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Kriminalkommissar in Estland

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Auf Grund seines Einsatzes in den Abteilungen IV und V war Bergmann an allen Aspekten der deutschen Repressionspolitik zumindest beteiligt, also an der Verfolgung von Kommunisten und Juden (A IV), ‚Zigeunern‘ und Asozialen (A V). Hauptaktivität der Sicherheitspolizei in Estland war die Unterdrückung tatsächlicher oder vermuteter Kommunisten; die ‚heiße‘ Phase fand allerdings vor dem Eintreffen von Bergmann statt.20 Die Aufträge des RSHA stimmten in diesem Punkt mit den Interessen derjenigen Teile der estnischen Bevölkerung überein, die in der Zeit der sowjetischen Besetzung verfolgt worden waren; die Sicherheitspolizei konnte sich darum auf eine umfangreiche Gruppe von Helfern, den estnischen Selbstschutz, stützen.21 Die ungezügelten Verhaftungen und Erschießungen des Jahres 1941 machten im folgenden Jahr geregelteren Verfahren Platz, bei denen Ermittlungsergebnisse der estnischen Polizei in Berichten zusammengefaßt und einer aus estnischen Angehörigen der Politischen und der Kriminalpolizei zusammengesetzten Dreierkommission vorgelegt wurden. Die Vorschläge der Kommission wurden dann dem KdS in Reval unterbreitet, der bestätigen, zurückverweisen oder eigene Straffestsetzungen vornehmen konnte. In den Perioden, in denen er den Abteilungsleiter A IV vertrat,22 war Bergmann in diese Zirkulation von Akten eingebunden, und er zeigte sich dabei als korrekter Ermittlungsbeamter, der durch lange Fragenkataloge die tatsächlichen Hintergründe der jeweiligen Fälle aufzuklären bestrebt war, gegebenenfalls aber auch die Exekution anordnete.23

Auch der Mord an den estnischen Juden war in der Hauptsache abgeschlossen, als Bergmann eintraf. Im Januar 1942 meldete man, daß Estland „judenfrei“ sei. Dies wurde aber bereits im September und Oktober 1942 wieder revidiert mit der Ankunft zweier Deportationszüge aus Theresienstadt und Deutschland. Man kann über den Grund für diese Deportationen nach Estland nur Mutmaßungen anstellen. Der Höhere SS- und Polizeiführer (HSSPF) Friedrich Jeckeln plante 1942 die Errichtung eines großen Konzentrationslagers bei Reval;24 möglicherweise waren die Deportierten als Arbeitskräfte für den Aufbau dieses Lagers gedacht.25 Überlebende der Deportation beschuldigten Bergmann, sowohl bei der Selektion nach Ankunft des Zuges als auch im Lager Jägala und auf der nächsten Station ihres Leidensweges, dem Zentralgefängnis in Reval, anwesend gewesen zu sein und eine Befehlsfunktion innegehabt zu haben.26 Ein Geschäftsstellenbeamter bezeugte, daß Bergmann als Vertreter des Abteilungsleiters A IV Angehörige der Abteilung zur Erschießung eingeteilt und insgesamt die Maßnahmen bei Ankunft des Zuges organisiert habe.27 Verschiedene Angehörige des KdS besuchten nachgewiesenermaßen Jägala, die Wertsachen der ermordeten Juden wurden in der KdS-Dienststelle verkauft.28 Das geplante Konzentrationslager wurde jedoch nicht gebaut, Jägala Mitte 1943 wieder abgerissen und der Großteil der überlebenden Deportierten in das im September 1943 errichtete KL Vaivara im estnischen Ölschiefergebiet gebracht, das vom SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt betrieben wurde und nicht der Sicherheitspolizei unterstand.29

In seinem eigentlichen Tätigkeitsfeld zeigte sich Bergmanns Engagement. In einem Vortrag zählte er auf, was die Hauptaufgaben der deutschen und der estnischen Kriminalpolizei waren: Bekämpfung der Homosexualität, der ‚Zigeuner‘, der Prostitution, der Spekulation und der Arbeitsverweigerung.30 Homosexualität war in Estland nicht strafbar; es war jedoch beabsichtigt, Homosexuelle in Vorbeugehaft zu nehmen.31 ‚Zigeuner‘ standen unter dem Generalverdacht, asoziale Elemente zu sein. Wie mit ihnen verfahren werden sollte, blieb geraume Zeit ungeklärt. Schon im September 1941 gab es Anordnungen der Wehrmacht, ‚Zigeuner‘ festzunehmen.32 Zum Teil wurden sie bei Razzien gegen andere Gruppen einfach mitverhaftet.33 Aus Bergmanns Vortrag geht hervor, daß in Estland – wie im Reichskommissariat Ostland allgemein – zunächst zwischen „seßhaften“ und ‚Zigeunern‘ „ohne festen Wohnsitz“ unterschieden wurde; nur letztere wurden als Asoziale angesehen.34 Nach einer großen Verhaftungsaktion am 19. Februar 194235 wurde dann das ‚Zigeunerproblem‘ als gelöst betrachtet, weil alle nomadisierenden ‚Zigeuner‘ im „geschlossenen Arbeitseinsatz“ stünden.36 Es folgte die Ermordung der Inhaftierten. Die Erschießung von 243 ‚Zigeunern‘ am 27. Oktober 1942 im Arbeitserziehungslager (AEL) Harku wurde Bergmann gemeldet;37 am 7. Dezember 1942 ordnete er die „Sonderbehandlung“ einer Einzelperson an.38 Am 22. Januar 1943 befahl A V, alle ‚Zigeuner‘, inklusive die mit festen Wohn- und Arbeitsverhältnissen, zum Transport in Lager bereitzuhalten; diese Anordnung wurde in allen Teilen Estlands im Februar 1943 ausgeführt.39 Es ist nicht ganz klar, wann und ob ein endgültiger Tötungsbefehl gegeben wurde;40 im Sommer 1943 befanden sich noch ‚Zigeuner‘ in den AEL.41

Laut Bergmann war „der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung […] besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden“.42 Ausgehend von Erkenntnissen der Erbbiologie wurde kriminelles Verhalten als ein vererbbarer Charakterdefekt angesehen. Deshalb sollten – „von allen Hemmungen theoretischen Bedenkens“ befreit – „Gewohnheits- und Triebverbrecher“ sowie „asoziale Elemente“ überwacht und gegebenenfalls in Vorbeugehaft genommen werden. 43 „Bei besonders asozialen Personen mit entsprechenden Vorstrafen kann ein Antrag auf Exekution gestellt werden,“ führte Bergmann aus.44 In Estland wurde eine breit angelegte Aktion gegen „Asoziale“ veranstaltet. Zuständig waren die deutsche und estnische Kriminalpolizei. Die Esten arbeiteten die Vorstrafenregister von Straffälligen durch und gaben eine Einschätzung ab, ob die Betreffenden noch ‚nützliche Glieder der Volksgemeinschaft‘ werden könnten oder ob sie exekutiert werden sollten. Das bezog sich nicht nur auf Gewaltverbrecher, sondern schloß Taschendiebe und Prostituierte mit ein.45 35 Prozent der „erfaßten Berufs- und Gewohnheitsverbrecher“ wurden exekutiert.46

Wie erwähnt, kann über Bergmanns Tätigkeit im BKA auf Grund der schlechten Quellenlage nicht viel gesagt werden. Es ist aber deutlich, daß Bergmanns Vorstellungen zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung sich nicht von den im BKA zirkulierenden unterschieden. Es sollte nur nicht ‚von allen Hemmungen befreit‘ vorgegangen werden, sondern „ein ordentliches gerichtliches Verfahren“ stattfinden. Die Vorstellung, daß die Polizei nicht reaktiv, sondern aktiv und vorbeugend tätig sein müsse, und daß „asoziales Verhalten eine Gefahr für die Allgemeinheit“ darstelle, hatte sich in der Nachkriegszeit erhalten und dies nicht nur in Deutschland.47

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