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Einführung zur Vorgängerausgabe Weißbuch Alterstraumatologie

Die Zahl der typischen alterstraumatologischen Verletzungen wie Hüft- oder Oberarmfrakturen nimmt in Deutschland weiter zu. Damit wird die Sicherstellung einer guten akutmedizinischen Versorgung älterer Patienten nach sturz- oder osteoporosebedingten Frakturen immer wichtiger. In einer 2014 vom Robert Koch-Institut vorgelegten Untersuchung zeigte sich, dass sturzbedingte Verletzungen neben Herzerkrankungen, Krebs, Demenz und Schlaganfall zu den fünf wichtigsten Ursachen für einen Verlust an qualitätsadjustierten Lebensjahren gehören (Plass et al. 2014). Daten aus benachbarten europäischen Ländern zeigen, dass bei Patienten, die durch Unfallchirurgen und Geriater in alterstraumatologischen Abteilungen gemeinsam behandelt werden, die 30-Tage- und Ein-Jahres-Mortalität um mehr als 25 % gesenkt werden konnte (Hawley et al. 2016). Zudem konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass die frühe Einbeziehung geriatrischer Behandlungsprinzipien zu besseren funktionellen Ergebnissen führte (Prestmo et al. 2015). Hunderte Heimeinweisungen wären vermeidbar und häusliche Pflegebedürftigkeit reduzierbar, wenn eine hochwertige, evidenzbasierte Akutbehandlung und Rehabilitation von älteren Patienten nach altersassoziierten Frakturen in erfahrenen, qualifizierten Abteilungen durchgeführt würde. Die hierfür nötigen Strukturen und Prozesse sind in Deutschland bisher nur teilweise vorhanden und sollten in den nächsten Jahren weiterentwickelt werden.

Alterstraumatologische Frakturen haben schon jetzt eine sehr hohe ökonomische Relevanz; die Kosten betragen mehrere Milliarden Euro. Es ist davon auszugehen, dass die Kosten, die durch Frakturen verursacht werden, in den nächsten Jahren stark ansteigen werden. Die Prognosemodelle für alle Fallgruppen weisen darauf hin, dass systematische und systemische Präventionsmaßnahmen erforderlich sein werden, damit die Mengenentwicklung beherrschbar und steuerbar bleibt.

Die gegenwärtige Situation erinnert an die Diskussion bei der Einführung der Stroke Units vor mehr als zehn Jahren. Es ist unstrittig, dass im Bereich der Schlaganfallbehandlung eine gut koordinierte interdisziplinäre Behandlung, eingebettet in ein dichtes Versorgungsnetz, die Prävention, Therapie und Rehabilitation verbessert hat. Dieser Weg muss auch im Bereich der Alterstraumatologie beschritten werden. Dabei sollte auf die Stärken des deutschen Gesundheitswesens, wie deren Innovationsfähigkeit, aufgebaut werden. Die Erfahrungen anderer europäischer Länder in der Alterstraumatologie im Bereich der Auditierung und Prozessevaluation sollten auf deutsche Verhältnisse angepasst und konsequent implementiert werden.

In Deutschland werden derzeit mehr als 400.000 alterstraumatologische Frakturen pro Jahr stationär behandelt. Prototyp ist hierbei die Fraktur des coxalen Femurs (umgangssprachlich oft, aber nicht korrekt, »Oberschenkelhalsbruch« genannt). Das Durchschnittsalter dieser Patienten liegt mittlerweile bei über 82 Jahren.

Die strukturelle Organisation und die hiermit verbundenen Prozesse vieler deutscher Krankenhäuser sind derzeit noch nicht optimal auf die alterstraumatologischen Herausforderungen vorbereitet. Die Gesundheitspolitik und die Leistungsträger legen zu Recht großen Wert auf die Qualität der Versorgung. Die präoperative, intraoperative und postoperative Versorgung der überwiegend hochaltrigen Patienten setzt eine koordinierte Behandlung von Unfallchirurgie, Anästhesie, Geriatrie und Nachbardisziplinen wie der Pflege und der Therapieberufe voraus. Derzeit erfüllen weniger als 100 Zentren in Deutschland die Voraussetzungen einer zertifizierten Alterstraumatologie. In den kommenden fünf Jahren ist davon auszugehen, dass sich viele Abteilungen auf den Weg machen werden, diese Voraussetzungen zu erfüllen. Das Weißbuch setzt sich zum Ziel, die Strukturen und Prozesse zu beschreiben, die hierfür nötig sind. Der Bewertungsmaßstab hierfür sind klinische Studien mit hoher Qualität. Die dazu nötigen Formen der Zusammenarbeit sind in Deutschland noch nicht gelebte Praxis.

Es geht darum, bis 2020 interdisziplinäre und interprofessionelle Einheiten zu schaffen, die die Stärken aller Teammitglieder gegenseitig anerkennen und fördern. Dies betrifft ärztliche und nichtärztliche Gesundheitsfachberufe. Neben den Pflegeberufen sind hier die therapeutischen Berufsgruppen an erster Stelle zu nennen. Bei der Diskussion ist zu bedenken, dass die gegenwärtige Bewertung durch die DRG-Systematik diese Prozesse nur teilweise im Rahmen der frührehabilitativen Komplexbehandlung abbildet. So werden weniger als 50 % der Patienten eines alterstraumatologischen Zentrums über das Merkmal einer frührehabilitativen Komplexbehandlung korrekt erfasst. Dabei reicht das alterstraumatologische Spektrum vom ambulant behandelten Patienten mit Radiusfraktur bis hin zum multimorbiden, in einem Pflegeheim lebenden Patienten mit Hüftfraktur.

Vor diesem Hintergrund enthält das Weißbuch eine kurze Zusammenfassung der unfallchirurgischen Therapie häufiger Frakturtypen. Der Stand der Wissenschaft wird in einer auch für Nichtmediziner verständlichen Sprache zusammengefasst. Im Bereich der unfallchirurgischen Therapie zeigt sich die Stärke einer innovativen Medizintechnik. Durch neue operative Verfahren und Implantate können relevante Fortschritte erreicht werden.

Ergänzend hierzu wird das perioperative Management durch die Anästhesie und Geriatrie vor dem Hintergrund des aktuellen wissenschaftlichen Diskurses zusammengefasst. Internationale Studien zeigen, dass die perioperative Mortalität gesenkt werden kann, wenn eine optimal koordinierte Therapie stattfindet. Viele, aber nicht alle, Komplikationen wie Pneumonie, tiefe Beinvenenthrombose, Blutungskomplikationen, Delir, Dekubitus und Infekte der Harnwege sind vermeidbar.

Die postoperative Trainingstherapie und Rehabilitation ist von herausragender Bedeutung, wenn das gesellschaftlich akzeptierte Ziel der Vermeidung und Minimierung von Pflegebedürftigkeit erreicht werden soll. Die meisten Frakturen führen über eine Phase der relativen oder absoluten Immobilität zu muskulären, koordinativen und kognitiven Defiziten. Die auch in Deutschland durchgeführten Meilensteinstudien zeigen, dass das rehabilitative Potential der meisten Patienten nicht ausreichend genutzt wird.

Bei praktisch allen alterstraumatologischen Patienten wird die Behandlung nicht mit der Entlassung aus dem Akutbereich oder der stationären Rehabilitation abgeschlossen sein. Die ambulante Behandlung weist unverändert erhebliche Defizite auf. Dies betrifft die konsequente Behandlung der Osteoporose zur Sekundärprävention ebenso wie eine konsequente ambulante Sturzprävention. Bei der Verbesserung der Schnittstellen steht Deutschland noch am Anfang.

Stuttgart, im Frühjahr 2018

Ulrich Christoph Liener, Clemens Becker und Kilian Rapp

Literatur

Hawley S, Javaid MK, Prieto-Alhambra D, Lippett J, Sheard S, Arden NK, Cooper C, Judge A; REFReSH study group. Clinical effectiveness of orthogeriatric and fracture liaison service models of care for hip fracture patients: population-based longitudinal study. Age Ageing. 2016 Mar;45(2):236-42.

Plass D, Vos T, Hornberg C, Scheidt-Nave C, Zeeb H, Krämer A: Trends in disease burden in Germany – results, implications and limitations of the Global Burden of Disease Study. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 629–38.

Prestmo A, Hagen G, Sletvold O, Helbostad JL, Thingstad P, Taraldsen K, Lydersen S, Halsteinli V, Saltnes T, Lamb SE, Johnsen LG, Saltvedt I. Comprehensive geriatric care for patients with hip fractures: a prospective, randomised, controlled trial. Lancet. 2015 Apr 25;385(9978):1623-33.

Weißbuch Alterstraumatologie und Orthogeriatrie

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