Читать книгу Von Gott reden im Land der Täter - Группа авторов - Страница 21
Prolog: Herr, du bist gerecht und deine Urteile sind richtig
ОглавлениеWenden wir uns zunächst dem Prolog zu. Er besteht aus elf Versen aus den Psalmen 119 und 101, die sich mit Gottes Gerechtigkeit befassen.
119,75 | Herr, ich weiß, daß deine Urteile gerecht sind; in deiner Treue hast du mich gedemütigt; |
119,71 | Es ist gut für mich, daß du mich gedemütigt hast, damit ich deine Gebote lerne. |
119,30 | Ich habe erwählt den Weg der Wahrheit, deine Weisungen habe ich vor mich gestellt. |
119,46 | ich rede von deinen Zeugnissen vor Königen und schäme mich nicht. |
119,48 | und hebe meine Hände auf zu deinen Geboten, die mir lieb sind, und rede von deinen Weisungen. |
119,137 | Herr, du bist gerecht und deine Urteile sind richtig, [falsch angegeben als 119, 138] |
119,138 | Du hast deine Mahnungen geboten in Gerechtigkeit und großer Treue. |
119,92 | Wenn dein Gesetz nicht mein Trost gewesen wäre, so wäre ich vergangen in meinem Elend. |
101,3 | Ich nehme mir keine böse Sache vor; Ich hasse den Übertreter und lasse ihn nicht bei mir bleiben. |
101,1 | Von Gnade und Recht will ich singen und dir, Herr, Lob sagen |
119,165 | Großen Frieden haben, die dein Gesetz lieben; sie werden nicht straucheln.8 |
Wenn man diese Psalmenzitate auf sich wirken lässt und über ihre Bedeutung und Aussage nachdenkt, dann drücken sie eine Mischung aus Schuldbekenntnis und Anklage aus. Auf der einen Seite scheinen die Autoren der Denkschrift mit diesen Versen sagen zu wollen, dass sie die „Demütigung“ des verlorenen Krieges als pädagogische Maßnahme Gottes anerkennen; andererseits sehen sie sich berufen, Gottes Gesetze vor „Königen“ (sprich: vor der Militärregierung) zu verkünden und die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen. Während die militärische Niederlage Deutschlands als Urteil Gottes und damit als „gerecht“ erscheint, soll die Autorität der biblischen Gebote und Weisungen den kirchlichen Einspruch gegen die amerikanische Strafverfolgung untermauern. Im Kontext der angehängten kritischen Materialsammlung wird deutlich, dass sich Gottes Gesetz und Gerechtigkeit zugunsten der Täter und nicht etwa der Opfer auswirken sollen.
Ungerechtigkeiten und Gesetzesverletzungen sehen die Kirchensprecher an den folgenden Punkten: die „Kriegsverbrechen“ der Alliierten würden vom Verfahren ausgeschlossen (tu quoque, „war crimes were not committed by Germans only“ [Denkschrift 1949, 20]). Parallel zur internationalen Rechtsprechung fänden auch Verfahren nach nationalem Recht u.a. in Frankreich, Polen, Norwegen, Holland, Jugoslawien und Russland statt. Demnach kämen unterschiedliche legale Prinzipien zur Anwendung. Die Angeklagten (speziell im Industriellen- und Oberkommandoprozess) seien willkürlich ausgewählt worden. Die Genfer Konvention sei verletzt worden, weil Offiziere nicht von Offizieren gleichen Ranges verurteilt worden seien. Die Verteidigung sei materiell und zeitlich benachteiligt worden. Die Vertreter der Anklage hätten „zum großen Teil … besonders unter dem nationalsozialistischen Regime gelitten“ und handelten deshalb aus „verständlichen persönlichen Rachemotiven“ (21). Die Zeugen seien eingeschüchtert und misshandelt worden; zum Teil seien „Berufszeugen“ („of questionable character, even of criminal elements“ [21]) eingesetzt worden. Den Verurteilten seien die Urteilsbegründungen nicht bekannt, und die Gründe für Todesstrafen uneinsichtig („Persons … often did not know why they had received a death sentence“ [21]). Letztlich wird bemängelt, es gäbe keine Möglichkeiten zur Revision oder Amnestie für verurteilte und erkrankte Häftlinge.
Diese Litanei legalistischer Bedenken wirkt auf dem Hintergrund der außergewöhnlichen Verbrechen und der enormen logistischen Schwierigkeiten, unter denen die „Kriegsverbrecherprozesse“ im zerstörten Nachkriegsdeutschland stattfanden, kleinlich. Fatal ist die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung mit den Anklageschriften und der Beweisführung. Durch die kirchlichen Eingaben klingt kein moralisches Entsetzen über Euthanasie, Justizmorde, Rassengesetzgebung, das KZ-System und die Vernichtung durch Arbeit, Massenmord durch die Einsatzgruppen und den Vernichtungskrieg im Osten, die verhandelt und bewiesen wurden. An keiner Stelle nehmen die Herausgeber der Denkschrift direkt zu den Verbrechen Stellung. Weder die konkreten Anklagepunkte noch die immense dokumentarische Beweiserbringung werden gewürdigt. Stattdessen wird den Anklägern vorgeworfen, sie hätten zweieinhalb Jahre Zeit gehabt, ihre Anklageschrift „from a huge mass of captured documents and with the help of innumerable witnesses“ (Denkschrift, 24) vorzubereiten. Die Angeklagten hätten „no knowledge of the forthcoming trials“ (24) gehabt und sich nicht entsprechend vorbereiten können. Statt die Gründlichkeit der Recherche der Anklage zu würdigen, wird auch dies zum Makel. Die Empörung und die moralische Sympathie gilt den Tätern, nicht den Opfern.
Wohl gibt es Lippenbekenntnisse: „Follow up the real crimes“, schreibt Bischof Wurm, „but do not consider the fact that a general obeys the orders of the commander-in-chief and occupies a foreign country a personal crime … Do not consider the fact that certain industrial concerns played an important role … proof … that these men really wanted war and committed crimes“ (Wurm 1948, Denkschrift 27)9. Die Täter erscheinen Sprechern wie Bischof Wurm als politisch Irregeführte, die lediglich Befehle ausführten, aber an keinen Verbrechen beteiligt waren. Wurm beklagt: „politically wrong decisions are placed on the same level with criminal offenses“ (Wurm 1948, Denkschrift 28)10, und die katholischen Bischöfe bemängeln: „simple citizens are condemned to heavy penalties because of obeying laws and regulations of their own country“ (Fuldaer Erklärung vom August 1948, Denkschrift 41)11. „They were ready to confess past mistakes und errors, hoping to begin a new life where not force but right should be guides“ (40)12, aber die Prozesse seien ein „shock to the confidence in justice“(40)13 und behinderten Veränderung und Neuanfang. Auch die katholischen Bischöfe erwecken den Eindruck, in Nürnberg seien Unschuldige für „Fehler und Irrtümer“ zu langen Haft- und Todesstrafen verurteilt worden. Deshalb fordern die Bischöfe „the right of appeal“, damit „the real guilty ones“ (41) in der nächsten Instanz von den vermeintlich Unschuldigen getrennt werden könnten. Darin stimmen sie mit den evangelischen Bischöfen überein, die am Ende ihrer Einleitung eine prinzipielle Revision fordern:
the similarity and the weight of credible objections to the proceedings and judgments passed by American military courts in Nürnberg, Dachau und Shanghai seem to us to be so great that justice demands re-examination by judges of the legal principles and the procedure applied in all trials as well as of the irregularities which have occurred. (Denkschrift 1949, 22)14
Solange auf diese umfassende Prozessüberprüfung durch „unabhängige Richter“ gewartet wird, sollen alle (!) Gefangenen „parole“ (Haftverschonung) erhalten, d.h. sofort „unter den gewöhnlichen Bedingungen“ der amerikanischen parole-Bestimmungen aus dem Landsberger Gefängnis entlassen werden (Denkschrift 1949, 22). Die Gerechtigkeit Gottes, die im Psalmenzitat des Prologs beschworen wird, ist also gerade kein Argument für die Bestrafung hauptverantwortlicher NS-Täter, sondern rechtfertigt ihre sofortige Freilassung und Begnadigung aufgrund rechtlicher Versäumnisse und Unzulänglichkeiten.