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Concordia wird stillgelegt
ОглавлениеIm September 1950 hatte die Zeche Concordia noch mit großem Pomp ihr Hundertjähriges gefeiert. Die älteste Oberhausener Zeche konnte voller Optimismus als „schönstes Jubiläumsgeschenk“ eine Rekordförderung vermelden: Sie hatte fünf Jahre nach Kriegsende wieder 92 Prozent der Vorkriegsförderung erreicht. Die Festredner erklärten voller Zuversicht, dass die Selbstständigkeit der Zeche gesichert sei. Ob das städtische Orchester, als es zum Schluss Les Préludes von Liszt intonierte, fünf Jahre nach Kriegsende einen so guten Griff getan hatte, sei dahingestellt – die Nazis hatten dieses Stück im Radio als „Siegesfanfare“ in ihrem Vernichtungskrieg gegen Russland missbraucht.112 Im Dezember 1959 berichtete die Concordia Bergbau AG noch von einer sehr guten Ertragslage – erkennbar an den üppigen Dividenden, die bis Ende 1958 ausgeschüttet worden waren. Den Vorwurf des „SPIEGEL“, die Concordia sei eine „Hungerzeche“, wies der Konzern vehement zurück.113
Zwei Jahre später klang der Optimismus schon sehr gedämpft. Anfang der 1960er Jahre tauchte der Begriff des „Strukturwandels“ in den Spalten der Lokalpresse auf. Der Konkurrent Öl und die sozialen Belastungen des Bergbaus wurden als Hauptursachen der Krise ins Visier genommen. Zu Beginn der 1950er Jahre verdienten auf Concordia noch fast 5.000 Arbeiter und fast 500 Angestellte ihren Lebensunterhalt. Über 11.000 Familienangehörige waren von ihrem Lohn abhängig. Für den Stadtteil Lirich und darüber hinaus für die ganze Großstadt Oberhausen mit ihren 260.000 Einwohnern waren die Arbeitsplätze der Zeche Concordia deshalb lebenswichtig. Der Zuruf „Kein Grund zum Pessimismus“ klang aber schon 1962 fast wie das Pfeifen im Walde, mit dem sich der einsame Wanderer selbst Mut macht. „Trotz aller Schwierigkeiten“ lasse sich „aus der wechselvollen und manchmal sogar dramatischen Geschichte des Unternehmens die Hoffnung und auch die Zuversicht ableiten, dass sie [die Zeche] auch jetzt wieder bestehen wird.“114 Schon seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre war der Ruhrbergbau eigentlich nicht mehr aus den – negativen – Schlagzeilen herausgekommen. Dies war wohl auch ein Grund dafür, dass deutsche Arbeitskräfte für die schwere Arbeit unter Tage nur noch schwer zu finden waren.
Der Geschäftsbericht für das Jahr 1964 verzeichnete insgesamt wachsende Haldenbestände, einen weiteren Rückgang der Zahl der Beschäftigten auf insgesamt 3.874, davon unter Tage 2.344, gleichzeitig aber die Neueinstellung von 174 Marokkanern und 174 Türken. Da gleichzeitig 80 Griechen und 35 Italiener ihre Verträge nicht verlängert hatten, kann diese Verschiebung in der Zusammensetzung der Untertage-Belegschaft durchaus als symptomatisch angesehen werden: Die erste Gastarbeiter-Generation rückte auf in weniger anstrengende Berufe, Türken und Nordafrikaner rückten unter Tage nach.115 Trotz der Absatzprobleme sprengte sich die Concordia auf Schacht 4 auf eine Tiefe von 950 Metern, 150 Meter tiefer als zuvor. In ihrem Abbaugebiet lagerte noch Kohle für 50 Jahre. Bis 2015 wollte man, so hieß es bei der Direktion, auf Schacht 4 noch Kohle fördern.116
Keine zwei Jahre später nützte alle Zuversicht nichts mehr. Am 8. Mai 1967 beschloss der Vorstand der Concordia, dem Aufsichtsrat die Stilllegung der Zeche vorzuschlagen. An diesem Tag jagte eine Konferenz die andere: Die Bergwerksdirektoren Notthoff und Wegmann informierten sofort die Oberbürgermeisterin über ihren Beschluss; zwei Stunden später waren die Vertreter der IG Bergbau bei Luise Albertz. Der Vorstand begründete seinen Beschluss mit der Notwendigkeit, die Förderung der Absatzlage anpassen zu müssen. Die Kohle werde vom Öl verdrängt und die Bundesregierung tue nichts dagegen. Weitere Stilllegungen würden nicht zu vermeiden sein, „um dem Bergbau einen geordneten Rückzug zu ermöglichen“.117
Die Reaktion in der Oberhausener Öffentlichkeit: „Unfassbar für alle: Trotz günstiger Flöze, trotz fast hundertprozentiger Automatisierung der Förderung, trotz gängiger Kohle, trotz enormer Leistung pro Mann und Schicht, trotz eines günstigen Hafens will der Vorstand der Concordia Bergbau AG die Stilllegung beantragen.“118 Der Protest war einmütig: Gewerkschaften, der Betriebsrat, die Fraktionen im Rat, die Katholische Arbeiterbewegung und viele andere kritisierten die Schließung „der bisher als kerngesund und besonders leistungsfähig angesehenen Zechen der Concordia Bergbau AG“.119 Der SPD-Fraktionsvorsitzende und Landtagsabgeordnete Willi Meinicke hielt die Energiepolitik der Bundesregierung, vor allem die Stilllegungsprämien „volkswirtschaftlich und finanzpolitisch [für] Wahnsinn“. Die „Eigentumsform“ im Bergbau müsse überprüft werden. Eine Wende in der Kohlepolitik sei unumgänglich.120 Die Empörung entzündete sich vor allem an der Tatsache, dass rein kaufmännisch-finanzielle Überlegungen sich gegen die Einwände der Techniker durchgesetzt hatten. Jetzt stand der „ganze Stadtteil Lirich plötzlich vor dem Ruin“.121 Wenn die 4.000 „Concordianer“ arbeitslos würden, so seien davon 16.000 Liricher betroffen. „Mit der Concordia stirbt ein ganzer Stadtteil“, hieß es zwei Tage später im Lokalteil der NRZ. Vor allem die Einzelhändler und die Gastwirte fürchteten um ihre Existenz, wenn 4.000 Bergleute ihren Arbeitsplatz verlieren sollten.122
Bei einem Durchschnittsalter von fast 40 Jahren müsse man damit rechnen, dass viele der arbeitslosen Kumpel nirgendwo sonst mehr Arbeit finden würden. In einer ganz kleinen Notiz am Rande wurde auch bemerkt, dass auf Concordia 700 Gastarbeiter beschäftigt waren, von denen 200 in Oberhausen „ansässig“ geworden waren. Von den anderen 500 nahm man anscheinend an, dass sie nach der Entlassung irgendwie aus Oberhausen verschwinden würden. Die Concordia-Arbeiter waren per Aushang über die Pläne der Direktion unterrichtet worden. Vor dem Zechengelände „machten sie ihrem Herzen Luft“. Interviews auf dem Zechengelände verhinderte die Werkspolizei.123
Die Oberbürgermeisterin fuhr sofort in die Staatskanzlei nach Düsseldorf und erreichte, dass Ministerpräsident Kühn gegen die Zechenschließung sein Veto einlegte. Hinter diesem „Veto“ verbarg sich die Verweigerung von Stilllegungsprämien durch das Land. Ob dadurch die Schließung der Zeche noch abzuwenden war, wusste jedoch keiner. Der Vorstand der Concordia Bergbau AG ließ sich von Kühns „Veto“ nicht beeindrucken. Das Unternehmen mache jeden Monat eine Million DM Verlust. Wenn die Concordia die Stilllegungsprämie nicht erhalten sollte, würde dies den Sozialplan für die Beschäftigten gefährden.124
Der Rat der Stadt trat am Samstag, 20. Mai, kurz vor der entscheidenden Sitzung des Aufsichtsrats, zu einer Sondersitzung zusammen. Vor überfüllten Tribünen bekundeten beide Fraktionen, SPD und CDU, ihre Solidarität mit den Bergleuten und fassten einstimmig eine Resolution unter dem Motto „Regierung marsch!“: Die Stilllegung von Concordia treffe nicht nur den Stadtteil Lirich, sondern gefährde „die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Weiterentwicklung“ der ganzen Stadt. „Weder in Oberhausen noch in den Nachbarstädten sind gegenwärtig Ersatzarbeitsplätze vorhanden.“ Überdies widerspreche die Stilllegung „wirtschaftlicher Vernunft“, denn die Concordia gehöre „nach ihrer Leistungsfähigkeit und technischen Ausstattung zur Spitzengruppe der europäischen Energiewirtschaft“. Zum Schluss appellierte der Rat der Stadt an den Aufsichtsrat, „die Entscheidung über die Stilllegung nicht nur von finanziellen, auf das Gewinnstreben gerichteten Überlegungen abhängig zu machen. Es geht um Menschen!“125 Luise Albertz schickte den Text dieser Resolution an alle, die Rang und Namen hatten in der deutschen Politik: An Bundeskanzler Kiesinger, Wirtschaftsminister Schiller, Finanzminister Strauß, Bundestagspräsident Gerstenmaier und an viele andere Adressaten im Bundestag, in den Ländern, beim Städtetag und beim Siedlungsverband Ruhr. In einem Begleitschreiben verlangte die Oberhausener Oberbürgermeisterin, die zeitliche Streckung der Zechenschließungen, um in der Zwischenzeit möglichst lohnintensive Betriebe ansiedeln zu können.126
Abb. 12: „Concordia darf nicht sterben!“ Großdemonstration in der Innenstadt, 1967
Im Kampf um die Concordia-Schächte schlüpfte Luise Albertz in die Rolle einer Sprecherin für das ganze Revier, nicht nur für Oberhausen. Einer der bekanntesten Fernsehjournalisten dieser Zeit, Werner Höfer, der Gastgeber des „Internationalen Frühschoppens“, wurde aufmerksam: Sein Interview mit Luise Albertz erschien in der ZEIT.127
Der Wirbel, den der Concordia-Konflikt in der Öffentlichkeit erzeugt hatte, ließ den Aufsichtsrat zunächst zögern. Er fasste bei der Sitzung am 23. Mai noch keinen Beschluss, machte aber auch deutlich, dass er wegen des Rückgangs bei Absatz und Förderung und wegen der hohen Verluste keine Alternative zum Antrag des Vorstandes sah. Zunächst aber nahm der Aufsichtsrat die von Ministerpräsident Kühn ausgesprochene Einladung zu einem Gespräch an.128 Die Aktionäre verlangten bei der Hauptversammlung im Juni einmütig die Stilllegung der Zeche. Sie griffen Ministerpräsident Kühn wegen seines Vetos teilweise in sehr scharfer Form an.129 Mit dem Votum der Aktionäre im Rücken fällte der Aufsichtsrat Anfang August 1967 das „Todesurteil“. Mit 6 : 5 Stimmen beschloss er, die beiden Schächte und alle Nebenbetriebe der Zeche Concordia, auch die Kokerei und das Kraftwerk, zum 31. März 1968 zu schließen.130 Dies war der Startschuss für den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, Umschulungen aller Art, die Suche nach geeigneten Flächen für neue Gewerbeansiedlungen und die Jagd nach ansiedlungswilligen Firmen – Dauerthemen, die die Stadtväter und –mütter bis in die Gegenwart begleiten sollten. Als Ministerpräsident Kühn im Oktober seine in Düsseldorf tagenden Kollegen überreden konnte, die Ministerpräsidentenkonferenz zu unterbrechen und nach Oberhausen zu fahren, war dies wenig mehr als ein Kondolenzbesuch. Selbst in Kühns eigenem Kabinett, beim Koalitionspartner FDP war die Neigung gering, der Stadt Oberhausen in der schwierigen Situation unter die Arme zu greifen. Hoffnungen nämlich, dass das Land NRW die Concordia-Grundstücke kaufen und für Neuansiedlungen aufbereiten könnte, machte Innenminister Weyer sofort zunichte. Die Stadt setzte ihre Hoffnungen auf die von Concordia bisher nicht genutzten Flächen nördlich des Rhein-Herne-Kanals in Buschhausen.131
Noch hatte die Arbeitslosigkeit nicht die Ausmaße angenommen wie in den späteren Jahrzehnten, noch gab es die berüchtigten „Sockel“ an Dauerarbeitslosen nicht. Nachdem die Concordia Bergbau AG für einen Sozialplan 9,5 Millionen DM bereitgestellt hatte, hob die Landesregierung die Sperre der Stilllegungsprämie auf132, so dass es im Winter 1967/68 gelang, 3.000 der insgesamt 4.000 Concordianer „umzusetzen“. Auch für die verbleibenden 1.000 war das Arbeitsamt optimistisch: Nur wenige der älteren und gesundheitlich angeschlagenen Bergleute würden schwer zu vermitteln sein. 34 Prozent der Untertage-Arbeiter waren Ausländer. Damit „stand die Concordia in Sachen ‚Hilfswillige aus Süd und Ost’ an der Spitze aller Ruhrzechen.“ Ob auch die ausländischen Gastarbeiter „umgesetzt“ wurden oder ob man sie mit sanftem Druck in ihre Herkunftsländer abschob, sagte die Zeitung nicht. Sibyllinisch hieß es nur: „Aber auch diese Schwierigkeit ist nach vielfältigen Gesprächen mit Botschaftern und Konsuln ausgestanden.“ Am 22. März 1968 wurden die letzten 550 Kumpel in die Arbeitslosigkeit entlassen. „In zehn Tagen werden die Anschläger der Concordia-Schachtanlagen zur letzten Seilfahrt klopfen. Nach 118 Jahren wird am 22. März der letzte Brocken Kohle gefördert. Dann stehen die Seilscheiben still. Exitus eines weiteren Pütts an der Ruhr. Nach dem Willen des Vorstandes der Concordia Bergwerks AG werden offizielle ‚Grabreden’ und ‚Kränze’ ausbleiben. Es soll ein stilles Begräbnis werden.“133
Ganz so traurig wurde der 22. März dann anscheinend doch nicht. Als die Kumpel zum letzten Mal ausfuhren, strahlten sie mit ihren schwarzen Gesichtern und blendend weißen Zähnen in die Kameras. Einer hatte sich für die letzte Schicht unter Tage sogar ein weißes Hemd angezogen und eine Krawatte umgebunden.134 Tapfer schlug man in der Stadtverwaltung optimistische Töne an: „Die Zukunft der Stadt liegt geplant in der Schublade.“ Angeblich konnte man es kaum noch abwarten, bis die Gebäude der Concordia vom Erdboden verschwanden, um die Gewerbeflächen dann für Anderes zu nutzen. „Zeit, Geld und Grundstücke“ brauchte es für die Ansiedlung neuer Betriebe. „Zeit ist allerdings heute das einzige, wovon man mehr hat, als man braucht.“ S. hieß es dann aber doch etwas kleinlaut. Nur für das Kraftwerk der Concordia am Kanal gab es schon konkretere Pläne. Es sollte in eine große Müllverbrennungsanlage umgewandelt werden.135
Nicht für alle war die Stilllegung der Concordia eine bittere Erfahrung. Die Aktienkurse des Unternehmens stiegen im Frühjahr 1968 steil an.136
Mittlerweile sah die Situation auch auf den HOAG-Zechen des Stadtgebiets nicht rosig aus. Oberhausen, so die IG Bergbau, war 1967 die Stadt mit den meisten Feierschichten – bundesweit.137 Ab 1966 setzte die Frühverrentung ein. Bergleute, die über 55 Jahre alt waren, erhielten das Angebot, mit vier Fünfteln der Rente vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Ab 60 sollte die Rente dann auf ihren vollen Betrag aufgestockt werden. Der Osterfelder Bergmann und Schriftsteller Wilhelm Erbing nahm dieses Angebot durchaus positiv auf. Wenn die „Rationalisierungsrentner“ freiwillig gingen, so war das in Ordnung. Im Übrigen sah er für die Kohle durchaus noch eine Zukunft: „Wir Oberhausener Bergleute kennen keine Existenzangst, denn wir sind voller Zuversicht, dass sich auch in Zukunft in unseren Schachttürmen die Seilscheiben drehen werden! Und wir sind voller Hoffnung, weil wir glauben, dass es für unsere Kohle keinen Abgesang geben wird.“138