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Mit der Schließung der Zeche Concordia beginnt eine neue Phase des Strukturwandels

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Von 1952 bis 1957 hatten die Oberhausener Bergbaubetriebe mehr als 19.000 Beschäftigte. Seit dem Höchststand 1957 mit einer Belegschaft von fast 19.600 wurden im Zuge der damals beginnenden ruhrgebietsweiten Kohlekrise allein bis 1961 über 5.000 Arbeitsplätze abgebaut. Wachsende Kohlehalden, Feierschichten, die Einführung der Fünf-Tage-Woche auf den Zechen, die Liberalisierung des Energiemarktes mit der Folge steigender Importe von Kohle und Mineralöl waren erste Hinweise auf eine grundlegende Veränderung der Oberhausener Wirtschaft. Trotz dieser ersten Warnsignale erwarteten in den frühen 1960er Jahren nur Wenige ein Ende des Wirtschaftswunders. Großindustrie und Bergbau waren nicht nur die mit Abstand wichtigsten Arbeitgeber, ihnen gehörten auch über 80 Prozent der Industrieflächen im Stadtgebiet. Allein der Bergbau besaß damals 11 Prozent aller Flächen in Oberhausen. Die Stadt selbst verfügte für eine eigenständige Wirtschaftsförderung bis 1967 als einzige größere Fläche nur über ein vier Hektar großes Grundstück an der Brinkstraße. Auch der Erwerb kleinerer Flächen an der Waldteich-, Kirchhellener-, Matzenberg- und Friesenstraße änderte am Flächenmangel grundsätzlich nichts. Eine Befragung aller Industrie- und Gewerbegbetriebe hatte 1967 die Erweiterungsabsicht von 35 Betrieben mit einem Flächenbedarf von etwa 240.000 Quadratmetern ergeben (WAZ, 22. November 1967).


Abb. 4: Demonstration gegen die Schließung der Zeche Concordia auf dem Friedensplatz, 1967

Bis 1970 gelang es der städtischen Wirtschaftsförderung, etwa 560.000 Quadratmeter für die Verlagerung und Neuansiedlung von Unternehmen, vornehmlich in Lirich, Buschhausen, Weierheide und Königshardt, bereitzustellen. Bezeichnend für die damalige Ausrichtung der Wirtschaftsförderung war, dass man insbesondere Gewerbeflächen mit Gleisanschlussmöglichkeiten erwerben wollte.

Den dramatischen, aber letztlich vergeblichen Kampf um den Erhalt der Zeche Concordia beschreibt das Kapitel Wirtschaftswunderjahre (Peter Langer). Bergleute, Hütten- und Stahlarbeiter waren der stolze und in der Regel auch gut entlohnte Kern der Oberhausener Arbeitnehmerschaft. S. ist es nur allzu verständlich, dass der Beschluss zur erstmaligen Stilllegung einer Zeche in Oberhausen nach dem Zweiten Weltkrieg, von dem 3.500 Beschäftigte und deren Familien betroffen waren, eine bis dahin einmalige Solidarisierung der Bevölkerung und aller gesellschaftlichen Gruppen mit den Concordia-Kumpeln auslöste. Es ging nicht nur um Concordia, es ging um Oberhausen. Am 20. Mai 1967 erreichte der Protest gegen die Stilllegungspläne mit einer Massendemonstration auf dem Altmarkt, an der mehr als 10.000 Menschen teilnahmen, seinen Höhepunkt. Allein aus Herne, Bochum, Gelsenkirchen, Bottrop, Dinslaken und Essen waren 600 Bergleute in Bussen angereist. An der Spitze des Demonstrationszuges gingen unter einem Transparent mit der Aufschrift „Concordia darf nicht sterben“ Oberbürgermeisterin Luise Albertz, die Mitglieder des Stadtrates, Oberstadtdirektor Dr. Peterssen und alle Beigeordneten, die leitenden Funktionäre der IGBE Oberhausen und die Concordia-Betriebsratsvorsitzenden. Hauptredner war der zweite Bundesvorsitzende der IG Bergbau und Energie, Heinz Vetter. Sein Satz: „Mit der Concordia halten oder brechen die Dämme an der Ruhr“ (WAZ, 22. Mai 1967) war im Hinblick auf die bald folgenden Zechenschließungen leider visionär.

Die zunächst befürchtete Massenarbeitslosigkeit sollte sich glücklicherweise nicht einstellen, denn Fachkräfte wurden dringend gesucht. Unter der Überschrift „Concordia-Alpdruck beginnt von Oberhausen zu weichen“ berichtete die WAZ schon am 9. Dezember 1967 von einem Pressegespräch mit dem Arbeitsamt Oberhausen-Mülheim, in dem sich der Leiter der Arbeitsvermittlung, Verwaltungsrat Prünte, optimistisch hinsichtlich der Vermittlung, Umschulung oder Verrentung der Concordia-Belegschaft zeigte. Eine zutreffende Einschätzung, wie die Statistik der Arbeitslosigkeit zeigen sollte: Nach einem Anstieg der Arbeitslosenzahl im Mai 1967 auf über 3.000 sank diese im Dezember 1968 auf unter 2.000 und damit auf das Niveau des Jahres 1966. Die Concordianer und ihre Familien blieben weitgehend von Arbeitslosigkeit verschont, was aber blieb, war der dauerhafte Verlust von mehr als 4.000 Arbeitsplätzen auf Concordia im Zeitraum von 1961 bis 1968.

Die zentrale Lage des Zechengeländes in Alt-Oberhausen eröffnete zugleich neue Chancen für die Stadtplanung. Voraussetzung hierfür war die Verfügbarkeit über größere zusammenhängende Flächen, mit denen eine zielgerichtete Wirtschaftsförderung zur Ansiedlung neuer Unternehmen und damit zur Sicherung und Schaffung von neuen Arbeitsplätzen sowie für den dringend erforderlichen Neubau von Wohnungen eingeleitet werden konnte. Die strikte Flächenvorratspolitik der industriellen Großbetriebe einschließlich des Bergbaus hatte dies bisher verhindert. Erst die Bemühungen der Stadt Oberhausen und der Landesregierung führten zu einer Änderung der Richtlinien der Aktionsgemeinschaft Deutscher Steinkohlenreviere GmbH und ermöglichten damit den Bergbaugemeinden den Ankauf von Flächen stillgelegter Zechen (WAZ, 13. März 1968).

Noch 1968 erwarb die Stadt Oberhausen eine 32,8 Hektar große Fläche von der Concordia Bergbau AG nördlich des Rhein-Herne-Kanals und das Zechenkraftwerk wurde an den Zweckverband Gemeinschafts-Müllverbrennungsanlage Niederrhein, dem auch die Stadt Oberhausen angehört, verkauft. Weitere Flächen wurden an die Deutsche Babcock AG, die Firma Carl Später und die BERO GmbH verkauft. Die Bergehalden der Schachtanlagen II/​III und IV/​V wurden zur Abtragung an die Firma Kalkwilms, bzw die Rothalit GmbH verkauft (WAZ, 16. August 1969).

Die Planungen der BERO GmbH, auf dem von ihr erworbenen Gelände einen Komplex mit einem Einkaufszentrum von 60.000 Quadratmetern Verkaufsfläche, zwei dreigeschossige Kaufhäuser, Restaurants, Wohnungen, Büros und ein Hotel in einem Hochhaus mit 15 Stockwerken, 2.000 Parkplätze, Großtankstelle und einiges mehr zu errichten, löste Ende 1968 heftige Proteste aus. Die Industrie- und Handelskammer sowie der Einzelhandelsverband sahen in dem Projekt eines Einkaufszentrums keine strukturfördernde Wirkung, sondern vielmehr eine Gefahr für den bestehenden Einzelhandel, insbesondere für die Marktstraße. (WAZ, 31. Januar und 7. Februar 1969).

Im November 1969 legte dann der Investor ein deutlich reduziertes Konzept ohne Hochhaus und mit nur noch 35.000 Quadratmetern Verkaufsfläche vor, das „etwas mehr auf die Ruhrgebietsverhältnisse, speziell auf Oberhausen zugeschnitten“ war (NRZ, 6. November 1969). Am 14. Oktober 1971 wurde das BERO-Zentrum am heutigen Standort als eines der ersten Einkaufszentren mit überdachten Ladenstraßen in Deutschland eröffnet.

„Die Concordia-Krise – ein Schock für Oberhausen“

Interview mit Friedhelm van den Mond (Teil 1)

Die Ende der 1950er Jahre beginnende Bergbaukrise erreichte 1968 in Oberhausen mit der Schließung der Concordia-Schachtanlagen und dem damit verbundenen Verlust von 3.500 Arbeitsplätzen im Bergbau den ersten Höhepunkt im Niedergang der Oberhausener Montanindustrie. Wie haben Sie diese Entscheidung persönlich erlebt und welchen Einfluss hatte sie auf die Stadtpolitik in Oberhausen?

Aus der Erinnerung heraus kann ich sagen, dass wir ja ein wenig vorgewarnt waren mit der Kohlenkrise, denn die ersten Feierschichten im Bergbau hatten wir hinter uns. Eigentlich hab` ich damals diese Maßnahme „Schließung der Schachtanlage-Concordia“ als eine unverständliche Maßnahme eines Chemiekonzerns erlebt. Denn Concordia gehörte damals zu Schering. Ich war immer noch der Meinung, ohne heimische Energie, ohne Kohle, geht es ja nicht. Denn, das war das, was man nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Wiederaufbau, immer gepredigt hat.

Um zur Stadtpolitik zu kommen, es war sicher auf der einen Seite ein Schock, der sich gezeigt hat in großen Protestaktionen, mit schwarzen Fahnen in Oberhausen. Andererseits, aber das wurde dann erst ein wenig später deutlich, war es eine Zeit, in der noch Arbeitskräfte gesucht wurden. Die Konjunktur lief ja noch. Also ich weiß, dass viele Arbeitnehmer dann bei der Stadt im Grünflächenbereich angefangen haben, im Tiefbau und ’ne ganze Reihe der Angestellten hat auch umgeschult. Einige meiner Kollegen, die ich aus der Bergschulzeit kannte, wurden Lehrer, Sozialarbeiter, sie gingen als Ingenieure zum Straßenbau und einige gingen auch zur Polizei.

Interessant ist sicherlich für all diejenigen, die die Zeit nicht miterlebt haben und für die Region als Ganzes, dass zwischen dem Beginn der Bergbaukrise 1958/​1959 und der Concordia-Krise fast ein Jahrzehnt ins Land ging. Wurde aus Ihrer Sicht von den Zeitgenossen der 1960er Jahre schon so etwas wie eine Krisenstimmung bemerkt?

Eine Krisenstimmung wurde nicht wahrgenommen. Wie gesagt, Concordia war eine für mich unverständliche Entscheidung eines Chemieunternehmens und als dann die Zeche Bismarck in Gelsenkirchen folgte, da wurden viele sicher schon nachdenklicher und ahnten so etwas wie eine Krise. Aber auch Bismarck gehörte damals zur DEA, das war ein Erdölkonzern. Auch da haben wir gesagt: Ja gut, die trennen sich davon, die wollen zum Erdöl, Chemie aus Erdöl ist sicher leichter als aus Kohle. Dass es zu einem völligen Rückbau, zu einer richtigen Kohlenkrise kommen würde, das hat zumindest 1968 noch niemand geahnt. Viele Bergleute sind ja schon bei den Feierschichten nachdenklich geworden. Bis dahin wurde ja mit Überschichten gefördert. Wer keine Überschichten gemacht hat, war fast ein ungeeigneter Arbeiter für den Bergbau. Und jetzt kamen Feierschichten und gleichzeitig wurden Überschichten auf Null zurückgefahren.

Das war ein Einkommensrückgang, den viele nur schwer verkraftet haben. Denn drei bis vier Überschichten im Monat waren im Familienbudget mit eingeplant. Doch nach den ersten Feierschichten um 1960 hatte sich alles wieder beruhigt. Und als dann Concordia und Bismarck geschlossen wurden, um zwei so herausragende Zechen zu nennen, da wurde doch die Nachdenklichkeit größer.

(Fortsetzung des Interviews auf Seite 78)

Friedhelm van den Mond

Geboren am 12. März 1932 in Oberhausen, Dipl.-Ing. (Bergbau) a. D. 1979 bis 1997 Oberbürgermeister der Stadt Oberhausen. 1947 bis 1973 beschäftigt bei der Zeche Alstaden, zuletzt als Fahrsteiger, (1961 dort auch Betriebsratsmitglied), zweiter Bildungsweg, Hochschulreife, 1973 bis 1977 Studium an der Ruhr-Universität (Sozialwissenschaft, Politik, Pädagogik), 1977 bis 1979 Referendar in Gelsenkirchen, von März 1979 bis Juni 1984 stellvertretender Abteilungsleiter bei der Bergbau AG Niederrhein, dort ausgeschieden im Rahmen von Anpassungsmaßnahmen im deutschen Steinkohlenbergbau. 1947 Mitglied der IG Bergbau und Energie, 1963 Mitglied der SPD, 1969 Ratsmitglied, 1970 Mitglied des Vorstandes im SPD Unterbezirk, 1975 bis 1979 Bürgermeister, 19. März 1979 bis 15. September 1997 Oberbürgermeister. Vorsitzender des

Verwaltungsrates der Stadtsparkasse Oberhausen, Vorsitzender der Verbandsversammlung KVR, Vorsitzender des Aufsichtsrates der STOAG, des TZU (Technologiezentrum Umweltschutz Management GmbH) und des ZAQ (Zentrum für Ausbildung und Qualifikation e. V.), Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Oberhausen. Ehrenring der Stadt Oberhausen, Ehrenbürger der Stadt Oberhausen, Verleihung der Ehrenbezeichnung Alt-Oberbürgermeister per Ratsbeschluss 1997.


Abb. 5: Friedhelm van den Mond

Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4

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