Читать книгу Ökumenische Kirchengeschichte - Группа авторов - Страница 17

Einheit in Verschiedenheit: Apostelkonvent und antiochenischer Zwischenfall

Оглавление

Die beschneidungsfreie Aufnahme von Heiden in das Gottesvolk war der große Streitpunkt nicht nur zwischen christlichen Gruppen und der jüdischen Synagoge, sondern auch unter den christlichen Gruppen selbst. Der Apostelkonvent in Jerusalem, um 48 n. Chr., war ein erster Versuch, ein überregionales Gesprächsforum zu schaffen, um die divergierenden Optionen zu diskutieren, die zu einer unterschiedlichen rituellen Praxis geführt hatten. Inhaltlich ging es um die Bedeutung von Identitätsmerkmalen, konkret der Beschneidung, für das christliche Selbstverständnis. In diesem Fall ist die Quellenlage ausnahmsweise gut. Außer dem Augenzeugenbericht des Paulus (Gal 2,1–10) steht uns die Erzählung des Lukas in Apg 15 zur Verfügung. Es bestehen allerdings nicht zu harmonisierende Sachdivergenzen. Sie gehen auf das Konto unterschiedlicher Darstellungsintentionen.

(1) Nach Paulus war der Anlass des Konventes eine göttliche Offenbarung (Gal 2,2). Im Kontext des Galaterbriefes will Paulus seine von Gott verbürgte Unabhängigkeit gegenüber den Jerusalemer Autoritäten demonstrieren und den Konvent als zweiten Akt seiner Berufungsgeschichte darstellen, durch den Gott selbst die Heidenmission vorantreibt. Aber er verrät sich, wenn er davon spricht, dass er in Jerusalem sein Evangelium „vorlegt“, um nicht „ins Leere“ zu laufen (Gal 2,2). Es ging also doch um eine Prüfung seiner Missionspraxis mit dem Ziel, sie ratifizieren zu lassen. Außerdem gab es offensichtlich eine starke Opposition. Paulus nennt sie „Falschbrüder“ und vergleicht sie mit Spionen (Gal 2,4). Insofern könnte die lukanische Darstellung historisch Zuverlässiges bewahrt haben: Der Besuch einer Jerusalemer Abordnung in Antiochien stellte die dortige Missionspraxis in Frage. Die antiochenische Gemeinde selbst wünschte eine Klärung in Jerusalem (Apg 15,1f.).

(2) Was die Zusammensetzung des Konventes angeht, bietet Lukas die große Variante: die Gesamtgemeinde mit den Aposteln und Presbytern sowie Paulus und Barnabas mit einer Abordnung aus Antiochien (Apg 15,4.22). Ihm schwebt offensichtlich ein Konfliktlösungsmodell auf prinzipiell demokratischer Basis vor, wie er es schon für die Schlichtung des Witwenstreites in Apg 6 erzählt hat. Paulus dagegen schildert die kleine Variante: Drei Vertreter aus Antiochien (Paulus, Barnabas und Titus) verhandeln mit den drei „Säulen“ Jakobus, Petrus und Johannes in Jerusalem. Im Kontext des Galaterbriefes will Paulus damit seine Gleichrangigkeit mit den Jerusalemer Autoritäten demonstrieren. Wenn er aber in Gal 2,4f. betont, den „Falschbrüdern“ nicht eine Stunde nachgegeben zu haben, dann war auch die Opposition am Verhandlungstisch mit dabei. Als historisches Szenario ist also eine Aussprache der beiden Konfliktparteien (die „Falschbrüder“, die auch für Heiden die Beschneidung fordern, und die antiochenische Abordnung, die ihre Praxis verteidigt) vor den Jerusalemer Autoritäten anzunehmen. Das Besondere an der Zusammensetzung des Konventes betrifft einen anderen Punkt: Die Sachfrage der Beschneidung wurde in Gegenwart einer Person verhandelt, die persönlich von der zu fällenden Entscheidung betroffen war: Titus, ein nicht beschnittener, aber getaufter Heide aus Antiochien (Gal 2,1.3).

(3) Das Ergebnis des Konventes ist nach Lukas ein gemeinsamer Beschluss darüber, wie viel den von der Tora bekehrten Heiden zugemutet werden kann, festgehalten im so genannten Aposteldekret („Jakobusklauseln“). Konkret geht es um Essens- und Eheregeln (Verzicht auf Götzenopferfleisch, Blut und Ersticktes, Verbot von Verwandtenehen). In der Tradition von Lev 17f. handelt es sich um Mindestforderungen („noachidische Gebote“), die Nichtjuden beachten müssen, wenn sie mit Juden zusammenleben wollen. Paulus kannte diese Regeln nicht bzw. hat sie (gegen Apg 16,4) nie akzeptiert. Sonst hätte er sich die langen Dispute in 1 Kor 8 und 10 sparen können. Auch Lukas selbst geht nach Apg 21,25 davon aus, dass Jakobus dem Paulus bei seinem letzten Jerusalembesuch vom Aposteldekret als einer neuen Entwicklung erzählt. Nach Paulus stand einzig und allein das Thema „Beschneidungszwang für Heiden“ zur Debatte, und darauf bezog sich gemäß seiner Darstellung auch das Ergebnis des Konventes: die Verkündigung des einen Evangeliums berücksichtigt künftig die unterschiedlichen kulturellen Vorgaben der Zielgruppe. Unbeschnittene Heiden brauchen sich nicht beschneiden zu lassen („Evangelium der Vorhaut“). Dafür sind Paulus und Barnabas zuständig. Beschnittene Juden werden auch weiterhin ihre Kinder beschneiden lassen. Dieser Adressatengruppe gilt das Apostolat des Petrus (Gal 2,7–9). Eine einzige Auflage für die Heiden nennt Paulus: die Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde (Gal 2,10: „Allein der Armen, damit wir [ihrer] gedenken …“). Diese Auflage konnte unterschiedlich gewertet und interpretiert werden. Aus Jerusalemer Sicht unter ethischem Aspekt: Almosen für die Armen Israels können als Ausdruck des ernsthaften Bekehrungswillens von Heiden gesehen werden. Damit bleiben sie aber im Status von Gottesfürchtigen, also im zweiten Glied. Paulus dagegen betont in 2 Kor 8f. (Kollektenbriefe) sowie in Röm 15,25–27 unter dem Leitwort κοινωνία den kommunikativen Aspekt der Gemeinschaft (vgl. Gal 2,9), innerhalb deren der Austausch unterschiedlicher Güter stattfindet. Über diese Ambivalenz war sich Paulus offensichtlich im Klaren. Denn als er am Ende seines Lebens die Kollekte, für die er unermüdlich in seinen Gemeinden geworben hat, nach Jerusalem bringen will (ca. 57 n. Chr.), fürchtet er die „Ungläubigen“ in Judäa, also die einheimischen Juden, und ist sich nicht sicher, ob seine Gabe den „Heiligen“, also der Jerusalemer Gemeinde, überhaupt willkommen ist (vgl. Röm 15,30–32). In den wachsenden politischen Spannungen unmittelbar vor dem Jüdischen Krieg ist das verständlich. Denn das Signal für dessen Ausbruch war die Ablehnung der Gaben und Opfer von Nichtjuden am Tempel (vgl. Josephus, Bellum Judaic. II 409). In diese Kategorie sieht Paulus seine Gemeinden gestellt – nicht nur in den Augen der „Ungläubigen“. Mit der Annahme der Kollekte würde die Jerusalemer Gemeinde die Mitglieder der paulinischen Gemeinden als Juden anerkennen und sich damit gegen die verschärfte Marschroute derjenigen Gruppen stellen, die am Tempel – und das heißt in der offiziellen Politik – immer mehr an Einfluss gewinnen.

„Getrennt bei den Mahlzeiten“ (separati epulis), das war das gesellschaftlich relevante Verhaltensmerkmal der Juden. Wegen ihrer diversen Speisevorschriften (vgl. Lev 11), von denen die Ablehnung des Schweinefleischs die bekannteste war, vermieden sie es, sich gemeinsam mit Nichtjuden an einen Tisch zu setzen. In die Augen fallen konnte dieses Verhalten natürlich nur in der Diaspora, nicht dagegen im Mutterland. Denn dort waren Juden unter sich, partizipierten an der jüdischen Infrastruktur; Fremde im Land hatten sich an die noachidischen Gebote zu halten. Deshalb fand es niemand der Erwähnung wert, dass Titus, der Heide, in Jerusalem während des Konventes natürlich zusammen mit den Juden gegessen hatte, aber es erregte großes Aufsehen, dass Petrus, der Jude, in Antiochien zusammen mit den (bekehrten) Heiden zu essen pflegte (vgl. Gal 2,12). Das war eine Regelverletzung. Genau genommen: Das Verhalten wurde als Regelverletzung erst dann wahrgenommen, als Leute von Jakobus auftauchten – und damit den so genannten antiochenischen Zwischenfall auslösten, den Paulus in Gal 2,11–14 fragmentarisch referiert. Demgemäß zog sich Petrus, für den es – wie für andere Judenchristen auch – offensichtlich Usus geworden war, in heidnischen Häusern das Herrenmahl zu feiern, aus diesem Milieu zurück, als wären Heidenchristen kultisch unrein. Die anderen Judenchristen und sogar Barnabas folgten seinem Beispiel. Verwunderlich nun ist, (1) dass allein die Gegenwart der Jakobusleute einen derartigen Sinneswandel auslösen konnte, obwohl es weder zu einem Disput noch zu einer Anschuldigung kam, und (2) dass Paulus sich nicht mit den Jakobusleuten, sondern mit Petrus angelegt hat (Gal 2,14).

(1) Petrus hat – das wurde ihm durch die Anwesenheit der Jakobusleute bewusst – die Abmachungen des Konventes gebrochen. Als Exponent der Judenmission war er dafür verantwortlich, dass diese innerhalb der Konventionen des Judentums verlief. Aber er verhielt sich wie die Adressaten der heidenchristlichen Mission, denen Zugeständnisse an die Konventionen der paganen Kultur gemacht wurden. Gemäß dem Konvent blieben Juden auch als Jesusanhänger Juden – und das heißt: ihren Traditionen und Konventionen verpflichtet, also: separati epulis. Dem leistete Petrus mit seinem Rückzug Folge. Kein Wunder, dass auch „die übrigen Juden“ das integrierte Herrenmahl aufgaben (Gal 2,13). Problematisch muss die Entscheidung für Barnabas gewesen sein. Wie Paulus war er Exponent der Heidenmission. Trotzdem hat er sich von den Tischen seiner Missionsadressaten getrennt. Offensichtlich wollte er hinsichtlich seiner eigenen Identität im „jüdischen Haus“ bleiben. Paulus dagegen identifizierte sich mit seinem Missionsauftrag – und wurde tatsächlich den Heiden ein Heide (vgl. 1 Kor 9,21).

Man kann noch einen Schritt weitergehen. Der Konflikt hat auch einen religionspolitisch relevanten Aspekt: Solange den Gottesfürchtigen für ihre Bekehrung zum Evangelium die Beschneidung nicht zur Bedingung gemacht wurde, blieb das nicht nur auf der Linie des Apostelkonventes, sondern war generell auch für den Dachverband der Synagogen unproblematisch. Erst wenn als Konsequenz aus dem verbindenden Glauben an das gleiche Evangelium die jüdischen Grenzziehungen durchbrochen werden, also jüdisch-heidnische Tischgemeinschaft zu heidnischen Bedingungen praktiziert wird, wird jüdisches Selbstverständnis öffentlich in Frage gestellt. Vielleicht wollten die Jakobusleute einem solchen Eklat vorbeugen, der durch die Durchbrechung kultischer Trennzäune provoziert werden musste. Die antiochenischen Juden jedenfalls haben offiziell einen Trennstrich zu derjenigen Gruppierung gezogen, die – aus ihrer Sicht – die eigene Sache verriet (vgl. S. 30f.).

(2) Paulus legte sich nach Gal 2,14 mit Petrus nicht deswegen an, weil er plötzlich die Tischgemeinschaft mit den Heiden aufgab (das wird in Gal 2,13 als „Heuchelei“ verurteilt), sondern weil er die Heiden „zwingen“ wollte, die jüdische Lebensweise anzunehmen (ἰουδαῒξειν). Petrus hat also versucht, den Heiden Auflagen zu machen. Paulus lehnte das schärfstens ab und sah darin ein Abweichen von der „geraden Linie“, also einen Kompromiss, wie er auf dem Apostelkonvent (noch) vermieden worden war. Vermutlich hat Petrus in Ansätzen sachlich genau das vorgeschlagen, wovon Paulus später nichts wissen wollte, eben die Klauseln des Aposteldekrets, wodurch ein Zusammenleben von Juden und Nichtjuden zu jüdischen Bedingungen ermöglicht wurde – mit Minimalanforderungen für Nichtjuden. Es gab also in Antiochien drei Positionen: Paulus beharrte auf der Tischgemeinschaft von Juden und (bekehrten) Heiden, ohne jegliche zusätzliche Forderungen für die Heidenchristen. Die Jakobusleute forderten die Trennung der Tische ein, damit Juden auch als Christen Juden bleiben konnten. Petrus hat vermutlich einen Kompromiss gewagt: ein Plädoyer für die Tischgemeinschaft, verbunden allerdings mit Minimalanforderungen für die Heidenchristen.

Wir erfahren nicht, wie die Debatte zu Ende gegangen ist. Hätte sich Paulus durchgesetzt, hätte er diesen Punktsieg gegenüber dem Jerusalemer Apostel sicher im Galaterbrief vermerkt. Er reiste aus Antiochien ab und kehrte nie wieder dorthin zurück. Petrus dagegen hat den Weg gewiesen, der für weite Teile des kleinasiatischen Christentums bestimmend geworden ist. Beschlossen aber und promulgiert wurde das Aposteldekret von Jerusalem aus. Lukas scheint alte Traditionen verarbeitet zu haben. Denn der entsprechende Brief (Apg 15,22–29) ist nicht nur an die antiochenische Gemeinde adressiert, deren Konflikte der Apostelkonvent zu klären versuchte, sondern als Rundbrief an alle Gemeinden in Syrien und Zilizien gedacht, dem ehemaligen Missionsgebiet des Paulus (vgl. Gal 1,21). Als Absender wird nicht die Gesamtgemeinde genannt, die sich Lukas für den Konvent als Entscheidungsträger vorstellt, sondern „die Apostel und die Presbyter“, also bereits das Gremium, das nach dem Weggang des Petrus aus Jerusalem zusammen mit Jakobus die Führung übernahm (vgl. Apg 21,18). Inhaltlich gesehen handelt es sich beim Aposteldekret um eine Nachbesserung der Beschlüsse des Konventes, wo lediglich die Zulassungsbedingungen, nicht aber die Konditionen für das Zusammenleben von Juden und Heiden bedacht wurden. Kirchenpolitisch betrachtet hat Petrus die neuen Jerusalemer Autoritäten dafür instrumentalisieren können, einem auf Lokalebene (in Antiochien) ausgehandelten Kompromiss für das gesamte (bisherige) Missionsgebiet in Syrien und Kleinasien Geltung zu verschaffen. Die paulinische Mission setzte jenseits dieser Grenzen an.

Wurde auf dem Apostelkonvent die Einheit der christlichen Gemeinden unter Anerkennung ritueller und kultureller Verschiedenheit gewahrt, so bedeuteten die Jakobusklauseln – als „Frucht“ des antiochenischen Zwischenfalls – eine rituelle Vereinheitlichung, wobei aber wegen der Verweigerung des Paulus die Einheit tatsächlich auseinander gebrochen ist.

Ökumenische Kirchengeschichte

Подняться наверх