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Einführung zum Weißbuch Alterstraumatologie und Orthogeriatrie
ОглавлениеSeit der ersten Ausgabe des Weißbuchs Alterstraumatologie im Jahr 2018 wurden mittlerweile auch in Deutschland belastbare Zahlen der Versorgungsforschung vorgelegt. Diese zeigen, dass es für Patienten1 und Kliniken von Vorteil ist, wenn die Empfehlungen des Weißbuchs umgesetzt werden. Die Ergebnisse des PROFinD2-Konsortiums, das Daten von mehr als 50.000 Patienten untersucht hat, zeigen, dass sich die 30-Tage-Mortalität um 20 % reduziert, wenn Patienten von interdisziplinären Teams alterstraumatologisch betreut werden.
Die Zahl der alterstraumatologischen Verletzungen hat in Deutschland in den letzten Jahren weiter zugenommen. Dem Ziel der verbesserten akutmedizinischen Versorgung älterer Patienten nach sturz- oder osteoporosebedingten Frakturen wurde mit dem G-BA-Beschluss 2019 Rechnung getragen. Dieser legt mit einer Übergangsfrist fest, dass zukünftig die Regelbehandlung alterstraumatologischer Patienten durch interdisziplinäre Teams erfolgen soll. Neben der frühzeitigen operativen Therapie wurden zahlreiche Struktur- und Prozessmerkmale festgelegt. Das Indexkrankheitsbild ist dabei die Hüftfraktur. Es ist aber davon auszugehen, dass eine ähnliche Vorgehensweise auch bei den anderen Frakturen älterer Menschen zu einer Verbesserung führen wird.
Fragilitätsfrakturen haben eine hohe ökonomische Relevanz. Die Kosten einer vermeidbaren Heimeinweisung sind sowohl für die einzelne Familie als auch für die sozialen Sicherungssysteme enorm. Die hier vorgelegten Prognosemodelle weisen darauf hin, dass diese in den nächsten Jahren weiter stark ansteigen werden. Damit diese Mengenentwicklung beherrsch- und steuerbar bleibt, ist eine grundlegende systematische und systemische Weiterentwicklung von Behandlung, Rehabilitation und Prävention unerlässlich.
Die Situation des neuen Weißbuchs Alterstraumatologie und Orthogeriatrie beschreibt somit den Aufbruch in eine neu strukturierte Versorgung, die zusammen mit der Reorganisation der Notaufnahmen zu einer nachhaltigen Veränderung des deutschen Krankenhaussystems führen wird. Es gibt noch viele offene Fragen. Die hohen Strukturvoraussetzungen des G-BA müssen refinanziert werden. Die Umstellung von einem 5-Tage-Angebot auf ein 7-Tage-Angebot der interdisziplinären Behandlung sind mit weiteren erheblichen Kosten verbunden. Eine große Herausforderung für die Krankenhausträger ist die Umsetzung dieser Vorgaben.
In Deutschland werden derzeit mehr als 450.000 Patienten mit Fragilitätsfrakturen stationär behandelt. Eine vergleichbar große Anzahl an Patienten wird darüber hinaus mit orthopädischen Erkrankungen im Alter von mindestens 80 Jahren oder älter als 70 Jahren mit einem geriatrischen Multimorbiditätsprofil stationär betreut. Wesentlicher Unterschied zu alterstraumatologischen Patienten ist bei orthogeriatrischen Patienten in der Regel das Fehlen einer notfallmäßigen Behandlungsnotwendigkeit, so dass insbesondere bei planbaren Eingriffen ein präinterventioneller Zeitraum besteht. Gerade dieser sollte und muss multiprofessionell genutzt werden, um die perioperative Komplikationsrate zu senken und das Outcome zu verbessern.
Bis dato sind jedoch die strukturelle Organisation und die hiermit verbundenen Prozesse für planbare orthopädische Eingriffe noch nicht optimal auf die orthogeriatrischen Herausforderungen vorbereitet. Die Gesundheitspolitik und die Leistungsträger legen – zu Recht – großen Wert auf die Qualität der Versorgung. Die prä-, intra- und postoperative Versorgung der hochaltrigen Patienten setzt eine koordinierte und verzahnte Behandlung von Orthopädie und Unfallchirurgie, Anästhesie, Geriatrie und Bereichen wie Pflege- und Therapieberufe voraus.
Das neuaufgelegte Weißbuch setzt sich zum Ziel, die Strukturen und Prozesse in der Alterstraumatologie fortzuschreiben und für die orthogeriatrischen Patienten erstmalig zu definieren.
Es geht darum, bis 2025 überall interdisziplinäre und interprofessionelle Einheiten zu schaffen, die die Stärken sämtlicher Teammitglieder gegenseitig anerkennen und fördern. Bei der Diskussion ist zu bedenken, dass die gegenwärtige Bewertung durch die DRG-Systematik diese Prozesse nur teilweise im Rahmen der frührehabilitativen Komplexbehandlung abbildet. So werden derzeit nur knapp 50 % der Patienten über das Merkmal einer frührehabilitativen Komplexbehandlung korrekt erfasst.
Bei praktisch allen älteren Patienten wird die Behandlung nicht mit der Entlassung aus dem Akutbereich oder der stationären Rehabilitation abgeschlossen sein. Die ambulante Weiterbehandlung weist erhebliche Defizite und Lücken auf. Dies betrifft die konsequente Erfassung und die Behandlung der Osteoporose zur Sekundärprävention ebenso wie eine konsequente Sturzprävention. Bei der Verbesserung der Schnittstellen steht Deutschland immer noch am Anfang.
Vor diesem Hintergrund enthält das neuaufgelegte Weißbuch eine Zusammenfassung der prä- peri- und postoperativen Phase. Der Stand der Wissenschaft wird in einer auch für Nichtmediziner verständlichen Sprache zusammengefasst.
Stuttgart, Münster, Bonn und Herzogenaurach, im Herbst 2021
Ulrich Christoph Liener, Clemens Becker, Kilian Rapp,
Michael J. Raschke, Bernd Kladny, Dieter Christian Wirtz
1 Zugunsten einer lesefreundlichen Darstellung wird in diesem Herausgeberwerk bei personenbezogenen Bezeichnungen in der Regel die männliche Form verwendet. Diese schließt alle Geschlechtsformen ein (weiblich, männlich, divers).