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Hochhäuser und Schnellstraßen

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Von hohem Symbolwert war es, als Anfang 1959 das letzte Flüchtlingslager der Stadt geräumt wurde: Das Lager Zementwerk an der Osterfelder Straße auf dem heutigen Marina-Gelände, das im Krieg schon zur Unterbringung von Zwangsarbeitern gedient hatte.86 Als Folge des stürmischen Wohnungsbaus wurde es Ende des Jahres 1959 immer schwerer, im Stadtbild noch Kriegsruinen zu finden. Trotz der vielen aus dem Osten zugezogenen Flüchtlinge und trotz des rasanten Wachstums der Einwohnerzahlen gab es nach offizieller Darstellung keine Wohnungsnot mehr.87 Als richtungweisend galten die Wohnhochhäuser im Knappenviertel: In einer Stadt mit stürmisch wachsender Bevölkerung könne man es sich nicht mehr leisten, nur ein- oder zweigeschossig zu bauen. Spitzenreiter war das Hochhaus für HOAG-Angehörige, mit 18 Stockwerken das neue Zuhause für 150 Familien mit 500 Personen: „Wohnraum für ein mittleres Dorf“.88 Die Wohnhochhäuser entsprachen ganz den Vorstellungen der Verkehrsplaner, wonach große Flächen für den Straßenbau reserviert werden mussten. Der rasant zunehmende Autoverkehr könne nur durch neue Stadtautobahnen bewältigt werden. Selbst der Verkehrsminister Seebohm war mit dem Ratschlag zur Stelle, die Mülheimer Straße zur „Hochstraße“ auszubauen. Die Verkehrsplaner glaubten aber nicht, dass das reichen würde. Eine zweite Schnellverkehrstraße über das Brücktorviertel durch den Oberhausener Osten zur Rolandhalde sei notwendig, und zwar „unabhängig von den Kosten […] und ohne Rücksicht darauf, ob hundert oder noch mehr Häuser niedergelegt werden müssen“.89 Diese rabiaten Planungen sollten aber bald in der Schublade verschwinden, nicht weil die Verfechter der „autogerechten Stadt“ ein Einsehen gezeigt hätten, sondern weil die Großindustrie ihr Veto einlegte.

Nicht alle großen Wohnungsunternehmen folgten übrigens dem Trend zum Hochhausbau. Nicht weit vom Knappenviertel, im Schönefeld, errichtete die Concordia Bergbau AG im gleichen Jahr 1959 insgesamt 144 Werkswohnungen in zweigeschossigen Häusern. Das neue Wohnviertel lag „im Schatten der Rolandhalde“ auf dem Gelände der vor 30 Jahren stillgelegten Zeche Roland. Deren Grubenfeld hatte seinerzeit die Concordia übernommen, diese nutzte auch weiterhin den Roland-Schacht als Seilschacht für ihre Bergleute, von denen jetzt viele ganz in der Nähe wohnten.90

Die stürmische Stadtentwicklung wurde in den einzelnen Stadtteilen ganz unterschiedlich wahrgenommen: Während der Bürgerring Alstaden sich über die Ausgestaltung des Ruhrparks freute und dort schon die „Riviera Oberhausens“91 entstehen sah, beklagten sich die Königshardter auf einer Bürgerversammlung bitter über die „elendsten Straßen von Oberhausen“: „Wenn auf dem Höhenweg eine Auto käme, dann müssten die Fußgänger in die Gräben flüchten.“ Wenn nicht bald etwas für die Entwässerung getan würde, dann würden die Königshardter „die schwarze Flagge“ hissen. „Auf der Köngishardter Straße brenne mittags das Licht, in der Nacht sei es dunkel. […] Für die Stadthalle hätte man Geld, aber keines für die Sicherheit der Bürger.“ Der Journalist wusste schon, warum er in seinem Bericht sorgfältig im Konjunktiv formulierte: Ganz so dramatisch wird es wohl nicht gewesen sein! Die bei der Bürgerversammlung anwesenden Stadtverordneten waren redlich bemüht, die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. Immerhin konnten sie auf rund eine Million DM verweisen, die im neuen Etat für Königshardt vorgesehen waren.92


Abb. 9: „Wohnraum für ein mittleres Dorf“, Wohnhochhäuser im Knappenviertel, GA vom 18. September 1959

Der Mangel an Bauland bei weiter wachsenden Einwohnerzahlen war nicht nur die Ursache für Bodenspekulation und Preiswucher93, sondern auch der Nährboden für manche seltsame Blüte in der Vorstellungswelt von Stadtplanern. Es wurde ernsthaft über eine Einwohnerzahl von 280.000, im äußersten Fall sogar 300.000 nachgedacht. Neue „Trabantenstädte“ für so viele Menschen hätten auf dem Oberhausener Stadtgebiet keinen Platz mehr. „Es bliebe also als letzte und einzige Möglichkeit der Sprung über unsere nördliche Grenze, in den Nachbarkreis Dinslaken hinein. Hier sind noch beträchtliche Grundstücksreserven. Und der kommunalpolitische Oberhausener Blick ginge, wenn er sich landhungrig nach Dinslaken richten sollte, in eine traditionelle Richtung.“ Schon vor dem Krieg hätten Oberhausener Kommunalpolitiker „wenigstens hinter vorgehaltener Hand“ über die Notwendigkeit gesprochen, Teile von Dinslaken einzugemeinden. „Man nährte Hoffnungen im Busen und tut es wohl auch heute noch.“ Der Kommentator des „Generalanzeigers“ ging in sarkastischem Ton mit derartigen Träumen ins Gericht. Durch die Ansiedlung der größten Ölraffinerie der Bundesrepublik sei Dinslaken zu einer „Goldgräberstadt“ geworden: „Hier dürften für Oberhausen keine Eroberungen mehr zu machen sein. […] Vor einer Oberhausener Trabanten- und Satellitenstadt auf dem – heutigen – Dinslakener Kreisgebiet steht mehr als ein Eiserner Vorhang.“94

Nicht weniger naiv, oder zumindest kurzsichtig, als die Träume von Eroberungen im Norden waren manche Prognosen für den Bergbau, am Ende der 1950er Jahre immer noch eines der beiden Standbeine der Oberhausener Industrie. Zwar war schon von der „Bergbaukrise von morgen“ die Rede, aber mit einer höchst erstaunlichen Begründung: „In drei Jahren, wenn es kein Problem mehr sein wird, von einer Zechenwohnung in eine Wohnung des freien Marktes zu wechseln, könnte sich im Oberhausener Bergbau eine ungleich größere Krise als die heutige ergeben, im Sinne eines Mangels an gelernten und erfahrenen Bergleuten nämlich, der größer sein könnte als jemals zuvor!“95 Zu dieser optimistischen Einschätzung der Kohle-Zukunft passte es gar nicht, dass gleichzeitig das Schaubergwerk auf der Zeche Oberhausen geschlossen wurde. Es war dem Nachfolgekonzern der GHH, der Bergbau AG „Neue Hoffnung“, mit jährlich 600.000 DM zu teuer geworden.96 Hier passten die Dinge doch wieder zusammen: Der eklatanten Fehleinschätzung der Zukunft des Bergbaus entsprach die Blindheit für den Wert dieses Schaubergwerks als touristische Attraktion. Was wäre Bochum heute ohne das Bergbaumuseum? Im Gegensatz zum Bergwerk dort waren auf der Zeche Oberhausen die früheren Originalarbeitsplätze unter Tage zu besichtigen.

Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4

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