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1.2 Emotionen – (k)ein Thema in der Pädagogik?

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Emotionen bzw. Gefühle und ihre Bedeutung im Bildungskontext sind kein neues Thema. Mit Blick auf Erziehung und Bildung wurden Emotionen immer schon berücksichtigt. Bereits in der Antike finden sich beispielsweise bei Platon, Seneca oder Aristoteles entsprechende Hinweise. So unterscheidet Aristoteles drei Teile der menschlichen Seele (vgl. Jakobi, 1981), die für jeweils unterschiedliche Verhaltensweisen des Menschen zuständig sind; und zwar den rationalen, den sensitiven und den vegetativen Seelenteil. Der sensitive Seelenteil wird als Ursache für Triebe, Affekte und Emotionen gesehen. Im Gegensatz zu den Aktivitäten des vegetativen Seelenteils wird die Kontrolle des sensitiven Seelenteils durch den Verstand als möglich und notwendig erachtet. Hieran wird die Bedeutung von Emotionen bzw. Gefühlen mit Blick auf Bildung deutlich ( Kap. 1.3).

In der klassischen Bildungsliteratur des 18. und frühen 19. Jahrhunderts wurde beispielsweise häufig über Gefühle und ihre Allgegenwärtigkeit im menschlichen Leben geschrieben. So bedurfte es mit Blick auf Bildung und Aufklärung nicht bloß der »richtigen Begriffe«. Ebenso wichtig war es, »reinere Gefühle […] durch alle Adern des Volks« fließen zu lassen, »Menschlichkeit und Sanftmut in unser Herz« zu senken (Schiller 1784, S. 237, S. 244 f.). Wilhelm von Humboldt spricht von der »Bildung des Gemüths« (von Humboldt, 1809, S. 189) als wichtigem Element »allgemeine[r] Menschenbildung« (ebd., S. 188). Als zentrale pädagogisch-anthropologische Neuorientierungen des 18. Jahrhunderts gelten der Blick auf die Vernunftbegabung des Menschen im Sinne Kants sowie der Gedanke der Entwicklungsplastizität und Perfektionierbarkeit des Menschen (z. B. von Rousseau).

Die beiden bekannten geisteswissenschaftlich orientierten Pädagogen Johann Friedrich Herbart (1776–1841) und Friedrich Schleiermacher (1768–1834) argumentierten, dass erzieherische Aufforderungen immer in der Gegenwart des Kindes liegen, aber immer auch auf seine Zukunft gerichtet sein sollen. Insofern können pädagogische Initiativen des Erziehenden mit den unmittelbaren Interessen und Befindlichkeiten des Kindes kollidieren. Dementsprechend stellt Herbart in seinen Vorlesungen der ›pädagogischen Liebe‹ die Autorität des Erziehers qua Aufgabe und Amt zur Seite (Herbart, 1806). Das Erziehungsmittel ›Liebe‹ gehört diesem Verständnis nach zu den vertrauensbildenden Maßnahmen, über die ein*e professionelle*r Erzieher*in zu verfügen habe. So verstanden ist Liebe nicht mehr nur, wie in der Aufklärungspädagogik, Mittel des Erziehungsprozesses, sondern zugleich auch implizit ein Erziehungsziel. Erst die Kombination aus pädagogischer Autorität und Liebe kann nach dieser Argumentation dem pädagogischen Handeln eine dauerhaft feste Basis geben (vgl. Herbart, 1806, S. 49). Die Diskussion um »Liebe als Ziel von Erziehung« gewann in der Folge, insbesondere in der Jugendbewegung und der beginnenden Reformpädagogik nach 1900, eine weitere Bedeutung. Erziehung wurde als Begegnung und Bildungsgemeinschaft zu einem Hauptthema. Beziehungsmerkmale wie Liebe, Vertrauen, Zuwendung, aber auch Eifersucht, Misstrauen und Enttäuschung zwischen Erziehendem und Zögling sowie pädagogische Autorität werden mit dem Gedanken der Bildung als Persönlichkeitsentwicklung verbunden (vgl. Oelkers, 2001).

Für einen der bedeutendsten Pädagogen, nämlich Johann Heinrich Pestalozzi, sind Gefühle des Kindes ernst zu nehmen und gelten als eine notwendige Voraussetzung für das Lernen mit »Kopf, Herz und Hand« (Kraft, 1996; Seichter, 2007, S. 77). Erziehung unterstützt die Entfaltung sittlicher Grundgefühle der Liebe, des Vertrauens und der Dankbarkeit auf Seiten des Kindes. Neben diesen »Herzenskräften« gilt es, auch die intellektuellen (geistigen) und die handwerklichen Kräfte zu entfalten (Pestalozzi, 1801). Der Reformpädagoge Peter Petersen war ebenfalls bestrebt, in seiner Lehr- und Lernanstalt eine emotionale Geborgenheit zu schaffen, indem er sie in eine Lebensgemeinschaftsschule umwandelte. Dementsprechend ist die Jena-Plan-Schule (Petersen, 1927–1949) an der »ganzen Person« des Kindes interessiert, d. h. auch emotionale Faktoren des Lebens und Lernens finden ihre Berücksichtigung. Auch Hermann Nohl (1924, 1925) hat eine der wichtigsten lernförderlichen Emotionen, nämlich die Freude, zum Kriterium jeder gelungenen pädagogischen Leistung erhoben. In der reformpädagogischen Bewegung wurde versucht, durch die emotionale Aufladung der pädagogischen Beziehung Elemente der sich auflösenden gesellschaftlichen Sozialformen zu bewahren und in Form des »pädagogischen Bezugs« zu institutionalisieren. Generell wurden die Dynamiken der Beziehung als wesentliche Bedingungen pädagogischer Prozesse hervorgehoben. So betont Litt beispielsweise die unauflösbare Dialektik von Führen und Wachsenlassen, Behüten und Freigeben, Unterstützen und Schützen, in der Erziehungsverhältnisse und -handlungen stehen (Litt, 1927).

Eine besonders zentrale Definition von Erziehung in diesem Zusammenhang ist die von Hermann Nohl, der sie in seinen Vorlesungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts als »das leidenschaftliche Verhältnis eines reifen Menschen zu einem werdenden Menschen, und zwar um seiner selbst willen, dass er zu seinem Leben und zu seiner Form komme« (ebd., S. 134) definierte. Diese Verortung von Erziehung hat Nohl insbesondere in seinem Verständnis des »pädagogischen Bezugs« (ebd., S. 134 ff.) weiterentwickelt. Das Verhältnis des bzw. der Erziehenden zum Kind ist demnach doppelt bestimmt, nämlich von der Liebe zu ihm in seiner Wirklichkeit und von der Liebe zum Ideal des Kindes, welche das Ziel hat, das Kind zu erziehen, zu fördern, anzuleiten und »das höhere Leben in ihm zu entfachen« (ebd., S. 136). Alle Anstrengungen, sowohl des bzw. der Erziehenden als auch des Kindes, dienen dazu, die zukünftige Entwicklung des jungen Menschen durch Erziehung und Bildung zu unterstützen und ihn zu Selbstständigkeit und Selbstverantwortung zu führen.

Erzieherische Ziele sind demzufolge erfolgreicher, wenn sie durch Bemühungen um eine bewusst gestiftete Bindung begleitet werden. Dieses Bemühen ist nicht technologisch und lässt sich niemals vollständig professionell operationalisieren und ist daher immer dem »Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen« unterworfen (Spranger, 1969, S. 354). Eine dieser »Nebenwirkungen« besteht prinzipiell in der Gefahr unterschiedlichster Dimensionen von Missbrauch. Das Ausmaß des Missbrauchspotenzials der sogenannten »pädagogischen Liebe« wurde erst in jüngster Vergangenheit vor allem in Internaten und Landerziehungsheimen der reformpädagogischen Tradition sichtbar (Drieschner & Gaus, 2011). Vor diesem Hintergrund wird mit Blick auf die heutige professionstheoretische Ausrichtung der Lehrer*innenbildung vermieden, über den Begriff der pädagogischen Liebe zu diskutieren. Vielmehr werden eher psychologische und soziologische Begriffe und Konzepte wie Selbstregulation, Bindung, pädagogische Beziehung oder Macht verwendet (Baumert & Kunter, 2006; Fischer & Richey, 2018; Helsper & Reh, 2012; Raufelder, 2007). Einerseits wird positive Affektivität in der pädagogischen Beziehung als zentrales Erziehungsmittel gewertet, andererseits als Grundlage bzw. Ziel von Bildung verstanden. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die der Lehrer-Schüler-Beziehung zugrunde liegende Emotionalität bewusst professionell reguliert und reflektiert wird, damit »Nähe« bzw. »Liebe« nicht übergriffig und missbräuchlich werden (Drieschner & Gaus, 2011). »Ein pädagogischer Ethos ist für den Lehrerberuf (notwendig) […] und kein pädagogischer Eros« (so Peter Fauser in der Süddeutschen Zeitung, 21.04.2010, S. 6).

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