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6.1 Zusammenarbeit und Interprofessionalität

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Die Komplexität in der Medizinischen Versorgung insgesamt wird durch die stärkere Einbindung der Patientenwünsche und Zunahme an Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten künftig verstärkt. Hinzu kommt der Anstieg lebensstilbedingter und chronischer Erkrankungen (World health statistics 2018) sowie multimorbider Erkrankungsmuster vor allem bei älteren Patienten. Eine einzelne Medizinerin oder Therapeutin bzw. ein einzelner Mediziner oder Therapeut kann weder alle Antworten parat haben, die für einzelne Patienten/-innen gewinnbringend sind, noch dessen/deren umfassende zeitnahe Versorgung über einen längeren Zeitraum bewerkstelligen. Die Bestrebungen für alle Bevölkerungsgruppen eine optimale Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, erfordert eine Neudefinition der Rollen und Funktionen der medizinischen Gesundheitsberufe wie Ärzte/-innen, Pflegekräfte und Physiotherapeuten/-innen aber auch Zahnärzte/-innen, Apotheker/-innen, Sozialarbeiter/-innen usw., die Teil eines Versorgungsteams sind oder Führungsverantwortung übernehmen. Interprofessionelle Bildung und interprofessionelle Zusammenarbeit sind seit den frühen 1970er-Jahren von wachsendem globalem Interesse (WHO 1988). Es besteht die Notwendigkeit einer kontinuierlichen integrierten Versorgung, bei der verschiedene Berufe eng zusammenarbeiten (Barr et al. 2017).

Professionen als solche strebten in der Vergangenheit Zuständigkeitsmonopole an, die ihre Arbeitsinhalte selbst bestimmten und damit auch die Bedürfnisse ihrer Klienten bzw. Patienten (Johnson 1972). Die Versorgung durch Praktizierende aus verschiedenen beruflichen und kulturellen Traditionen setzt Verständnis, Bewusstsein und Engagement für die jeweils anderen Bereiche voraus (WHO 1988). Darüber hinaus ist bei nicht gelingender Kommunikation und Interaktion von medizinischen Fachkräften die Patientensicherheit durch das häufigere Auftreten von Behandlungsfehlern gefährdet (Reeves et al. 2010). Das Ausmaß, in welchem unterschiedliche Gesundheitsberufe als Team gut zusammenarbeiten, kann somit die Qualität der patientenzentrierten Versorgung erheblich verbessern.

Ein Gesundheitsteam wird als eine Gruppe von Personen verstanden, die ein gemeinsames Gesundheitsziel teilen und gemeinsame Versorgungsziele verfolgen, die durch die Bedürfnisse der Gemeinschaft bestimmt sind. Hierzu trägt die Leistung jedes Teammitglieds in koordinierter Weise im Einklang mit seinen Kompetenzen und Fähigkeiten und unter Achtung der Aufgabenbereiche anderer bei. Interprofessionalität geht über die Interaktionen der Teammitglieder auf der Mikroebene hinaus. Sie entsteht aus der Sorge der Fachleute, ihre Unterschiede und ihre manchmal gegensätzlichen Ansichten in Einklang zu bringen. Sie beinhaltet eine kontinuierliche Interaktion und den Wissensaustausch zwischen Fachleuten, die organisiert sind, um eine Vielzahl von Ausbildungs- und Versorgungsfragen zu lösen oder zu erforschen und gleichzeitig die Beteiligung der Patienten und Patientinnen zu optimieren. Interprofessionalität beinhaltet damit einen bevölkerungs- und bedarfsgerechten Ansatz, der das jeweilige Gesundheitssystem und die nationalen Gegebenheiten berücksichtigt. Die Patientenorientierung und die Teilnahmebereitschaft des Patienten bzw. der Patientin sind Schlüsselfaktoren in diesem Ansatz. Seit längerem ist bekannt, dass Interprofessionalität einen Paradigmenwechsel, eine Neuorientierung in Bezug auf Werte, Verhaltenskodizes und Arbeitsweisen erfordert (D’Amour u. Oandasan 2005).


Interprofessionalität wird definiert als die Entwicklung einer kohärenten Praxis zwischen Fachleuten aus verschiedenen Disziplinen. Es ist der Prozess, bei dem Fachleute über die Praxis nachdenken und diese gestalten, um eine integrierte und kohärente Antwort auf die Bedürfnisse des Patienten, der Angehörigen und der Bevölkerungsgruppen zu bieten (D’Amour u. Oandasan 2005). Unter interprofessioneller Zusammenarbeit wird verstanden, dass mehrere Personen mit unterschiedlichem beruflichem Hintergrund umfassende Dienstleistungen erbringen und dabei miteinander und mit Patienten, ihren Familien, Verbänden und Gemeinschaften zusammenarbeiten, um die höchste Qualität der Versorgung in allen Situationen zu gewährleisten (WHO 2010).

Ein koordiniertes am Patientenwohl orientiertes Zusammenspiel der Professionen bedarf Strategien, um die Arbeitsinteraktionen und -prozesse zwischen zwei oder mehreren Berufsgruppen zu verbessern (Zwarenstein et al. 2009). Unterschiedliche praxisbasierte Interventionen werden hierzu eingesetzt: 1. Fallbesprechungen, bei denen einzelne Patientenfälle im interprofessionellen Team diskutiert werden, um für den einzelnen Patienten oder die einzelne Patientin eine optimale Versorgung zu finden; 2. interprofessionelle Meetings, bei denen über inhaltliche Fragen, Abläufe und Prozeduren ein Konsens angestrebt wird, um für Patientengruppen optimale Versorgungswege zu finden; 3. interprofessionelle Audits bzw. Checklisten, die der Qualitätssicherung und Fehlervermeidung dienen (Zwarenstein et al. 2009, Reeves et al. 2015, Schot et al. 2019).

Im Bereich der Aus- und Weiterbildung wurden verschiedene pädagogische Rahmenwerke entwickelt, die notwendige Kompetenzen für eine gelungene Zusammenarbeit beschreiben. Die Interprofessional Education Collaborative (IPEC) bestehend aus Vertretern aus sechs Berufsverbänden (Medizin, Krankenpflege, Osteopathie, Pharmazie, Zahnmedizin, Public Health) erarbeitete 2011 vier Schlüsselkompetenzen für die interprofessionelle Zusammenarbeit, die auf den erwarteten disziplinären Kompetenzen jedes Berufsstandes aufbauen (IPCE 2011). Die disziplinären Kompetenzen werden innerhalb der Berufe vermittelt. Die Entwicklung interprofessioneller kollaborativer Kompetenzen erfordert jedoch, dass über diese berufsspezifischen Bildungsanstrengungen hinaus Auszubildende verschiedener Berufe miteinander in interaktives Lernen einbezogen werden. Die Fähigkeit, effektiv als Mitglied von klinischen Teams während der Studienzeit zu arbeiten, ist ein grundlegender Bestandteil dieses Lernens.

Die interprofessionelle Zusammenarbeit wird von der IPEC durch vier Kompetenzbereiche charakterisiert:

1. Werte und Ethik für die interprofessionelle Praxis: Die wertschätzende Zusammenarbeit mit Personen anderer Gesundheitsberufe, um ein Klima des gegenseitigen Respekts und der gemeinsamen Werte aufzubauen.

2. Rollen und Verantwortung: Die Nutzung der Kenntnisse über die eigenen und über die Rollen und Verantwortungsbereiche der anderen Gesundheitsberufe, um Patientenbedürfnisse angemessen zu erkennen und zu berücksichtigen und die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt zu fördern.

3. Interprofessionelle Kommunikation: Die offene und verantwortungsvolle Kommunikation mit Patienten, Familien, Gemeinschaften und Fachleuten im Gesundheitswesen und anderen Bereichen, um gemeinsam die Förderung und Aufrechterhaltung der Gesundheit sowie die Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten zu unterstützen.

4. Team und Teamarbeit: Der Aufbau von Beziehungen und Teamstrukturen, um unterschiedliche Teamrollen effektiv einnehmen zu können, mit dem Ziel, zeitnahe, sichere, effiziente und sozial gerechte patienten- und bevölkerungszentrierte Versorgungskonzepte zu entwickeln, bereitzustellen und zu evaluieren (IPEC 2016).

Interprofessionalität im Gesundheitsbereich ist gemäß Weltgesundheitsorganisation (WHO) dann gegeben, wenn mehrere Gesundheitsfachleute mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen aufeinander einwirken, um zu einem gemeinsam geteilten Verständnis zu kommen, das sie vorher noch nicht hatten und zu dem sie ohne einander nicht hätten kommen können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es bei der Realisierung der interprofessionellen Zusammenarbeit vor allem darum geht, den Bedarf der Bevölkerung bzw. der einzelnen Patientin oder des einzelnen Patienten an erste Stelle zu setzen, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und Vorurteile beiseite zu legen. Der Mangel an Primärversorgern und die Herausforderungen bei der Bewältigung chronischer, komplexer Krankheiten sind ausgezeichnete Möglichkeiten für die Gesundheitsberufe, einzigartige Fähigkeiten in kooperativen Umgebungen einzubringen (Green u. Johnson 2005).

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