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Der lange Weg zum Ende der Roheisenerzeugung
ОглавлениеAuch im Bereich der Eisen- und Stahlerzeugung wurde 1968 mit der Übernahme der Aktienmehrheit an der Hüttenwerke Oberhausen AG (HOAG) durch die August Thyssen-Hütte AG (ATH) eine Entscheidung mit großer Tragweite für den Stahlstandort Oberhausen getroffen.
Bereits im September 1967 mischte sich in die Jubelmeldungen über die Leistung des Hochofens A der HOAG, der als leistungsfähigster Hochofen der Welt im August 1967 über 86.000 Tonnen Roheisen erzeugte, Besorgnis über die Konsequenzen des geplanten Zusammenschlusses von HOAG und ATH (WAZ, 7. September 1967). Schon wenige Wochen später wurden erste Stilllegungen von Betrieben für das Jahr 1968 angekündigt.
Die Fusion der HOAG mit der ATH wird einerseits als „gewinnbringende Transaktion“15 für die HOAG-Aktionäre, zu denen insbesondere die Familie Haniel gehörte, beschrieben. Aus Sicht der HOAG-Mitarbeiter war es andererseits der Beginn eines Jahrzehnte lang andauernden und oft vergeblichen Kampfes um ihre Arbeitsplätze. Für die 400 Mitarbeiter in der Eisenhütte Oberhausen I (EO I) signalisierte bereits am 26. Februar 1969 die am Hochofen 9 wehende schwarze Fahne das endgültige Aus für diese Abteilung. Entlassungen waren mit dieser Maßnahme, ebenso wie bei früheren Stilllegungen von Betrieben, nicht verbunden, die Mehrzahl der Mitarbeiter wurde innerhalb der HOAG umgesetzt (WAZ, 27. Februar 1969).
Die über viele Jahre gegebene Möglichkeit, den von Rationalisierungen und Stilllegungen betroffenen Belegschaftsmitgliedern innerhalb des Unternehmens einen neuen Arbeitsplatz zu bieten, erklärt die erstaunliche Tatsache, dass der Abbau von 4.000 Arbeitsplätzen im Zeitraum von 1961 bis 1971 in der Stadtöffentlichkeit nur geringe Beachtung fand.
1971 sollte sich dies dramatisch ändern: Durch Zusammenschluss der HOAG mit der Thyssentochter Niederrheinische Hütte AG entstand die Thyssen Niederrhein GmbH (TN), auch als Thyssen Niederrhein Oberhausen (TNO) bekannt, als hundertprozentige Tochter der ATH.
Der Aufsichtsratsvorsitzende der TN, Dr. Hans-Günther Sohl, äußerte bei der letzten Hauptversammlung der HOAG am 19. April 1971 die Erwartung, dass dieser Zusammenschluss für die HOAG „eine glücklichere Zukunft bedeute“ sowie „für beide Unternehmen eine Stärkung und damit die Sicherung der Arbeitsplätze“ (WAZ, 20. April 1971). Nur wenige Wochen später wurden Planungen für weitere Stilllegungsmaßnahmen bekannt, von denen rund 700 Mitarbeiter betroffen gewesen wären. Am 21. Mai 1971 legten daraufhin über 5.000 HOAG-Mitarbeiter die Arbeit nieder und protestierten in einem mehrstündigen Demonstrationszug, mit dem Bundestagsabgeordneten Erich Meinike und dem IG-Metall-Bevollmächtigten Heinz Schleußer an der Spitze, gegen diesen erneuten Arbeitsplatzabbau. Der Protest hatte zumindest teilweise Erfolg, denn am 26. Juni 1971 beschloss der HOAG-Aufsichtsrat, das Siemens-Martin-Werk IIb nicht stillzulegen, die weiteren geplanten Stilllegungen erst zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen, eine Mindestproduktion von 55.000 Tonnen Rohstahl zu garantieren und die „metallurgische Basis (d. h. die Eisen- und Stahlerzeugung, M. D.) in Oberhausen zu erhalten“ (WAZ, 28. Juni 1971).
Am Jahresende 1971 stand erneut die mögliche Aufgabe des Hochofens A, und damit der Verlust von bis zu 1.200 Arbeitsplätzen, im Raum. Da Umsetzungen innerhalb der ATH nicht mehr möglich waren, hätte dies Massenentlassungen zur Folge gehabt. Der Bau des neuen Großhochofens der ATH in Schwelgern sorgte für weitere Beunruhigung. Gleichzeitig bestätigte der Thyssen-Vorstand aber auch Gespräche über den möglichen Bau eines Elektrostahlwerkes in Oberhausen am Standort Neu-Oberhausen an der Osterfelder Straße (WAZ, 13. Dezember 1971). Auf die unsichere Beschäftigungslage reagierten viele Belegschaftsmitglieder mit freiwilliger Abwanderung, insbesondere nach Süddeutschland (WAZ, 10. Dezember 1971).
Das Auf und Ab der Stahlindustrie in den frühen 1970er Jahren bestimmte die Belegschaftsentwicklung bei TN. Nachdem die Mitarbeiterzahl bis 1972 auf unter 9.000 abgesunken war, stieg sie im Boomjahr der Stahlindustrie 1974 auf über 9.600 Beschäftigte an. Doch schon im nächsten Jahr änderten sich die Marktverhältnisse drastisch. „Das Geschäftsjahr 1975/76 brachte das schlechteste Ergebnis seit Bestehen von Thyssen Niederrhein“ so der Vorstandsvorsitzende Dr. Karl-Heinz Kürten (WAZ, 2. Dezember 1976). Als Folge dieser Geschäftsentwicklung wurden nicht nur Arbeitsplätze abgebaut, sondern auch die Kurzarbeit deutlich ausgeweitet.
Im Frühjahr 1977 verdichteten sich erneut die Befürchtungen über die Schließung des Siemens-Martin-Stahlwerkes und den damit verbundenen Verlust von 2.000 Arbeitsplätzen. Die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite beurteilten verständlicherweise die Notwendigkeit einer möglichen Stilllegung völlig unterschiedlich:„Das SM-Stahlwerk unserer Tochtergesellschaft Thyssen Niederrhein in Oberhausen ist durch Veränderung des Marktes und der Technik zu einer Quelle untragbarer Verluste geworden“, so der Vorstandsvorsitzende der ATH Dieter Spethmann 197716. Der TN-Betriebsratsvorsitzende Herbert Mösle und der Oberhausener Landtagsabgeordnete Heinz Schleußer erinnerten andererseits in einer Belegschaftsversammlung am 27. März 1977 an die 1971 gegebene Zusage des ATH-Vorstandes zur Erhaltung der Stahlbasis in Oberhausen. Und weiter schreibt die WAZ am 28. März 1977 über diese Versammlung: „Zum Schluss warf Schleußer dem ATH-Vorstand vor, dass TNO seit der Zeit der Übernahme in den Thyssen-Konzern nach und nach ausgeplündert werde“.
Am 20. Juni 1977 titelte die WAZ dann „Arbeitsplätze vorerst gesichert“, eine Meldung, die leider nicht alle Beschäftigten erfreuen konnte. In intensiven Verhandlungen war es der Arbeitnehmerseite gelungen, einen Grundlagenvertrag auszuhandeln, der die Stahlbasis in Oberhausen sicherte. Dies forderte allerdings auch einen hohen Preis: 1.200 Arbeitsplätze sollten zukünftig durch Fluktuation abgebaut werden, das Siemens-Martin-Werk mit der Brammenstraße schrittweise stillgelegt und durch ein Elektrostahlwerk ersetzt werden. Thyssen Niederrhein wurde in eine Betriebs- und Geschäftsführungsgesellschaft umgewandelt und die TN-Betriebe an die Thyssen AG verpachtet. Ferner wurden nicht produktionsbezogene kaufmännische und technische Bereiche an die Thyssen AG übertragen. Die rund 1.000 Mitarbeiter dieser Bereiche behielten ihren Arbeitsplatz in Oberhausen (WAZ, 20. Juni 1977).
Als Folge weiterer Rationalisierungsmaßnahmen beschloss die Thyssen AG den Hochofen A am 13. August 1979 stillzulegen und beendete damit die traditionsreiche Roheisenerzeugung in Oberhausen. Das gesamte Werksgelände südlich der Essener Straße wurde für die Ansiedlung von Gewerbe- und Industriebetrieben zur Verfügung gestellt. Dies war für die Wirtschaftsförderung der Stadt eine außerordentlich wichtige Entscheidung, denn das Festhalten der Unternehmen an nicht genutzten Industrieflächen war das entscheidende Hindernis bei den Bemühungen um die Neuansiedlung von Betrieben wie für die Verlagerung von Oberhausener Firmen, insbesondere bei Erweiterungsabsichten.
Erhalten blieb dagegen die Stahlbasis in Oberhausen durch den Bau eines Elektrostahlwerks mit einer monatlichen Kapazität von 50.000 Tonnen, das mit Investitionen in Höhe von 135 Millionen Mark, darunter allein 25 Millionen für Umweltschutzmaßnahmen, errichtet wurde (WAZ, 4. August 1979).
Der Beschäftigungsabbau im Bereich der Eisen- und Stahlerzeugung in Oberhausen hatte sich, nach dem Verlust von 3.500 Arbeitsplätzen in den 1960er Jahren, auch in den 1970er Jahren mit dem Abbau von weiteren 3.200 Arbeitsplätzen fortgesetzt. In nur zwei Jahrzehnten hatte sich damit die Belegschaftszahl halbiert.