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Der Gott der Täter Subjektverbergung, Objektivismus und die Un-/Schuldsdiskurse in der Theologie
ОглавлениеNorbert Reck
Als christlicher Theologe angesichts von Auschwitz „Ich“ sagen: dies dient nicht etwa der Stilisierung der theologischen Individualität, sondern der Sensibilisierung für die konkrete Verantwortung, für die konkrete Krisensituation, in der gegenwärtige christliche Theologie steht und sich um die Findung und Bezeugung der Wahrheit des Evangeliums – nach Auschwitz – müht.
Johann Baptist Metz 1984
Wie ist heute von Gott zu reden – im Land der Täter? Was bedeutet es, wenn Christinnen und Christen dies tun?1 In welcher Tradition befinden sie sich, in welche Tradition stellen sie sich, wenn sie „Gott“ sagen? Oder anders gefragt: Welcher Gott ist gemeint, wenn hierzulande dieses Wort fallt? Der, von dem auf den Koppelschlössern der Weltkriegssoldaten geschrieben stand, dass er „mit uns“ sei? Oder der, der Adolf Hitler gesandt hatte, um das europäische Judentum auszurotten? Meinen wir den Gott, dessen Name für die Macht schlechthin steht, die wir anbeten, die uns in unserem Untertanenstatus bestätigt, für die wir unser Tätersein im „Befehlsnotstand“ fortsetzen – von Generation zu Generation? Oder denken wir an den „lieben Gott“, der keine Schuldfrage mehr kennt und im Laufe der Nachkriegszeit in diesem Lande besonders populär wurde?
Die zweite Generation christlicher Theologinnen und Theologen, also die Kinder derer, die in der Nazizeit erwachsene, handelnde Subjekte waren, reagierte auf diese Fragen – soweit sie überhaupt reagierte und sich nicht abschottete – mit der Rückbesinnung auf die jüdischen Wurzeln des Christentums bzw. mit einer Annäherung an das Judentum. Mit Blick auf ihre Entwürfe könnte man sagen, es gehe nicht um den Gott der Philosophen und Theologen, sondern um den Gott Jesu Christi, der auch der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs gewesen sei.
Dem kann man christentumimmanent kaum widersprechen. Wäre der Gott der Christen ein anderer als der Gott Israels, dann wäre die Botschaft des Christentums in ihrem Kern nicht getroffen. Trotzdem wird in der dritten Generation das Projekt einer judentumnäheren Rekonstruktion des christlichen Glaubens mit neuen Fragezeichen versehen – keineswegs im Sinne einer grundsätzlichen Ablehnung, sondern vielmehr hinsichtlich der Fallstricke und trügerischen Abkürzungen dieses Wegs. So mehren sich die kritischen Nachfragen, ob der christliche Rekurs auf jüdische Traditionen nicht auf äußerst stilisierte, nach eigenen Bedürfnissen gemalte Bilder von Juden und Jüdinnen zurückgreife.2 So erscheint es immer notwendiger, das Verhältnis von Judentum und Christentum theologisch genauer zu bestimmen, damit etwa Tenach und Talmud den Christen nicht als umstandslos zugänglicher Steinbruch erscheinen, quasi als spät arisierter Besitz, an dem man sich frei und ungehemmt bedienen dürfte.3 Und schließlich artikuliert sich ein wachsendes Bedürfnis, die neue christliche Solidarität mit den Opfern der Shoah (und in der Folge mit dem Judentum) nach ihren Motiven zu befragen. So skizziert etwa Paul Petzel die Gefahr, es „könnte die Rede von einer solchen Solidarität auch leicht einer heimlichen Selbstexkulpierung Vorschub leisten; einer Selbstexkulpierung, die sich der Verstrickung in eine abgründige Schuldgeschichte durch den behenden Wechsel aus Täter- in Opferzusammenhänge entledigt.“ (Petzel 1993, 244)
In Petzels Worten deutet sich bereits an, dass neben der Aufarbeitung des Antijudaismus die Auseinandersetzung mit der eigenen Schuldgeschichte zu den Aufgaben der christlichen Theologie im Land der Täter gehört, ja dass die Glaubwürdigkeit des einen Projekts mit der Bearbeitung des anderen zusammenhängen könnte. Oder etwas formaler gesprochen: Die Arbeit der Rekonstruktion eines Christentums, das sich seiner jüdischen Wurzeln stärker bewusst ist, muss die Arbeit der Dekonstruktion der christlichen Beteiligung am Holocaust4 als komplementäre Aufgabe begreifen. Diese Aufgabe umfasst die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Holocaust, mit den christlichen Mittäterschaften und mit der die Taten flankierenden Verkündigung, kurz: mit der Tat und ihren Ursachen, „weil die Tat – mehr als das Leid der Opfer – unser, der Christen Problem ist: die Tat, die inmitten einer sich traditionell christlich nennenden Nation, mitten im ‚christlichen Abendland‘ von christlich getauften, meist noch irgendwie christlich sozialisierten und oftmals nichtmal offiziell von ihrer Kirche abgefallenen Menschen verübt wurde.“ (Taxacher 1998, 41)
Dies gilt auch bezüglich der christlichen Rede von Gott. Sie konnte (und kann) durchaus Tatcharakter annehmen in dem Sinne, dass sie Feindschaften konstruierte, Ausgrenzungs- und Unterwerfungsabsichten mitbegründete, sie religiös überhöhte und den hierzu geforderten Gehorsam göttlich sanktionierte. Diese Geschichte des Missbrauchs der Gottesrede kann nicht übergangen werden, wenn Christinnen und Christen von neuem in diesem Land den Versuch machen wollen, ihren Glauben an Gott zu formulieren. Es genügt nicht zu wiederholen, dass es für Christen keinen anderen Gott geben kann als den, zu dem Jesus betete, den Gott Israels. Sollen nicht alte christliche Mittäterschaften in neuen unbefangen-unschuldigen Theologien reproduziert werden, ist das Bewusstsein dafür zu schärfen, was wir tun, wenn wir „Gott“ sagen. Man wird untersuchen müssen, welche Funktion der Gottesrede im Holocaust zukam, welche Konturen der Gott der Täter, Mitläufer und Zuschauer hatte und welche Momente davon weiterhin in unserer Gottesrede zu finden sind.
Im Folgenden will ich hierzu einen – notwendigerweise begrenzten – Beitrag leisten, indem ich einige Passagen aus Texten des katholischen Dogmatikers Michael Schmaus (1897–1993) auf ihr Gottesverständnis hin befrage. Die Lektüre solcher Texte ist allerdings bis heute einer Vielzahl von Tabus, Frage- und Sprechverboten ausgesetzt, sodass eine vorausgehende, ausführliche Reflexion über meine Perspektive und ihre gesellschaftliche Verortung notwendig ist – nicht zum Zweck der Zurschaustellung der eigenen Authentizität, sondern um überhaupt den kritischen Raum5 zu schaffen, in dem sinnvolle Aussagen zur Schuldgeschichte der Theologie möglich sind.