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1.Willensorientierung zwischen Theorie und Praxis
ОглавлениеIn der Theorie hat das Prinzip der Willensorientierung einen philosophischen Charakter (Raspel 2019, S. 67 ff.), es wirkt für Praktiker/innen faszinierend und es macht vielen Lust, mit dem Willen als „Ausdruck eigensinniger Individualität“ (Fehren/Hinte 2013, S. 14) zu arbeiten, denn „er führt oft zu den psychischen Kraftquellen des Menschen, aus denen er Energie und Würde schöpft“ (ebd). In der Praxis zeigt sich die Orientierung am Willen allerdings als äußerst anspruchsvoller Grundsatz. Die damit verbundene Haltung beschreibt Wolfgang Hinte wie folgt:
„Letztendlich geht es darum, wegzukommen von der auf die Klientin bzw. den Klienten bezogenen Haltung des ,Ich weiß, was gut ist und das tun wir jetzt‘ über das Eigentlich weiß ich schon, was für Dich gut ist, aber ich höre Dir erstmal zu‘ hin zum konsequenten ,Dein Wille wird ernst genommen – er ist mir nicht Befehl, aber ich will mich ihm mit meinen fachlichen und den leistungsgesetzlichen Möglichkeiten stellen‘.“ (Hinte 2019, S. 13/14).
Daran orientiert zu arbeiten, setzt in der Sozialen Arbeit zunächst eine Klärung darüber voraus, ob der Kontext der Zusammenarbeit zwischen Klient/innensystem und Helfer/innensystem im Bereich der Freiwilligkeit verortet ist oder ob es sich um eine Zusammenarbeit im Zwangskontext (etwa Kinderschutz) handelt. Im ersten Fall stellt sich die Frage, was Menschen wollen. Im zweiten Fall geht es um die Frage, ob Menschen bereit sind, zu kooperieren. Im ersten Fall können Klient/innen, wenn sie nicht mehr wollen, jederzeit aus der Zusammenarbeit aussteigen. Im zweiten Fall hat es Konsequenzen zur Folge, auch wenn sie das überhaupt nicht möchten. Ich konzentriere mich in diesem Beitrag auf den ersten Bereich: Orientierung am Willen im Kontext der Freiwilligkeit. Selbstverständlich haben Menschen auch im Zwangskontext einen Willen. Das die Zusammenarbeit begründende Anliegen ist allerdings die Abwendung der Gefährdung, etwa die Sicherung des Kindeswohls, und das unabhängig davon, welchen Willen die Betroffenen, etwa Eltern, Betreuer/innen oder wer auch immer gerade in anderen Angelegenheiten verfolgen. Klar ist, dass die am Willen orientierte Arbeit genau diese Trennschärfe braucht.
Für die am Willen orientierte Zusammenarbeit des Helfersystems mit dem Klient/innensystem ergibt sich daraus folgernd oft ein einleitender Schritt: Die Klärung der Falleinordnung bezogen auf potentielle Gefährdungslagen. Wird Fremd- oder Selbstgefährdung vermutet, ist sie vorhanden oder kann eine Gefährdung ausgeschlossen werden?
Im nächsten Schritt wird das Problem erfasst und gewürdigt. Hier zeigt sich wieder die Haltung: Probleme werden durch eine gute Beobachtung, gutes Zuhören ergründet und eingekreist. Die Fachkraft ist hier in der Rolle eines/einer Prozessbegleiters/Prozessbegleiterin und zu keiner Zeit in der Rolle des/der Experten/Expertin, der/die weiß, was „richtig“ ist und wo der Hase im Pfeffer liegt. Ausgehend von Problemlagen, dem häufigsten Anlass für das Auftreten Sozialer Arbeit1, ist die Willenserkundung im Grunde ein einfacher Perspektivenwechsel vom Problem hin zum Ziel, und zwar in drei Prozessschritten:
1.„Was genau ist das Problem?“ Und: „Habe ich Sie richtig verstanden, dass … Ihr Problem ist?“
2.„Stört Sie dieses Problem so sehr, dass SIE das ändern wollen?“
3.„Wie wäre es dann? Wie wäre es, wenn es geändert wäre? Was wäre dann anders?“
Dieser dreischrittige Prozess der Willenserkundung mündet in der Zielerarbeitung. Er wirkt sehr einfach und ist sehr wirkungsvoll. Manchen Fachkräften scheint der Prozess zu einfach zu sein. Meine Beobachtung ist, dass nicht selten eine etwas zu komplizierte Gesprächsführung angeboten wird, die hier und da im Chaos endet. Einfach ist es, aber nicht leicht!