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Lexikalische Störungen

Von Tanja Ulrich

1 Die ungestörte Wortschatzentwicklung

1.1 Mentales Lexikon

Die Aufgabe von Kindern im Wortschatzerwerb besteht nicht allein aus einem bloßen „Anhäufen“ neuer Wörter, vielmehr sind darüber hinaus vielfältige Prozesse der Ausdifferenzierung, Strukturierung und Vernetzung des vorhandenen Wortwissens von zentraler Bedeutung.

Das Wissen zu einem lexikalischen Eintrag setzt sich aus verschiedenen Facetten zusammen. So sind mit einem Eintrag vielfältige semantische, phonologische, morphologische, syntaktische, episodische, kontextuelle und emotionale Informationen verknüpft (Rothweiler / Meibauer 1999; Glück 2011a).

Lemma und Lexem Levelt (1989) unterscheidet in seinem Modell eines lexikalischen Eintrags zwischen einer Lemma- und einer Lexemebene. Das Lemma enthält neben den semantischen Informationen auch syntaktisches Wortwissen, z. B. über die Wortart, und wird im Sprachproduktionsprozess zuerst aktiviert. Anschließend wird das dazu passende Lexem abgerufen, das neben den Informationen über die phonologische Gestalt des Wortes auch morphologisches Wissen, z. B. zum Flexionsverhalten eines Eintrags, enthält.

Die getrennte Speicherung von Wortform- und Wortbedeutungsinformation lässt sich im Alltag gut über das Tip-of-the-tongue-Phänomen („Es liegt mir auf der Zunge.“) nachvollziehen: Wir wissen genau, was wir sagen möchten (= Lemma, semantische Repräsentation), können die entsprechende Wortform (= Lexem, phonologische Repräsentation) jedoch nicht abrufen.

Verbindungen zwischen den Einträgen Nicht nur die verschiedenen Aspekte des Wortwissens zu einem Eintrag sind miteinander verbunden, auch zwischen den Lexikoneinträgen bestehen zahlreiche Vernetzungen. Diese basieren auf semantischer Verwandtschaft von Wörtern (z. B. Ober- und Unterbegriffe, nebengeordnete Begriffe, Gegensätze), auf lautlicher Ähnlichkeit (z. B. gleicher Anlaut, Silbenanzahl, Betonungsmuster), auf syntaktischen oder morphologischen Beziehungen (z. B. Ableitungen vom gleichen Verbstamm bei verlaufen, zerlaufen, entlaufen) sowie assoziativen, thematischen, emotionalen, situativen Verknüpfungen.


Kannengieser, S. (2015): Sprachentwicklungsstörungen – Grundlagen, Diagnostik und Therapie. 3. Aufl. Elsevier, München

Netzwerk des mentalen Lexikons Aufgrund der vielfältigen Vernetzungen des lexikalischen Wissens entsteht ein komplexes Netzwerk an miteinander verbundenen und interagierenden Informationspunkten. Im Rahmen von konnektionistischen Modellen wird diese Netzwerkstruktur des mentalen Lexikons nachgebildet. Solche Netzwerkmodelle (Dell / O’Seaghdha 1991; Dell et al. 1999; Schwartz et al. 2006) nehmen in der Regel eine interaktive und parallele Verarbeitung an. Gespeichert sind die Informationen in sogenannten Knotenpunkten, die für den Wortabruf drei verschiedene Ebenen umfassen: die semantische Ebene, die lexikalische Ebene und die phonologische Ebene (Rupp 2013; Abb. 7). Zunächst werden die passenden semantischen Knotenpunkte zu einem Eintrag aktiviert. Jeder aktivierte Knoten „schickt“ nun Aktivierungsenergie an alle Knoten der nächsttieferen, lexikalischen Ebene, mit denen er verbunden ist. Werden dort auf diese Weise mehrere, semantisch ähnliche Kandidaten aktiviert, kann es zu einem „Wettstreit“ der Einträge kommen. Im günstigsten Fall erhält jedoch nur einer der lexikalischen Einträge das Höchstmaß an Aktivierung von den oberen Ebenen. Wird für diesen Knoten nun eine bestimmte Aktivierungsschwelle überschritten, führt dies zur Auswahl des Knotens, ähnlich dem Feuern einer Nervenzelle bei Überschreiten des Aktionspotentials. Im Anschluss aktiviert dieser Knoten alle phonologischen Segmentknoten, mit denen er verbunden ist, so dass die phonologische Gestalt des Wortes zusammengesetzt werden kann.


Abb. 7: Aktivierung von Wortbedeutung und Wortform im Netzwerkmodell des mentalen Lexikons

Wie Abbildung 7 verdeutlicht, erfolgt auch im konnektionistischen Modell der Wortabruf in einem zweistufigen Prozess nach der grundsätzlichen Reihenfolge: Wortbedeutung vor Wortform. Allerdings sind im Unterschied zu rein seriellen Modellen Rückaktivierungen von tieferen auf höhere Ebenen möglich. Dies bedeutet, dass die semantischen und die phonologischen Informationen in ständigem Austausch miteinander stehen und sich wechselseitig beeinflussen (Schwartz et al. 2006). Eine gute Vernetzung der unterschiedlichen Informationen zu einem Lexikoneintrag führt somit zu einer leichteren Aktivierungsausbereitung im Netzwerk und damit einem erleichterten Zugriff auf die Lexikoneinträge (Ulrich 2012; Rupp 2013).

Ausdifferenzierung und Vernetzung Der Erwerb neuer Wörter treibt die Strukturierung und Vernetzung des mentalen Lexikons in semantischer und phonologischer Sicht voran. Ein gut strukturiertes und vernetztes Lexikon ermöglicht wiederum eine leichtere Einbindung neuer Einträge in das vorhandene Netzwerk (Rothweiler 2001).

1.2 Zeitlicher Verlauf des Wortschatzerwerbs

1.2.1 Prälexikalische Phase

Vorläuferfähigkeiten Lange bevor Kinder um ihren ersten Geburtstag herum eigene Wörter produzieren, erwerben sie bereits vielfältige soziale, kognitive, sensorische und motorische Kompetenzen, die als „Vorläuferfähigkeiten“ für den Wortschatzerwerb angesehen werden (Zollinger 2010; Bruner 2008; Tomasello 2003; Szagun 2013). Die Entwicklungsphase vor der Produktion erster eigener Wörter, die sich in der Regel über das erste Lebensjahr eines Kindes erstreckt, wird daher auch als prälexikalische Phase bezeichnet (Kauschke 2000; Rothweiler 2001).

Routinen und Formate Über den Blickkontakt kann das Baby schon früh mit seinen Bezugspersonen in Kontakt treten. Wiederkehrende Interaktionssituationen, auch „Routinen“ oder „Formate“ (Bruner 2008) genannt, werden von den Eltern für den kommunikativen „Austausch“ mit ihren Babys genutzt. Sie greifen die vom Kind geäußerten Laute, Geräusche und nonverbalen Impulse auf und geben ihnen eine Bedeutung.

elterliches Sprachangebot Die Eltern passen dabei ihre Sprechweise intuitiv an die noch eingeschränkten Fähigkeiten ihres Kindes, Sprache wahrnehmen und verarbeiten zu können, an. Diese intuitive elterliche Didaktik (Papousek 2008; Clark 2009) ermöglicht es dem spracherwerbenden Kind, möglichst viele relevante Informationen aus dem Sprachinput zu ziehen. Zu Beginn der Sprachentwicklung ist die elterliche Sprechweise unter anderem durch eine übertriebene Sprechmelodie, eine erhöhte Sprechstimmlage, ein reduziertes Sprechtempo sowie viele Wiederholungen und Pausen gekennzeichnet („Ammensprache“ oder „Baby Talk“, Grimm 2012; Papousek 2008; Clark 2009). Die ausgeprägten prosodischen Merkmale der Ammensprache helfen dem Baby dabei, einzelne sprachliche Einheiten aus dem Sprachstrom zu isolieren. Zum Ende des ersten Lebensjahres rücken dann semantisch-lexikalische Merkmale besonders in den Fokus des elterlichen Sprachangebots. Neue Wörter werden innerhalb von Spiel- und Interaktionssituationen mehrfach wiederholt, semantische Charakteristika und Abgrenzungsmöglichkeiten zu anderen Einträgen versprachlicht (Clark 2009; Ulrich 2012).

vorsprachliche Konzepte Die zunehmende Fähigkeit eines Kindes, seine Aufmerksamkeit längere Zeit auf Objekte, Personen oder Handlungen richten zu können, sowie seine fortgeschrittenen motorischen Fertigkeiten ermöglichen es, Dinge und Personen ausführlich und mit allen Sinnen zu erkunden. Auf diese Art und Weise erwirbt das Kind vielfältiges Wissen über Dinge, Personen und Handlungen in seiner Umgebung und speichert dieses Wissen in Form von vorsprachlichen Konzepten ab. Konzepte dienen dazu, unsere Erfahrungen und unser Weltwissen zu strukturieren und stellen zu einem späteren Zeitpunkt „Füllungen“ für die Wortbedeutungen dar (Ulrich 2012).


Der sechs Monate alte Anton hat, lange bevor er das Wort „Ball“ zum ersten Mal selbst gebraucht, bereits vielfältige Erfahrungen mit diesem Gegenstand gemacht: Er hat Wissen über die wahrnehmbaren Merkmale des Balles (welche Form er hat, wie er sich anfühlt, riecht und schmeckt), ebenso wie über seine Funktionen (er kann ihn rollen, tippen und wegtreten) erworben (Aufbau vorsprachlicher Konzepte). Er weiß ebenfalls schon, dass der Ball weiterhin existiert, selbst wenn er aus seinem Blickfeld gerät (Objektpermanenz).

Die Objektpermanenz stellt eine wichtige kognitive Vorläuferfähigkeit für den Wortschatzerwerb dar (Zollinger 2010). Die Erkenntnis, dass ein Objekt weiterhin existiert, auch wenn es aus dem Bereich der eigenen Wahrnehmung verschwindet, ist Voraussetzung, um innere Repräsentationen von Objekten, Handlungen und Ereignissen aufbauen zu können (Dittmann 2006; Ulrich 2012).

gemeinsame Aufmerksamkeit Für die Bezugspersonen ergeben sich mit zunehmender Eigenaktivität ihres Kindes vielfältige Gelegenheiten, seinem Interesse zu folgen und einen „gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus“ herzustellen („joint attention“, Tomasello 2001, 2003; Akhtar / Tomasello 2000; Clark 2009).

Studien zeigen, dass die Fähigkeit von Eltern, dem Interesse ihres Kindes zu folgen, und so einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus herzustellen, positiv mit der Wortschatzentwicklung eines Kindes korreliert (Tomasello / Farrar 1986). Neigen Eltern hingegen dazu, die Aufmerksamkeit ihres Kindes direktiv auf bestimmte Dinge zu lenken, scheint dies eher einen hemmenden Einfluss auf die Wortschatzentwicklung zu haben (Akhtar et al. 1991).

Situationen der gemeinsamen Aufmerksamkeit ermöglichen es den Bezugspersonen somit, Dinge oder Handlungen, auf die sich das kindliche Interesse richtet, zu versprachlichen. Nur in solchen Situationen der gemeinsamen Aufmerksamkeit kann sich ab dem Alter von etwa neun Monaten die Fähigkeit des Kindes, einen triangulären Blickkontakt herzustellen, entwickeln (Kauschke 2000; Zollinger 2010).


„Als referentiellen oder triangulären Blickkontakt bezeichnet man die Fähigkeit des Kindes, seine Aufmerksamkeit zwischen einem Objekt und der Bezugsperson schweifen zu lassen und somit ein Dreieck zwischen sich, dem Referenten und der Person, die den Referenten benennt, herzustellen“ (Ulrich 2012, 38).

Triangulieren Über das Triangulieren kann das Kind somit entdecken, dass Wörter Symbole darstellen, mit denen auf etwas referiert werden kann, das in der Realität oder in der Vorstellung existiert.


Zum Ende des ersten Lebensjahres hin kann Anton seine Aufmerksamkeit zwischen der Mutter und dem Ball hin- und herschweifen lassen. So kann er beobachten, dass die Mutter in Spielsituationen mit dem Ball stets die Lautkette / bal / äußert und begreift, dass sich dieses Wort auf den Gegenstand des Balles bezieht (Triangulieren). Er erkennt, dass ein Wort ein Symbol „für etwas“ darstellt, das in der Realität existiert. Der Grundstein der Wortbedeutungsentwicklung ist gelegt.

nonverbale Referenzbezüge Erste Referenzbezüge werden von spracherwerbenden Kindern nichtsprachlich, insbesondere über Gestik, hergestellt. Über das Hinschauen, das Recken der Arme oder das Hinlangen mit dem ganzen Körper machen Babys deutlich, wofür sie sich gerade besonders interessieren. Wenig später lässt sich das Zeigen mit dem Zeigefinger als erste deiktische Geste beobachten (Bruner 2008). Diese wird nach und nach durch den Gebrauch des „da“ sprachlich begleitet. Nach einer Phase der parallelen Verwendung von nonverbalen und verbalen Referenzmitteln nimmt der Gebrauch von Gesten im zweiten Lebensjahr der Kinder ab und der referentielle Gebrauch von Wörtern zu (Kauschke 2000; Füssenich 2002; Bruner 2008).

Im produktiven Bereich erwirbt das Kind im ersten Lebensjahr die Fähigkeit, im Rahmen seiner noch eingeschränkten phonetisch-phonologischen Fähigkeiten willentlich erste einfache Lautketten hervorzubringen (Beitrag 1; Kauschke 2000).

Protowörter Einige Kinder produzieren ab dem Alter von ca. neun Monaten sogenannte „Protowörter“. Hierbei handelt es sich um Äußerungen mit einer konstanten phonetischen Form, die jedoch nicht der konventionell gebrauchten Wortform entspricht (Kauschke 2000). Zudem werden diese Protowörter ausschließlich in spezifischen Situationen geäußert, erfüllen somit noch nicht das Kriterium „echter“ referentieller Wörter (Kauschke 2000).

1.2.2 Phase der ersten 50 Wörter

Um den ersten Geburtstag herum produzieren die meisten Kinder ihre ersten eigenen Wörter (zwischen zehn und 17 Monaten, Bloom et al. 1993). Das Wortverstehen geht der Produktion voraus: Kinder erkennen ihren eigenen Namen bereits im Alter von sechs Monaten wieder und verstehen zwischen acht und zehn Monaten die ersten Wörter für Objekte und Personen (Hollich et al. 2000). Der Gebrauch der ersten Wörter spiegelt die unmittelbare Erfahrungswelt des Kindes wider. So finden sich in der Regel Bezeichnungen für die Bezugspersonen, für Nahrungsmittel und Spielzeug ebenso wie für relationale und personal-soziale Wörter. Letztere haben eine wichtige Funktion in wiederkehrenden sozialen Routinen, in die das Kind eingebunden ist (z. B. „hallo, tschüss“) bzw. erlauben es dem Kind, kommunikative Ziele mit Sprache zu erreichen (z. B. „nein, mehr, auch“, Tomasello 2003, Zollinger 2010).

Die lautliche Gestalt der ersten Wörter kann als phonologisch stark vereinfacht beschrieben werden. Neben Silbenreduplikationen („Mama, Wauwau, Popo“) finden sich vor allem einsilbige Wörter mit zunächst offenen und dann auch geschlossenen Silbenstrukturen („ja, nein, heiß, weg“, Elsen 1999; Beitrag 1). Die Mehrzahl der ersten Wörter ist noch stark an konkrete Situationen gebunden. Wörter werden somit noch nicht verwendet, um auf etwas zu verweisen, sondern um vorhandene Dinge oder Situationen mit Sprache zu begleiten (Ulrich 2012):

„Charakteristisch ist, dass diese Wörter der Bezugnahme auf etwas Anwesendes dienen. […] Dabei spricht das Kind weniger über etwas, vielmehr spricht es die Objekte an“ (Kannengieser 2015, 226).

Erst allmählich gelingt Kindern die Ablösung von diesem kontextgebundenen Gebrauch hin zu einem vorrangig referenziellen – symbolischen – Gebrauch von Wörtern.


„Von einem referentiellen Wort kann gesprochen werden, wenn das Kind eine konventionell festgelegte lexikalische Form als unabhängiges und flexibles Zeichen in unterschiedlichen Kontexten und mit einem festen inhaltlichen Bezug verwendet“ (Kauschke 2000, 11).

langsames Wortschatzwachstum Typischerweise wächst der kindliche Wortschatz in dieser Phase nur sehr langsam an: Im Schnitt werden etwa zwei bis vier neue Wörter pro Woche gelernt (Dromi 1999; Rothweiler 2001). Erst nach vier bis sechs Monaten ist der Wortschatzumfang des Kindes so weit angewachsen, dass es über einen produktiven Wortschatz von 50 verschiedenen Wörtern verfügt und etwa 200 verschiedene Wörter versteht (Klann-Delius 2008a). Mittlerweile hat es auch die Symbolfunktion von Wörtern vollständig entdeckt (Aitchison 1994; Dromi 1999). Diese Entwicklungsprozesse scheinen nun den Startpunkt für einen neuen Abschnitt innerhalb der Wortschatzentwicklung zu markieren.

1.2.3 Wortschatzspurt

Im Alter von etwa 18 Monaten verfügen die meisten Kinder über einen produktiven Wortschatz von 50 verschiedenen Wörtern (Menyuk et al. 1995). Nun wird das sehr langsame Lernen einzelner Wörter abgelöst von einer Phase des besonders raschen Wortschatzwachstums. Dieses sprunghafte Anwachsen des kindlichen Wortschatzes wird in der Literatur als Wortschatzspurt oder Wortschatzexplosion bezeichnet (Kauschke 2000; Rupp 2013). Während bei einigen Kindern tatsächlich eine regelrechte Explosion des Wortschatzes in Form eines exponentiellen Anstiegs des Wortschatzumfangs zu beobachten ist, verläuft diese Entwicklung bei anderen Kindern eher linear oder treppenförmig (Kauschke 2000, 2015). Gemeinsam sind allen Kindern in dieser Phase jedoch die Schnelligkeit sowie die Mühelosigkeit des Erwerbs. Wie „lexikalische Staubsauger“(Pinker 1994, 151) saugen die Kinder neue Wörter geradezu auf und speichern diese nach nur einbis zweimaligem Hören in ihrem Lexikon ab (Ulrich 2012; Motsch et al. 2016). Dabei erreichen sie Zuwachsraten von bis zu zehn neuen Wörtern pro Tag (Clark 2009).

fast mapping Der Mechanismus, der dies ermöglicht, wird als fast mapping („schnelles Abbilden“) bezeichnet (Rothweiler 2001; Ulrich 2012; Rupp 2013; Kannengieser 2015): Nach nur ein- bis zweimaligem Hören eines Wortes wird die Wortform einem Referenten, einer Handlung o. Ä. zugeordnet und ein erster Lexikoneintrag abgespeichert. Hierzu stellt das Kind eine noch unvollständige, grobe Hypothese über die Bedeutung des Wortes auf und speichert zunächst rudimentäre Informationen über die lautliche Gestalt des Wortes. Dieser erste Eintrag ermöglicht es dem Kind, dieses Wort nun wiederzuerkennen, wenn es von den Bezugspersonen verwendet wird. Mit jeder weiteren Präsentation des Wortes im Sprachinput kann es seine erste Hypothese über die Wortbedeutung überarbeiten sowie immer genauere Informationen über die phonologische Wortform abspeichern. Der unmittelbaren, schnellen Speicherung einer vorläufigen „Arbeitshypothese“ folgt somit eine deutlich länger dauernde Phase der allmählichen Ausdifferenzierung von Wortbedeutung und Wortform, die auch als „slow mapping“ bezeichnet wird (Rupp 2013).


Fast mapping – slow mapping: In der Vorweihnachtszeit entdeckt Anton beim Einkaufen einen Schokoladen-Nikolaus. Fragend wendet er sich an seine Mutter, die den Gegenstand als „Nikolaus“ benennt. Anton speichert eine erste Hypothese über die Wortbedeutung (bunte Süßigkeit in Form eines älteren Mannes, die es beim Einkaufen gibt) sowie einige basale Informationen zur Klanggestalt (z. B. die Silbenanzahl und ihre Betonung, / ‘_ _ _ / ) ab. Diese erste „Arbeitshypothese“ ermöglicht Anton das Wiedererkennen des Wortes.

Einige Tage später betrachtet Anton mit seinem Opa ein Bilderbuch, in dem der Opa einen Mann als „Nikolaus“ bezeichnet. Anton muss nun seine Hypothese über die Wortbedeutung überarbeiten: Offenbar werden nicht nur Süßigkeiten, sondern auch ältere Männer in Bilderbüchern „Nikolaus“ genannt. Da der Opa das Wort beim Vorlesen mehrfach nennt, kann Anton auch seine phonologische Wortform ausdifferenzieren: aus / ‘_ _ _ / wird / ‘laus / . Nun kann Anton das Wort bereits selbst produzieren.

In weiteren Begegnungen mit Nikoläusen jeglicher Art kann Anton nun allmählich seine Hypothese über die Bedeutung des Wortes immer mehr der konventionellen, erwachsenensprachlichen Bedeutung anpassen. Auch die phonologische Wortform wird kontinuierlich überarbeitet, bis sie schließlich dem zielsprachlichen / ‘nikolaus / entspricht.

Ausdifferenzierung der Wortbedeutung In diesem Beispiel wird deutlich, dass es im Prozess der Ausdifferenzierung der Wortbedeutungen zu Über- und Unterdehnungen des Referenzbereichs kommen kann. Unterdehnungen (auch: Untergeneralisierungen, Überspezifizierungen, Rupp 2013) stellen recht häufige Phänomene im Rahmen des frühen Wortschatzerwerbs dar (Dromi 1999). Sie zeigen, dass das Kind den Referenzbereich zu eng fasst, also z. B. nur den speziellen Schoko-Nikolaus als „Nikolaus“ bezeichnet, andere Schoko-Nikoläuse, Abbildungen von Nikoläusen in Büchern oder als Nikoläuse verkleidete Menschen hingegen nicht. Überdehnungen (auch: Übergeneralisierungen, Unterspezifizierungen, Rupp 2013) stellen das Gegenteil dar. Sollte Anton z. B. nun die Hypothese aufstellen, dass alle älteren Männer mit Bart „Nikolaus“ heißen, würde dies den Referenzbereich zu weit fassen. Beide Prozesse lassen sich als Annäherungsprozesse an die konventionelle, sprachgebundene Bedeutung eines Wortes beschreiben und werden von Kindern im physiologischen Erwerb meist bis zu einem Alter von 30 Monaten überwunden (Clark 2009).

Kritischer Exkurs: Die Frage danach, wie Kinder es überhaupt schaffen, so blitzschnell die Zuordnung einer Wortform zu einem bestimmten Referenten zu leisten, wurde in der Vergangenheit oftmals über die Annahme angeborener Erwerbsbeschränkungen, sogenannter „constraints“ oder „assumptions“, beantwortet (Markman 1993; Clark 2009). Hierbei handelt es sich um kognitive oder lexikalische Vorannahmen, die den Kreis der möglichen Referenten zu einer Wortform einschränken und dem Kind dabei helfen, eine Wortform möglichst rasch einem Referenten zuzuordnen sowie eine Hypothese über die Wortbedeutung aufzustellen (Rothweiler 2001; Ulrich 2012). So führt das „whole object constraint“ (Markman 1993) dazu, dass Kinder neue Wörter für Objektwörter auf das gesamte Objekt beziehen und nicht nur auf einzelne Teile davon. Anton würde daher ausschließen, dass mit „Nikolaus“ allein das bunte Papier der Süßigkeit gemeint sei. Die „mutual exclusivity assumption“ besagt, dass jeder Referent nur einen einzigen Namen haben kann, so dass verschiedene Bezeichnungen für den gleichen Referenten ausgeschlossen werden. Ein umfassender Überblick über die unterschiedlichen constraints sowie ihre teilweise experimentell nachgewiesene psychologische Realität findet sich bei Rothweiler (2001). Rothweiler (2001) weist jedoch darauf hin, dass die These, bei den constraints handele es sich um angeborene, a priori zur Verfügung stehende Mechanismen, empirisch nicht haltbar sei. Vielmehr geht sie davon aus, dass Erwerbsbeschränkungen erst im Zuge fortgeschrittener kognitiver und sprachlicher Entwicklung des Kindes als aktive Strategien entdeckt und eingesetzt werden (Dromi 1999; Clark 2009). Ein vollkommener Widerspruch gegen die Annahme kognitiver oder sprachlicher Vorannahmen kommt seitens sozial-pragmatischer Erwerbstheorien wie dem gebrauchsbasierten Ansatz (Tomasello 2001, 2003; Bruner 2008; Bloom 1993). Ihrer Ansicht nach reichen die Informationen, die ein Kind aus der Interaktionssituation mit seinen Bezugspersonen ziehen kann, vollkommen aus, um eindeutige referentielle Bezüge herstellen zu können. Hilfreich sind hierfür z. B. der gemeinsame Aufmerksamkeitsfokus sowie die Fähigkeit des Kindes, die Absichten und Intentionen seiner Bezugspersonen verstehen zu können („intention reading“, Tomasello 2001; 2003). Das Emergenzmodell (Emergentist Coalition Cue Model, Hirsh-Pasek et al. 2000) versucht, diese beiden konkurrierenden Sichtweisen in ein gemeinsames Modell zu integrieren (Klann-Delius 2008a). Die zentrale Annahme ist, dass Kinder im lexikalischen Erwerb von einem Bündel unterschiedlicher Hinweisreize Gebrauch machen, um sich die Bedeutung neuer Wörter zu erschließen („coalition of cues“, Hirsh-Pasek et al. 2000). Zu verschiedenen Zeitpunkten des lexikalischen Erwerbs spielen die Hinweisreize eine unterschiedlich wichtige Rolle. So orientieren sich Kinder zu Beginn des Wortschatzerwerbs vor allem an der perzeptuellen Auffälligkeit des Referenten, an der prosodischen Struktur des Sprachinputs sowie der zeitlichen Nähe der Präsentation von Referent und Benennung, während zu einem späteren Zeitpunkt die Informationen aus dem sozialen Kontext, die Blickrichtung des Gesprächspartners sowie grammatische Hinweise genutzt und interpretiert werden.

phonologische Schleife des Arbeitsgedächtnisses Im zuvor genannten Beispiel wird zudem deutlich, dass die komplexe Aufgabe der allmählichen Ausdifferenzierung der phonologischen Wortformen einen stetigen Einbezug der phonologischen Schleife des Arbeitsgedächtnisses erfordert.

So muss Anton das Wort „Nikolaus“, das er von seinen Bezugspersonen hört, in der phonologischen Schleife des Arbeitsgedächtnisses aufrecht halten. Gleichzeitig muss er in seinem mentalen Lexikon den bereits abgelegten Eintrag suchen und dessen aktuell gespeicherte phonologische Wortform aktivieren (z. B. / laus / ). Nun kann er beide Wortformen miteinander vergleichen und feststellen, an welcher Stelle sie sich voneinander unterscheiden, so dass er seinen aktuellen Eintrag überarbeiten und in veränderter Form abspeichern kann (z. B. zu / kolaus / ).

Die phonologische Schleife des Arbeitsgedächtnisses spielt somit eine zentrale Rolle für den Wortschatzerwerb. Sie ist für das Verstehen von Wörtern notwendig und sie ist grundlegend für den Erwerb neuer Wörter sowie die allmähliche Ausdifferenzierung phonologischer Wortformen (Baddeley et al. 1998; Rothweiler 2001):

„Nur auf der Basis einer adäquaten, temporären phonologischen Speicherung im Arbeitsgedächtnis gelingt die Konstruktion eines stabilen Wortformeintrags“ (Rothweiler 2001, 68).

Differenzierte phonologische Repräsentationen können somit nur dann aufgebaut werden, wenn die phonologische Wortform ausreichend lang in der phonologischen Schleife gehalten werden kann, um die Lautstruktur zu analysieren und reihenfolgengenau im Langzeitgedächtnis abzuspeichern. Vor allem im frühen Wortschatzererb zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Speicherkapazität des phonologischen Kurzzeitgedächtnisses und dem Umfang des produktiven Wortschatzes (Adams / Gathercole 1995). Ab dem Vorschul- und Grundschulalter trägt dann auch der Umfang des bereits vorhandenen lexikalischen Wissens dazu bei, den Lernprozess für neue Wörter zu erleichtern (Gathercole et al. 1997). Über die phonologische Schleife hinaus ist die phonologische Informationsverarbeitung noch in weiterer Hinsicht am Wortschatzerwerb beteiligt. So ermöglichen es die Fortschritte des Kindes bei der Ausdifferenzierung seines phonologischen Systems und der Überwindung phonologischer Prozesse, immer zielgenauere phonologische Repräsentationen abzuspeichern (Beitrag 1). Auch die Konsequenz, mit der die Kinder ein und dasselbe Wort mit der gleichen Wortform realisieren, nimmt im Zuge dessen zu (Fox-Boyer / Schäfer 2015). Zunehmende Fähigkeiten der phonologischen Bewusstheit ermöglichen es, immer kleinere Einheiten der phonologischen Wortformen in den Blick zu nehmen, zu segmentieren und zu analysieren (Schäfer 2014). Die Zugriffsgeschwindigkeit auf phonologische Informationen schließlich scheint eine Rolle bei der Automatisierung von Wortabrufprozessen zu spielen (Glück 2010; Beier / Siegmüller 2013).

individuelle Variabilität Schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt zeigt sich eine erhebliche individuelle Variabilität bezüglich des Lexikonumfangs. So ermittelten Bates et al. (1994) in einer englischsprachigen Studie an 1803 Kindern einen durchschnittlichen Wortschatzumfang eines 24 Monate alten Kindes von 311 Wörtern, die Bandbreite lag jedoch zwischen 57 Wörtern bei den unteren 10 % aller Kinder und 534 Wörtern bei den oberen 10 % der Zweijährigen. Deutschsprachige Untersuchungen fanden einen Mittelwert von 214 Wörtern im Alter von 24 Monaten bei einer Spanne von vier bis 458 Wörtern (Szagun et al. 2009; von Suchodoletz 2010; Kauschke 2012).


Übereinstimmend hat man sich in der Fachliteratur darauf geeinigt, Kinder, die im Alter von 24 Monaten weniger als 50 Wörter produktiv verwenden oder keine Zweiwortkombinationen bilden, als Late Talker zu bezeichnen (Kap. 2).

Hinsichtlich der Wortartenverteilung im kindlichen Lexikon überwiegen im ersten Lebensjahr Objektwörter (Nomen) sowie personal-soziale Wörter. Im zweiten und dritten Lebensjahr wächst der Verbwortschatz deutlich an, bevor gegen Ende des dritten Lebensjahres auch immer mehr Funktionswörter hinzukommen (Kauschke 2015).

1.2.4 Ausbau und Strukturierung im Vorschul- und Schulalter

Im Vorschul- und Schulalter setzt sich der rasche Ausbau des Wortschatzumfangs weiter fort. Rice / Hoffman (2015) konnten dokumentieren, dass sich dieser rasante Zuwachs des Wortschatzes erst im Alter von zwölf Jahren signifikant verlangsamt. Der rezeptive Wortschatzumfang eines Schulanfängers wird auf etwa 9.000 bis 14.0000 Wörter geschätzt (Clark 1993; Pinker 1994) – in jedem Schuljahr kommen etwa 3000 neue Wörter hinzu (Anglin 2005; Nippold 2007). Hierzu gehören nun auch immer mehr bildungssprachliche Ausdrücke, Abstrakta, Fachtermini und Fremdwörter (Glück / Spreer 2015). Um sich die Bedeutung von neuen Wörtern erschließen zu können, bedienen sich Kinder aktiver Erwerbsstrategien wie dem Nachfragen (Ulrich 2012; Rupp 2013; Motsch et al. 2016).

kreative Wortbildungsprozesse Fortschritte in der morphologisch-syntaktischen Entwicklung ermöglichen es, aus der grammatischen Struktur von Äußerungen Hinweise auf Wortbedeutungen zu ziehen (syntaktisches bootstrapping, z. B. Nippold 2007; Rupp 2013). Zudem können kreative Wortbildungsprozesse wie Komposition und Derivation genutzt werden, um aus vorhandenen Wörtern neue Wörter zu „erschaffen“ und so Lücken im Lexikon zu überbrücken (Kauschke 2000, 2015; Rothweiler / Kauschke 2007). Komplexe Wörter, die aus mehreren Morphemen zusammengesetzt sind, können in ihre einzelnen Bestandteile zergliedert und so besser analysiert werden (Rothweiler 2001). Durch die immer stärkere Ablösung der Wortbedeutung von konkreten Situationen verstehen Kinder ab dem Schulalter nun auch metaphorische oder übertragene Bedeutungen, Ironie und Pointen von Witzen (Kauschke 2000). Für das Wortlernen verliert das konkrete Handeln in Interaktionskontexten immer mehr an Bedeutung; stattdessen werden zunehmend Beobachtungen sowie Gespräche mit Eltern, Lehrern oder Gleichaltrigen für das Wortlernen genutzt (Anglin 2005; Marks 2017).

Auch die zunehmenden schriftsprachlichen Fertigkeiten der Kinder unterstützen den raschen Ausbau des kindlichen Wortschatzes. Spätestens ab dem Alter von acht Jahren wird das Lesen für viele Kinder zu der primären Quelle der Wortschatzerweiterung (Anglin 2005). Mithilfe des Lesens eignen sich Kinder insbesondere über die Alltagssprache hinausgehende, bildungssprachliche Ausdrücke sowie eine Vielzahl von fachspezifischen Begriffen an (Glück / Spreer 2015; auch Nippold 2007; Vadasy / Nelson 2012).

Umstrukturierung des Lexikons Mit der Zunahme des Lexikonumfangs steigt die Notwendigkeit, vorhandene Einträge zu organisieren und zu strukturieren. Während im Lexikon jüngerer Kinder in erster Linie thematische Gliederungsstrukturen dominieren, gewinnen ab dem Vorschulalter kategoriale Aspekte bei der Organisation des Lexikons eine immer größere Bedeutung.

Thematisches – kategoriales Sortieren: Anton, drei Jahre alt, sortiert Bildkarten nach thematischer Zugehörigkeit: Hund, Katze, Futternapf gehören für ihn zusammen. Sein älterer Bruder Lasse, sechs Jahre alt, legt nur die Bildkarten von Hund und Katze zusammen („Das sind beides Tiere.“).

Diese Umstrukturierung in Richtung einer hierarchischen Organisation vor allem des Nomenwortschatzes wird als „syntagmatic-paradigmatic shift“ oder „thematic-taxonomic shift“ bezeichnet (Glück 2010; Ulrich 2012). Bis in das Erwachsenenalter hinein behalten thematische Gliederungsstrukturen aber dennoch eine wichtige Funktion für die Speicherung, Verknüpfung und den Abruf von Wörtern.

1.3 Voraussetzungen für erfolgreiches Einspeichern und Abrufen von Wörtern

Wie in Kapitel 1.2 beschrieben, ermöglicht das Zusammenwirken einer Reihe von Faktoren im ungestörten Spracherwerb eine sichere Einspeicherung der Lexikoneinträge (Abb. 8).

Abb. 8: Faktoren für das erfolgreiche Einspeichern von Wörtern

Je differenzierter und facettenreicher das Wissen zu einem Wort ist und je mehr Verknüpfungen zu anderen, bereits vorhandenen Einträgen hergestellt werden können, umso tiefer wird dieses Wort im Netzwerk des mentalen Lexikons gespeichert. Der regelmäßige Gebrauch eines Wortes führt sowohl zu einer vertieften Einspeicherung als auch zu einer erhöhten Abrufstärke dieses Eintrags (Dannenbauer 1997; Nippold 2007).


Die Erhöhung der Verwendungshäufigkeit eines Wortes führt sowohl zu einer tieferen Einspeicherung als auch zu einem verbesserten Zugriff auf dieses Wort.

Abrufkapazität Die Abrufkapazität eines Wortes kann zudem von einer Reihe weiterer Faktoren beeinflusst werden (Nippold 2007). Hierzu gehört die Frage danach, ob externe oder eigens generierte Hinweisreize vorhanden sind, um eine ausreichende Aktivierung des Eintrags zu erreichen (Kap. 1.1). Erhalten mehrere ähnliche Einträge ein vergleichbar hohes Maß an Aktivierung, kann dieser „Wettstreit“ der Einträge den Abruf des Zielwortes beeinträchtigen. Zudem spielt der Zeitpunkt des Erwerbs eine Rolle: Während früh gelernte Wörter in der Regel häufiger gebraucht wurden, dadurch tiefer eingespeichert und leichter abrufbar sind, fällt der Abruf von neu gelerntem Gedächtnismaterial oftmals aufgrund der noch „frischen“ Gedächtnisspuren leichter (Ulrich 2012). Intrinsische Motivation und Interesse, emotionaler Druck und Stress gehören zu externen Einflussfaktoren auf den Wort abruf (Dannenbauer 1997; Ulrich 2012). Jedoch auch die Beschaffenheit des Wortmaterials selbst kann den Abruf erleichtern oder erschweren. Bei der Auswahl von exemplarischem Wortmaterial können folgende Einflussfaktoren auf den Wortabruf berücksichtigt / kontrolliert werden:

■ Wortfrequenz,

■ Erwerbsalter,

■ Anzahl phonologisch ähnlicher Wörter (= phonologische Nachbarschaftsdichte),

■ Frequenz der phonologischen Nachbarn,

■ phonotaktische Regularität der Lautstruktur,

■ Wortlänge,

■ Konkretheit,

■ Vertrautheit,

■ Regularität des Betonungsmusters.


Beier J., Siegmüller, J. (2013): Kindliche Wortfindungsstörungen. In: Ringmann, S., Siegmüller, J. (Hrsg.), 79-102

Dannenbauer, F. M. (1997): Mentales Lexikon und Wortfindungsprobleme bei

Kindern. Die Sprachheilarbeit 42 (1), 4-21

Glück, C. W. (2010): Kindliche Wortfindungsstörungen. Ein Bericht des aktuellen Erkenntnisstandes zu Grundlagen, Diagnostik und Therapie. 4. Aufl. Peter Lang, Bern

Siegmüller, J. (2005): Einflüsse von Frequenz und Erwerbsalter auf das Benennen bei Kindern mit Wortfindungsstörungen. Logos Interdisziplinär 13 (1), 15-20

Ulrich, T. (2012): Effektivität lexikalischer Strategietherapie im Vorschulalter. Eine randomisierte und kontrollierte Interventionsstudie. Shaker, Aachen

Abrufqualität Die Abrufqualität setzt sich zusammen aus den Komponenten der Abrufgenauigkeit und der Abrufgeschwindigkeit. Für die allmähliche Zunahme beider Komponenten im Rahmen des Spracherwerbs wird der zunehmende Einsatz von Speicher- und Abrufstrategien verantwortlich gemacht (Glück 2010; Ulrich 2012):

■ Speicherstrategien: z. B.

– Memorieren: mehrfaches Vorsprechen (laut oder leise, rehearsal), mehrfaches Hören / Aufschreiben / Lesen des Wortes,

– Elaborieren: Verknüpfen mit bereits vorhandenem Wissen im Netzwerk, Ausdifferenzieren der Einträge (z. B. Eselsbrücken, Suche nach ähnlichen Wörtern, Suche nach passendem Satzrahmen),

– Segmentieren: umfangreiche Informationen zu kleinen „Päckchen“ schnüren (z. B. Gruppieren von Elementen, Rhythmisieren, silbisches Sprechen);

■ Abrufstrategien: z. B.

– Self-Priming / Self-Cueing: Generieren eigener Hinweisreize durch Erinnern sämtlicher verfügbarer Information zu dem lexikalischen Eintrag (z. B. semantische Eigenschaften, Anlaut, Betonungsstruktur, Silbenanzahl, Lernkontext) mit dem Ziel, sich selbst zu deblockieren.

Abschließend soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass die soeben vorgenommene Trennung in Speicherung und Abruf vorrangig theoretischer Natur ist. De facto sind Speicher- und Abrufprozesse eng miteinander verbunden und wirken wechselseitig aufeinander ein; nach konnektionistischer Vorstellung existieren überhaupt keine getrennten Verarbeitungsebenen für Speicherung und Abruf (Rothweiler 2001; Ulrich 2012).


Kannengieser, S. (2015): Sprachentwicklungsstörungen – Grundlagen, Diagnostik und Therapie. 3. Aufl. Elsevier, München

Kauschke, C. (2015): Frühe Entwicklung lexikalischer und grammatischer Fähigkeiten. In: Sachse, S. (Hrsg.), 3-14

Rupp, S. (2013): Semantisch-lexikalische Störungen bei Kindern. Sprachentwicklung: Blickrichtung Wortschatz. Springer, Berlin / Heidelberg

Zusammenfassung

Der Wortschatzerwerb stellt eine lebenslange Lernaufgabe dar. Einträge im mentalen Lexikon werden als Bündel miteinander vernetzter Informationen verstanden, die vielfältig mit anderen Einträgen verbunden sind. Ab dem Kleinkindalter besitzen Kinder die Fähigkeit, blitzschnell einen ersten Eintrag für neue Wörter abzuspeichern. Prozesse der Ausdifferenzierung von Wortform- und -bedeutungsinformation benötigen jedoch deutlich mehr Zeit.

Sprachtherapie mit Kindern

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