Читать книгу Sprachtherapie mit Kindern - Группа авторов - Страница 14

Оглавление

3 Diagnostik

Die sprachtherapeutische Diagnostik lexikalischer Störungen zielt auf die Beantwortung folgender Fragen (Abb. 9):

1. Liegt eine therapiebedürftige lexikalische Störung vor (Abklären der Therapieindikation)?

2. Wie lässt sich diese lexikalische Störung beschreiben? (Störungsschwerpunkt bestimmen)

3. Welche konkreten Implikationen ergeben sich für die Planung der Therapie? (Störungsspezifische Therapieplanung)

Abb. 9: Sprachdiagnostik bei lexikalischen Störungen

Im Folgenden wird dargestellt, wie im sprachdiagnostischen Prozess Antworten auf diese Fragen gefunden werden können.

Abklären der Therapieindikation Aufgrund der extrem hohen individuellen Variabilität des Wortschatzes ist es nahezu unmöglich, eine verlässliche subjektive Einschätzung hinsichtlich der Angemessenheit von Wortschatzumfang und -komposition zu treffen. Zwar lassen sich aus der Spontansprache des Kindes sehr wohl erste Hinweise auf lexikalische Defizite sammeln und erkennen (Kap. 2). Gerade im schulischen Kontext stellt die Beobachtung des Verhaltens sowie die Analyse der Spontansprache in der Regel den ersten Schritt dar, um auf potenziell lexikalisch auffällige Schüler überhaupt erst aufmerksam zu werden. Besteht in der Sprachdiagnostik im schulischen oder im therapeutischen Bereich nun aufgrund erster Beobachtungen der Verdacht auf eine lexikalische Störung, so muss dieser jedoch zwingend durch den Einsatz von mindestens einem normierten und standardisierten Testverfahren objektiviert werden.


Beschreibungen deutscher Diagnostikverfahren (teils mit kritischer Reflektion) finden sich bei:

Kannengieser, S. (2015): Sprachentwicklungsstörungen – Grundlagen, Diagnostik und Therapie. 3. Aufl. Elsevier, München,

Motsch, H.-J., Marks, D.-K., Ulrich, T. (2016): Wortschatzsammler. Evidenzbasierte Strategietherapie lexikalischer Störungen im Kindesalter. Ernst Reinhardt, München / Basel und

Rupp, S. (2013): Semantisch-lexikalische Störungen bei Kindern. Sprachentwicklung: Blickrichtung Wortschatz. Springer, Berlin / Heidelberg.

aktiver / expressiver Wortschatz Der Umfang des aktiven (oder expressiven) Wortschatzes wird ermittelt, indem die Wortproduktionsfähigkeiten für ein exemplarisches Set an Wörtern erhoben werden. Bei Vorschul- und Schulkindern wird dies in der Regel über das Benennen von Bildern umgesetzt, für Kleinkinder sowie Kinder mit kognitiven Einschränkungen bietet sich das Benennen von Real- oder Spielgegenständen an. Für Kinder in den ersten drei Lebensjahren stehen Fragebögen zur Verfügung, in denen die Eltern die Wörter ankreuzen müssen, die ihr Kind bereits verwendet (Tab. 12).

Tab. 12: Standardisierte Elternfragebögen

Elternfragebögen
ELFRA 1 (Grimm/Doil 2006)12 Monate
ELFRA 2 (Grimm/Doil 2006)24 Monate
ELAN-R (Bockmann/Kiese-Himmel 2012)18 bis 26 Monate
FRAKIS (Szagun et al. 2009)18 bis 30 Monate
SBE-2-KT (von Suchodoletz/Sachse 2011a)21 bis 24 Monate
SBE-3-KT (von Suchodoletz/Sachse 2011b)32 bis 40 Monate

Da das zu benennende Itemset naturgemäß nur einen winzigen Ausschnitt aus dem Gesamtwortschatz eines Kindes darstellt, kommt der sorgfältigen Auswahl der Zielitems sowie einer qualitativ hochwertigen Normierung an einer möglichst umfangreichen Stichprobe eine entscheidende Rolle zu. Aus diesem Grund sollten Testverfahren bevorzugt werden, die die Auswahl ihrer Testitems nachvollziehbar begründen und anhand der Itemkennwerte belegen, dass diese Items besonders gut dazu geeignet sind, zwischen sprachauffälligen und sprachunauffälligen Kindern zu unterscheiden. Bei der Normierung sollten die Alterskohorten maximal die Spanne von einem Jahr umfassen, um den enormen Entwicklungsveränderungen im Bereich des Wortschatzes Rechnung zu tragen (Tab. 13).

Tab. 13: Standardisierte Verfahren zur Erfassung des aktiven Wortschatzumfangs

Aktiver/expressiver Wortschatz
SETK 2: „Produktion I Wörter“ (Grimm et al. 2016)2;0 bis 2;11 Jahre
PDSS: „Wortproduktion (WP) Nomen, WP Verben, WP Adjektive“ (Kauschke/Siegmüller 2010)2;0 bis 6;11 Jahre
AWST-R (Kiese-Himmel 2005)3;0 bis 5;5 Jahre
SET 3-5: „Bildbenennung“ (Petermann 2016)3;0 bis 5;11 Jahre
SET 5-10: „Bildbenennung” (Petermann 2012)5;0 bis 10;11 Jahre
WWT 6-10: „WWT expressiv” (Glück 2011a)5;6 bis 10;11 Jahre

Wortschatzdiagnostik bei mehrsprachigen Kindern Die Auswahl des aktiven Wortschatz-Tests als erstes – und einzig obligatorisches – standardisiertes Testverfahren begründet sich dadurch, dass sämtliche Erscheinungsformen lexikalischer Störungen anhand von Auffälligkeiten im aktiven Wortschatzumfang deutlich werden. Dies bedeutet: unabhängig vom lexikalischen Störungsschwerpunkt (Kap. 2.2.2) zeigen alle lexikalisch gestörten Kinder Schwierigkeiten beim gezielten, produktiven Gebrauch von Wörtern (Rupp 2008, 2013; Glück 2011a; Motsch et al. 2016). Aus diesem Grund kann die Frage danach, ob ein Therapiebedarf im lexikalischen Bereich vorliegt, eindeutig auf der Basis eines standardisierten und normierten aktiven Wortschatztests beantwortet werden (Tab. 13). Die meisten sprachdiagnostischen Verfahren legen die T-Werte-Skala zugrunde, nach der ein T-Wert < 40 als unterdurchschnittlich (auffällig) gilt. Die eindeutige Therapieindikation auf der Basis eines standardisierten und normierten aktiven Wortschatztests gestaltet sich schwierig, wenn ein Kind mit mehr als einer Sprache aufwächst. Die meisten standardisierten Wortschatztests wurden an einer Stichprobe monolingual deutsch aufwachsender Kinder normiert, so dass der Vergleich mit einer Altersnorm grundsätzlich nur für diese Kinder zulässig ist. Bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern liegt der Umfang eines der beiden Lexika allein oftmals unterhalb des Umfangs monolingualer Kinder, ohne dass dies eine Störung darstellen würde. Es stellt sich somit die Herausforderung für zukünftige Forschungsbemühungen, Diagnostikverfahren zu entwickeln, mit denen der Umfang und die Qualität beider Lexika bzw. das beiden Lexika zugrundeliegende konzeptuelle Vokabular erfasst werden kann (Klassert / Kauschke 2014). Aktuell steht Praktikern zumindest für bilingual türkisch-deutsch aufwachsende Kinder eine türkische Version des WWTexpressiv und WWTrezeptiv mit Orientierungswerten zur Verfügung (Glück 2011a).

Störungsschwerpunkt bestimmen Wurde die Frage nach der Therapiebedürftigkeit mit „Ja“ beantwortet (Abb. 9), ergeben sich nun unterschiedliche Möglichkeiten, um differenzialdiagnostisch den spezifischen Störungsschwerpunkt (oder das lexikalische Profil) zu bestimmen.

passiver / rezeptiver Wortschatz Häufig entscheiden sich Sprachdiagnostiker in einem nächsten Schritt dafür, den rezeptiven Wortschatzumfang des Kindes zu bestimmen. Auch hier wird ein exemplarisches Itemset herangezogen, um die Wortverständnis-Fähigkeiten eines Kindes zu ermitteln (Tab. 14).

Tab. 14: Standardisierte Verfahren zur Erfassung des passiven Wortschatzumfangs

Passiver/rezeptiver Wortschatz
SETK 2: „Verstehen I Wörter“ (Grimm et al. 2016)2;0 bis 2;11 Jahre
PDSS: „Wortverstehen (WV) Nomen, WV Verben, WV Adjektive, WV Präpositionen“ (Kauschke/Siegmüller 2010)2;0 bis 6;11 Jahre
PPVT 4 (Lenhard et al. 2015)3;0 bis 16;11 Jahre
SET 3-5: „Bildersuche“ (Petermann 2016)3;0 bis 5;11 Jahre
MSVK: „Passiver Wortschatz“ (Elben/Lohaus 2000)5 bis 7 Jahre
WWT 6-10: „WWT rezeptiv“ (Glück 2011a)5;6 bis 10;11 Jahre

In der Regel sollen die Kinder ein Bild (oder einen Gegenstand) aus einer Auswahlmenge zeigen, das zu dem vom Diagnostiker vorgesprochenen Wort passt. Für die Konzeption rezeptiver Testverfahren gelten selbstverständlich die gleichen Vorüberlegungen hinsichtlich der Testqualität wie zuvor bereits beschrieben. Anhand der Anzahl korrekt gezeigter Zielwörter ergibt sich ein quantitatives Maß für den Umfang des rezeptiven Wortschatzes. Dieser kann nun in Beziehung zum Umfang des expressiven Wortschatzes gesetzt werden. Fallen sowohl aktiver als auch passiver Wortschatzumfang unterdurchschnittlich aus, ist von einem quantitativen lexikalischen Defizit auszugehen. Sind die Leistungen im Wortverstehen jedoch deutlich besser als die in der Wortproduktion, spricht dies eher für eine qualitative Störung bzw. eine Abrufstörung (Kap. 2.2.2, Rupp 2008, 2013; Glück 2011a; Ulrich 2012; Motsch et al. 2016). Über die quantitative Betrachtung hinaus ergibt sich über eine qualitative Analyse der gezeigten Ablenkerbilder die Möglichkeit, weitere Einblicke in die spezifischen lexikalischen Defizite des Kindes zu bekommen. So gibt es etwa im rezeptiven Teil des WWT 6-10 (Glück 2011a) neben dem Bild des Zielwortes jeweils ein Bild eines semantischen, eines phonologischen und eines unrelationierten Ablenkers. Wählt ein Kind häufig das Bild des semantischen Ablenkers, deutet dies auf eine Schwierigkeit bei der Differenzierung semantisch ähnlicher Einträge und somit auf Defizite auf der Wortbedeutungsebene hin. Zeigt das Kind hingegen häufig die phonologischen Ablenkerbilder, spricht dies eher für ein Defizit bei der Differenzierung ähnlicher phonologischer Repräsentationen, also einem Störungsschwerpunkt auf Wortform ebene (Glück 2011a).

Benennkonsistenz Eine weitere Möglichkeit, sich dem individuellen Störungsschwerpunkt eines Kindes zu nähern, ist die Bestimmung der Benennkonsistenz. Wie bereits ausgeführt (Kap. 2), ist das fluktuierende Gelingen des Wortabrufs das zentrale Leitsymptom der kindlichen Wortfindungsstörung (Siegmüller 2005). Wortfindungsgestörte Kinder zeigen demnach inkonsistente Benennleistungen. Um die Konsistenz der Benennleistung zu ermitteln, kann der bereits durchgeführte aktive Wortschatztest nochmals durchgeführt werden, so dass anschließend die Benennleistungen aus dem ersten und dem zweiten Durchgang miteinander verglichen werden können. Inkonsistentes Benennen liegt immer dann vor, wenn das Kind ein Wort in einem Durchgang korrekt abrufen und benennen konnte, im anderen Durchgang jedoch nicht. Als „Faustregel“ hat sich mittlerweile durchgesetzt, dass von einer auffälligen, inkonsistenten Benennleistung gesprochen wird, wenn die Inkonsistenzrate mindestens 10 % beträgt (Beier 2013).

Profit von Abrufhilfen Entscheidet man sich für eine Bestimmung der Benennkonsistenz, bietet es sich an, bei der zweiten Durchführung des aktiven Wortschatztests auch Abrufhilfen zu den Wörtern zu geben, die das Kind nicht benennen kann. Diese sollten stets in der gleichen Abfolge von der schwächsten zu der stärksten Hilfestellung gegeben werden (unspezifische Hilfe – semantische Hilfe – phonologische Hilfe, Kolfenbach 2002; Glück 2011a). Innerhalb des WWT sind eine wiederholte Durchführung zur Bestimmung der Benennkonsistenz sowie die Vorgabe von Abrufhilfen möglich. Letztere sind dort auch wörtlich vorgegeben. Bei Durchführung eines anderen aktiven Wortschatztests sollte sich der Diagnostiker an der genannten Hilfenhierarchie orientieren.


Vorgabe von Abrufhilfen: Marco kann in der zweiten Durchführung des AWST-R das Item „bügeln“ nicht benennen.

■ Allgemeine Abrufhilfe: „Überleg nochmal. Was macht sie hier?“

■ Semantische Abrufhilfe: „Das macht man, um Kleidung glatt zu bekommen. Da hat man so ein heißes Eisen und fährt damit über die Falten drüber. Manchmal kommt unten auch Dampf raus.“

■ Phonologische Abrufhilfe: „Das Wort fängt so an: bü-.“

Profitiert ein Kind von den gegebenen Abrufhilfen, ist dies ein Indiz dafür, dass dieser lexikalische Eintrag sehr wohl im mentalen Lexikon vorhanden ist, aber erst mithilfe der zusätzlichen Aktivierungsenergie durch die Abrufhilfe aktiviert werden konnte. Der Profit von Abrufhilfen liefert somit einen Hinweis auf eine lexikalische Zugriffsstörung. Die Wahl des Ablenkers ermöglicht es darüber hinaus, Hypothesen über den möglichen Störungsschwerpunkt hinsichtlich der Abrufstörung zu formulieren (Glück 2011a).

Benenntempo Auch das Benenntempo kann differenzialdiagnostisch herangezogen werden, um den Verdacht auf eine Wortabrufstörung zu untermauern. Während die PC-gestützte Version des WWTexpressiv (Glück 2011a) bereits automatisch die Benenndauer eines Kindes pro Item ermittelt, ist dies bei Durchführung der Paper-pencil-Version eines Tests sicherlich zum einen zu aufwändig, zum anderen auch aufgrund fehlender Vergleichswerte wenig aussagekräftig. Erfolgsversprechender erscheint es, stattdessen sogenannte RAN-Tests einzusetzen (Tab. 15). Dabei handelt es sich um Diagnostikverfahren, mit denen die Fähigkeit zum schnellen und gezielten Benennen von vertrauten, visuell dargebotenen Reizen, erfasst wird (Mayer 2016b). In der klassischen RAN-Anordnung werden dem Kind fünf unterschiedliche, hochfrequente und vertraute Bilder (entweder Objekte, Farben, Buchstaben oder Zahlen) gezeigt. Nachdem diese als bekannt gesichert wurden, soll das Kind diese fünf Stimuli nun jeweils zehn Mal in zufälliger Reihenfolge (also insgesamt 50 Bilder in zufälliger Abfolge) so schnell wie möglich benennen (Beitrag 5). Wortabrufgestörte Kinder haben bei diesem Aufgabenformat in der Regel erhebliche Schwierigkeiten, die sich entweder in einem reduzierten Benenntempo, einer reduzierten Benenngenauigkeit oder kombiniert reduziertem Benenntempo und -genauigkeit zeigen (German 1989; Beier / Siegmüller 2013, Beier 2013).

Tab. 15: Standardisierte Verfahren zur Erfassung der Benennungsgeschwindigkeit

Schnellbenennen
TEPHOBE: „RAN Farben, RAN Objekte, RAN Zahlen, RAN Buchstaben“ (Mayer 2016b)letztes Kita-Jahr, 1. und 2. Klasse
LTB-J: TASB (Barwitzki et al. 2008)15 bis 17 Jahre

semantische Organisation und Strukturierung Ein weiterer möglicher Störungsbereich wortschatzauffälliger Kinder ist die Organisation und Strukturierung des mentalen Lexikons. Diagnostisch erfasst wird dies in der Regel über Kategorisierungsaufgaben, bei denen verschiedene Vertreter zu einem Oberbegriff sortiert und Ablenkerbilder aussortiert werden müssen, oder bei denen der Oberbegriff für mehrere Kategorievertreter gefunden werden muss. Zudem finden sich hier Aufgaben zum semantischen Assoziieren (Tab. 16).

Tab. 16: Standardisierte Verfahren zur Erfassung der semantischen Organisation

Semantische Organisation
PDSS: „Begriffsklassifikation“ (Kauschke/Siegmüller 2010)2;0 bis 6;11 Jahre
SET 3-5: „Kategorienerkennung, Kategorienbildung“ (Petermann 2016)4;0 bis 5;11 Jahre
P-ITPA: „Analogien, Wortschatz“ (Esser et al. 2010)4;0 bis 11;5 Jahre
MSVK: „Wortbedeutung“ (Elben/Lohaus 2000)5 bis 7 Jahre
SET 5-10: „Kategorienbildung“ (Petermann 2012)5;0 bis 10;11 Jahre

Einflussfaktoren Neben den möglichen Bereichen, in denen sich die lexikalische Störung manifestieren kann, sollten zusätzlich auch zentrale Faktoren erfasst werden, die aufrechterhaltend oder verstärkend auf die Wortschatzauffälligkeiten wirken können (Kap. 2.3). In erster Linie ist dabei die Kapazität der phonologischen Schleife des Arbeitsgedächtnisses zu nennen, die in der Regel über das Nachsprechen von Pseudowörtern oder Zahlenfolgen erfasst wird (Ulrich 2016). Darüber hinaus kann der Entwicklungsstand der phonologischen Bewusstheit bestimmt werden, um mögliche verstärkende Faktoren zu ermitteln bzw. für die Planung von Therapiemaßnahmen wertvolle Anhaltspunkte hinsichtlich der bereits vorhandenen Fähigkeiten des Kindes zu erhalten.

störungsspezifische Therapieplanung Der diagnostische Prozess sollte so viel Zeit wie nötig, aber aus ökonomischen Gründen auch so wenig Zeit wie möglich in Anspruch nehmen. Dies bedeutet, dass es keine festgelegte Anzahl von Stunden gibt, die eine qualitativ hochwertige Wortschatzdiagnostik umfassen sollte. Vielmehr ist es Aufgabe des Diagnostikers, selbst zu entscheiden, ob die bereits erhobenen Informationen ausreichen, um eine spezifische, individuelle Therapieplanung zu ermöglichen.

Wie aus Abbildung 9 deutlich wird, kann es in einigen Fällen ausreichend sein, sich auf die Kerndiagnostik, also die Beantwortung der Frage nach dem lexikalischen Therapiebedarf, zu beschränken. So ist bspw. für eine strategieorientierte Therapie mit dem „Wortschatzsammler“ (Kap. 4) keine weitere Differenzierung des lexikalischen Störungsschwerpunktes notwendig, da sich diese Methode als vergleichbar effektiv für Kinder unterschiedlicher Störungsschwerpunkte erwiesen hat (Ulrich 2012). Gerade im schulischen Kontext birgt dies den Vorteil, dass die ohnehin oft sehr begrenzte Zahl an spezifischen Therapie- bzw. Fördereinheiten für die tatsächliche Intervention genutzt werden kann.

In anderen Fällen kann es aber durchaus gewinnbringend sein, über die Kerndiagnostik hinaus das spezifische lexikalische Profil eines Kindes näher zu bestimmen. So profitieren vor allem Kinder mit Wortfindungsstörungen nur unzureichend von einer klassischen Elaborationstherapie (Beier / Siegmüller 2013) und benötigen daher (zusätzlich) eine spezifische, auf ihre Zugriffsprobleme abgestimmte „Abruftherapie“, die auf die Förderung des schnellen und gezielten Wortabrufs sowie die Vermittlung von Speicher- und Abrufstrategien zielt (Kap. 4).

Aus der qualitativen Analyse des erhobenen diagnostischen Materials lassen sich bereits viele wertvolle Hinweise für die inhaltliche Konzeption der Therapie ziehen: Wie sind die Wortarten im kindlichen Lexikon verteilt? Gibt es Hinweise auf spezifische Defizite im Bereich des Verblexikons? Welcher Art sind die Ersetzungen des Kindes beim Fehlbenennen? Werden bereits semantisch oder phonologisch nahe Ersatzwörter verwendet?

In die Planung der Therapie sollten zudem Beobachtungen zu bereits vorhandenen Bewältigungs- und Kompensationsstrategien des Kindes einfließen. Einige Strategien sind möglicherweise gewinnbringend und können in der Therapie aufgegriffen und verstärkt werden, weniger hilfreiche Strategien sollten durch andere Verhaltensweisen ersetzt werden.


Hilfreiche Strategien sind: Lisa, sieben Jahre, schafft es bereits in einigen Fällen, sich selbst semantisch oder phonologisch an ein Zielwort anzunähern, das sie nicht unmittelbar abrufen kann: „Ein Apfel ... nein ... warte mal... eine Kirsche!“, „Hier die Plätze sind seve... seva... resa.. reserviert.“

Yassin, sechs Jahre alt, lässt sich von seinen lexikalischen Lücken nicht beirren und versucht, sich mit allen verfügbaren Mitteln dennoch verständlich zu machen: „ / und da haben wir in de Berge haben wir eine dicke fette ein Hase gesehen / so große <Geste> / bisschen so groß / und der hat nur so gemacht boing, boing < Geste> / .“

Weniger hilfreiche Strategien sind: Johannes, zehn Jahre alt, schlägt sich bei Abrufstörungen mit der Hand gegen den Kopf (= motorischer Blockadelöser).

Martin, vier Jahre alt, entkommt jeglicher Anforderungssituation, indem er angibt, dringend auf die Toilette zu müssen.

Sarah, acht Jahre alt, antwortet auf alle Fragen in Gesprächen mit „Ja“ und setzt dabei ein strahlendes Lächeln auf.

Schließlich fließen in die Überlegungen zur Therapieplanung selbstverständlich die individuellen Interessen des Kindes ein, die bei der Auswahl von exemplarischen Themenbereichen und der Konzeption von Therapieformaten berücksichtigt werden sollten.

Zusammenfassung

Das erste Ziel der Wortschatzdiagnostik besteht darin, therapierelevante Einschränkungen des Wortschatzumfangs bzw. -gebrauchs zu identifizieren und zu objektivieren. Daran schließen sich weiterführende diagnostische Schritte zur Bestimmung des lexikalischen Störungsschwerpunktes sowie der Auswertung von Hinweisen für die spezifische Therapieplanung an.

Sprachtherapie mit Kindern

Подняться наверх