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Einführung

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Liebe Leserin, lieber Leser,

lassen Sie uns an dieser Stelle erklären, was dieses Buch für Sie so lesenswert macht. Autoren und Autorinnen aus acht Ländern erzählen in dreizehn Beiträgen davon, wie in Familien, Therapie, Schule und Beratung, in der Kita, der Jugendhilfe, im Strafvollzug und in der Psychiatrie eine Netzwerke und Gemeinschaft stiftende Arbeit gelingt. Die vielfältige Zusammenarbeit, um die es geht, bezieht Familienmitglieder ebenso ein wie nahestehende Freunde, bedeutsame Gemeindemitglieder oder auch auf ähnliche Weise Betroffene. Das Buch zeigt, auf welche verbindende und Mut machende Weise die Kraft des Miteinander nutzbar wird. Dabei wird auch deutlich, wie diese Verbundenheit letztlich allen hilft.

In vielen Ländern werden die hier vorgestellten Ansätze, Verfahren und Methoden bereits in Kommunen, Schulbehörden, Jugendämtern und Kliniken praktiziert. Alle Autoren und Autorinnen sind Pioniere dieser Arbeitsweisen. Außerdem sind sie Teil eines internationalen Netzwerks, in dem diese innovativen und die Gemeinschaft stärkenden Herangehensweisen ständig weiterentwickelt werden. Ihre Vorgehensweisen sind dabei so altbewährt wie die afrikanische Weisheit, dass es ein ganzes Dorf braucht, damit sich Kinder gut entwickeln. Mit diesem Buch erhalten auch die Eltern Unterstützung. Diese Idee von Gemeinschaft ist indigenen oder auch stärker spirituell geprägten Kulturen schon immer vertraut. Daher finden sich auch in allen Beiträgen die »talking circles« wieder, eine Tradition indigener Kulturen, bei der sich eine Gemeinschaft im Kreis sitzend versammelt, um einander zuzuhören und zu besprechen, welche nächsten Schritte unternommen werden – sei es zur Unterstützung, zur Versöhnung oder zur Wiedergutmachung.

Wir sehen im Bereich der Sozialarbeit, der Schule und der Psychotherapie einen Trend innovativer Ansätze im Umgang mit den psychosozialen Herausforderungen unserer Zeit. Die neue Herangehensweise zeigt sich darin, dass Fachleute weniger davon überzeugt sind, alleine das Mittel oder die Lösung für das Problem eines Einzelnen, einer Familie oder einer Schulklasse zu kennen oder zu finden. Stattdessen machen sie sich alle miteinander auf die Suche nach Zusammenhängen und Möglichkeiten, etwas zu verändern. Dieses Buch ist eine vielstimmige Sammlung von solchen das »Dorf« einbeziehenden Ansätzen und Methoden im Umgang mit Problemlagen unterschiedlichster Art. Gesprächsrunden, Versammlungen und Netzwerktreffen schaffen Kontexte, in denen alle in Bewegung kommen, um gemeinsam Entwicklung zu ermöglichen. Hier erleben alle, dass sie wichtig sind, und nicht selten gilt: »Ohne euch geht es nicht!«

Als Fachleute haben wir gute Gründe, unseren Klienten diese Herangehensweise nicht nur zuzumuten, sondern auch zuzutrauen, statt sie im Glauben zu lassen, sie könnten uns die Verantwortung für ihre Entwicklung übergeben. Rat suchende Menschen trauen sich selbst oft weniger zu und glauben gleichzeitig, ein Experte wisse, was ihnen hilft. Aber das wissen wir nicht. Nicht zuletzt ist dieses Buch auch uns Fachkräften gewidmet, damit wir mutiger werden und uns üben, mehr im Dialog miteinander zu sein. Auch wir brauchen einander.

Das Buch passt in unsere Zeit. Als Gegenbewegung zur Individualisierung von Lebensentwürfen beobachten wir, dass der soziale Zusammenhalt und sein unersetzbarer Beitrag für psychische Gesundheit in unseren Hilfesystemen wieder mehr Beachtung findet. Sie werden lesen, auf welche Weise Kommunen, Klinikverwaltungen und gesetzgebende Parlamente dafür strukturell die Voraussetzungen geschaffen haben. Während der Arbeit an diesem Buch erleben wir weltweit die Auswirkungen des COVID-19-Virus. Quarantänemaßnahmen, Versammlungsverbote und Kontaktbeschränkungen sind für diejenigen besonders leidvoll, denen dadurch soziale Begegnungen abhandenkommen. In den Ländern mit den härtesten Ausgangsbeschränkungen traten abends Menschen auf ihre Balkone, Nachbarn musizierten zusammen oder applaudierten als Dank für das, was andere für die Gemeinschaft leisteten. Dieses Buch handelt von der existenziellen Erfahrung für uns Menschen, Teil einer Gemeinschaft zu sein.

Es ist ein systemisches Buch und im selben Jahr geschrieben, in dem nun auch in Deutschland die Systemische Therapie und ihr Menschenbild zur Grundlage einer Heilbehandlung anerkannt wurden. In den Leitlinien heißt es sinngemäß: Systemische Therapie fokussiert den sozialen Kontext und gibt zwischenmenschlichen Beziehungen eine besondere Relevanz. Die aktuelle Wirksamkeitsforschung der allgemeinen Psychotherapie bestätigt sie darin. Auch deshalb ist jetzt die Zeit gekommen, den Ansätzen und Methoden Aufmerksamkeit zu verschaffen, die wie Leuchttürme Orientierung dafür sind, die Türen des kleinen Beratungs-, Therapie- oder Klassenzimmers zu öffnen, um wirksamere Lösungen in der ganz eigenen soziokulturellen Lebenswelt unserer Klienten zu finden und zu zeigen, wie das ganze »Dorf« in Bewegung kommt.

Die Kraft des Miteinander ist ein Praxisbuch. Zur Veranschaulichung ihrer Vorgehensweise stellen alle Autoren und Autorinnen ihre Praxis anhand eines Fallbeispiels vor. Sie zeigen, wie sie es angehen, dass ein Wir-Gefühl entsteht und unter ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen zusammengearbeitet werden kann. Sie erzählen, wie ihre Ideen entstanden sind, wofür sich ihre Vorgehensweise eignet und was ihnen dadurch gelingt – häufig auch im Unterschied zu konventionellen Ansätzen und Methoden. Außerdem beziehen sich die Autoren in ihren Beiträgen aufeinander, um dem Buch selbst den Charakter eines Netzwerkes zu geben.

So ein Netzwerk braucht viele Knotenpunkte, Verbindungen und einen Rahmen, der Halt gibt. Dafür danken wir dem Berliner Zentrum für Präsenz und Kompetenz in Beziehungen (PUK) der Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH. Nun hoffen wir, dass wir Sie zur Lektüre inspirieren konnten, und freuen uns auf den Dialog mit Ihnen, um voneinander lernen zu können.

Christoph Klein und Ben Furman Berlin und Helsinki, im Januar 2021

Die Kraft des Miteinander

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