Читать книгу Ermutigung zum Aufbruch - Группа авторов - Страница 15
Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zusammenarbeit europäischer Bischöfe und Theologen
ОглавлениеAm 19. Oktober 1962 kamen auf Einladung des Mainzer Bischofs Hermann Volk in der Villa Mater Dei in der Viale delle Mure Aurelie 10 Bischöfe und Theologen aus dem mitteleuropäischen Raum zu einer Konferenz zusammen. Es ging um die Frage, mit welcher Haltung man den ersten von der Theologischen Kommission vorgelegten Schemata begegnen solle. Der Jesuit Otto Semmelroth berichtete darüber:
„Nachmittags war dann um vier Uhr eine Zusammenkunft, bei der mehrere französische Bischöfe teilnehmen und auf deutscher Seite an Bischöfen außer Bischof Volk auch Erzbischof Bengsch und Weihbischof Reuß. Ich lernte eine Reihe von Theologen kennen, die ich bisher persönlich noch nicht kannte. P. Daniélou und P. de Lubac waren dabei. Msgr. Philips, den ich bisher nur von seinem Buch über die Laien kannte. Auch P. Congar, den ich wohl schon kannte, und von deutscher Seite noch Prof. Ratzinger und Küng. Zunächst legte Bischof Volk sein Exposèe [sic] dar, auf das man nachher mehrfach positiv zurückkam. Später wurde es ergänzt durch einen Vorschlag von P. Daniélou, der mit dem seinen eine große Ähnlichkeit hatte. Es wurde ernst und in sehr schönem Ton und mit hohem Niveau besprochen, wie am besten vorgegangen werde. Erfreulich, wie auch Wert darauf gelegt wurde, daß man nicht mit falschen und unchristlichen Attacken vorgehen solle, sondern in einem guten Klima, das Konzil haben und behalten müsse. Aber daß die bisherigen vier theologischen und moraltheologischen Schemata fallen müssen, darüber war man einer Meinung. Aber ebenso wurde betont, daß ein neues Schema ausgearbeitet werden müsse, das an die Stelle der bisherigen zu treten hatte. Man beschloß ein zunächst kleinstes Gremium von Theologen zu bilden, die einen ersten Entwurf vorbereiten sollen, der dann in dem größeren Gremium besprochen werden solle. Ich hoffe, daß in der Zwischenzeit auch P. Schüller einen moraltheologischen Entwurf einigermaßen fertig habe wird. Von P. Hirschmann und P. Fuchs scheint nicht allzu viel wirksame Hilfe zu bekommen. Sie geben wohl Ratschläge, die er auch schätzt. Aber die Formulierung und Ausarbeitung bleibt bei ihm. Am Montag muß er schon wieder fort. Hoffentlich kann er bis dahin Brauchbares fertigstellen.“1
In anderen Tagebuchnotizen, etwa von Edward Schillebeeckx oder Yves Congar, differieren die Namen der Teilnehmer. Im Ziel und der Vorgehensweise waren sich die Anwesenden jedoch einig: Die vorgelegten Schemata der Theologischen Kommission zu Schrift und Offenbarung sowie zur Kirche und zur Moralordnung sind zurückzuweisen und durch Alternativentwürfe zu ersetzen.
Die Namen der Bischöfe und Theologen, die an der Nachmittagskonferenz vom 19. Oktober 1962 teilnahmen, repräsentieren den später so genannten „mitteleuropäischen Block“. Dass sie auf dem Konzil die Mehrheit stellen würden, war nach der ersten Konzilswoche noch nicht so klar.
Wer gehörte dazu? Dass der Mainzer Bischof Volk die Leitung des Treffens innehatte, lag an seiner Einbindung in das Sekretariat für die Einheit der Christen, das sich unter der Leitung des badischen Kurienkardinals Augustin Bea zu einer Korrekturinstanz für die Theologische Kommission unter Leitung des Sekretärs des Heiligen Offiziums, Kardinal Alfredo Ottaviani, und des niederländischen Jesuiten Sebastian Tromp entwickelt hatte. Volk war aber auch ein guter Organisator und Kommunikator. In die Sitzung hatte er seinen Weihbischof Joseph Maria Reuss und den Berliner Bischof Alfred Bengsch mitgebracht. Im Zusammenhang mit der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute vertraten sie unterschiedliche Positionen. Während Reuss sich medienwirksam durch das Verteilen von Flugblättern vor der Konzilsaula für eine offene Empfängnisregelung in katholischen Ehen einsetzte und dadurch einen handfesten Zusammenstoß mit Kardinal Ottaviani provozierte, der ihn daran hindern wollte, gehörte Alfred Bengsch zu den wenigen, die auch in der feierlichen Schlussabstimmung Gaudium et spes ihre Zustimmung versagten – aus Furcht vor politischen Konsequenzen für die Kirchen hinter dem Eisernen Vorhang.
Auf französischer Seite nahmen an der Konferenz am 19. Oktober 1962 der Bischof von Straßburg, Jean-Julien Weber, und sein Koadjutorbischof Léon-Arthur Elchinger teil, der während des Konzils die Kontakte zwischen dem deutschen und dem französischen Episkopat aufrecht halten sollte. Frankreich war zudem vertreten durch die Bischöfe von Metz (Paul-Joseph Schmitt), Toulouse (Gabriel-Marie Garrone, dem späteren Kurienkardinal) und Cambrai (Émile-Maurice Guerry, der sich vor allem in den Diskussionen um die Erneuerung der Liturgie profilieren sollte). Außerdem war der Lyoner Weihbischof Alfred Ancel anwesend, ein früherer Arbeiterpriester.
Unter den anwesenden deutschen Theologen stellten die Jesuiten aus Sankt Georgen die Mehrheit: Otto Semmelroth, Heinrich Bacht und Alois Grillmeier; hinzu kam Karl Rahner, dessen Teilnahme am Konzil erst durch die Berufung seitens des Wiener Kardinals König zu seinem persönlichen Peritus ermöglicht worden war. Neben dem Erfurter Dogmatiker Otfried Müller und dem Churer Dogmatiker Johannes Feiner waren die beiden theologischen Jungstars der deutschen Fakultäten anwesend, Hans Küng aus Tübingen und Joseph Ratzinger aus Bonn.
Die Franzosen hatten die Riege ihrer theologischen Meister aus dem Jesuiten- und Dominikanerorden aufgeboten, die unter Pius XII. als Protagonisten der „Nouvelle théologie“ Sanktionen des Heiligen Offiziums unterworfen worden waren – Lehrverbot, Schreibverbot, Verbannung und Vorzensur der Schriften. Im Einzelnen handelte es sich um die Jesuiten Henri de Lubac, Jean Daniélou und Henri Rodet sowie die Dominikaner Marie-Dominique Chenu, Michel Labourdette und Yves Congar.
Und schließlich nahmen an der Versammlung noch drei Theologen aus den Benelux-Ländern teil. Gérard Philips, der Löwener Professor, wurde im Lauf des Konzils zu einer Schlüsselfigur. Als Senator im Brüsseler Parlament konnte er politische Erfahrungen sammeln, die ihn prädestinierten, die beiden großen Konstitutionen über die Kirche und die Kirche in der Welt von heute so zu formulieren, dass sie einen fast einstimmigen Konsens erreichten. Die Löwener Fakultät war außerdem durch den Jesuiten Piet Fransen vertreten. Edward Schillebeeckx, belgischer Dominikaner, lehrte Dogmatik an der Universität Nijmegen.
Wer sich ein wenig in der katholischen Theologie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auskennt, kann die fachliche Qualität ermessen. Immerhin wurden von den Bischöfen, die sich am 19. Oktober 1962 versammelten, drei später in den Kardinalsrang erhoben. Noch deutlicher zeigt sich die päpstliche Wertschätzung bei den Theologen, von denen fünf Kardinäle wurden, Joseph Ratzinger schließlich Papst. Dass jedoch die theologischen Ansätze nicht unwidersprochen blieben, zeigen die Konflikte mit der nachkonziliaren Glaubenskongregation, von denen Edward Schillebeeckx betroffen war und die für Hans Küng 1979 mit dem Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis endeten.
Bei aller inneren Differenzierung, die anzubringen wäre und die sich während des Konzils und vor allem danach zeigen sollte, prägten die mitteleuropäischen Bischöfe und Theologen dennoch die Kirchenversammlung so stark, dass der amerikanische Journalist Ralph Wiltgen sein Buch betiteln konnte: „Der Rhein fließt in den Tiber“. Andere mehr scherzhafte Bezeichnungen sprechen vom Vaticanum secundum, Lovaniense primum oder vom Concilium Lovaniense Romae celebratum. Die von exzellenten Theologen vorbereiteten Interventionen hatten auch deshalb eine große Chance, in die Endtexte vorzudringen, weil sie von bedeutenden Kardinälen vorgetragen wurden: Frings, Döpfner, König, Liénart, Suenens und Alfrink, gegen Ende der ersten Session bei der Diskussion um das Kirchenschema sekundiert vom Mailänder Erzbischof Montini, der ein halbes Jahr später als Paul VI. zum Papst gewählt wurde.