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Woke und weiße Oberherrschaft

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Die Ideologie des ›Wokismus‹ schleift diese Bastionen – ausgerechnet in Amerika, dem gelehrigsten Kind der Aufklärung. Statt Individualität herrscht Identität. Descartes’ »Ich denke, also bin ich« gehört demnach zusammen mit dem Patriarchat in den Abfalleimer der Geschichte. Denn das Ich versinkt im Kollektiv, das durch Kultur, Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, Glaube und vor allem Opferstatus definiert wird.

›Wahrheit‹ gebe es nicht; sie werde ersetzt durch diverse »Regime der Wahrheiten«, die in der Macht wurzelten, predigt Michel Foucault in Die Ordnung der Dinge. Wissenschaft sei bloß ein »Sprachspiel«, wähnt Jean-François Lyotard. Wissen ist ein Konstrukt, das die Mächtigen erfunden haben, um den Rest zu versklaven.

Wissen und Moral sind nur für diese oder jene Kultur verbindlich. Es tobt der machtbasierte Relativismus. Alles ist einerlei: ob objektiv oder subjektiv, Realität oder Vorstellung – es gehe allein um den »strategischen Nutzen« einer Theorie, doziert Lyotard. Macht ist die Karte, die alle anderen sticht. Da gehen sie dahin: Renaissance, Aufklärung und all die toten weißen Männer und ihre Erfindungen.

Witzbolde lästern mit George Orwell: »Dann ist ja zwei plus zwei gleich fünf.« Inzwischen ist der Gag die Richtschnur. Gerade hat das Bildungsministerium des US-Gliedstaates Oregon an seine Lehrer eine 82 Seiten lange Handreichung verteilt, die »Rassismus im Mathematikunterricht abbauen« soll.2 Es gebe nicht eine »richtige«, sondern viele Antworten. Das »Entweder- oder« erhalte »kapitalistische und imperialistische Ansichten über die Welt aufrecht«. Der klassische Mathe-Unterricht sei ein Werkzeug der white supremacy. Weg mit Pythagoras, Newton und leider auch den Arabern, die uns die Null und den Logarithmus verschafft haben. Mathematik ist demnach nicht objektiv. Und die Sonne geht im Osten unter.

Der Unterschied zum klassischen Totalitarismus? Keine Geheimpolizei, kein Gulag. Für Goodthink und Newspeak sorgt die Gesellschaft selber – genauer: eine deutungshoheitliche Klasse, die über die kulturellen »Produktionsmittel« verfügt und die »Kommandohöhen der Kultur« besetzt, um von Marx und Lenin zu borgen: Universitäten, Medien, Stiftungen, Schulen, Künste, ja mittlerweile auch Vorstandsetagen.

Warum diese Kulturrevolution so schnell so erfolgreich war, mögen künftige Historiker erklären. Heute gilt, dass ›Falschdenk‹ und ›Falschsprech‹ Menschen und Karrieren vernichten – ohne fairen Prozess. Die Anklage ist schon Beweis genug. Inzwischen sorgt sich selbst ein Linksliberaler wie Barack Obama. »Diese Idee von woke – hört endlich auf damit. Die Welt ist unordentlich, zweideutig.«

Da war er schon nicht mehr Präsident, doch ist der Staat längst Teil des Problems. Er hilft mit immer schärferen, auch strafbewehrten Regularien, um inakzeptables Reden und Handeln auszumerzen. Karl Marx würde sich freuen, hat er doch gelehrt, dass der Staat das willige Werkzeug der jeweils herrschenden Klasse sei.

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