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2. Das Verhältnis zur Ostkirche
ОглавлениеDie schiere Existenz der orthodoxen Kirche im Oströmischen Reich unter der Herrschaft des Kaisers und des Patriarchen von Konstantinopel war mit dem durch Innozenz III. zugespitzten gesamtkirchlichen Leitungsanspruch des Papsttums unvereinbar. Nachdem der Papst zur Eroberung Konstantinopels (1204) unterschiedliche Haltungen eingenommen hatte – zuerst Missbilligung der Zweckentfremdung des Kreuzzugs, dann Jubel über den unverhofften Sieg, später auch Kritik an bestimmten Maßnahmen der Eroberer –, waren die einschlägigen Kundgaben auf dem Vierten Laterankonzil ganz auf die konsequente Durchsetzung des römischen Primatsanspruchs über die „zum Gehorsam gegen den apostolischen Stuhl zurückkehrenden Griechen“ (can. 4) gestimmt. Sprachliche und liturgische Eigentümlichkeiten im Gottesdienst wurden in Grenzen respektiert, allerdings als Konzessionen der herrschenden lateinischen Hierarchie an zum Gehorsam Verpflichtete (can. 9; vgl. auch 4).
Die hier besonders markant herausgestellte Leitidee einer unter dem Nachfolger Petri geeinten Gesamtkirche entsprach jedoch zur Zeit des Konzils keinesfalls der Wirklichkeit, und sie tat es auch in den folgenden Jahrzehnten nicht. Das lateinische Kaiserreich hatte ja mitnichten das politische Gesamterbe der byzantinischen Kaiser übernommen: Es bildeten sich neben ihm mehrere Teilreiche unter griechischen Thronprätendenten. In langwierigen und verwickelten Kämpfen, die diese miteinander und mit den abendländischen Eroberern ausfochten, erwies sich das Reich des in Nicäa regierenden Theodor I. Laskaris und seiner Nachfolger als das stärkste. Es erstreckte sich im Hinterland des asiatischen Teils des lateinischen Kaiserreichs von Kleinasien (Ephesus) bis weit an die Küste des Schwarzen Meeres und bildete als Kern eines neuen Byzantinischen Reiches einen Riegel, der den Landweg nach Syrien-Palästina absperrte.
Statt eines politischen Partners im Osten hatten die Mächte des Abendlandes samt dem Papsttum nun deren zwei, denn das griechische Kaiserreich von Nicäa war wegen seiner Größe und seiner strategischen Lage zu bedeutend, als dass man es hätte vernachlässigen können. Namentlich Friedrich II. suchte zeitweilig den Schulterschluss mit dem Kaiser in Nicäa, was wiederum Papst Innozenz IV. dazu veranlasste, seinerseits Kontakte dorthin zu knüpfen.
In einem brutalen Akt der Usurpation gelangte Michael VIII. Palaiologos 1259 als Kaiser in Nicäa an die Macht. 1261 eroberten seine Truppen Konstantinopel und liquidierten damit das lateinische Kaiserreich.
Seit Beginn seiner Herrschaft war Michael daran interessiert, mit Rom Beziehungen anzuknüpfen. Maßgeblich hierfür waren berechtigte Befürchtungen wegen der Politik Karls von Anjou: Der Bruder Ludwigs IX. von Frankreich hatte in Süditalien das Erbe Friedrichs II. angetreten (s.o. S. 70f.) und griff nicht nur nach Norden aus, sondern konzipierte ein Mittelmeerreich, dem er gern Konstantinopel einverleibt hätte. So war es für den oströmischen Kaiser eine politische Notwendigkeit, seine Herrschaft durch päpstliche Anerkennung gegen einen möglichen Angriff Karls zu schützen. Zwischen jenem und Papst Urban IV. kam es 1262–64 zu einem Notenwechsel, in dem der Kaiser um politische Legitimation nachsuchte, während der Papst die Union, das heißt die Unterstellung des Patriarchats von Konstantinopel unter die römische Jurisdiktion, forderte. Unter Papst Clemens IV. (1265–68), einem Franzosen, traten diese Konfliktlinien noch einmal erheblich deutlicher hervor. Nach dem Tode dieses Papstes und dreijähriger Sedisvakanz bestieg dann Gregor X. den Stuhl Petri (1271–76), ein Italiener, der die Probleme der Kreuzfahrerstaaten aus eigener Anschauung kannte und dessen wichtigstes Ziel die wirksame Hilfe für diesen vom Untergang bedrohten Vorposten der westlichen Christenheit war. Ihm lag daran, das oströmische Kaiserreich in eine gemeinsame Kampfformation einzubinden. Zwar folgte er in den Verhandlungen der Generallinie seiner Vorgänger, indem auch er die „Union“ zur Voraussetzung der politischen Kooperation machte, aber für den Weg zu diesem Ziel sah er erhebliche Ermäßigungen und Erleichterungen vor.
Der oströmische Kaiser sammelte nun seinerseits Geistliche, die zu Zugeständnissen, insbesondere in der Frage des „filioque“ im nicäno-konstantinopolitanischen Bekenntnis, bereit waren und die sich willig zeigten, den römischen Primat so zu akzeptieren, wie er vor dem Schisma von 1054 bestanden habe – eine Formel, welche (heute wie damals) an Unbestimmtheit nichts zu wünschen übrig lässt. So kam am 24. Juni 1274 eine Delegation von hochrangigen Klerikern, die dem Thron nahestanden, zum (14. ökumenischen) Konzil des Papstes, das vom 7. Mai bis zum 17. Juli 1274 in Lyon tagte und in erster Linie der Problematik des „Heiligen“ Landes und des Kreuzzugs gewidmet war. Symbolisch wurde die Union vollzogen, indem die griechischen Delegierten in einer feierlichen Messe am 29. Juni 1274 das Nicäno-Konstantinopolitanum mit dem umstrittenen Zusatz „filioque“, der zweimal wiederholt wurde, mitsangen. Am 6. Juli 1274 beschwor das höchstrangige Mitglied der Delegation namens des Kaisers die Unionsbestimmungen.
Zunächst schien sich das Unionsunternehmen für alle Beteiligten auszuzahlen: Der Papst machte seinen Einfluss zugunsten des Kaisers in Konstantinopel geltend, und dieser bekundete seine Bereitschaft, bei einer großen militärischen Aktion zugunsten der Kreuzfahrerstaaten mitzuwirken. Nach dem Tode Gregors (1276) wurde offenkundig, wie brüchig die Verbindung war. Die folgenden Päpste waren Parteigänger Karls von Anjou, und sie forcierten in einer Weise die Durchsetzung der Union im byzantinischen Kaiserreich, dass sie dort überhaupt erst allgemein spürbar und zugleich damit abgelehnt wurde. Auch mit drakonischen Zwangsmitteln gelang es dem oströmischen Kaiser nicht, den Widerstand gegen die politisch motivierte Union zu brechen.
Auf der anderen Seite war es dann Papst Martin IV. (1281–85), der das künstlich errichtete Kompromissgebäude endgültig zum Einsturz brachte. Der Franzose segnete ein Bündnis unter der Führung Karls von Anjou ab, das die Wiedererrichtung des lateinischen Kaisertums zum Ziel hatte; den oströmischen Kaiser exkommunizierte er als Begünstiger von Häresie und Schisma. – Als dann die Großmachtpläne Karls von Anjou der Sizilianischen Vesper zum Opfer fielen, verschwand der politische Druck, der den Osten in die Union hineingetrieben hatte.
Für die Zeit bis zum Konzil von Ferrara/Florenz blieb das Unionsprojekt vertagt. Die innere Kohärenz und die militärisch-politische Stärke des Oströmischen Reiches waren allerdings durch die Ereignisse seit der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer entscheidend geschwächt worden.