Читать книгу Ökumenische Kirchengeschichte - Группа авторов - Страница 18

Variationen urchristlicher Mission

Оглавление

Die Ausbreitung des Christentums ging in Windeseile voran. Gut 25 Jahre nach der Exekution Jesu in Palästina durch den römischen Prokurator Pontius Pilatus bezeugt die Grußliste des Römerbriefes (etwa 56 n. Chr.) sieben christliche Hausgemeinden in der Hauptstadt des Weltreiches. Der römische Geschichtsschreiber Sueton berichtet von „Juden, die, von Chrestos aufgehetzt (impulsore Chresto), fortwährend Unruhe stifteten“ (Vitae V 25,4) und deswegen von Kaiser Claudius aus Rom ausgewiesen worden seien (49 n. Chr.). Es könnten speziell diejenigen Juden gemeint sein, die wegen ihrer Christusverkündigung unter der Judenschaft Roms Anlass zu Unruhen gaben. Konkret ging es natürlich, ähnlich wie in Antiochien, um die höchst umstrittene Aufgabe der Beschneidungsforderung für Heiden. Wenn schließlich die Notiz bei Dio Cassius (LX 6,6), Kaiser Claudius habe bereits kurz nach seinem Regierungsantritt (41 n. Chr.) den Juden befohlen, bei ihrer herkömmlichen Lebensweise zu bleiben, sich ebenfalls auf die umstrittene Missionspraxis der Jesusanhänger bezieht, hieße das: Vielleicht schon gut zehn Jahre nach Jesu Tod waren seine Anhänger in das Zentrum des Römischen Reiches vorgestoßen und machten durch Aufweichung jüdischer Identitätsmerkmale öffentlich auf sich aufmerksam.

Christen hatten es auf Rom abgesehen, aber nicht nur auf die Hauptstadt. Pointiert könnte man sagen: Mit ihrer Botschaft unterliefen sie das römische Weltreich und nutzten dafür dessen Infrastruktur. Nicht nur die gepflasterten Straßen und die von Pompeius befriedeten Schifffahrtswege, sondern vor allem die Verwaltungszentren, von denen aus das Riesenreich mit seinen unterschiedlichsten regionalen Ausprägungen beherrscht wurde: die Provinzhauptstädte. Das waren nicht nur die Knotenpunkte der Verwaltung, sondern – genauso wie die Veteranenstädte, die sich teilweise mit ihnen überlappten – auch die römischen Kulturinseln, die ein neues Netz über die antike Weltkarte legten.

Vor allem ein Mann hatte es im Urchristentum präzise auf dieses neue, wahrhaft universale Netzwerk der Römer abgesehen: Paulus. Er brachte seine Mission in die Provinzhauptstädte bzw. Veteranenstädte und dachte in dieser römischen Verwaltungskategorie (vgl. 1 Kor 16,15,19; 1 Thess 1,7; Röm 15,18f.). Es ist symptomatisch für ihn, dass er nicht in Athen, der alten Kulturhauptstadt Griechenlands, sondern in Korinth, der Provinzhauptstadt von Achaia, eine christliche Gemeinde gegründet hat. Eroberten die Römer die Welt, um sie ihrer Macht zu unterstellen und sie finanziell auszubeuten, so wollte Paulus die Welt erobern, um sie der Macht des Evangeliums zu unterstellen – zu ihrer eigenen Rettung im Endgericht. Wird gemäß römischer Tradition jede große Eroberung durch einen Triumphzug demonstriert, so vergleicht Paulus seine Missionsanstrengungen in 2 Kor 2,14 mit einem großen Triumphzug, in dem aber nicht er, sondern Christus der Triumphator ist, der ihn, Paulus, mitführt. Paulus verbreitet nur den guten Duft, ist also der Weihrauch, der im römischen Hofzeremoniell dem Kaiser vorangetragen wird.

Paulus war so genial und überwältigend, dass er unsere Vorstellung von „Mission“ dominiert. Aber es gab vor, neben und nach ihm noch andere Arten von Mission, auch andere Namen – und anonym bleibende Gestalten.

Auf der einen Seite stehen die Missionare, die Netzwerke aufbauten und in großer eschatologischer Eile agierten. Dazu gehört Paulus. Er hat sich dem Programm verschrieben, stets nur die Städte anzuzielen, in denen er als erster Missionar Grundlagenarbeit zu leisten hat (vgl. Röm 15,20f.; 1 Kor 3,10–15; 2 Kor 10,12–16). Sein sozusagen palästinisches Pendant bilden die Q-Missionare, deren Verkündigungsstoffe in der so genannten Logienquelle gesammelt sind. Ihr „Netzwerk“ bestand aus einzelnen und verstreuten Sympathisantenhäusern innerhalb der kleineren und größeren Kommunen im galiläisch-syrischen Grenzraum. Die Mission des Paulus präsentiert sich – trotz der immer wieder genannten Mitarbeiter – als Alleingang. Die Q-Mission wurde von Ehepaaren getragen (vgl. Q 14,26).

Auf der anderen Seite gab es Missionare, die vor Ort blieben und die christliche Präsenz langsam wachsen ließen. Diese Variation wird durch den Siebenerkreis vertreten, dessen Mitglieder und Epigonen innerhalb der Städte häusliche Zentren bildeten, entweder in Familienstruktur (Philippus mit seinen prophetisch begabten Töchtern in Caesarea: Apg 21,8f.) oder in mit Männern besetzten Leitungsgruppen, wie sie für die jüdischen Gemeinden in der Diaspora üblich waren.

Über den dritten Missionstyp, den vielleicht wirksamsten, ist am wenigsten bekannt: die Mund-zu-Mund-Propaganda. Dabei geht es in Bezug auf die Beteiligten um die vielen namenlosen und unbewussten „Missionare“, die in ihren alltäglichen Kontakten und durch ihren Lebensstil auf das Christentum aufmerksam machten. Dieser Gärungsprozess dürfte nicht erst im zweiten und dritten Jahrhundert (Harnack), sondern von Anfang an (Reinbold) wirksam gewesen sein.

Versteht man unter „Mission“ die gezielte Ausbreitung einer Religion unter Menschen, die noch nicht Anhänger dieser Religion sind, dann fällt eigentlich nur die paulinische Mission unter diese Rubrik. Die Q-Mission blieb als Erneuerungsbewegung völlig innerhalb des Judentums, der Siebenerkreis richtete sich zumindest in seiner Anfangsphase an „Verlorene“ unter den zwölf Stämmen Israels, so dass für diese Bewegungen eher das Wort „Propaganda“ zutrifft. Unter diesem Leitwort ließe sich auch die Initialaktion Jesu fassen, genauso wie der unsystematische Gärungsprozess, der eher Frucht von ansteckender Lebensweise als von Überzeugungsstrategien gewesen ist. Nehmen wir die einzelnen Typen genauer unter die Lupe.

Die Q-Missionare führten die Verkündigung Jesu fort. Sie verstanden sich als dessen Sprachrohr (Q 10,16). Wie er zogen sie als Wanderradikale durchs Land, ließen Clan und Besitz hinter sich. Ihre auffällig defizitäre Reiseausrüstung (vgl. Q 10,4) zwang sie täglich neu zur Kontaktaufnahme, setzte sie von normalen Bettlern ab und ließ sie gleichzeitig ihre Botschaft durch ihre Lebensweise verkörpern. Sie zielten nicht die Marktplätze an, wo die Bettler zu finden waren, sondern die Türen der Häuser und wollten als Gäste aufgenommen werden (vgl. Q 11,9f.). Sie hatten weder Börse noch Proviantsack bei sich, konnten also gar keine Vorräte für die nächsten Tage annehmen. Damit demonstrierten sie ihr Vertrauen darauf, dass Gott ihnen täglich das Notwendige gibt (vgl. Q 11,2). Sie trugen weder Sandalen, wie sie für eine schnelle Flucht notwendig gewesen wären, noch einen Stock zur Verteidigung gegen Straßenräuber. Schon äußerlich sichtbar standen sie für die Botschaft von der provokativen Wehrlosigkeit („Feindesliebe“) ein. Lediglich ein Mantel war ihnen zu tragen erlaubt – als Decke für die Nacht, wie es für die Armen üblich ist (Ex 22,25f.).

Die Annahme ihrer Botschaft wurde durch die Gastfreundschaft im Haus demonstriert. Wurden sie abgelehnt, zogen sie weiter. Nicht ihnen, sondern den Hausbewohnern war etwas entgangen: der Segen der Gottesherrschaft (vgl. Q 10,5–7).

In einer späteren Phase waren nicht mehr einzelne Häuser das Ziel (vgl. Q 10,8–7), sondern ganze Städte, die vor die Entscheidung gestellt wurden (vgl. Q 10,8–12). Die Eile ist (noch) größer geworden, der angezielte Aktionsradius flächendeckender. Im Fall der Ablehnung wurden allerdings die Gerichtsandrohungen immer schärfer (vgl. Q 10,13–15). Es könnte sein, dass es ganz einfach die Gleichgültigkeit der galiläischen Landbevölkerung gegenüber diesen „radikalen Vögeln“ gewesen ist, die von den Q-Missionaren als Abweisung registriert und theologisch als Ablehnung einer prophetischen Sendung verarbeitet worden ist (vgl. Q 6,22f.). Umso wichtiger wurden die Stützpunkte der Sympathisanten: Sie sollten darum beten, dass Gott (mehr) Arbeiter in seine Ernte sendet (vgl. Q 10,2).

Die intendierten Adressaten der Q-Mission waren die Juden im Heimatland Jesu. Heiden treten nur als virtuelle Vorbilder in Erscheinung, deren Bekehrungswille das eigene Volk anstacheln soll: „Wenn in Tyrus und Sidon die Machttaten geschehen wären …“ (Q 10,13). Nur ein einziges Mal ist von einer realen Begegnung mit einem heidnischen Hauptmann die Rede (Q 7). Neben seinem außergewöhnlichen Glauben wird vor allem sein Respekt vor den Grenzen zwischen Juden und Heiden hervorgehoben. Er schlägt eine Fernheilung vor, damit Jesus sein Haus nicht betreten muss. Die Q-Missionare standen an der Schwelle zu den Heiden. Sollte diese überschritten werden, waren sie für die ersten Begegnungen vorbereitet: Die Essensregel in Q 10,7 („Esst und trinkt, was sie euch vorsetzen“) ließ sich über die Forderung der Anspruchslosigkeit hinaus auch als situationsbedingte Aufhebung der Speisegesetze verstehen.

Die „Sieben“ und ihre Epigonen betrieben Stadtmission. Samaria, Caesarea und Antiochien gehörten zu den bekanntesten Wirkungsstätten. Nach dem Tod des Stephanus waren ihre Adressaten zunächst Randsiedler des Judentums. Schon bald überschritten sie diese Schwelle und nahmen durch den Ritus der Taufe, der an die Stelle der Beschneidung trat, Heiden auf, die mit dem Judentum sympathisierten: „Gottesfürchtige“. Anlaufstellen waren für sie die jüdischen Synagogen, in deren Umfeld diese spezielle Klientel anzutreffen war. Es ergab sich ein Wechselspiel zwischen dem öffentlichen Raum der Synagoge und dem privaten Raum der Häuser, in denen sie ihre Schriftauslegung praktizierten und Herrenmahl feierten. Parallel zu den synagogalen Strukturen etablierten sich Männergremien in Leitungsfunktionen: In Jerusalem war es der Siebenerkreis, für Antiochien ist eine Fünferliste überliefert (Apg 13,1). Ihre Aufgaben dürften vor allem spiritueller Natur gewesen sein. Sie fungierten als Propheten und Lehrer (Apg 13,1). Das eine betrifft die geistgeleitete Rede zur aktuellen Lage (z.B. Stephanus mit der Anklage seiner Zuhörer als Mörder: Apg 7,51–53), das andere die geistgeleitete Auslegung der Tradition (z.B. Philippus auf dem Wagen des Äthiopiers: Apg 8,35). In der Geschichte dieses Kreises lässt sich ein doppelter Paradigmenwechsel erkennen: (1) Von der Vorstellung des Wachstums vor Ort zur Sendungsmission. Blieben die Lehrer und Propheten zunächst vor Ort und bildeten das Zentrum der Hausgemeinden, so ist in Apg 13,2f. davon die Rede, dass – auf den Impuls des Heiligen Geistes hin – die Gemeinde von Antiochien Missionare aussendet: Barnabas und Paulus. Sie steuerten, wie gewohnt, die Städte an: Paphos auf Zypern, Antiochien in Pisidien, Ikonium, Lystra und Derbe in Lykaonien. Vor Ort setzen sie Leitungsgremien ein (Apg 14,23) und kehrten nach Antiochien zurück. Im griechischen Kulturhorizont gedacht, könnte man von der Gründung von Kolonien sprechen. Zielten die Missionare des Siebenerkreises ursprünglich eine bestimmte Stadt an und zogen gegebenenfalls in die nächste Stadt weiter, wie etwa Philippus von Samaria nach Caesarea, so ging man in Antiochien dazu über, dass die Muttergemeinde Tochtergemeinden gründete. Das steht in gewisser Analogie zur Q-Mission: Ist es dort Jesus, der aussendet (vgl. Q 10,3), so tritt in der Missionskonzeption des Siebenerkreises die Gemeinde an diese Stelle. Die Ausgesandten führen dann den sprechenden Titel „Apostel“ (von άποστέλλειν = aussenden, vgl. Apg 14,4f.,14). (2) Vom Einzelmissionar zum Missionsduo. Die zweite Veränderung betrifft die Akteure: Reisten zunächst einzelne Missionare von Stadt zu Stadt (Philippus) bzw. etablierten sich vor Ort Leitungsgremien, die den Kern einer neuen Jesusanhängerschaft bildeten (Antiochien), so traten mit der Tochtergemeinden-Mission reisende Männerduos auf, wie etwa an Barnabas und Paulus zu sehen ist (Apg 13f.; vgl. 1 Kor 9,6).

Paulus ist in jeder Hinsicht ein Sonderfall. Er ist ein typischer Quereinsteiger. Er machte eine sagenhafte Karriere in einer Gruppierung, deren Ziele er zunächst bis aufs Blut bekämpft hatte. Er ist der Einzige unter den urchristlichen Missionaren, der über seine Aktivitäten auch selbst geschrieben hat. In Gal 1,15–2,10 präsentiert er seinen Werdegang von seiner Berufung bis zum Apostelkonvent mit präzisen Orts- und Zahlenangaben in relativer Chronologie. Werden seine Angaben mit den Nachrichten der Apostelgeschichte abgeglichen und mit zeitgeschichtlichen Ereignissen vernetzt, ist es möglich, die Ereignisfolge der frühchristlichen Missionsgeschichte in eine absolute Chronologie zu setzen. Folgendes Standardmodell hat sich durchgesetzt:


Der eine Eckpunkt für die absolute Chronologie ist das Prokonsulat des Gallio (51/52 n. Chr.) in der Provinz Achaia, unter dessen Amtszeit es nach Apg 18,12–17 zu einer Vernehmung des Paulus während seines Gründungsaufenthaltes in Korinth gekommen ist. Den anderen Eckpunkt bildet der Tod Jesu, der hier nach der johanneischen Chronologie auf das Jahr 30 n. Chr. gesetzt ist. Alle anderen Daten werden von diesen Eckpunkten aus berechnet.

Das Problem der vorliegenden Standardchronologie besteht darin, dass die Zeitspanne zwischen dem antiochenischen Zwischenfall und dem Korinthaufenthalt sehr knapp bemessen ist. Alternative Lösungsversuche ziehen (1) entweder den Apostelkonvent zeitlich vor, nämlich auf das Jahr 43, noch vor den Tod von König Herodes Agrippa I. (Suhl). Mit den Paulusangaben wird das so abgeglichen, dass die Zahlenangabe in Gal 2,1 „nach 14 Jahren ging ich wieder hinauf nach Jerusalem“ nicht auf den ersten Jerusalembesuch, sondern auf den Zeitpunkt der Bekehrung bezogen wird (in der Antike rechnete man das erste und letzte Jahr gewöhnlich mit). Damit fiele allerdings die Bekehrung des Paulus noch in das Todesjahr Jesu. Oder (2) man setzt die Europamission vor dem Apostelkonvent an und sieht in der lukanischen Darstellung ein theologisches Konstrukt: Paulus lässt sich für seine beschneidungsfreie Missionsarbeit zuerst den Segen der Apostel geben (Knox/Lüdemann, New Chronology).

Die Bekehrung des Paulus fand im Kontext der Stadt Damaskus statt. Dorthin jedenfalls kehrte er gemäß seinen eigenen Angaben in Gal 1,17 nach seiner Bekehrung wieder zurück. Es dürfte also ganz konkret die Gemeinde von Damaskus gewesen sein, über die Paulus die neue, beschneidungsfreie Missionsmethode kennen gelernt hatte, die er als eifriger Pharisäer mit allen Mitteln bekämpfte. Es ist in Bezug auf die Chronologie interessant, dass also bereits um 33/34 n. Chr. in der Stadt Damaskus die Missionspraxis von außen wahrgenommen wurde, die der Siebenerkreis nach dem Tod des Stephanus etabliert hatte. Einmal auf der anderen Seite, stieg Paulus voll in das Programm dieser Gruppierung ein. Das kann man auch an seiner ersten Missionsphase sehen. Drei Jahre lang missionierte er in der Arabia. Ziemlich sicher ist damit das Gebiet der Nabatäer gemeint (Knauf). Vom Typ her agierte er als Solomissionar unter jüdischen Randsiedlern, wie es für die Frühphase des Siebenerkreises kennzeichnend war. Ging Philippus zu den Samaritanern, so Paulus ins Land der Söhne Ismaels (vgl. Gen 25,13). Wieder zurück in Damaskus, musste er am eigenen Leib erleben, was er zuvor selbst den christlichen Gemeinden angetan hatte: Nach ihm wurde gefahndet. Vermutlich handelte es sich um eine konzertierte Aktion zwischen der jüdischen Gemeinde von Damaskus als Initiatorin (vgl. Apg 9,23–25) und dem Ethnarchen des Nabatäerkönigs Aretas IV. als Exekutivorgan (vgl. 2 Kor 11,32f.). In einer Nacht- und Nebelaktion wurde Paulus mit einem Korb die Mauer hinuntergelassen und konnte entkommen.

In seiner zweiten Phase sehen wir Paulus als Partner in einem Missionsduo (vgl. Apg 13f.). Barnabas, der Paulus nach Antiochien geholt hatte (vgl. Apg 11,25f.), nahm ihn auf die Missionsreise nach Zypern und Pisidien mit, wo beide als „Apostel“ der antiochenischen Gemeinde fungierten. In seiner dritten Phase, nach dem antiochenischen Zwischenfall – Barnabas hatte sich damals gegen Paulus gestellt –, agierte Paulus erneut als Solomissionar, aber niemals mehr als „Apostel“ einer der Städte des Siebenerkreises, sei es Damaskus oder Antiochien. Wie kein anderer führte Paulus zwar das ursprüngliche Programm der beschneidungsfreien Heidenmission konsequent durch und trug das Siebenerkreis-Modell, wie es in Damaskus und Antiochien praktiziert wurde, in alle Welt, aber in der Organisation seiner Mission setzte er sich von seinen Lehrern und theologischen Gesinnungsgenossen provokativ ab. Obwohl wir aus den vielen in den Paulusbriefen genannten Namen auf einen großen Mitarbeiterstab schließen können, blieb Paulus immer der Princeps. Niemals mehr agierte er im gleichberechtigten Duo. Ziel seiner Reisen blieben zwar in der Linie der Missionspraxis des Siebenerkreises die Städte, aber der Orientierungspunkt, von dem her Paulus seine Reisen organisierte, war nicht eine „Mutterstadt“ wie Antiochien, sondern die Karte des römischen Weltreiches. Dessen Provinzhauptstädte hatte Paulus im Blick. Die Rolle von „Vater“ und „Mutter“ für die Gemeinden, die er gründete, übernahm Paulus selbst (vgl. 1 Kor 4,14f.; Gal 4,19; 1 Thess 2,7). Als Ursprungsgemeinde erkannte Paulus lediglich Jerusalem an. Die Kollekte gemäß den Vereinbarungen des Konventes als Zeichen der Anerkennung und Verbindung dorthin zu bringen, war sein großes Ziel. Niemals organisierte er seine Gemeinden vor Ort nach dem Vorbild jüdischer Synagogalgemeinden. Die Strukturen ließ er geradezu „wild“ wachsen. Als Leitbegriff fungiert „Gemeindeaufbau“ (vgl. 1 Kor 3,10–15; 14,3–5), ein prägendes Bild ist der „Leib mit seinen vielen Gliedern“, der nur dann funktioniert, wenn jeder seine Funktion wahrnimmt und sie in Kooperation mit anderen zum Einsatz bringt (vgl. 1 Kor 12,12–27). Nach wie vor nennt sich Paulus in den Präskripten seiner Briefe „Apostel“, aber niemals mehr im Sinn eines „Abgesandten“ einer Mutterstadt, sondern im Sinn der Gleichstellung mit all denen, die vor ihm einer Christuserscheinung gewürdigt wurden (vgl. 1 Kor 9,1). Damit stellt er sich über all jene, deren Missionsmethoden er zuerst bekämpfte, von denen er sich im antiochenischen Zwischenfall verraten fühlte und von denen er sich dann endgültig getrennt hat. Nach Antiochien kehrte er – nach eigenen Zeugnissen – nie mehr zurück.

Im Einzelnen verlief der Weg des Paulus nach dem antiochenischen Zwischenfall folgendermaßen: Über Galatien zog er an die Westküste Kleinasiens, setzte per Schiff nach Europa über und erreichte über die Hafenstadt Neapolis die römische Veteranenstadt Philippi, wo er seine erste christliche Gemeinde in Europa gründete. Die nächsten Stationen waren Thessalonich (Hauptstadt der Provinz Mazedonien), Korinth (Hauptstadt Achaias) und Ephesus (Hauptstadt der Provinz Asia). Betrachtet man diese Route auf der Landkarte, so ergibt sich ein merkwürdiger Rundbogen, der – entgegen der Anfangsrichtung – wieder zurückfuhrt. Dazu eine Hypothese und ein Faktum. Es scheint fast so, als sei das ursprüngliche Ziel des Paulus Rom gewesen. Unmittelbar bei der Hafenstadt Neapolis nämlich stieß er auf die Via Egnatia, die antike „Autobahn“ nach Rom. Dass er diesen Schnellweg nicht zu Ende ging, kann mit den zeitlichen Umständen der Jahre 49/50 zusammenhängen. Zu diesem Zeitpunkt fand nämlich die „Judenvertreibung“ aus Rom statt. Paulus kann in Neapolis davon erfahren haben. Denn nichts verbreitete sich in der Antike schneller als das Gerücht. Und Hafenstädte sind die dafür prädestinierten Orte. Zweimal spricht Paulus in seinem Brief an die Römer davon, dass er schon vor Jahren den Wunsch hatte, in die Welthauptstadt zu kommen (Röm 1,13; 15,23). Also: Geographische, interne und externe Kriterien sprechen dafür, dass Paulus seine ursprünglich geplante Reise nach Rom abgebrochen hat und zunächst in östliche Provinzen ausgewichen ist. Auch die Standardchronologie würde sich in diesem Kontext bewähren. In Korinth selbst begegnete Paulus Betroffenen der „Judenvertreibung“: dem Ehepaar Priska und Aquila (vgl. Apg 18,1–3). Im Blick auf die Missionsstrategien kann man sagen, dass Paulus damit auf einen Missionstyp stieß, den er selbst nie praktiziert hat: Mission im Duo als Ehepaar. Das war die Form der Q-Mission. Auch Petrus hat sie als Missionar praktiziert – und mit ihm die „anderen Apostel und Brüder des Herrn“ (vgl. 1 Kor 9,5).

Das Ehepaar Priska und Aquila war ab sofort ständiger Begleiter des Paulus. Die beiden scheinen sogar schneller und wendiger gewesen zu sein als der große Missionar. Wie Paulus Zeltmacher von Beruf, verfügten sie über beste Konditionen für ein „Reiseleben“. Zum Gelderwerb waren sie nicht auf Grund und Boden angewiesen, ihr Handwerkszeug passte in eine kleine Kiste, Hab und Gut konnten sie schnell und einfach in transportable Münzen verwandeln und an anderen Orten wieder eine neue Existenz gründen. So machten sie es in Korinth – und 18 Monate später in Ephesus. Sie waren es, die Paulus nach Ephesus mitnahmen (vgl. Apg 18,18–21), dort ein Haus kauften, eine Hausgemeinde gründeten (vgl. 1 Kor 16,19) und vor Ort blieben, während Paulus weitergereist ist. Als Paulus seinen letzten Brief nach Rom schrieb, waren die beiden schon wieder dorthin zurückgekehrt. Ausdrücklich lässt er das Ehepaar grüßen (vgl. Röm 16,3–5). Zeitlich kommen wir in das Jahr 54, in dem Kaiser Claudius starb und Nero die Regierung übernahm. Rom stand den Juden wieder offen. Das Ehepaar brach offensichtlich sofort auf und wollte Paulus wiederum den Boden bereiten.

Ökumenische Kirchengeschichte

Подняться наверх