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Vermitteln und Mitteilen: Die Meinung der Lehrperson in der Diskussion kontroverser Themen Johannes Giesinger 1 Einleitung

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Eine Lehrperson behandelt im Unterricht das Problem der Sterbehilfe, und in der Klasse werden verschiedene Meinungen vertreten. Während die meisten Schülerinnen und Schüler einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe offen gegenüberstehen, gibt es auch vereinzelte ablehnende Stimmen. Darf die Lehrperson in einer solchen Diskussion selbst Stellung beziehen? Die Frage, ob die Lehrperson den Lernenden ihre Meinung mitteilen darf, ist zu unterscheiden von der Frage, ob sie eine Auffassung als die richtige vermitteln darf. Paula McAvoy (2017) verwendet in diesem Kontext die Begriffe »share« und »advocate«:

»Teachers share a view when they make their opinion about a political issue known to the class or a student but do so in a way that communicates this is just one view among many possible views. When teachers advocate for a view, they are trying to convince or persuade others to adopt that view.« (S. 375)

Michael Hand spricht von »direktivem« Unterrichten, setzt dieses Konzept jedoch nicht dem Mitteilen von Meinungen gegenüber, sondern Unterrichtsformen, in denen Themen als kontrovers behandelt werden. Charakteristisch für direktives Unterrichten ist nach Hand »the willingness of the teacher to endorse one view of a matter as the right one« (Hand 2008, S. 213). Diese Formulierung wirkt unscharf, wenn man die Unterscheidung zwischen Mitteilen und Vermitteln in den Blick nimmt. Sich auf eine Auffassung als die richtige festzulegen bedeutet nicht notwendigerweise, dass man diese vermitteln will, indem man andere davon überzeugt. In einem aktuellen Beitrag Hands findet sich denn auch eine präzisere Definition: Wesentlich für direktives Unterrichten ist gemäß Hand, dass die Lehrperson ein bestimmtes Ziel verfolgt – »the aim of persuading pupils that a matter is settled, a claim true or a standard justified« (Hand 2020, S. 14). Wie Hand hervorhebt, ist direktives nicht mit »didaktischem« Unterrichten – d. h. mit der expliziten und direkten Vermittlung von moralischen oder politischen Gehalten – gleichzusetzen, sondern kann auch indirekte Formen annehmen: So können Schüler und Schülerinnen durch die gezielte Auswahl von Filmbeispielen, durch die Steuerung der Klassendiskussion oder durch spezifisch ausgestaltete Projektaufträge dazu gebracht werden können, bestimmte Auffassungen zu akzeptieren.

Während die Vermittlung »richtiger« Positionen nicht notwendigerweise expliziten Charakter haben kann, bezieht sich die Debatte um Meinungsäusßerungen von Lehrpersonen primär auf explizite Mitteilungen, kann aber darüber hinaus auch nonverbale oder implizite Botschaften betreffen. Ein Kreuz um den Hals kann ebenso als Meinungsäußerung aufgefasst werden wie der Verzicht auf Fleisch beim Mittagessen in der Schule. Die folgenden Überlegungen fokussieren allerdings auf verbale Stellungahmen in der Unterrichtssituation.

Im nächsten Abschnitt (2) skizziere ich die Debatte um direktives Unterrichten und diskutiere kurz die hauptsächlich vertretenen Kriterien dafür, was direktiv vermittelt werden soll – das verhaltensbezogene, das epistemische, das politisch-authentische und das politische Kriterium (vgl. Drerup 2021; vgl. Giesinger 2021). Dies bereitet den Boden für die Frage danach, ob Lehrpersonen ihre Meinung mitteilen dürfen: Diese Frage bezieht sich auf Auffassungen, die nach dem jeweiligen Kriterium nicht direktiv zu vermitteln sind und auch nicht direktiv zurückgewiesen werden dürfen.

Vor diesem Hintergrund können zunächst zwei Extrempositionen unterschieden werden: Nach der einen soll die Lehrperson in jeder Situation ihre Neutralität wahren und ihre Meinung nie äußern.

Gemäss der zweiten Position überträgt sich die Redefreiheit, über die die Lehrperson als Bürgerin verfügt, auf ihre Rolle im Klassenzimmer: Demnach ist sie genauso wie die Schüler und Schülerinnen grundsätzlich berechtigt, ihre Meinung zu äußern. Im Folgenden argumentiere ich für eine dritte Position, nach der es vom Unterrichtskontext abhängt, ob die Lehrperson ihre Meinung mitteilen soll oder nicht (ähnlich McAvoy 2017): In der jeweiligen Situation sollen Gründe für oder gegen das Mitteilen der eigenen Meinung gegeneinander abgewogen werden. Welche Erwägungen hier relevant sind, erörtere ich im dritten, vierten und fünften Abschnitt.

Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen?

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