinen Zweck dieser Gesellschaft, welcher der gesunden Menschennatur entsprechen soll. Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen wird so nicht als das ausgegeben, was sie ist, sondern wird zum individuellen Mittel zur Wiederherstellung von psychischer Gesundheit. Hierzu wird die Aufnahme einer produktiven Tätigkeit mit allerlei für das Individuum wichtigen Eigenschaften identifiziert. Durch sie soll es Selbstbestätigung erfahren, kann es stolz auf das Geleistete sein und sich wertvoll fühlen. Arbeit ist nicht mehr Mühsal zum Gelderwerb, sondern wird zum elementaren Baustein eines gesunden und glücklichen Lebens stilisiert. So soll die Vernutzung der eigenen Arbeitskraft für fremde Zwecke gesehen und gelebt werden: als Mittel zur (Wieder-)Herstellung der eigenen Gesundheit und des Wohlbefindens. Dementsprechend ist die berufliche Wiedereingliederung derer, die psychiatrisch auffällig geworden sind, ein wichtiges Ziel jeglicher psychiatrischpsychologischer Behandlung. Neben verschiedenen Bildungseinrichtungen, Trainings- und Förderungsstätten sowie Werkstätten finanziert der Staat Unterstützungsleistungen, die eine dauerhafte Eingliederung in Beruf und Arbeit zum Ziel haben. Am Anfang derartiger Maßnahmen steht die Einschätzung von Expert_innenseite, welche Belastungen den Diagnostizierten denn zuzumuten wären. Dass eine produktive Tätigkeit eine Zumutung ist und zum physischen und psychischen Verschleiß führt, ist da schon mitgedacht. Auf die Dosis der Verwertung kommt es an, gerade bis an die Grenze, ab der gar nichts mehr geht. Da schon der Tätigkeit an sich eine therapeutische Wirkung zugesprochen wird, ist deren konkreter Inhalt zweitrangig. Auch da gilt es, die eigenen Ansprüche möglichst niedrig zu halten und an sich zu arbeiten, das Angebot als Chance zu begreifen, wieder Teil dieser Gesellschaft werden zu dürfen.