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Judenmord auf freiem Feld
ОглавлениеDie Ernennung Rosenbergs zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete am 17. Juli 1941 bedeutete auch den Beginn des Aufbaus einer Zivilverwaltung in den westlichen Gebieten der besetzten Sowjetunion. Zeitgleich mit der Einsetzung der beiden zivilen Reichskommissare wurden auch die obersten Inhaber der militärischen Gewalt in diesen Gebieten, die Wehrmachtsbefehlshaber Ostland und Ukraine, ernannt. Sie sollten vor allem die Nachschublinien und den Nachschub sicherstellen und in ihrem Befehlsbereich „die militärische Sicherung im Innern und gegenüber überraschender Bedrohung von außen“ gewährleisten.8 Zur Erfüllung dieser Aufgaben wurden drei Divisionen zur Verfügung gestellt: eine für die Ukraine, eine für das Baltikum und eine für Weißrußland, in der NS-Diktion Weißruthenien genannt. Zum Vertreter des Wehrmachtsbefehlshabers Ostland im Generalkommissariat Weißruthenien wurde Bechtolsheim ernannt, der sein Amt am 1. September 1941 antrat.9
Die erste dienstliche Verlautbarung des bisher durch antisemitische Äußerungen nicht aufgefallenen Generalmajors überraschte. In einem Bericht zur Lage vom 10. September informierte er die Truppe über die von den Juden ausgehende Gefahr: „Die jüdische Schicht, die in den Städten den größten Teil der Bevölkerung stellt, ist die treibende Kraft der sich mancherorts anbahnenden Widerstandsbewegung. […] Die jüdische Bevölkerung ist bolschewistisch und zu jeder deutschfeindlichen Haltung fähig. Zu ihrer Behandlung bedarf es keiner Richtlinien.“ Mit Hinweis darauf, daß „Weißruthenien […] keineswegs als befriedet zu betrachten“ sei, forderte er Verstärkung, um dieser Gefahr begegnen zu können.10 Das zeigte Wirkung. Am 4. Oktober erhielten zwei Kompanien des in Kowno stationierten RPB 11, verstärkt durch drei litauische Kompanien, den Marschbefehl nach Minsk.11 Dort wurden sie Bechtolsheim direkt unterstellt.12
Die Polizeieinheiten begannen sofort mit ihrem Einsatz. Bei Rudensk wurden 800, in Smilowicze 1338 und in Koidanowo 1000 Juden erschossen.13 Während bei diesen Aktionen noch versucht wurde, den Anschein von Partisanenbekämpfung zu wahren – die Opfer wurden als „Partisanen, Kommunisten, Juden und sonstiges verdächtige[s] Gesindel“ bezeichnet –, unterließ man diese Camouflage in der Folge. In Molodezcno trieben die Polizisten am 26. Oktober, unterstützt von örtlicher Feldgendarmerie, die dort lebenden 500 bis 1000 Juden zusammen und transportierten sie zur Exekution außerhalb der Stadt, die danach „vollkommen frei“ von Juden war.14 In Sluzk, der nächsten Station des Bataillons, ließ man immerhin mehr als die Hälfte der 7000 Juden am Leben.15 Der dortige Leiter der Zivilverwaltung hatte erreicht, daß ein Teil nach Arbeitsfähigkeit selektiert wurde.16 Der Rest – 3200 Menschen – wurde erschossen, wobei Einheiten der 707. ID die Absperrung übernahmen.17 Eine ähnlich große Zahl von Juden fiel dem Einsatz des RPB 11 in Kleck zum Opfer. Nachdem der Ortskommandant 1500 Facharbeiter mit ihren Angehörigen ausgewählt hatte, wurden die übrigen 3000 bis 3500 Menschen in einer Sandgrube erschossen.18 Im benachbarten Lachowicze fand der letzte Einsatz statt. Dort wurde am 2. November die Mehrheit der ortsansässigen Juden getötet – etwa 1000 Menschen.19 Am folgenden Tag wurde die Unterstellung des Polizeibataillons unter die 707. ID beendet. Das deutsche Kontingent kehrte nach Kowno zurück; die litauischen Kompanien verblieben in Minsk.20 Lapidar vermerkte Bechtolsheim in seinem Abschlußbericht: „Bei einer Säuberungsaktion im Raum Sluzk-Kleck wurden durch das Res.Pol.Batl.11: 5900 Juden erschossen.“21 Insgesamt fielen dem RPB 11 während des zweiwöchigen Einsatzes mehr als 11.000 Menschen zum Opfer.
Bereits vor Erscheinen des Polizeibataillons hatten Einheiten der Division aber auch eigenständig gehandelt. Mit unterschiedlichen Begründungen – wegen „nicht zufriedenstellender Arbeitsleistungen der jüdischen Bevölkerung“, zur Vergeltung für einen „jüdischen Sabotageakt“, wegen Beunruhigung der Bevölkerung „durch Gerüchte“ – mußten immer wieder Gruppen von Juden mit dem Leben bezahlen.22 Bei zwei sogenannten Partisanenaktionen wurden einmal 80 und dann 145 Juden erschossen.23 Diese antijüdischen Maßnahmen hörten mit dem Auftreten des RPB 11 nicht auf, sie änderten nur ihre Form. Unter dem Begriff „Judenjagd“ fanden jetzt Erschießungen auch ohne speziellen Anlaß „laufend“24 statt, an denen sich zahlreiche Einheiten der 707. ID beteiligten,25 und sie folgten alle einer zentralen Anweisung. Den Erinnerungen ehemaliger Divisionsangehöriger zufolge, wurde vor den Einsätzen Mitte Oktober ein Befehl verlesen, „daß die Juden im Raum Ostpolen-Minsk liquidiert werden müßten, weil sie die Partisanen unterstützen sollten“.26
Diese Erinnerungen geben exakt die damalige Befehlslage wieder. Bechtolsheim hatte am 28. September einen – bisher nicht aufgefundenen – grundsätzlichen Befehl zur Behandlung von Juden und Zigeunern erlassen,27 den er am 16. Oktober wiederholte und mit einer Anweisung zum permanenten Streifendienst verschärfte. „Anläßlich dieser Streifen ist dafür zu sorgen“, so schwor er die Truppe ein, „daß die Juden restlos aus den Dörfern entfernt werden. Es bestätigt sich immer wieder, daß diese die einzigen Stützen sind, die die Partisanen finden, um sich jetzt noch und über den Winter halten zu können. Ihre Vernichtung ist daher rücksichtslos durchzuführen.“28 Drei Tage danach griff Bechtolsheim das Thema noch einmal auf: „Die Juden als die geistigen Führer und Träger des Bolschewismus und der kommunistischen Idee sind unsere Todfeinde. Sie sind zu vernichten. Immer und überall, wo Meldungen über Sabotageakte, Aufhetzung der Bevölkerung, Widerstand usw. zu Aktionen zwangen, wurden Juden als die Urheber und Hintermänner festgestellt, zum größten Teil auch als die Täter selbst. […] Um die politische Lage im Raume Weißruthenien zu klären und die Befriedung in diesem Lande durchführen zu können, muß sich jeder Soldat und jeder Führer über diese Tatsachen im klaren sein.“ Dann, den Ton noch einmal verschärfend: „Hier gibt es kein[en] Kompromiß, hier gibt es nur eine klare und eindeutige Lösung, und die heißt hier im Osten restlose Vernichtung unserer Feinde. Diese Feinde aber sind keine Menschen mehr in europäische[m] Kultursinn, sondern von Jugend auf zum Verbrecher erzogene und als Verbrecher geschulte Bestien. Bestien aber müssen vernichtet werden.“29
Der Befehl vom 19. Oktober war der wohlkalkulierte Aufruf zum Holocaust „auf freiem Feld“.30 Er hatte die Ausweitung der Aktionen des RPB 11 zur Folge und führte dazu, daß Bechtolsheims eigene Einheiten nicht mehr nur auf „Judenjagd“ gingen – mit ein oder zwei LKWs und 100 bis 200 ermordeten Menschen –, sondern Ende Oktober/Anfang November Großaktionen durchführten, bei denen jüdische Gemeinden gänzlich oder doch zu großen Teilen ausgelöscht wurden. Am 21. Oktober wurden in Goroditsche mehr als 1000 Juden ermordet.31 Alle in Szirowice lebenden 1000 bis 1500 Juden32 und möglicherweise eine ähnlich große Zahl der Juden von Byten wurde erschossen.33 Am 30. Oktober wurde Neswish (Nieswiez) zum Tatort eines ungleich größeren Massakers. Der dortige Ortskommandant, Oberfeldwebel Specht, leitete die Aktion, gestützt auf eigene Kräfte und verstärkt durch Teile des Polizeibataillons.34 Nachdem er etwa 500 Handwerker mit ihren Familien ausgesucht hatte, wurden die übrigen mehr als 3000 Juden erschossen – von Deutschen, Litauern und Weißrussen.35 Ungeklärt in den Details ist das, was die Kommandos der Ortskommandantur Stolpce am 5. November in den Ortschaften Swierzna, Jeremice und Turec anrichteten.36 Nur die Ergebnisse sind bekannt. In Swierzna wurden 400 Frauen, Kinder und Alte ermordet; die übrigen „arbeitsfähigen Juden“ kamen in ein Arbeitslager. In Jeremice wurden 100 Menschen getötet, und in Turec wurden nach der Aussonderung von 100 Arbeitskräften 450 bis 500 Juden mit MGs erschossen.37 In der Kleinstadt Mir, in der etwa 2000 Juden lebten, führten Einheiten derselben Kommandantur, verstärkt durch die von ihr aufgebaute weißrussische Hilfspolizei, am 9. November überfallartig die Ermordung von 800 Juden durch.38 Diejenigen, die sich retten konnten, ließ man zunächst in Ruhe und sperrte sie später ins Schloß, das bis zu ihrer endgültigen Vernichtung als Ghetto diente.39
Alle diese Ereignisse spielten sich im Befehlsbereich des Infanterie-Regiments (IR) 727 ab. Aber es gab sie auch in den Gebieten, in denen die beiden anderen Verbände der Division, das IR 747 und das Landesschützen-Regiment 75, stationiert waren. In Szarkowzczyzna soll es Ende Oktober zur Tötung von 200 Juden gekommen sein.40 In Woloshin fand, nach einer Selektion der 3000 dort lebenden Juden, die Erschießung von etwa 300 „überwiegend der jüdischen Intelligenz“ zuzurechnenden Personen statt.41 Im November wurden alle in Jody lebenden 400 bis 500 Juden liquidiert.42 Zur selben Zeit wurde in einer unbekannten Ortschaft, die an der Straße von Baranowicze nach Sluzk lag und etwa 1000 jüdische Einwohner zählte, eine unbekannte Anzahl Juden erschossen. Das Kommando „in grauen Wehrmachtsuniformen“, das aus Sluzk gekommen war und dorthin wieder zurückfuhr, gab an, es müßte „die alten Juden umlegen“.43
Die Tatsache, daß – verglichen mit den Einsätzen des IR 727 – für die beiden oben erwähnten Regimenter so wenige Aktionen gegen Juden dokumentiert sind, läßt nicht den Schluß zu, daß der Anteil dieser Einheiten am Judenmord der 707. ID „relativ gering“ gewesen ist.44 Die Differenz ist weniger eine des tatsächlichen Geschehens als vielmehr der erfolgten Aufklärung durch Ermittlungsverfahren in der Nachkriegszeit.45 Daß es keine unterschiedliche Praxis in der Ausrottung der Juden in seinem Befehlsbereich gab, bestätigte auch Bechtolsheim, als er Mitte November resümierte, daß „die hierzu bisher durchgeführten Aktionen […] im Osten des Bereichs statt[fanden] im alten sowjetrussischen Grenzgebiet und an der Bahnstrecke Minsk-Brest-Litowsk“. Als Ergebnis dieser Aktionen im Zeitraum eines Monats nannte Bechtolsheim die Zahl von 10.431 Erschossenen.46 Auch die Zivilverwaltung in Minsk bestätigte den flächendeckenden Charakter dieser Ausrottungspraxis. Für den Bereich des Gebietskommissariats Sluzk vermerkte ein Visitationsbericht vom 20. November: „Einige Rayons sind bereits judenfrei.“47 Ähnlich hieß es für Minsk-Land am 26. November: „Die Rayons sind judenfrei bis auf einige Rayons, die noch 3–5 Juden beherbergen.“48 Die beiden Kommissariate deckten sich mit dem Befehlsbereich des IR 747.