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Geleitwort
Оглавление„Wenn wir als Menschen immer betonen, dass wir die schlauste Art auf diesem Planeten sind – warum zerstören wir dann unser eigenes Zuhause?“
Mit dieser Frage hat mich Jane Goodall mitten in einem Interview sprachlos gemacht. Diese Frage gilt für uns als Zivilisation, genauso wie für jede und jeden einzelnen von uns. Vielleicht ist es die wichtigste Überlebensfrage im 21. Jahrhundert.
Wenn es eine ärztliche Pflicht ist, Leben zu schützen, auf Gesundheitsgefahren hinzuweisen und gegebenenfalls auch schlechte Nachrichten zu überbringen, dann sollten Vertreter:innen der Gesundheitsberufe die Ersten sein, die die Bedrohung des Menschen durch den Klimawandel thematisieren. Denn auf uns wird gehört. Und die schlechte Nachricht lautet: Die Klimakrise hat massive Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns! Die Erde braucht uns nicht, wir aber brauchen die Erde.
Ich bin gespannt, wie schnell sich der Begriff „Planetare Gesundheit“ durchsetzt. Im Englischen klingt es nach Erde, im Deutschen mehr nach Pluto. Wir haben eine neue Patientin mit zu denken und mit zu behandeln, Mutter Erde. Und sie im Blick zu haben, in all ihren Facetten, in all ihren Verbindungen im Netz des Lebens, das zeigt dieses Buch in ganz außergewöhnlicher Weise.
Ich möchte an dieser Stelle auch allen Autor:innen danken, die hier Pionierarbeit leisten. Viele kenne ich schon persönlich aus der Arbeit der Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), den Vorlesungen für #healthforfuture, von den Demonstrationen vor der Charité beim Globalen Klimastreik, von den Aktionen für den deutschen Ärztetag oder den Podien für die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin. Es tut sich enorm viel, und dennoch hängt die Überzeugungs- und Netzwerkarbeit oft an einzelnen engagierten Menschen, die mehr tun als sie müssten. Mit meiner Stiftung Gesunde Erde Gesunde Menschen bin ich Teil dieses Netzwerkes und merke, wie sich in den letzten drei Jahren mehr bewegt als gefühlt in den letzten 30. Ich wünsche allen in diesem Buch Versammelten und allen, die es lesen, dass sie sich von diesem Pioniergeist anstecken lassen und vor allem, dass sie sich selbst wirksam engagieren: schlau machen, Mund aufmachen, vernetzen!
Traditionell hält sich die Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte aus der Politik heraus, dass die fossile Energiepolitik massive Gesundheitsfolgen hat, stand nicht auf ihrer Agenda. In meiner Ausbildung spielten diese Zusammenhänge auch kaum eine Rolle, Umweltmedizin wurde belächelt als „Orchideenfach“. Vorreiter wie „Ärzte gegen den Atomkrieg“ betonten auf einem ihrer Plakate: „Eine Atombombe kann dir den ganzen Tag versauen.“ Gleiches gilt heute für die Klimakrise. Die kann einem das ganze Leben versauen. Und das für die nächsten Generationen gleich mit.
Klimaschutz als Gesundheitsschutz zu begreifen, eröffnet eine Perspektive, die sich nicht auf eine Partei, Ideologie oder Altersgruppe bezieht, sondern die für jeden von uns wichtig ist. Sichtbarer, öffentlicher und politischer zu werden heißt anzuerkennen, dass die Lösung der Probleme nicht in einer medizinischen Innovation zu finden sein wird. Wir können eine überhöhte Körpertemperatur medikamentös senken. Aber gegen eine überhöhte Außentemperatur gibt es keine Tablette, da hilft nur wirksame Politik. Kein Mensch kann sich seine eigene Außentemperatur kaufen, noch nicht mal ein Privatversicherter.
Der Bericht des Weltklimarates IPCC vom August 2021 ist so klar und deutlich wie noch nie: der Klimawandel ist bedrohlich, er betrifft jeden Menschen, in jedem Winkel der Erde. Der Klimawandel ist menschengemacht. Und wir Menschen können noch etwas ändern.
Wie viele Jahrhundertfluten, Jahrhundertstürme und Brände brauchen wir eigentlich noch, um zu verstehen, dass dieses Jahrhundert gerade erst angefangen hat? Und wir die Veränderungen nicht weiter als Ausnahmen abtun können?
Was neu ist: die Berechnungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind genauer als je zuvor, bis hinein in die verschiedenen Regionen der Erde. Und ja – Deutschland ist massiv betroffen. Wir sind viel verletzlicher, als wir geglaubt haben.
Der Medizin wird oft vorgeworfen, nur die Symptome und nicht die Ursachen von Krankheiten zu behandeln. Die Klimakrise und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit und Existenz von Menschen ist eine Katastrophe mit Ansage. Viel zu lange wurde die Klimakrise verhandelt als ein Problem von Eisbären, pazifischen Inselstaaten und einer fernen Zukunft. Es fehlte die Anschauung, die Bilder, die Nähe. Wir lebten jahrzehntelang nach dem Motto: „Nach uns die Sintflut“. Jetzt ist sie da die Sintflut, direkt vor uns. Der Sommer 2021 wird in die Geschichte eingehen. Als ein historischer Wendepunkt, Klimawandel und Gesundheit, lokales menschliches Leid und globale Veränderungen endlich im Zusammenhang zu begreifen. Die nächsten zehn Jahre entscheiden darüber, wie die nächsten zehntausend Jahre laufen, auf gut Deutsch: ob die menschliche Zivilisation überlebt. In der Agenda 2030 legten die Vereinten Nationen unter der englischen Abkürzung SDGs (Sustainable Development Goals) siebzehn globale Entwicklungsziele fest, die wir als Weltgemeinschaft erreichen wollen. Dazu gehören zum Beispiel: kein Hunger, Frieden, globale Gesundheit und Bildung für alle. Oft vergessen wir, welch große Fortschritte wir in den letzten zwanzig Jahren im Bereich der globalen Gesundheit gemacht haben. Doch durch den Klimawandel und nochmals verschärft durch die jetzige Pandemie gefährden wir diese Errungenschaften. Forscher: innen haben ermittelt, dass die Kluft zwischen armen und reichen Ländern heute um ungefähr 25 Prozent größer ist, als sie es ohne die Erderwärmung wäre.
Als 1969 Menschen das erste Mal auf dem Mond landeten, war ihre größte Errungenschaft nicht die Teflonpfanne, es waren auch nicht die Gesteinsbrocken. Die größte Erkenntnis war der Blick zurück auf die Erde, auf den blauen Planeten, auf dieses einzigartige Geschenk inmitten eines kalten, weiten Weltraums. Diese Reflexion hat unser Bewusstsein für immer verändert. Die Atmosphäre ist eben keine Dunstabzugshaube, die alle schlimmen Gerüche ins Nirwana verfrachtet – sie ist eine hauchdünne Schicht, im Verhältnis zur Erde dünner als die Haut von einem Apfel. Und diese zarte Hülle ermöglicht unser Leben. Die ganze Erde ist unser Wohnzimmer. Sie ist der einzige Ort im ganzen bekannten Universum mit Lebensraum – mit „living room“! Nur hier gibt es Wasser zum Trinken, Luft zum Atmen, essbare Pflanzen und bislang für Säugetiere erträgliche Temperaturen. Und wem das zu esoterisch wird: Die Erde ist der einzige Ort mit Kaffee, Sex und Schokolade. Besser wird es nirgendwo. Aber hier wird es schlechter. Rapide.
Die letzten zehn Jahre waren die heißesten zehn Jahre seit 125.000 Jahren. Es wird nicht einfach nur wärmer – es steigen viele andere Risiken und Nebenwirkungen. Und irreversible Langzeitschäden. Es brennt! Es schmilzt. Menschen sterben durch Flut, Dürre, Hunger und Hitze und Infektionen. Die Klimakrise ist schon lange kein Modethema mehr – sie ist die größte Gesundheitsgefahr in diesem Jahrhundert. Das sagt der Lancet Climate Countdown, die Leopoldina, der Weltärztebund, die WHO – wer es wissen will, an Warnhinweisen mangelt es nicht.
„There is no glory in prevention?” Wenn es keinen Ruhm und keinen Blumentopf mit Prävention zu gewinnen gibt – dann lasst uns die Spielregeln ändern, die Belohnungen und die Aufmerksamkeit. Denn: was nutzen einem die besten Beatmungsgeräte, wenn ein Patient nach langer Intensivbehandlung aus dem Krankenhaus entlassen wird und vor der Tür gleich wieder Dreck einatmet? Was nützt es, wenn man mit den richtigen Medikamenten Bluthochdruck und Fieber senken kann, aber keine Außentemperaturen, unter denen Menschen unweigerlich zusammenklappen? Welche Aufgabe und Verantwortung haben die Gesundheitsberufe, denen immer noch höchstes Vertrauen entgegengebracht wird?
Als Arzt habe ich gelernt: Erst die Diagnose, dann die Therapie. Die Diagnose haben wir, nicht erst seit heute. Wir brauchen jetzt Politik, die auf Wissenschaft hört. Und dann auch handelt. Eine Jahrhundertaufgabe – für die wir kein Jahrhundert mehr Zeit haben. Wir leben in historischen Zeiten. Es kommt jetzt auf jeden an. Noch haben wir eine Wahl. Wie bei jeder Katastrophe gilt: Rumstehen und gaffen geht gar nicht. Anpacken ist angesagt. Das Schlimmste, Teuerste und Folgenreichste was man jetzt tun kann, ist weiter nichts zu tun.
Wir könnten es echt schön haben hier auf der Erde. Und gesünder. Lasst uns mehr darüber reden, wie wir leben wollen, was uns wichtig ist, was uns sogar „heilig“ ist, und was heil bleiben soll. Als Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte, Kommunikatoren, Gesundheitsberufler, als Kinder, Eltern und Enkel – als Menschen!
Denn das Ziel, auf das wir uns doch alle einigen können, lautet:
Gesunde Menschen und Tiere auf einer gesunden Erde.
Dr. Eckart v. Hirschhausen, August 2021