Читать книгу wbg Weltgeschichte Bd. III - Группа авторов - Страница 16

Antike Grundlagen und mittelalterliche Weltkunde

Оглавление

Die Weltkunde der christlich-lateinischen wie der arabisch-islamischen Kulturen des Mittelalters basierte auf den kosmologischen und geographischen Kenntnissen der Griechen und Römer. Schon im Hellenismus galt die Geographie einerseits als eine praktisch-experimentelle Wissenschaft mathematischer Prägung, andererseits als ein geisteswissenschaftlicher Zweig im Kontext von Philosophie und Historiographie. Beide Stränge haben das Bild der Geographie in den nachfolgenden Zeiten geformt.

Die Oikumene

Nach aristotelisch-ptolemäischer Lehre ruhte mitten im Kosmos eine unbewegliche kugelförmige Erde, umgeben von konzentrisch angeordneten Sphären, zu denen die drei weiteren Elemente Wasser, Luft und Feuer, Sonne und Mond, die fünf bekannten Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn) sowie die Fixsterne (Sterne, Tierkreise) zählten. Es war Ziel spekulativ-wissenschaftlicher Ansätze, die Anzahl, Natur und Bewegungsprinzipien der Sphären, die den Mikrokosmos Mensch und dessen Handeln beeinflussten, zu ergründen und die Erdgröße wie die Verteilung der Landmassen zu erfassen. Mittels astronomischer Beobachtungen und mathematischer Berechnungen kalkulierte der griechische Gelehrte Eratosthenes (um 285–194 v. Chr.) den Erdumfang und kam zu dem Schluss, dass die bekannte Welt, die Oikumene, nur einen geringen Teil der gesamten Landfläche ausmachte. Der Stoiker Krates von Mallos (1. H. des 2. Jh. v. Chr.) übertrug die gekrümmte Erdoberfläche auf eine zweidimensionale Zeichenebene. Die Oikumene bildete einen von insgesamt vier kontinentalen Festlandblöcken, die jeweils durch zwei sich rechtwinklig schneidende Ozeangürtel getrennt waren. In diesem Konzept gaben die drei jenseits des allumfließenden Ozeans liegenden Festländer Anlass, um über deren Bewohnbarkeit zu spekulieren.

Ptolemaios

Gegenstand intensiver geodätischer Nachforschungen war die relationale Lage von Regionen und Siedlungen innerhalb der Oikumene. Das von Marinos von Tyros (1.–2. Jh. n. Chr.) entworfene Gittersystem von Breiten- und Längengraden bot eine Grundlage, die der Gelehrte Klaudius Ptolemaios (ca. 100–170 n. Chr.) in Alexandria weiterentwickelte, als er die geographischen Koordinaten von 6345 Örtlichkeiten, 1404 Völker- und Landschaftsnamen und 200 Länder- und Meeresbezeichnungen nach einem einheitlichen System bestimmte und in seinem »Handbuch der Geographie« festhielt. Das Werk mit theoretischen Ausführungen, Ortskatalog und Kartenatlas wurde in der arabischen Welt im 9. Jahrhundert, in Europa erneut vom 15. Jahrhundert an in einer lateinischen Übersetzung rezipiert.

Dreigliederung der bewohnten Welt

Seit Hekataios von Milet (um 560–480 v. Chr.) und Herodot von Halikarnassos (um 485–424 v. Chr.), beide Geographen und Geschichtsschreiber, verband sich die Weltbeschreibung auch mit Historiographie. Im Kontext ihrer Weltvorstellungen diskutierten sie etwa die Aufteilung der Oikumene in Asien, Afrika und Europa. Diese Dreigliederung der bewohnten Welt setzte sich letztlich gegen das hellenistisch-barbarische Zweier-Schema Europa und Asien durch. Zur Literarisierung der Geographie als beschreibender Länderkunde trug der griechischstämmige Staatsmann Polybios (um 200–120 v. Chr.) bei, der den zweiten Teil seiner Universalgeschichte nutzte, um die Leser mit der Topographie von Örtlichkeiten und Schauplätzen vertraut zu machen. Schließlich festigte Plinius der Ältere (um 23 v. Chr.–79 n. Chr.) in seiner im Mittelalter viel gelesenen naturkundlichen Enzyklopädie (»Naturalis historia«) die Dreiteilung dauerhaft, als er Don und Nil als die Grenzen Asiens gegenüber Europa und Afrika bezeichnete.

Gründe für die Raumerfassung

Das geographische Interesse der Römer galt weniger den theoretischen Überlegungen als der pragmatischen Anwendung. Ihre praxisorientierte Raumerfassung richtete sich nicht mehr auf die ganze Oikumene, sondern verstärkt auf kleine und mittlere Räume, also einzelne Regionen und Provinzen. Geodäsie und Kartographie konzentrierten sich vornehmlich auf die Verwaltung und Beherrschung des Imperium Romanum; dazu gehörte die Darstellung von Macht und Überlegenheit über ein Territorium ebenso wie die Vermessung der linearen Verbindungen zwischen Rom und seinen Neugründungen. Als Hilfsmittel eigneten sich dafür Straßenkarten (itinerarium), Küstenbeschreibungen (periplus), Katasterpläne, systematische Vermessungen von Stadt- und Bebauungsland und chorographische Schriften. So verfasste der romanisierte Spanier Pomponius Mela 43/44 n. Chr. die »De chorographia libri tres«, in denen er die Oikumene anhand einer Schifffahrt entlang der Küsten der drei bekannten Kontinente Europa, Afrika und Asien abhandelte, um die eigene Erfahrungswirklichkeit mit einer Auswertung älterer Quellen und der Beschreibung imaginärer Gegenwelten zu verbinden.

Die spätantiken Autoren lösten sich wieder von der praktischen Ausrichtung und wandten sich einem christlich-historiographischen Weltbild zu. Der Historiker und Theologe Paulus Orosius (um 385–418) verankerte etwa die Dreiteilung der Welt in seiner christlichen Weltgeschichte und damit langfristig in der lateinischen Gelehrtenwelt. Über ihn und andere Vermittler ging das antike Wissen in die Enzyklopädien, Universalchroniken und kartographischen Darstellungen des lateinisch geprägten christlichen Europa ein.

Zonenkarten

Aus dem antiken Erbe gingen mehrere Kartentypen hervor: Der erste Typ, die sogenannten Zonen- oder Macrobius-Karten, basierte auf der griechischen Lehre des Krates von Mallos, nach der sich vom Nord- bis zum Südpol fünf Erdzonen unterscheiden ließen. Die beiden mittleren Streifen gemäßigten Klimas nördlich und südlich des Äquators galten als bewohnbar, während man die drei Zonen der arktischen und antarktischen Kälte sowie der äquatorialen Hitze als nicht besiedelbar deutete. Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) schrieb diese Ansicht in »De re publica« fort, wenn der Tribun Scipio Aemilianus in einem Traum die Welt von außen beobachtet. Dabei erhält dieser von seinem Vorfahren Scipio dem Älteren nicht nur eine moralische Unterweisung in die künftige Amtsführung als Konsul, sondern vor allem Erklärungen zum Aufbau des Kosmos und zum Gefüge der Welt, um sich selbst in der Größe des Universums zu verorten. Später griffen etwa Strabon (um 63 v. Chr.–23 n. Chr.) als Verfasser der siebenbändigen »Geographiká« und der spätantike Gelehrte Ambrosius Theodosius Macrobius (Anfang 5. Jh.) in einem weit verbreiteten Kommentar zum Traum des Scipio das Modell auf. Die überwiegend genordeten, meist kleinformatigen Macrobius-Karten unterteilen deshalb die kugelförmige Erde schematisch in fünf Zonen. In den beiden Polarzonen und am Äquator unterstreichen kurze Textlegenden deren Unbewohnbarkeit wegen extremer Kälte oder Hitze, während die Umrisse der Oikumene häufig in die gemäßigte Zone der nördlichen Halbkugel skizziert sind und die Antipoden die entsprechende Zone südlich des äquatorialen Hitzeschilds bevölkern. Zonenkarten vermitteln zweckgebunden eine naturwissenschaftliche Vorstellung von der Struktur der Erdkugel.

Zweiter Grundtyp der christlich-lateinischen Kartographie sind die sogenannten TO-Karten. Die Einteilung der Oikumene in drei Kontinente zeigt das Bemühen, die kanonisierten biblischen Erzählungen mit den Erkenntnissen antiker Autoritäten in Einklang zu bringen. Der allumfließende Ozean umgibt in Form eines Kreises Asien, Europa und Afrika, die gemäß antiker Vorgaben im Verhältnis 2:1:1 zueinander stehen. In den überwiegend geosteten Karten sind die Kontinente durch das Mittelmeer als Schaft, durch Don und Nil als Querbalken des T voneinander abgetrennt. Ihnen werden die drei Söhne Noahs, von denen die 72 Völker des Alten Testaments abstammen sollen, zugeordnet: der Erstgeborene Sem dem größten Erdteil Asien, Ham Afrika und der jüngste Sohn Japhet Europa. Das Deutungsmodell spiegelt die heilsgeschichtliche Vorrangigkeit Asiens wider, in dessen Osten das Paradies mit Adam und Eva sowie die Quellen der vier Paradiesströme Ganges, Euphrat, Tigris und Nil vermutet wurden. Palästina bildet das Ende der Heilsgeschichte mit Tod, Auferstehung und Christi Himmelfahrt. Somit rückte das im äußersten Westen Asiens gelegene Heilige Land in das geographische Zentrum.

Sallust, Lucan, Isidor

Dieses Schema ließ sich beliebig modifizieren und je nach Interesse und Intention ausbauen. Die frühmittelalterlichen Exemplare stehen im engen Zusammenhang mit der Rezeption der Texte von Sallust (86–34 v. Chr.) und Lucan (39–65 n. Chr.) oder der Schriften Isidors von Sevilla (um 560–636), des bedeutendsten Vermittlers antiken Wissens im christlichen Europa. Die Sallust-Karten veranschaulichen den geographischen und ethnographischen Exkurs über Afrika, den der römische Geschichtsschreiber in seinen »De Bello Jugurthino« einfügte. Das Werk war im Mittelalter vor allem wegen der moralisierenden Darstellung der von Korruption und Verrat geprägten Geschichte um den von 112 bis 105 v. Chr. geführten Krieg gegen den numidischen König Jugurtha beliebt. In den beigegebenen TO-Karten füllen die im Text aufgeführten Regionen und Völker das afrikanische Viertel, während Asien und Europa außer Rom oder Jerusalem nur wenige Ortsnamen aufweisen. Die Sallust-Karten illustrieren also die erzählte Geschichte. Ähnliches gilt für Lucans Gedicht »Pharsalia« über den Krieg zwischen Caesar und Pompeius, in dem der kartographische Entwurf eine Passage über die Grenzen zwischen den Erdteilen begleitet. Innerhalb der enzyklopädischen Werke Isidors von Sevilla, den »Etymologien« und »Über die Natur«, veranschaulicht eine TO-Karte in zahlreichen Handschriften die Aufteilung der Welt unter den Nachkommen Noahs. Begleitende Diagramme zeigen häufig die vier Elemente, die Planeten, Jahreszeiten, Monate oder Windrichtungen. Nicht selten werden Diagramme und Karten in komplexen Formen miteinander kombiniert. Die TO-Zeichnung bildet dann das von den acht oder zwölf Windrichtungen sowie den Elementen mit ihren Eigenschaften (trocken, feucht, warm, kalt) umgebene Zentrum der sphärischen Weltordnung und verdeutlicht so das wechselseitige Verhältnis zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos.


TO-Karte in einem Frühdruck des Isidor von Sevilla (1472).

Göttliche Ordnung

Das TO-Prinzip liegt zahlreichen mittelalterlichen Karten zugrunde. Anpassungen an zeitgenössische Vorstellungen waren intentional. Die ovalen, rechteckigen oder runden Beatus-Karten des 10. bis 13. Jahrhunderts fügten der geosteten Oikumene einen vierten Kontinent in der südlichen Erdhälfte hinzu. Hemisphärische Weltkarten, wie etwa in der Wolfenbütteler Abschrift des »Liber floridus« Lamberts de Saint-Omer, ergänzten die Rückseite der Erde. Das Ziel lag nicht darin, eine maßstabgetreue Weltdarstellung oder realtopographische Orientierungshilfe zu geben, sondern die göttliche Ordnung in ihrer enzyklopädischen Fülle zu veranschaulichen. Ein solches Konzept konnte in jedem Format, also vom undifferenzierten TO-Schema bis zu den großformatigen Wandkarten von Hereford und Ebstorf, bildlich umgesetzt werden.

Wissen um die Kugelgestalt

Trotz der unperspektivischen Malweise, die die Oikumene als Scheibe zeigte, war die Kugelgestalt der Erde weder in der europäischen noch in der arabischen Wissenschaft in Frage gestellt. Die Zonenkarten setzten das Verständnis von der Kugelform sogar voraus. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Anschauung von der Erde als flacher Scheibe auf das vermeintlich „dunkle Mittelalter“ projiziert und behauptet, dass erst die Entdeckungsfahrten von Kolumbus sie widerlegt hätten. Nur wenige wie der byzantinische Kaufmann Kosmas Indikopleustes († um 540 n. Chr.), der die Oikumene als flaches Rechteck mit einem sich darüber wölbenden zeltartigen Himmel zeichnete, hatten sich vorher für alternative Erdformen ausgesprochen. Aber solche Meinungen blieben ohne großen Einfluss.

Arabisch-islamische Geographie

Auch die arabisch-islamische Geographie, die sich als Teilwissenschaft der Astronomie verstand, baute auf antikem Wissen auf; sie verortete die kugelförmige Erde inmitten der Sphären und die Oikumene in einem Weltenozean. Allerdings begann die Rezeption der griechischen Autoritäten früher als in Europa. Von großem wissenschaftlichem Gewicht waren die über Byzanz in den islamischen Kulturkreis gelangten Werke des Aristoteles, die »Elemente« des Mathematikers Euklid sowie der für die mathematische Astronomie grundlegende »Almagest« des Ptolemaios, also Schriften, die in Europa allesamt erst durch Übersetzungen des 12. Jahrhunderts Verbreitung fanden. Mit der Verlagerung der Kalifenresidenz von Damaskus nach Bagdad und der Ausbreitung des Islam nach Osten rückte zudem das persische und indische Erbe stärker in das Blickfeld, so dass die arabisch-islamischen Wissenschaften verschiedene kulturelle Einflüsse nutzen und fortentwickeln konnten. Die kishvar-Diagramme gehen etwa von der Vorstellung aus, die Welt sei in sieben Regionen eingeteilt. Um das Zentrum Persien gruppieren sich die jeweils als Kreis gestalteten übrigen sechs Regionen, also China und Indien im Osten, Nordafrika und Europa im Westen, Äthiopien einschließlich der Arabischen Halbinsel im Süden sowie die slawischen Länder im Norden. Prägender für die Kartographie war jedoch die seit Eratosthenes und Hipparchos von Nicäa (um 190–120 v. Chr.) propagierte Auffassung, dass die nördliche Erdhälfte in sieben Klimazonen unterteilt sei, das erste und wärmste Klima (arab. iklīm) am Äquator, das siebte am arktischen Kreis ganz im Norden. Astronomisch-geographische Traktate führten seit dem 8. Jahrhundert die nach der Tageslänge und dem Sonnenstand während des Äquinoktiums berechneten Klimata auf und ordneten ihnen jeweils Städte und Regionen zu.


Runde Weltkarte aus dem anonymen »Buch der Kuriositäten« (um 1020–1050) mit Umzeichnung.

In einigen späteren runden Weltkarten, sei es im »Buch der Kuriositäten« (um 1020–1050), bei Petrus Alfonsi (um 1110) oder bei al-Idrisi (um 1154), werden die sieben Klimazonen durch gerade oder gewölbte Linien über der Oikumene wiedergegeben. Ob sie schon ein Grundprinzip der frühesten arabisch-islamischen Karten waren und wie sie nach Europa kamen, lässt die dürftige Überlieferungslage allenfalls vermuten. Eine angeblich am Hof des Kalifen al-Ma’mun gefertigte Weltkarte war späteren Gelehrten zufolge das Ergebnis neuer Berechnungen zum Erdumfang, welche die ptolemäischen Koordinatenmessungen zu verbessern halfen. Trotz der Vertrautheit mit dessen Schriften und trotz der vielfach erhaltenen Städtelisten, deren Koordinatenangaben astronomischen Zwecken und der Festlegung der Gebetsrichtung nach Mekka dienten, wurde kaum der Versuch unternommen, die verfügbaren Daten zweidimensional zu projizieren. Die frühen Kartenentwürfe der Balchi-Schule zeigen vielmehr stark abstrakte geometrische Formen.

wbg Weltgeschichte Bd. III

Подняться наверх