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Flüchtlinge und andere Einwanderer

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Der Jubel über das Ende der Wohnungsnot war 1956 wohl etwas verfrüht angestimmt worden. Die fieberhafte Bautätigkeit in allen Stadtteilen reichte auch in den späten 1950er Jahren noch nicht aus, um alle Menschen, die zuzogen, unterzubringen. Im Herbst 1958 „brandete“ die nächste „Berliner Flüchtlingswelle“ – so die Befürchtungen – nach Oberhausen. Den Städten wurde jeweils eine Quote zugeteilt – Menschen, für die in kurzer Zeit Wohnung und Arbeit gefunden werden musste. Während Oberhausen sich auf die „zehnte Quote“ einrichtete, hatte die Stadt die neunte Quote von insgesamt 3.000 Personen, die Anfang des Jahres 1958 angekommen waren „noch nicht verdaut“. Wegen der Masse der Flüchtlinge aus der DDR und weil damals Nordrhein-Westfalen noch als das reichste Bundesland galt, rechnete niemand damit, dass ein Einspruch gegen die „zehnte Quote“ irgendetwas bewirken würde.25

Gegen Ende der 1950er Jahre waren es vor allem die knapper werdenden Arbeitsplätze, die den Stadtoberen Kopfzerbrechen bereiteten. Das Wirtschaftswunder machte 1958 eine Verschnaufpause. Auf den Zechen des Reviers, auch in Oberhausen, waren über Pfingsten zum ersten Mal seit langem wieder Feierschichten verfahren worden. Anfang November 1958 kam die nächste Runde. Wieder standen für einzelne Tage die Räder auf den Fördertürmen still. Folge der Krise im Bergbau war, dass ein Teil der eben angeworbenen Ausländer schon wieder die Koffer packte, vor allem Ungarn, die nach dem Volksaufstand von 1956 geflohen waren und sich bei der schweren Arbeit unter Tage nie wohlgefühlt hatten. Keinen Weg zurück in den Tito-Staat gab es für die Jugoslawen, die in österreichischen Flüchtlingslagern angeworben worden waren. Aufatmend registrierte der „Generalanzeiger“ im April 1959: „Babylonisches Sprachengewirr in Oberhausen wird schwächer. […] Die Ausländergruppen im Oberhausener Bergbau […] schmelzen langsam dahin.“26 Wie lange man wohl noch an der Illusion festhielt, dass die „Gastarbeiter“ wieder abwandern würden?

Zwar stellte sich 1958 die Auftragslage bei Eisen und Stahl und in der verarbeitenden Industrie noch durchaus günstig dar, u. a. deshalb, weil man bei der GHH Sterkrade und bei Babcock große Hoffnungen auf den Reaktorbau setzte, aber Anfang 1959 zeigten sich auch dort erstmals seit dem Korea-Boom von 1952 wieder konjunkturelle Warnzeichen. Im Februar meldete die HOAG 100, die Ruhrchemie gar 400 Entlassungen.27 Im Rahmen „eiserner“ Sparmaßnahmen strich die HOAG für Arbeiter und Angestellte alle Produktionsprämien.28 Aber schon im August stellte die HOAG wieder 520 Leute ein, und im Dezember 1959 wurde an der Essener Straße mit großem Tamtam ein neuer Hochofen eingeweiht.29 Auch die Bergbau-AG „Neue Hoffnung“ tat so, als handele es sich für die Steinkohle nur um eine kleine Konjunkturdelle. Sie stellte im Herbst 1959 wiederum 400 Berglehrlinge und 350 Bergjungarbeiter neu ein. „Neue Hoffnung ruft den Nachwuchs.“ „Steinkohle – nach wie vor Grundlage unserer Wirtschaft“, so hieß es in den Werbeanzeigen.30

Während die Zuwanderung von Gastarbeitern von Anfang an auch mit Sorgen registriert wurde und die beginnende Abwanderung bei Manchem auch Stoßseufzer der Erleichterung auslöste, äußerten sich die Festredner zum 200. Geburtstag der GHH im Oktober 1958 durchweg positiv. Als in der Schlossgaststätte in feierlichem Rahmen an die Eröffnung der Antony-Hütte, der ersten Eisenhütte des Reviers, im Jahre 1758 erinnert wurde, sprachen die Oberbürgermeisterin Luise Albertz und der Oberstadtdirektor Anton Schmitz ausführlich über das rasante Bevölkerungswachstum der jungen Industriestadt, das zur Hälfte Ergebnis der ständigen Zuwanderung aus dem Osten Deutschlands und aus Polen war. „Aus dieser vielschichtigen Mischung zumeist lebenstüchtiger und wagemutiger Menschen, die ihre angestammte Heimat verließen, um hier einen neuen, besseren Lebensraum zu finden, ist eine neue Einheit geworden, das ‚Ruhrvolk‘. Es ist die menschliche Kraftquelle unseres Reviers.“31

Niemals sind in so kurzer Zeit, in einem Jahrzehnt, so viele Menschen nach Oberhausen zugewandert wie in den 1950er Jahren, nämlich rund 38.000 Heimatvertriebene und Flüchtlinge und zusätzlich mehr als 11.000 DDR-Flüchtlinge, insgesamt also fast 50.000 Menschen.

Jahr Heimatvertreibene und Flüchtlinge
1950 12.764
1951 16.580
1952 19.282
1953 23.687
1954 26.706
1955 29.285
1956 31.735
1957 34.942
1958 36.693
1959 37.296
1960 37.949

Tabelle 1: Gesamtzahl der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge 1950 bis 1960

Quelle: Stadt Oberhausen, Bereich Statistik und Wahlen, Zuwanderung in Oberhausen 1850 bis 2000, S. 37.

In den 1960er Jahren überlagerte die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte die beginnende Abwanderung Deutscher. Mit 260.570 Einwohnern erreichte Oberhausen 1963 seine höchste Einwohnerzahl, seitdem schrumpft die Bevölkerung.


Tabelle 2: Herkunftsländer der ausländischen Wohnbevölkerung 1960 bis 1970

Quelle: Stadt Oberhausen, Bereich Statistik und Wahlen, Zuwanderung in Oberhausen 1850 bis 2000, S. 52.

Die Bevölkerungsentwicklung in Oberhausen kann als durchaus typisch angesehen werden für die Bundesrepublik insgesamt. Die BRD wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Einwanderungsland. „Aufs Ganze gesehen ist die zweite Republik mit den schier zahllosen Problemen, die durch diese Bevölkerungsbewegungen aufgeworfen wurden, auf eindrucksvolle Weise umgegangen, doch noch ist völlig offen, wann sie sich endlich der Herausforderung durch Schrumpfung, Alterung und Migration stellen wird.“32 In Oberhausen, wie in der Bundesrepublik insgesamt, haben viele Gruppen bei der Eingliederung der Migranten ins „Ruhrvolk“ mitgeholfen: In erster Linie die Einwanderer selbst, die Kollegen am Arbeitsplatz, die Gewerkschaften, die Schulen und Kindergärten, Kirchengemeinden und in vielen Wohnbezirken die Nachbarn. Nach dem Ende der Vollbeschäftigungsphase, d. h. seit der ersten Ölkrise von 1973, stellten sich die Probleme der Integration der Einwanderer allerdings neu, häufig schwieriger dar.

Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4

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