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6.Sozialraumorientierung braucht, aber ist nicht Sozialmonitoring – „Fiant statisticae et pereat mundus!“
ОглавлениеWo der manifeste Wille sich eines sozialen Raums bemächtigt und diesen einnimmt, kommt es natürlich zu Konflikten in verschiedensten Formen. Diese Räume wurden historisch ja bereits quasi feudalistisch zugeteilt und – das Ausmaß der Überwachbarkeit im realen und virtuellen Raum spottet Orwells 1984 mittlerweile – werden von etablierten Stakeholdern behütet. Diese bedienen sich nach Möglichkeit und Zivilisierungsgrad in ihrem jeweiligen „struggle for existence“ mit dem Kampfruf „Unsere Studien belegen…“ mehr oder weniger profunder Ergebnisse der Sozialwissenschaften.
Auch in der – meist von der öffentlichen Hand direkt oder indirekt beauftragten – Forschung herrscht Angst davor, den manifesten Willen der Beforschten tatsächlich mit den Beforschten zu ergründen. Dies führt zu einem Habitus scheinwissenschaftlich quantitativ-objektiver Methodik, der eine sterile Distanz zum Forschungsobjekt herzustellen versucht. Fiant statisticae et pereat mundus – es mögen Statistiken erstellt werden, auch wenn die Welt untergeht. Eine passende Statistik erlaubt den politischen Obrigkeiten bisweilen ohne Rücksicht auf die sozialräumlichen Gegebenheiten, ihre Apriori-Entscheidungen zu objektivieren und zu legitimieren.
Sozialmonitoring anhand bestimmter Indikatoren kann jedoch als Basis für eine Planung in bestimmten Beobachtungsräumen durchaus dienlich sein, wenn es darum geht, die strukturellen Rahmungen und Benachteiligungen von Quartieren und Regionen statistisch zu belegen. Die Skepsis gegenüber derart gestalteten „objektiv-wissenschaftlichen“ Zugängen speist sich meist aus augenscheinlichen und fühlbaren Widersprüchen der „ge-/erfundenen“ Forschungsergebnisse und den Alltagsvollzügen der Adressat/innen in den Sozialräumen bzw. der Akzeptanz der anhand bestehender (wessen?) Normierungsaufträge vorgefertigten bzw. existierenden Angebote.
Als die FH Burgenland 2019 beauftragt wurde, die Situation von jungen Menschen zu beforschen, die von der gesetzlichen Ausbildungspflicht bis 18 erfasst werden, waren die Expert/innen aus der lokalen Sozialpädagogik und Sozialarbeit in der Präsentation der Zwischenergebnisse peinlich berührt, zu hören, dass diese Maßnahme zur Verhinderung von NEETs-Karrieren im Jugendalter (Not in Employment Education or Training) greift und die Anzahl dieser Klient/innen tatsächlich binnen kurzer Zeit drastisch gesunken ist. Wenn das Ziel der Ausbildung und beruflichen Integration gelingt, so ist dies fraglos ein persönlicher Erfolg in der Entwicklung eines jungen Menschen und gesamtgesellschaftlich ein bemerkenswerter sozialer Fortschritt. Natürlich bedeutet dies jedoch auch, dass sich mit der gesellschaftlichen evolutionären Weiterentwicklung die Angebote der Sozialen Arbeit weiterentwickeln müssen.
Salopp evolutionsbiologisch formuliert: 99% aller Spezies sind – die meisten auch ohne Zutun des Menschen – in der Evolution ausgestorben, warum sollte dies nicht auch für die diversen Spezies „Sozialer Problemlagen“ gelten? Wenn eine spezielle, als soziales Problem markierte Konstellation zu existieren aufhört, so bedroht dies zwar die konkrete Nische eines Dienstes und erfordert Anpassung. Aber es bedeutet nicht eo ipso das „Aussterben der Sozialen Arbeit“. Auch hier bedarf es einer Weiterentwicklung und einer evolutionären Anpassung der Leistungserbringer. Soziale Arbeit, die sich hinter einem pessimistischen Optimismus verbarrikadiert, steht dabei dem gesellschaftlichen Fortschritt im Weg: Es ist zwar alles heilbar, aber nichts ist heil (vgl. Marcuse 1994).