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Freikirchlich organisierte Migrationskirchen

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In den letzten Jahrzehnten hat sich das Bild der christlichen Migration sehr verändert. Diese Veränderungen hängen mit den globalen Migrationsströmen zusammen. Mehr und mehr wird das Bild der christlichen Einwanderung in den mitteleuropäischen Raum durch Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Afrika, Asien und Lateinamerika geprägt. Mit ihnen ändert sich auch das Bild der christlichen Immigration. Die Migrantinnen und Migranten repräsentieren „Christentümer“ ihrer Herkunftskontexte, die sich zum Teil erheblich von den Mustern, die im lateinisch-kirchlich geprägten Europa entstanden und bekannt sind, unterscheiden.

Wenn man – nicht zuletzt aufgrund der spezifischen Struktur der katholischen Kirche – die Zahl der Missionen und der angeschlossenen katholischen muttersprachlichen Gemeinden noch recht genau angeben kann, so ist dies für die Zahl sogenannter neuerer postkonfessionell geprägter Migrationskirchen nur annäherungsweise möglich. Die Schätzungen für Deutschland bewegen sich in der Größenordnung um 1000 Gemeinden, die Schätzungen für die Schweiz gehen von 300 neueren Migrationskirchen aus. Diese können zum Teil sehr klein und unscheinbar sein; es gibt aber auch große Migrationskirchen, die jeden Sonntag mehrere Hundert Menschen versammeln.10

Das auffälligste Merkmal der neuen Christentümer in Europa dürfte darin bestehen, dass diese sich in der großen Mehrzahl durch pentekostale (pfingstliche) bzw. charismatische Prägung auszeichnen. Auch wenn diese „Pentekostalismen“ wiederum sehr unterschiedlich sind (man vergleiche nur pfingstliche Gemeinden russischer Provenienz mit solchen ghanaischer Herkunft), so lassen sich doch auch gemeinsame Merkmale beschreiben:

Verbunden mit einer freikirchlichen Organisationsweise bilden die Migrantinnen und Migranten ihre christlichen Gemeinden als „Migranten-Selbstorganisation“, während z.B. katholische Missionen als „Migranten-Organisationen“ noch für die katholischen Migrantinnen und Migranten errichtet wurden und auch durch kirchenrechtliche Bestimmungen definiert sind.

Daraus ergibt sich ein weitere Beobachtung: Für den kirchlichen ökumenischen Kontakt zu den neueren Migrationskirchen fehlen den „eingesessenen“ Kirchen noch die Routinen für den Dialog und die ökumenische Kooperation. Versuche einer (institutionellen) Vereinnahmung durch die Großkirchen werden allerdings von den neuen Migrationskirchen selbstbewusst abgelehnt. Das heißt nicht, dass Migrationskirchen keine institutionelle Annäherung suchen würden. Etliche evangelische Landeskirchen sehen sich beispielsweise durch den Wunsch mancher Migrationskirche herausgefordert, von der Landeskirche anerkannt zu werden oder gar einer Landeskirche beitreten zu können. Nicht zuletzt bringt auch die häufige Praxis von neueren Migrationskirchen, sich als „Untermieter“ in bestehenden Kirchengebäuden der Großkirchen zu versammeln, Berührungs- und Kontaktmöglichkeiten mit sich. In diesen Annäherungsprozessen sind beide Seiten gefordert. Die für alle Beteiligten anstehenden Veränderungen zeichnen sich erst langsam ab.

Ein typisches Unterscheidungsmerkmal zwischen vielen neueren Migrationskirchen und den deutschen „Mainline-Churches“ findet sich im Bereich der Spiritualität. Dabei geht es nicht nur um ein Mehr oder Weniger an Nüchternheit oder Emotionalität im Gottesdienst, es geht sehr fundamental um unterschiedliche kosmologische Konzeptionen des Christlichen. Hinter den sichtbaren unterschiedlichen „Stilen“ und „Ausdrucksformen“ der verschiedenen Christentümer stehen nicht zuletzt sehr unterschiedliche Vorstellungen von Gott und Welt, von Mächten und Dämonen, von Zeit und Raum, von „aufgeklärter“ und „religiöser“ Rationalität. Diese Unterschiede lassen es sinnvoll erscheinen, von „Christentümern“ zu sprechen. Was diese Christentümer überhaupt noch als „gemeinsamer Nenner“ verbindet, dürfte – mit Theodor Ahrens (vgl. Ahrens 2005, 213f) – wohl am ehesten im Bezug auf die Bibel bzw. die Jesus-Story bestehen. Dabei geschieht selbst die Art und Weise dieser Bezugnahme sehr unterschiedlich, was beispielsweise Werner Kahl anschaulich herausgearbeitet hat. (vgl. Kahl 2007)

Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft

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