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Kirchenrecht und Kanonistik

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Die von Gratian von Bologna als Privatarbeit veranstaltete kirchenrechtliche Normen- und Quellensammlung (um 1140, s.o. S. 54) wurde gewohnheitsrechtlich in den kommenden Jahrzehnten zum ersten allgemeinen Gesetzbuch der abendländischen Kirche. Es bildete sich ein eigener Stand von Juristen (Dekretisten) heraus, welche die Rechtsstoffe sowohl für den akademischen Unterricht als auch für den praktischen Gebrauch methodisch analysierten und systematisierten; es entstanden umfängliche Glossen- und Kommentarwerke.

Inzwischen allerdings intensivierte sich der Prozess faktischer päpstlicher Rechtssetzungen durch Erlasse aus eigener kurialer Initiative bzw. durch autoritative Antworten auf Anfragen beträchtlich. Diese neuen Rechtsquellen (Dekretalen) wurden zunächst für den Lehrbetrieb in die Handschriften des „Decretum Gratiani“ eingefügt. Als sich dieses Verfahren als unpraktikabel erwies, begann man, die neuen Rechtsquellen in neuen Sammlungen zu bündeln; dabei handelte es sich zunächst um Privatarbeiten. Zwei von ihnen gewannen durch Rezeption seit etwa 1190 weiter ausgreifende Bedeutung. Eine dritte Sammlung wurde durch Papst Innozenz III. 1209 den Juristen in Bologna zur Beachtung im Unterricht und in der Rechtspraxis zugesandt. Dieser Vorgang markiert einen deutlichen Einschnitt: Der Papst selber postulierte für seine und seiner Vorgänger Willenskundgaben universale Geltung und bediente sich zur Durchsetzung dieses Anspruchs nicht etwa der Bischöfe, sondern der werdenden Institution „Universität“. Eine weitere Sammlung seiner eigenen Dekretalen, die u.a. das Gesetzgebungswerk des Vierten Laterankonzils enthielt, approbierte der Papst aus unbekannten Gründen nicht. Eine fünfte Sammlung wurde unter der Ägide seines Nachfolgers Honorius III. erarbeitet und 1226 von ihm an alle Universitäten versandt.

Die bisher genannten fünf Sammlungen heißen in der Forschung „Compilationes Antiquae“. Eine wirkliche Vereinheitlichung war mit ihnen allerdings noch nicht erreicht: Die Compilationes wurden unterschiedlich rezipiert und bildeten natürlich auch rechtssystematisch keine Einheit. Einen bedeutenden Schritt weiter ging dann Papst Gregor IX. Er beauftragte den Dominikaner Raimund von Peñaforte (gest. 1275) mit der Abfassung einer neuen, die bisherigen überholenden Rechtssammlung. Als Grundlage dienten die fünf Compilationes Antiquae sowie die neu hinzugekommenen Dekretalen Gregors. Raimund ordnete den Stoff systematisch in fünf Bücher, innerhalb derer er die einzelnen Texte zumeist chronologisch anordnete. Die Einzeltexte wiederum bearbeitete er mit dem Ziel besserer praktischer Brauchbarkeit: Bei Widersprüchen fügte er vermittelnde Interpolationen ein; Bestandteile von allein zeitgeschichtlicher Bedeutung ließ er weg und konzentrierte damit den legislatorischen Gehalt erheblich.

Das Werk, das so entstand, erhielt den Titel Liber Extravagantium, also „Buch der außerhalb (der Sammlung Gratians) umlaufenden (Dekretalen)“ (abgekürzt „X“). 1234 wurde das Werk an die Universitäten verschickt, und zwar mit der Maßgabe, forthin neben dem Decretum Gratiani allein diese Sammlung im Unterricht und in der Rechtspraxis zu benutzen sowie keine neuen Sammlungen mehr anzufertigen. Wie das Decretum Gratiani wurden also auch die neueren Dekretalen Gegenstände der akademischen Lehre und Wissenschaft. Dieses Verfahren wurde von späteren Päpsten wiederholt: 1298 publizierte Bonifaz VIII. als Anhang zum Liber Extravagantium den „Liber Sextus Decretalium“ (abgekürzt „VI“); 1317 folgten noch die „Constitutiones Clementinae“ (abgekürzt „Cl“), die jedoch keinen Vollständigkeitsanspruch erhoben.

Diese Dekretalensammlungen hatten, gemeinsam mit dem Decretum Gratiani, in der römisch-katholischen Kirche als Corpus Iuris Canonici Geltung, bis 1917 erstmals der systematisch erarbeitete „Codex Iuris Canonici“ erschien. Neben Kirchenrecht im engeren Sinne enthält es auch Bestimmungen zum Ehe-, Familien- und Erbrecht, die z.B. in Deutschland bis zum Inkrafttreten des BGB 1896 supplementarisch in Geltung blieben.

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