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4.Fiat voluntas tua – Dein Wille geschehe?
ОглавлениеV. a. das zentrale und oberste Prinzip der SRO („Am Willen des Klienten ansetzen“) erschüttert nach wie vor vielfach das Selbstverständnis der Praktiker/innen.
Die unlautere Verkürzung dieses Prinzips als unkritische Willfährigkeit gegenüber den Wünschen der Nutzer/innen (vgl. Fürst/Hinte 2017, S. 18) verkennt allerdings, dass sich der Wille eines Menschen permanent in seiner jeweiligen Existenz manifestiert. Und zwar je nach den Möglichkeiten, die dem Intellekt des Individuums im jeweils konkreten sozialräumlichen Arrangement, i. e. seiner „Welt“, zugänglich sind, also willkürlich im Sinne Arthur Schopenhauers (vgl. Schopenhauer 1996).
Ja, die Suche der Expert/innen nach diesem unter Wünschen nur scheinbar „verschütteten echten“ Willen der Leistungsberechtigten gestaltet sich nicht zuletzt deshalb so schwierig, weil er manifest vor den Augen ist, sich aber im gesellschaftlich-normativen Kontext häufig so nicht manifestieren soll.
Folgen wir dem – aus Schopenhauers Preisschrift „Über die Freiheit des Willens“ (Schopenhauer 1986) abgeleiteten – Diktum „Der Mensch kann zwar tun, was er will. Er kann jedoch nicht wollen, was er will“, sind gerade die sozialräumlichen Kontexte aufschlussreich hinsichtlich des individuellen Willens und dessen Objektivation in Reaktion auf die gegebenen Umstände.
Den Phänomenen eigensinniger lebensweltlicher Alltagsvollzüge und der Frage individueller Verantwortung begegnet die Soziale Arbeit in ihren verschiedensten Handlungsfeldern meist leider nach wie vor mit Interventionsprogrammen, deren Anspruch auf genuines User-Involvement und Respekt vor dem sich manifestierenden Willen nur ein Lippenbekenntnis bleibt.
Diese Haltung geißelt bereits der „Philosoph des Willens“ Arthur Schopenhauer als das Wesen von Unrecht eo ipso – i. e. „die Verneinung des fremden Willens zur stärkeren Bejahung des eigenen“ (vgl. Schopenhauer 1986). Ein wohlmeinender sozialarbeiterischer Zugang von „Ich höre Dir als Nutzerin Sozialer Arbeit zwar zu, aber ich weiß schon, was besser für Dich ist“ (vgl. Fürst/Hinte 2017, S.17) kann und muss in diesem Sinne auch als (professions)ethisches Unrecht inkriminiert werden. Die Praxis Sozialer Arbeit oszilliert notwendigerweise zwischen ihren Aufträgen „Normanpassung“ und „Normänderung“. Die damit einhergehende Versuchung der Professionist/ innen ist allemal, die selbstexplorierende Auseinandersetzung des/der Adressaten/Adressatin kommunikativ so zu steuern, ja im schlechtesten Fall zu manipulieren, dass ein latent vorausgesetztes Ziel tendenzieller Normanpassung (das in der eigenen bzw. organisationalen Routine einfacher zu erreichen und zu evaluieren ist als etwa fordernde Normänderungsprozesse im Sinne systemischer Inklusionsförderung) in der Klienten-Sozialarbeiter-Interaktion ein „It goes without saying!“ zu Lasten des Klientenwillens darstellt.
Dort, wo sozialarbeiterische und sozialpädagogische Expert/innenlogik auf die – zwar gerne postulierte – unabdingbare Freiheit des Willens jedes/ jeder einzelnen Nutzers/Nutzerin Sozialer Arbeit prallt, greift das vorgeschobene Konstrukt der „volonté général“ auf Subjekte und Gemeinwesen mit oktroyierten Lösungen mehr oder weniger ungeniert über.
In einer provokanten Hyperbel und analog zum launigen Diktum, dass die Politik doch das Volk auflösen und sich ein neues wählen möge: Wenn die Soziale Arbeit sich selbst ein vom Willen der Nutzer/innen weitgehend entkoppeltes Mandat gegeben hat/zuordnen hat lassen, tut eine Kurskorrektur entlang der Sozialraumorientierung not.