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Zwischen allen Stühlen

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Die ›Moral Foundations Theory‹ besagt, dass sich moralische Urteile letztlich auf wenige fundamentale Werte reduzieren lassen. Diese Werte stellen so etwas wie Achsen dar, die je zwei Ausprägungen aufweisen können. Fünf solche grundlegende Werte-Achsen wurden durch die Autoren rund um den Psychologen Jonathan Haidt identifiziert: Fürsorge/Schaden, Gerechtigkeit/Betrug, Autorität/Subversion, Reinheit/Zersetzung und Loyalität/Verrat. Individuen können es demnach als mehr oder weniger geboten empfinden, sich um Schwächere zu kümmern, Regelverstöße zu ahnden, Autoritäten zu gehorchen, Errungenschaften vor Verunreinigungen zu bewahren oder die eigene Gruppe zu unterstützen. Entlang dieser Werte-Achsen lassen sich die herkömmlichen dichotomen politischen Lager der ›Progressiven‹ und ›Konservativen‹ oder der ›Linken‹ und der ›Rechten‹ relativ gut differenzieren: Progressive legen mehr Wert auf Fürsorge, Konservative eher auf Reinheit und Loyalität.

Nach der Veröffentlichung der Theorie erhielten ihre Urheber immer wieder verärgerte Rückmeldungen einzelner Unzufriedener, die monierten: wirklich entscheidend sei doch eigentlich die Frage, ob soziale Beziehungen von Freiwilligkeit oder Zwang geprägt sind. Wo aber finden sich diese Werte im Fünfer-Kanon? Haidt stellte fest: Der ›Moral Foundations Theory‹ fehlt ein Fundament, die Freiheit. Und siehe da, nach der Einführung einer sechsten Werte-Achse (Freiheit/Unterdrückung) zeigten Erhebungen auf einmal ein drittes politisches Lager, das sich abhebt von den Linken und den Rechten – die Liberalen.

Es ist das beständige, frustrierende Schicksal der Liberalen, dass sich das mentale Modell der zwei politischen Lager – ›Rechte‹ gegen ›Linke‹ – so tief ins kollektive Bewusstsein (und in diverse politische Systeme) eingebrannt hat, dass diese simple, eindimensionale Differenzierung des politischen Spektrums die öffentliche Debatte, die sozialwissenschaftliche Forschung und selbst das politische Denken der Bürgerinnen und Bürger dominiert.

Doch wo auf einer simplen Links-Rechts-Skala finden sich die Liberalen? In der Mitte etwa? Dort wollen bekanntlich alle stehen. Eher »zwischen allen Stühlen«, wie Marion Gräfin Dönhoff so treffend und unverwechselbar feststellte. Dies gilt auch für parteipolitische Konstellationen: Eine Partei wie die FDP sah sich etwa vor der Bundestagswahl 2021 aufmerksamkeitsökonomisch doppelt benachteiligt – als eine von vier Oppositionsparteien, die per se im Vergleich zu den Regierenden im Aufmerksamkeits-Abseits stehen. Und dann noch ›eingerahmt‹ von weiteren Parteien im Oppositionslager, die lautstärker und populistischer daherkommen und schon deshalb mehr Medienresonanz erzielen. Andererseits sind liberale Positionen für Journalisten oftmals lästig, weil kompliziert, abwägend und nicht in einfache Links-Rechts-Muster zu pressen (allen ›AFDP‹-Vorwürfen zum Trotz).

Der liberalen Selbstverortung wäre bereits geholfen, wenn statt der ein- eine zweidimensionale politische Landkarte gezeichnet würde, die etwa die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik differenziert. Denn dann findet sich neben den wirtschaftspolitisch moderaten, gesellschaftspolitisch konservativen ›Rechten‹ und den wirtschaftspolitisch konservativen, aber gesellschaftspolitisch progressiven ›Linken‹ auf einmal auch ein Feld für die gesellschafts- und wirtschaftspolitisch Progressiven – für jene eben, die Freiheit in privaten und wirtschaftlichen Belangen maximieren wollen, die Liberalen.

Empirische Erhebungen zeigen allerdings auch: dieser politische Quadrant ist dünn besiedelt. Es ist in aller Regel und in den meisten westlichen Gesellschaften eine relativ kleine Minderheit, die sich tatsächlich durch konsistente Freiheitsliebe in allen Dimensionen zwischen die Stühle setzt und sich gegen Bevormundung wehrt.

Diese quantitative Schwäche – meist auch liberaler Parteien – steht in einem interessanten Spannungsverhältnis zur Durchschlagskraft liberaler Ideen, Analysen und Instrumente. Die westliche Geistesgeschichte ist durchdrungen von liberalen Ideen, die maßgeblich politische Institutionen prägten und prägen – bis hin zum Journalismus. Das wirft auch für Medien und Journalismus die Frage auf: Sind Liberalismus und Liberalität im Berufsfeld nun allgegenwärtig, in Form von Normen, Regeln, Institutionen und die Meinungs- und Pressefreiheit sichernden Grundwerten? Oder sind gelebter Liberalismus und Liberalität unter Journalisten eher ein kleines Minderheitenphänomen?

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