Читать книгу Ecclesiae et scientiae fideliter inserviens - Группа авторов - Страница 13

Оглавление

CÄCILIA GIEBERMANN

ADHS im Erwachsenenalter gem. DSM-5: Überlegungen zur Diagnose und zur Relevanz in Ehenichtigkeitsverfahren

Der DSM nennt erstmals in seiner 5. Auflage, erschienen 2013, das Fortbestehen der ADHS im Erwachsenenalter als Diagnose.1 Dies verbunden mit der Tatsache, dass die Frage der Ehefähigkeit bei ADHS im Gerichtsalltag begegnet, gibt Anlass zu diesem Artikel.

Im ersten Kapitel sind der Begriff, die Prävalenz, die Entstehung der Störung und die medikamentöse Behandlung in den Blick zu nehmen. Im zweiten und dritten Kapitel werden die beiden Kernfragen behandelt: Inwieweit lässt sich feststellen, ob zur Zeit der Heirat bei einem der Nupturienten eine ADHS vorlag? Lässt sich etwas dazu sagen, ob diese Störung ihn so beeinträchtigt hat, dass von einer rechtserheblichen Eheunfähigkeit gem. c. 1095 CIC auszugehen ist? Im abschließenden vierten Kapitel wird ein Ausblick gewagt.

1. Begriffe, Prävalenz, Ätiologie und Medikamente

1.1 Begriffe des DSM-5

Die Diagnose „ADHS“ (als Abkürzung für Attention-Deficit / Hyperactivity Disorder bzw. „Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung“) wird im DSM seit Revision IV verwendet, während der ICD-10 von einer „Hyperkinetischen Störung“ (HKS) spricht. Beide Begriffe sind nur beschreibend und weisen damit Bezeichnungen zurück, die eine Hirnfunktionsstörung als vermutete Hauptursache benannten.2 Im Folgenden wird der Begriff „ADHS“ verwendet. Die beiden Dimensionen der Störung, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität / Impulsivität, werden „Kriterien“ genannt.3 Liegt bei Nicht-Erfüllen eines Kriteriums nicht das Vollbild der Störung („Gemischtes Erscheinungsbild“) vor, so wird analog der Begrifflichkeit im DSM-5 im Folgenden die Bezeichnung „Vorwiegend Unaufmerksames Erscheinungsbild“ bzw. „Vorwiegend Hyperaktiv-Impulsives Erscheinungsbild“ verwendet.

1.2 Prävalenz bei Kindern und Erwachsenen

Zur Prävalenz erklärt das DSM-5 kurz: „Epidemiologische Studien legen nahe, dass ADHS in den meisten Kulturen bei etwa 5 % der Kinder und etwa 2,5 % der Erwachsenen vorkommt.“4 Entgegen der landläufigen Meinung, ADHS werde in letzter Zeit immer häufiger diagnostiziert, sind die Zahlen der tatsächlichen Diagnosen in Deutschland stabil zumindest seit 2003, jenem Jahr, in dem das Robert-Koch-Institut eine Längsschnittstudie zur Gesundheit der Kinder begonnen hat.5 Die Mehrzahl der Betroffenen ist männlich.6

1.3 Zur Ätiologie

ADHS hat eine hohe genetische Komponente: Zwillingsstudien zeigen sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen eine Übereinstimmung von 70 bis 80 %.7 Ätiologisch relevante Umweltfaktoren werden vor allem im prä- und perinatalen Zeitraum gesehen: Alkohol- und Nikotinexposition des Ungeborenen, Frühgeburtlichkeit und niedriges Geburtsgewicht wurden bei ADHS-Patienten deutlich häufiger diagnostiziert als das gemeinhin als hauptursächlich angenommene Fehlen eines guten familiären Umfeldes.8 Nichtsdestotrotz sind Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus deutlich häufiger betroffen als Kinder aus Familien mit hohem Sozialstatus, der DSM-5 schreibt den familiären Interaktionsmustern vor allem verlaufsbeeinflussende Faktoren zu.

1.4 Zur medikamentösen Behandlung

Die ADHS soll niemals allein pharmakotherapeutisch, sondern, sofern der Einsatz von Medikamenten nötig ist, stets unter Hinzunahme einer störungsorientierten Psychotherapie behandelt werden. Während es in großer Zahl Vorschläge und Initiativen für immer neue Varianten der Psychotherapie gibt, beschränken sich die eingesetzten Medikamente auf wenige Wirkstoffe. Ziel aller Wirkstoffe ist, die Weiterleitung und Filterung von Reizen in den Gehirnzellen positiv zu beeinflussen, indem hinreichend Botenstoffe, hier die Neurotransmitter Dopamin und / oder Noradrenalin, zur Verfügung gestellt werden. Lange schrieb man dem dopaminergen System dabei die zentrale Rolle zu. Daher waren und sind bis jetzt Methylphenidat9 und Amphetamine die Mittel der ersten Wahl: Sie hemmen im Gehirn die Wiederaufnahme von Dopamin und Noradrenalin, so dass beide Botenstoffe (wieder) vermehrt vorliegen. Das zentrale Nervensystem wird stimuliert, es kommt u. a. zu erhöhter Wachsamkeit und Aufmerksamkeit. Häufige Nebenwirkungen sind Kopf- und Bauchschmerzen, Schlaflosigkeit, Nervosität, Herz-Kreislaufbeschwerden und Appetitlosigkeit. Grundsätzlich kann es bei der Langzeitmedikation mit Methylphenidat oder Amphetaminen zu Potenzstörungen und Libidoverlust kommen. Außer den Nebenwirkungen während der Einnahme werden auch unbeabsichtigte Langzeiteffekte diskutiert.

Amphetamine und auch Methylphenidat bergen ein erhebliches Suchtpotential, in Deutschland sind sie als Betäubungsmittel eingestuft und unterliegen damit einer besonderen Verschreibungspflicht. Methylphenidat wird beim Erwachsenen in retardierter Form gegeben. Wo es in der Wirkung nicht ausreicht, wird teilweise ein Amphetamin-Derivat, etwa Dexamphetamin, eingesetzt, welches sich auch in den Nebenwirkungen von Methylphenidat unterscheidet.10 Dexamphetamin ist zur ADHS-Behandlung von Kindern und Jugendlichen, nicht aber von Erwachsenen zugelassen. Immer wieder wird es außerhalb des zugelassenen Gebrauchs (off-label) auch Erwachsenen gegeben, die z. B. als Jugendliche erfolgreich damit therapiert wurden.

Mit der Erkenntnis, dass auch dem noradrenergen System eine wichtige Rolle zukommt (durch indirekte Beeinflussung der Dopamin-Aktivität), wurden auch Nicht-Amphetamine vermehrt zur Behandlung der ADHS eingesetzt, Präparate also, die keine stimulierenden Effekte auf das zentrale Nervensystem haben und somit auch kein oder nur ein geringes Abhängigkeits- und Missbrauchspotential bergen. Das erste Nichtstimulanz, welches zur Behandlung der ADHS eingesetzt wurde, ist das ursprünglich als Antidepressivum konzipierte Atomoxetin, welches also keine direkte Wirkung auf den Dopamin-Transporter hat, sondern das Noradrenalin (und damit indirekt die Dopamin-Aktivität) beeinflusst und zudem seine Wirkung auf Gehirnareale beschränkt, die nicht mit Suchtverhalten in Verbindung gebracht werden. Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen gehören Kopf- und Bauchschmerzen sowie Appetitlosigkeit.

Auch bei den Nicht-Amphetaminen kommt es derzeit häufig zur offlabel-Anwendung bei Erwachsenen: Guanfacin, dessen genauer Wirkmechanismus in der Behandlung von ADHS noch nicht bekannt, dessen Wirkung aber erwiesen ist11, zeigt sich in den Nebenwirkungen moderat (Schläfrigkeit, Kopf- und Bauchschmerzen, Dämpfung).

Bis jetzt liegen keine verlässlichen Studien zur möglichen Teratogenität der Präparate vor.

2. Zur Diagnostik einer ADHS im Erwachsenenalter

Zur Diagnose einer ADHS ist eine vollständige psychiatrische Untersuchung vorgesehen, welche ein umfangreiches Anamnesegespräch (nach Möglichkeit zusätzlich mit wichtigen Vertrauenspersonen des Patienten) mit Erfassung von Differentialdiagnosen und Komorbiditäten12, den Ausschluss organischer psychischer Störungen (durch Krankheitsanamnese und körperliche Untersuchung), gegebenenfalls testpsychologische Untersuchungen und die Anwendung standardisierter Untersuchungsinstrumente beinhaltet.

Soweit eine solche psychiatrische Diagnostik nicht erfolgt ist oder im Ehenichtigkeitsverfahren nicht vorgelegt werden kann, könnte der Vernehmungsrichter sich (noch vor der Exploration durch einen Gutachter) bemühen, wenigstens entlang standardisierter Symptomchecklisten das Vorliegen relevanter Merkmale zu erheben.13

2.1 Symptome vor dem 12. Geburtstag

Zur Diagnostik einer ADHS im Erwachsenenalter verlangt das DSM-5 u. a.: „Mehrere Symptome der Unaufmerksamkeit oder der Hyperaktivität-Impulsivität treten bereits vor dem Alter von 12 Jahren auf.“14 Eine ADHS im Erwachsenenalter kann also nur diagnostiziert werden, wenn es bereits in der Kindheit (vor dem 12. Geburtstag15) mehrere Symptome dafür gegeben hat.

Sollte im Ehenichtigkeitsverfahren keine Diagnostik aus der Kindheit vorgelegt werden können16, so wird also die Frage beschäftigen, ob sich Symptome oder die Diagnose retrospektiv erheben lassen.

2.1.1

Mit der Frage, inwieweit der Erwachsene selbst über Symptome in seiner Kindheit Auskunft geben kann, befasste sich mehrere Jahre vor Aufnahme der Erwachsenen-ADHS in das DSM bereits im Jahr 2005 die Bundesärztekammer, die in ihrer auf Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats beschlossenen „Stellungnahme zur Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS)“ in der Langfassung erklärt: „Als Selbstbefragungsbogen zur retrospektiven Erfassung der Symptome in der Kindheit ist international die Wender-Utah-Rating-Scale (WURS) am gebräuchlichsten…“17 In Deutschland hat sich eine Kurzform der WURS (WURS-K) durchgesetzt, die nicht mehr die ursprünglichen 61 Fragen, sondern nur noch 21 Fragen (und zusätzlich vier Kontrollfragen zur Überprüfung der Motivation des Antwortenden) enthält. Die Fragen beziehen sich auf den Alterszeitraum von 8-10 Jahren, weichen also von der Obergrenze, die der aktuelle DSM beim 12. Geburtstag zieht, ab.18 Sie verlangen eine Beantwortung auf einer 5-Punkte-Skala.

Die 21 Items, zu denen eine Einschätzung zwischen „trifft nicht zu“ und „stark ausgeprägt“ gegeben werden soll, werden jeweils mit den Worten „Als Kind im Alter von 8 bis 10 Jahren…“ eingeleitet und lauten dann:

1. … hatte ich Konzentrationsprobleme bzw. war leicht ablenkbar.

2. … war ich zappelig und nervös.

3. … war ich unaufmerksam und verträumt.

4. … hatte ich Wutanfällle und Gefühlsausbrüche.

5. … hatte ich ein geringes Durchhaltevermögen, brach ich Tätigkeiten vor deren Beendigung ab.

6. … war ich traurig, unglücklich und depressiv.

7. … war ich ungehorsam, rebellisch und aufsässig.

8. … hatte ich ein geringes Selbstwertgefühl bzw. eine niedrige Selbsteinschätzung.

9. … war ich leicht zu irritieren.

10. … hatte ich starke Stimmungsschwankungen und war launisch.

11. … war ich oft ärgerlich oder verärgert.

12. … hatte ich eine Tendenz zur Unreife.

13. … verlor ich oft die Selbstkontrolle.

14. … hatte ich die Tendenz, unvernünftig zu sein oder unvernünftig zu handeln.

15. … hatte ich Probleme mit anderen Kindern und keine langen Freundschaften.

16. … hatte ich Angst, die Selbstbeherrschung zu verlieren.

17. … bin ich von zuhause fortgelaufen.

18. … war ich in Raufereien verwickelt.

19. … hatte ich Schwierigkeiten mit Autoritäten, z.B. Ärger in der Schule oder Vorladungen beim Direktor.

20. … hatte ich Ärger mit der Polizei.

21. … war ich insgesamt ein schlechter Schüler / eine schlechte Schülerin und lernte langsam.19

2.1.2

Ausdrücklich erklärt der DSM-5, dass die Symptome in mehr als einem Lebensbereich vorgelegen haben müssen und dass dieses Vorliegen in der Regel nur bestätigt werden kann, wenn „Informationen von Beurteilern hinzugezogen werden, die die Person in diesem Lebensbereich tatsächlich gesehen haben“.20 Für den Lebensbereich Familie wäre hier an die Eltern oder Geschwister zu denken und für die Schule an Lehrer oder Mitschüler. Ihnen wären – als Zeugen im Ehenichtigkeitsverfahren und damit durch den Vernehmungsrichter – sinngemäß mit Blick auf die Partei jene Fragen zu stellen, die sich zur retrospektiven Erfassung der Symptome eignen, etwa die der oben dargelegten Wender-Utah-Rating-Scale.

2.1.3

Wurden die Symptome sowohl bei der Partei als auch bei den unter 2.1.2 erwähnten Beurteilern erfragt, so ist zu beurteilen, inwieweit die erhobenen Symptome in der Kindheit tatsächlich Symptome der für den Erwachsenen zu diagnostizierenden ADHS sind. Hierzu empfiehlt sich aus Sicht der Verfasserin in der Regel die Befragung eines Gutachters, da die Symptome, die in der Kindheit nicht zur Diagnose „ADHS“ geführt haben, auch auf Differentialdiagnosen hinweisen können, die der kirchliche Untersuchungsrichter womöglich nicht im Blick hat.21

2.2 Symptome beim Erwachsenen

Neben dem Vorliegen von Symptomen im Kindesalter fordert das DSM-5 zur Diagnose einer ADHS bei Erwachsenen, dass zum Kriterium Unaufmerksamkeit und / oder zum Kriterium Hyperaktivität / Impulsivität jeweils mindestens fünf der aufgeführten Symptome in den vergangenen sechs Monaten erfüllt sein müssen (während zur Diagnose im Kindesalter der Nachweis von mindestens sechs Symptomen notwendig ist).22

2.2.1 Vorwiegend Unaufmerksames Erscheinungsbild

2.2.1.1 Symptome aus dem Bereich der „Unaufmerksamkeit“?

Als Symptome zählt der DSM-5 auf: Flüchtigkeitsfehler bei der Arbeit; Aufmerksamkeitsprobleme z. B. bei Vorträgen oder längerem Lesen; scheinbare Nichtansprechbarkeit ohne ersichtliche Ablenkung; unvollständiges Erledigen von übertragenen Aufgaben; planlos-desorganisiertes Arbeiten und schlechtes Zeitmanagement etwa auch in Form von Nichteinhalten von Fristen; Vermeiden länger andauernder geistiger Anstrengung; häufiges Verlieren von Gebrauchsgegenständen; leichte Ablenkbarkeit durch äußere Reize oder nicht im Zusammenhang mit der aktuellen Situation stehende Gedanken; häufige Vergesslichkeit bei Alltagstätigkeiten (hier nennt das DSM für Erwachsene z. B. das Vergessen von zugesagten Telefonrückrufen, das Bezahlen von Rechnungen, das Einhalten von Verabredungen).

2.2.1.2 Zum Erfragen und Beobachten der Symptome

Einige dieser Symptome könnten vom Vernehmungsrichter direkt erfragt werden, etwa das häufige Verlieren von Gebrauchsgegenständen oder die häufige Vergesslichkeit bei Alltagstätigkeiten. Einige andere Symptome lassen sich womöglich mit der Berufsanamnese erfassen: Wer etwa seit Jahren erfolgreich an einer verantwortungsvollen Position eines Unternehmens arbeitet, dürfte sich nicht durch häufige Flüchtigkeitsfehler bei der Arbeit oder durch planlosdesorganisiertes Arbeiten auszeichnen. Schließlich gibt auch das Verhalten im Verfahren Hinweise auf ein mögliches Vorliegen der Symptome: Wurde die Klageschrift eigenhändig und ohne Flüchtigkeitsfehler verfasst? Wurden die gerichtlichen Schreiben zuverlässig innerhalb der vorgegebenen Fristen beantwortet, wurde der Termin zur Aussage eingehalten oder in angemessener Verbindlichkeit verschoben?

Hingegen wird das Verhalten einer Partei in der Vernehmung bzw. in der gutachterlichen Exploration wenig Aufschluss geben:

„Anzeichen der Störung können minimal sein oder fehlen, wenn die Person häufige Belohnungen für angemessenes Verhalten erhält, engmaschig kontrolliert wird, sich in einer neuen Situation befindet, sich mit besonders interessanten Aktivitäten beschäftigt, ständige Anregungen von außen erhält (z. B. über elektronische Medien) oder sich in einer Interaktion mit nur einer Person befindet (z. B. in der Sprechstunde).“23

Die Vernehmungssituation vereinigt in der Regel die Punkte „neue Situation“, „besonders interessante Aktivität“ und „Interaktion mit nur einer Person“, so dass das Nichtbeobachten entsprechender Symptome nicht zu dem Schluss verleiten darf, dass diese nicht vorliegen.

2.2.2 Vorwiegend Hyperaktiv-Impulsives Erscheinungsbild

2.2.2.1 Symptome aus dem Bereich der „Hyperaktivität / Impulsivität“

Als Symptome zählt das DSM-5 auf: häufiges Zappeln oder auf dem Stuhl Herumrutschen; Aufstehen in Situationen, die ein Sitzenbleiben erfordern; häufiges Herumlaufen oder mindestens subjektives Unruhegefühl; häufige Schwierigkeiten, sich ruhig zu beschäftigen; das häufige Gefühl des „Getriebenseins“; häufiges übermäßiges Reden; Beantworten von Fragen vor Beendigung der Frage; Schwierigkeiten beim Warten; Unterbrechen und Stören der Aktivitäten anderer.

2.2.2.2 Zum Erfragen und Beobachten der Symptome

Auch hier könnten einige Symptome vom Vernehmungsrichter erfragt werden, wobei die Zeugen womöglich präzisere Beobachtungen zu Protokoll geben können als die Partei, bei der Hyperaktivität und Impulsivität auf der Grundlage einer ADHS behauptet wird. Die Partei selbst könnte immerhin gefragt werden, ob sie gelegentlich von anderen die Rückmeldung erhält, durch ihre äußere Unruhe, ihr übermäßiges Reden, ihr Ins-Wort-Fallen, etc. zu stören.

Entsprechende Beobachtungen in der Vernehmungssituation zur Diagnostik hinzuzuziehen erscheint hingegen kritisch: Die im Störungssinn hyperaktive, impulsive Partei könnte sich für die Dauer der Anhörung „zusammenreißen“; umgekehrt gibt es eine Reihe von Erklärungen für besonders zappeliges, unruhiges Verhalten in der Anhörung (insbesondere dann, wenn es sich zum Ende des Gespräches hin steigert).

2.2.3 Gemischtes Erscheinungsbild

Wenn sowohl beim Kriterium Unaufmerksamkeit als auch beim Kriterium Hyperaktivität / Impulsivität mindestens fünf Symptome vorliegen, spricht der DSM-5 vom sog. „Gemischten Erscheinungsbild“. Soweit die Literaturrecherche es ergab, liegen nur für dieses Gemischte Erscheinungsbild Diagnoseskalen vor.

2.2.3.1 Zu möglichen (vom Gutachter verwendeten) Rating Scales

Wenn ein Gutachter hinzugezogen wird, wird er gegebenenfalls einen der zahlreichen Fragebögen, die zur Diagnostik bei Erwachsenen erstellt wurden, zu Hilfe nehmen.

Die Conners Adult ADHS Rating Scales (CAARS) werden von der Bundesärztekammer in ihrer o. g. Stellungnahme aus dem Jahr 2005 zur Erfassung der aktuellen ADHS-Symptomatik genannt.24

Die CAARS und die Brown ADD Scales von 1996 werden von der DGPPN25 in ihren Expertenleitlinien von 2003 empfohlen.26

Eine Reihe weiterer Fragebögen, etwa die lange gebräuchliche „modifizierte Symptomcheckliste nach DSM-IV“, ist mit Aufnahme der Erwachsenen-ADHS in das DSM-5 als überholt anzusehen.

2.2.3.2 Anwendbarkeit von Selbstbeurteilungsskalen?

Eine ganze Reihe von Selbstbeurteilungsskalen steht zur Verfügung. Der kirchliche Richter wird ihnen ohnehin mit Skepsis begegnen, daher wird hier lediglich eine der beiden von der Bundesärztekammer genannten Skalen herausgegriffen: die Diagnosecheckliste ADHS-DC, welche im Jahr 2004 herausgegeben wurde.27 Sie dürfte im Ehenichtigkeitsverfahren allenfalls von Interesse sein, wenn sie zu prozessunverdächtiger Zeit ausgefüllt wurde. Aber auch hier ist einschränkend zu bedenken, dass Betroffene dazu neigen, Symptome bei sich zu sehen. Mit der ungeschickten Antwortskala in vier Stufen (0 = trifft nicht zu; 1 = leicht ausgeprägt, kommt gelegentlich vor; 2 = mittel ausgeprägt, kommt oft vor; 3 = schwer ausgeprägt, kommt nahezu immer vor) wird vermutlich beinahe jede erwachsene Person, die den Bogen aufrichtig ausfüllt, bei sich selbst eine ADHS annehmen können: Der Tendenz einer Testperson, unproblematische Bereiche statt mit „0“ („trifft nicht zu“) mit „1“ („leicht ausgeprägt, kommt gelegentlich vor“) zu beantworten, wird die Auswertung des Tests nicht gerecht, in der es heißt: „Als positiv wird ein Merkmal dann gewertet, wenn seine Ausprägung >0 beträgt.“28 Die Stellungnahme der Bundesärztekammer kommentiert dazu:

„Im wissenschaftlichen Einsatz kann es manchmal sinnvoll sein, die Schwelle für die Bejahung eines Merkmals zu erhöhen, z. B. kann man als Mindestausprägung „mittel“ (2) verlangen. Damit erzielt man bisweilen bessere psychometrische Werte. Für den Klinik- und Praxisalltag genügt aber die Regel von ICD-10 und DSM-IV, dass ein Merkmal vorhanden ist, selbst wenn die Merkmalsausprägung nur leicht ist.“29

Der Richter im Ehenichtigkeitsverfahren wird sich, sofern er sich auf die Diagnostik mittels einer Selbstbeurteilungsskala (etwa in Ergänzung zu den übrigen Beweiserhebungen) einlässt, nicht mit einer Schwelle für die Bejahung eines Merkmals zufriedengeben können, die unter jener liegt, die für den wissenschaftlichen Einsatz sinnvoll erscheint.

Die Informationen, die der Richter zur möglichen ADHS einer Partei in ihrer Kindheit (bis zum 12. Lebensjahr) und in der Gegenwart (Symptomerhebung für die zurückliegenden sechs Monate) erhält, werden ihm womöglich eine Antwort erlauben auf die Frage, ob für die Zeit der Eheschließung mit Gewissheit vom Vorliegen einer ADHS in einem der drei Erscheinungsbilder ausgegangen werden kann.

3. Eheunfähigkeit infolge ADHS?

3.1 Zu c. 1095 n. 1 CIC

Das DSM-5 erklärt zur Diagnose der ADHS: „Die Symptome […] können auch nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt werden“.30 So kommt eine Eheunfähigkeit gemäß c. 1095 n. 1 CIC infolge ADHS nicht infrage, da das Fehlen des hinreichenden Vernunftgebrauchs in den Bereich einer anderen psychischen Störung fällt.

3.2 Zu c. 1095 n. 2 CIC

Die Impulsivität bei ADHS legt die Annahme nahe, dass auch das Entscheidungsverhalten der Patienten eingeschränkt ist. Die Mechanismen dazu sind für Jugendliche ansatzweise31, für Erwachsene jedoch fast noch nicht wissenschaftlich untersucht, belastbare quantitative Angaben liegen nicht vor. Eine Antwort auf die Frage, inwieweit bei ADHS von einer möglichen Eheschließungsunfähigkeit gemäß c. 1095 n. 2 CIC ausgegangen werden kann, erscheint zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich.

3.3 Zu c. 1095 n. 3 CIC

Die Frage, inwieweit ADHS die Eheführungsfähigkeit eines Erwachsenen rechtserheblich einschränken kann, wird viele Unterpunkte berücksichtigen müssen und letztlich nicht ohne Hinzunahme eines Gutachters zu beantworten sein. Aus Sicht der Verfasserin ist am ehesten an eine relative Eheführungsunfähigkeit infolge ADHS zu denken und daher in jedem Fall die Persönlichkeit des anderen Ehepartners mit in den Blick zu nehmen.

Einige zu berücksichtigende Aspekte sind:

1.

Welches Kriterium der ADHS lag zur Zeit der Heirat vor? Handelte es sich um das Vorwiegend Unaufmerksame Erscheinungsbild, das Vorwiegend Hyperaktiv-Impulsive Erscheinungsbild oder gegebenenfalls das Gemischte Erscheinungsbild? Wie war die Situation beim anderen Ehepartner: War er zur Zeit der Heirat absehbar in der Lage, die Symptome des Kriteriums dauerhaft auszugleichen? Konkret: Konnte er der Hyperaktivität und Impulsivität des Partners begegnen? Konnte er der Unaufmerksamkeit des Partners angemessen begegnen? Oder war er gegebenenfalls durch eigene Einschränkungen daran gehindert?

2.

Welcher Schweregrad lag zur Zeit der Heirat vor? Der DSM-5 unterscheidet erstmals drei Gruppen („leicht, mittel, schwer“), wobei nicht nur das Vorliegen der Symptome, sondern auch die Beeinträchtigungen im sozialen Umfeld zur Einordnung in eine der Gruppen entscheidend ist. Bei einem „leichten“ Schweregrad wird man keine Eheunfähigkeit feststellen können, denn er ist gekennzeichnet durch nur „geringfügige Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen“.32

3.

Welcher Therapieerfolg war zur Zeit der Heirat zu erwarten? Bestand Compliance hinsichtlich der verschiedenen Therapieformen, auch hinsichtlich der Medikamenteneinnahme? War der andere Ehepartner in der Lage, die regelmäßige – auch medikamentöse -Therapie zuzulassen? Oder war er z. B. verführbar, die Medikamente auch selbst einzunehmen und so das Therapieziel des Ehepartners zu gefährden?33

4.

Welche Medikamente wurden zur Zeit der Heirat genommen? Gelang die Medikation ohne Amphetamine? Oder wurden Amphetamine zur Zeit der Heirat genommen, wenn ja, wie lange? Welche Nebenwirkungen wurden zur Zeit der Heirat beobachtet? Kamen gegebenenfalls Schwierigkeiten (auch praktischer Art) durch die Off-Label-Verordnung hinzu? Welche Fähigkeiten hatte der andere Ehepartner, mit dieser Medikation und ihren Nebenwirkungen umzugehen? Bei Amphetaminen ist zusätzlich zu fragen: Wie wurde mit dem Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential des Medikamentes umgegangen?

4. Ausblick

4.1 Persönlichkeitsveränderung als Langzeitwirkung?

Diskutiert wird, ob die langjährige Einnahme von Methylphenidat strukturelle Veränderungen im Gehirn und damit Persönlichkeitsveränderungen bewirkt. In Tierversuchen wurden solche Veränderungen nachgewiesen, die Studienlage in der Humanmedizin ist noch nicht eindeutig.34 Sollte sich diese Langzeitwirkung zweifelsfrei nachweisen lassen, so müsste dies womöglich auch bei der Frage der Heiratszulassung eines dauerhaft mit Methylphenidat therapierten ADHS-Patienten berücksichtigt werden.

4.2 Zu möglichen weiteren Ehenichtigkeitsgründen im Kontext der ADHS

Wenn eine Eheführungsunfähigkeit infolge einer beim Erwachsenen fortbestehenden ADHS als Möglichkeit bejaht wird, so müsste das Vorliegen dieser Störung, welches gegebenenfalls durch regelmäßige Medikamenteneinnahme nicht offensichtlich ist, zu den Eigenschaften zählen, über die ein Partner den anderen vor der Heiratsentscheidung informieren sollte. Ist dies unterblieben, um die Einwilligung in die Heirat nicht zu gefährden, so könnte überlegt werden, inwieweit von einer rechtserheblichen Täuschung gemäß c. 1098 CIC auszugehen ist. In jedem Fall erscheint es sinnvoll, Nupturienten auf ihre Offenbarungspflicht hinsichtlich psychischer Störungen hinzuweisen, zu denen eben auch die ADHS zählt.

Was den möglichen Klagegrund des Irrtums betrifft, so wäre allenfalls zu bedenken, dass eine mögliche Teratogenität als Langzeitfolge der Dauermedikation nicht auszuschließen ist. Hierzu liegen aber, wie oben erwähnt, keine verlässlichen Studien vor.

4.3 Ein Exot unter den Diagnosen bei c. 1095 n. 3 CIC?

Der Skepsis, mit der Kirchenrechtler zuweilen anfragen, ob es ADHS im Erwachsenenalter überhaupt gibt, stehen die Ausführungen im aktuellen DSM entgegen. Die Frage, inwieweit diese Störung eine Eheführungsunfähigkeit bewirken kann, dürfte daher an Bedeutung gewinnen.

1 American Psychiatric Association, Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, DSM-5, Washington / London 52013. Im Folgenden wird zitiert aus der Deutschen Ausgabe: Falkai, Peter, Wittchen, Hans-Ulrich (Hrsg.), Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5, Göttingen 2015. Alle weiteren Zitate aus dem DSM sind dem Kapitel „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung“ dieser deutschen Ausgabe entnommen, 77-87. Die Frage, warum dem DSM hier so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, mag durchaus gestellt werden, immerhin grenzt es einleitend seine Verwendbarkeit im Gerichtswesen ein: „Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Definitionen der psychischen Störungen im DSM-5 vorrangig konzipiert wurden, um den Anforderungen von Klinikern, Mitarbeitern des öffentlichen Gesundheitswesens und Forschern gerecht zu werden, und weniger im Hinblick auf die spezifischen Erfordernisse von Gerichten und Angehörigen der juristischen Professionen.“ Aus Sicht der Verfasserin ist die Antwort allein darin zu sehen, dass es derzeit keine sowohl gleichwertige als auch vergleichbar aktuelle Alternative gibt: Die 11. Revision der ICD wird für 2019 erwartet. Beide Klassifikationssysteme, DSM und ICD, folgen zunächst dem kategorialen Ansatz, welcher zur Abgrenzung einer Diagnose fragt, ob die erforderlichen Merkmale vorliegen. Das DSM-5 verwendet nun erstmals auch einen dimensionalen Ansatz, indem es fragt, wie ausgeprägt eine Person die einzelnen Diagnosemerkmale aufweist. Dies hat für die Diagnose der ADHS besondere Relevanz.

2 Zu den vielen verschiedenen Bezeichnungen für die hier ADHS genannte Diagnose vgl. Rothenberger, Aribert / Neumärker, Klaus-Jürgen, Wissenschaftsgeschichte der ADHS – Kramer-Pollnow im Spiegel der Zeit, Darmstadt 2005. Die Autoren stellen heraus, wie die These von Franz Kramer und Hans Pollnow aus dem Jahr 1932, wonach eine Hirnfunktionsstörung den Symptomen zugrunde liegt, auf breiter wissenschaftlicher Basis weiterentwickelt und teils entkräftet wurde, bis schließlich die nur deskriptiven Bezeichnungen der Störung sich durchgesetzt haben (etwa gegenüber der in den 1960er Jahren verwendeten „MCD“ - Minimalen Cerebralen Dysfunktion).

3 DSM-5. Abweichend von der Begrifflichkeit des DSM-5 werden die Kriterien in der Literatur teils auch als „Symptome“ oder „Kernsymptome“ bezeichnet, während der DSM-5 mit „Symptomen“ jene Merkmale meint, deren Erfüllung nachzuweisen ist, wenn ein Kriterium als zutreffend gelten soll.

Abweichend vom DSM-5 wird in der Literatur teils noch, wie auch im DSM-IV, von drei Kriterien ausgegangen, wobei Hyperaktivität und Impulsivität je ein eigenes Kriterium ausmachen. Die im DSM-5 erfolgte kommentarlose Zusammenfassung der beiden hat in Fachkreisen zu Kritik geführt, da man die Forschungskontinuität bedroht sah.

4 DSM-5. Diesen Wert zeigen auch mehrere Meta-Analysen auf, u. a. jene von Willcutt u. a. aus dem Jahr 2012, die 86 Studien mit Kindern und Jugendlichen und 11 Studien mit Erwachsenen mit insgesamt knapp 180.000 Probanden eingeschlossen hatte. Willcutt, Erik G. u. a., The prevalence of DSM-IV Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder, in: A Meta-Analytic Review. Neurotherapeutics 9 (2012), 490-499.

5 Schlack, Robert u. a., Hat die Häufigkeit elternberichteter Diagnosen einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in Deutschland zwischen 2003-2006 und 2009-2012 zugenommen? Ergebnisse der KiGGS-Studie – Erste Folgebefragung (KiGGS Welle 1), Robert Koch-Institut, Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung, in: Bundesgesundheitsblatt 57 (2014), 820-829. Der Artikel stellt fest, dass entgegen den Berichten der Krankenkassen, die eine Zunahme der Diagnosehäufigkeit behaupten, zwischen den Zeiträumen 2003-2006 einerseits und 2009-2012 andererseits keine statistisch relevante Veränderung der Diagnosehäufigkeit beobachtet wurde.

6 DSM-5.

7 Kuja-Halkola, Ralf u. a., Heritability of attention-deficit hyperactivity disorder in adults, in: Am J Med Genet B Neuropsychiatr Genet 168 (2015), 406-413.

8 Etwa: Milberger, Sharon u. a., Is maternal smoking during pregnancy a risk factor for attention deficit hyperactivity disorder in children?, in: American Journal of Psychiatry 153 (1996), 1138-1142.

9 Das Phenylethylamin Methylphenidat ist strukturell den Amphetaminen ähnlich.

10 Zu den aufgeführten Nebenwirkungen des Dexamphetamin zählen Psychosen, Schizophrenien, Ruhelosigkeit, Nervosität, Euphorie, Dysphorie und Herz-Kreislaufbeschwerden.

11 Martinez-Raga, José u. a., Profile of guanfacine extended release and its potential in the treatment of attention-deficit hyperactivity disorder, in: Neuropsychiatric diseases and treatment 11 (2015), 1359-1370.

12 Das DSM-5 betont, dass sich bei Personen mit ADHS häufig komorbide Störungen finden, beim Erwachsenen etwa Angststörungen und depressive Störungen, Substanzkonsumstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Zwangsstörungen und Autismus-Spektrum-Störungen.

13 Sowohl die ärztliche als auch die gerichtliche Erfahrung zeigt, dass der ersten Aussage eines Patienten / einer Partei über eigene Diagnosepunkte besonderer Wert zukommt, da sie weniger als die Folgeaussagen beeinflusst ist von den empfundenen Erwartungen der Therapeuten / des Gerichtes.

14 DSM-5.

15 Der in der Vorbereitungsphase des DSM-5 gestellten Forderung, Symptome wie in den vorigen Auflagen bereits in der früheren Kindheit nachweisen zu müssen, erteilt der aktuelle DSM eine Absage: „ADHS beginnt in der Kindheit. Das Kriterium, dass mehrere Symptome bereits vor dem Alter von 12 Jahren vorliegen müssen, betont die Bedeutung einer bereits in der Kindheit bestehenden erheblichen Ausprägung der Symptomatik. Ein noch früheres Alter für den Störungsbeginn wurde nicht definiert, da eine präzise Bestimmung des Störungsbeginns in der Kindheit retrospektiv oft nur schwer möglich ist. Das Erinnern von Kindheitssymptomen ist im Erwachsenenalter eher unzuverlässig und es ist vorteilhaft, ergänzende Informationen einzuholen.“ (DSM-5).

16 Sollte in der Kindheit eine Diagnose gestellt worden sein, so ist gerade bei ADHS zu überprüfen, welche fachliche Qualifikation der Diagnostizierende hatte. In diesem Zusammenhang mag auch die Frage nach der von ihm verwendeten Diagnose-Skala gestellt werden: Hat er, wie es z. B. die renommierte Conners-Scale verlangt, Personen aus den verschiedenen Lebensbereichen des Kindes befragt, also außer dem Kind selbst auch seine Eltern und Lehrer?

17 Der Vorstand der Bundesärztekammer: Stellungnahme zur „Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS)“, 26. August 2005, siehe online: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/ADHSLang.pdf, Zugriff am 18.04.2019.

18 Der DSM-IV von 1994 hatte das Auftreten einiger Symptome vor dem Alter von 7 Jahren gefordert, darauf nimmt die WURS-K wohl - vorsorglich das Alter heraufsetzend - Bezug.

19 Siehe online: www.adhs-studien.info/adhs_selbsttest_erwachsene_2.html, Zugriff am 22.01.2019. Die Nummerierung der Fragen im Fragebogen weicht von der hier verwendeten ab, da der WURS-K an den Positionen 4, 12, 14 und 25 die Kontrollfragen enthält: „… war ich gut organisiert, sauber und ordentlich“, „… war ich ein guter Schüler bzw. eine gute Schülerin“, „… verfügte ich über eine gute motorische Koordinationsfähigkeit und wurde immer zuerst als Mitspieler ausgesucht“ und „… hatte ich Freunde und war beliebt“.

20 DSM-5.

21 Das DSM-5 führt als Differentialdiagnosen, die teils mit den gleichen Symptomen einhergehen, u. a. auf: Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten, Intermittierende Explosible Störung, Spezifische Lernstörung, Beziehungsstörung mit Enthemmung, Angststörungen, Depressive Störungen, Disruptive Affektregulationsstörung, Persönlichkeitsstörungen, Medikamenteninduzierte ADHS-Symptome und Neurokognitive Störungen. Auch die Autismus-Spektrum-Störung wird als Differentialdiagnose genannt, wobei kein wechselseitiges Ausschließen der Diagnosen ADHS und ASS mehr postuliert wird.

22 Wie eingangs dargelegt, sieht das DSM-5 sowohl ein sog. „Gemischtes Erscheinungsbild“ der Störung vor, in welchem beide Kriterien, also Unaufmerksamkeit sowie Hyperaktivität/Impulsivität, erfüllt sind, als auch ein „Vorwiegend Unaufmerksames Erscheinungsbild“ und ein „Vorwiegend Hyperaktiv-Impulsives Erscheinungsbild“, in welchem jeweils nur das zugehörige Kriterium erfüllt wird. Um überhaupt eine Diagnose im Bereich der ADHS stellen zu können, ist also mindestens das Erfüllen eines Kriteriums notwendig.

23 DSM-5 (vgl. Anm.1), 80.

24 Der Vorstand der Bundesärztekammer, Stellungnahme „ADHS“ (Anm. 17).

25 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.

26 Krause, Johanna u. a., ADHS im Erwachsenenalter – Leitlinien auf der Basis eines Expertenkonsensus mit Unterstützung der DGPPN. Mitteilungen der DGPPN, in: Der Nervenarzt 10 (2003), 939-946.

27 Rösler et al., ADHS-Selbstbeurteilungsskala (ADHS-SB), in: Der Vorstand der Bundesärztekammer, Stellungnahme „ADHS“ (Anm. 17), 66f.

28 Ebd., Wer wollte etwa auf die Frage, ob er auch einmal unaufmerksam ist, schonmal Gegenstände verlegt oder sich ablenken lässt, mit einem klaren „Trifft bei mir nicht zu“ (statt „kommt gelegentlich vor“) antworten?

29 Der Vorstand der Bundesärztekammer, Stellungnahme „ADHS“ (Anm. 17), 68.

30 DSM-5.

31 Hauser, Tobias U. u. a., Role of the medial prefrontal cortex in impaired decision making in juvenile attention-deficit/hyperactivity disorder, in: JAMA Psychiatry 71. Jg. / Nr. 10 (2014), 1165-1173.

32 DSM-5.

33 Die Beispiele in der Literatur, wie Angehörige, Mitschüler oder Kollegen eines Patienten, der Medikinet erhält, durch Bestechen, Bedrohen, Kauf oder Diebstahl an die Tabletten geraten und sie selbst einnehmen, sind zahlreich.

34 Etwa: Konrad-Bindl, Doris Susanne, Führt Methylphenidat zu Wesensänderungen? Eine Literaturstudie. Dissertation, München 2016.

Ecclesiae et scientiae fideliter inserviens

Подняться наверх