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2.Historischer Exkurs: Bürokratischer Paternalismus und der Versuch einer Normierung des Willens
ОглавлениеDas Establishment der Sozialen Arbeit teilt also gegenüber der SRO und ihren Implikationen das Erstaunen Ferdinand des Gütigen (1793-1875) angesichts der revoltierenden Arbeiterschaft in Wien 1848: „Ja, dürfen‘s denn das?“, meinte der österreichische Kaiser naiv, als die Arbeiter/innen auf die Barrikaden stiegen. Sie dürfen nicht nur – sie wollen und tun.
Als im 18. Jahrhundert das politische Konstrukt einer „volonté générale“ – eines fiktiv allgemeinen Willens, der den Willen Einzelner bzw. sozialräumlicher Gruppen ex lege normieren soll und darf – seinen Siegeszug antrat, baute sich in dessen Schlagschatten eine Bürokratie auf, die sowohl dem Monarchen als auch dem – im noch unerfahrenen Parlamentarismus sich entwickelnder Demokratien – mächtigen Staat die Umsetzung der vorherrschenden Interessen ermöglichte. Soziale Arbeit entwickelte sich in und an den Bruchlinien dieser höchst divergenten und machtungleichen Interessen. Ihre Pionier/innen griffen insbesondere Gesundheit und soziale Absicherung der arbeitenden Bevölkerung „bottom up“ auf.
So waren es der notwendigerweise in manchen Phasen auch auf die „Straßen getragene“ manifeste Wille und die Wirkmacht der Betroffenen, die Normentwicklung und Normänderungen teils auf revolutionärem, teils auf demokratischem Wege erreichten. Parallel zu diesem Prozess progressiver Etablierung von Wohlfahrtsstaaten gingen der Parlamentarismus und die jungen Demokratien jedoch daran, Soziale Arbeit breitflächig zur Normanpassung in den sich entwickelnden Industriegesellschaften zu instrumentalisieren. Die dunkelsten Kapitel der Professionsgeschichte in Faschismen und Totalitarismen unterschiedlichster Provenienz legen grausames Zeugnis darüber ab.
Nach dem bösen Erwachen infolge von Diktatur und Weltkrieg konnten sich auch die Protagonisten der Sozialarbeit dem Sog des gesellschaftlichen Umbruchs der 1968er-Bewegung nicht entziehen – ja, trugen diesen vielerorts auch innovativ-radikal mit, wenn wir etwa an die Deinstitutionalisierung der 70er Jahre und den ersten Boom der Gemeinwesenarbeit denken.