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1.3 Emotionen und ihre Bedeutung für Bildung

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Die pädagogische Auseinandersetzung mit dem Thema Gefühl bzw. Emotion weist neben der auch kritisch geführten Diskussion um den pädagogischen Bezug eine nicht zu übersehende Zweiteilung auf: Zum einen wird der emotionale Gehalt pädagogischer »Klassiker« betont; zum anderen aber fällt hinsichtlich der Thematisierung von Emotion bzw. Gefühl eine einseitige, eher kognitiv-rationale Auffassung von Erziehungs- und Bildungsprozessen auf. Erziehung und Bildung dienten diesem Verständnis nach der Entwicklung und Förderung menschlicher Vernunft und dementsprechend der »Bändigung von Trieben«, »der Kalmierung und Sublimierung von Gefühlen« und garantierten somit die Nichtanwesenheit von »Emotionalität, die mit Irrationalität gleichgesetzt wurde« (Gieseke, 2007, S. 18). Dieses einseitige Verständnis von Erziehung und Bildung geht vermutlich auf den sogenannten »Leib-Seele-Dualismus« von Descartes zurück, also die radikale Trennung von denkendem Geist und nicht-denkendem Körper (Beckermann, 2001, S. 29 ff.). Emotionen und Gefühl wurden demzufolge als wenig relevant und zuweilen gar als hinderlich für Bildungsprozesse betrachtet – zumal unter »Bildung« in erster Linie die Entwicklung von Vernunft, Verstand, Urteilskraft und Rationalität verstanden wurde. Bildung galt im Sinne eines reflektierenden Umgangs mit sich und der Welt als ein der Vernunft geschuldetes Geschehen, in dem Emotionalität keine nennenswerte Bedeutung beigemessen und sie zuweilen sogar als ihr Gegenspieler konzeptualisiert wurde (Huber, 2018; Kap. 2.1.4).

Erschwerend kommt eine ungünstige Positionierung der Erziehungswissenschaft hinzu: Diese war lange Zeit bestrebt, ihre disziplinäre Eigenständigkeit und damit eine Abgrenzung von anderen Disziplinen (insbesondere von der Psychologie) und vermeintlich disziplinfremden Konzeptionen – zu denen auch Emotionen gezählt wurden – zu betonen (Tröhler, 2014). Die erwähnte Trennung von Körper und Geist sowie das damit einhergehende Verständnis von Emotion beherrschten den Diskurs in der Emotionsforschung disziplinübergreifend (Ulich & Mayring, 1992) und waren nicht zuletzt eine Argumentationsgrundlage für die Abgrenzung der Erziehungswissenschaft von der Psychologie. Diese Aufspaltung wurde vor allem von den Neurowissenschaften zurecht kritisiert (Barrett, 2017; LeDoux, 1996).

Im Zuge der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der späten 1960er und der 1970er Jahre erfolgte eine Neuorientierung in der Pädagogik, die durch die Hoffnung motiviert war, durch eine veränderte Erziehung künftiger Generationen gesellschaftliche Veränderungen bewirken zu können. Weite Teile der 68er-Generation standen der geisteswissenschaftlichen Pädagogik kritisch gegenüber. Unter Rekurs auf die Frankfurter Schule wurde u. a. mit Bezug auf Jean Jaques Rousseau und Reformpädagog*innen, wie insbesondere Berthold Otto sowie Maria Montessori, in der sogenannten ›antiautoritären Erziehung‹ davon ausgegangen, dass man das Kind sich selbst entsprechend seiner Natur entfalten lassen müsse, ohne es negativ zu beeinflussen (vgl. Bernhard, Kremer & Rieß, 2003). In den folgenden Jahren entwickelten sich einige pädagogische Ansätze, welche die Relevanz von Emotionen für Erziehung und Bildung explizit hervorhoben (z. B. Macha, 1988; Oerter & Weber, 1975; Roth, 1971). Weber (1975) beispielsweise hebt die Relevanz des Emotionalen im Zusammenhang mit Erziehung und Bildung hervor. Die Erziehung zur Mündigkeit als das zentrale Bildungsziel bedarf einer Synthese von kritischer Rationalität und reifer Emotionalität. Zunächst geht er auf die Bedeutung der positiven emotionalen Zuwendung in der frühen Lebenszeit und auf die Herausbildung des Urvertrauens ein. Pädagogische Situationen im Verständnis humaner Erziehung sollen seiner Ansicht nach von Wohlwollen, Solidarität, Wertschätzung, Verständnis und Rücksicht geprägt sein. Moralische und sittliche Erziehung sind aus dieser Perspektive mit emotionaler Erziehung verbunden.

Im Zusammenhang mit der Funktion von Erziehung für den zwischenmenschlichen Umgang hebt Hildegard Macha (1988) in ihrem Aufsatz die Bedeutung von Gefühl als »In-etwas-Involviertsein« (Heller, 1980) und als Motor des Handelns hervor. Die Aufgabe von Erziehung ist demzufolge, den Qualitätenreichtum, die Tiefe und Spannung des Gefühls beim Denken und Handeln zu erhalten. Allerdings sollte mit Emotionen auch verantwortlich umgegangen werden. Dabei führt sie fünf Schritte auf, die zum verantwortlichen Umgang mit Gefühlen führen:

1. Wahrnehmen der Gefühle meint, dass das Erleben eigener Gefühle positiv gewertet wird. Gefühle sind subjektiv »richtig«, sind aber durch Gefühle anderer einzugrenzen. Empathie als Verstehen der Gefühle anderer und die Akzeptanz durch die Erzieher bzw. Lehrer gehören ebenfalls dazu.

2. Interpretation der Antriebe (soziale Gefühle): Die Auswirkungen auf andere sollen kennengelernt, Echtheit in Ausdruck und Erlebnis sollen geschult werden. Wichtig ist, bei der Interpretation immer die Grenze der betreffenden Person zu wahren.

3. Das Äußern von Gefühlen soll situativ angemessen und interaktiv möglich sein, um zu lernen, ob der andere dadurch verletzt oder eingeschränkt wird. Wichtig ist hierbei die Stärkung des sozialen Mitgefühls, der Empathie und der Ambiguitätstoleranz.

4. Vermitteln im sozialen Feld: In Interaktionen können nun eigene Emotionen mit denen anderer in Einklang gebracht werden. Emotionale Erziehung vermittelt auf dieser Stufe den praktischen Umgang mit Handlungsstrategien, wie z. B. Regeln der Kommunikation.

5. Aufbau eines überdauernden Wertbewusstseins: Emotionale Erziehung soll ihr Ziel im Aufbau eines selbstverantwortlichen Umgangs mit den eigenen Gefühlen, der Fähigkeit zur Empathie und dem Erlangen eines überdauernden Wertbewusstseins als Grundlage für verantwortliches Handeln erreichen (Macha, 1988, S. 430 ff.).

Aus der Perspektive der Humanistischen Pädagogik beschäftigt sich Buddrus (1992) mit den »verborgenen« Gefühlen in der Pädagogik. Emotionalität wird explizit in Bezug auf Lehr-Lern-Settings thematisiert. Aus seiner Sicht ist diagnostisches Wissen über die Unterscheidung von Gefühls-Regung (akute Gefühle), Gefühls-Haltung (Bereitschaft zu bestimmten Empfindungen) und Gefühls-Stimmung (habituell) hilfreich für die didaktische Gestaltung (vgl. Buddrus, 1992, S. 87 f.). Ähnlich argumentiert Montada (1989) in seinem Aufsatz zur »Bildung der Gefühle«.

Darüber hinaus findet sich im Bildungsverständnis der UNESCO-Empfehlung »Learning – The Treasure within« (Frevert & Wulf, 2012, S. 5) der Hinweis, dass nicht nur der Erwerb von Wissen, sondern eine allgemeine Bildung des Menschen (im Sinn des »human development«) anzustreben ist. In der globalisierten Welt soll diese vier Dimensionen umfassen: learning to know, learning to do, learning to live together/learning to live with others, learning to be (Deutsche UNESCO-Kommission, 1997). Somit sind diesem umfassenden Verständnis von allgemeiner Bildung nach nicht nur kognitive, sondern auch handlungsbezogene, soziale sowie identitätsbildende und affektive Dimensionen (und demnach emotionale Aspekte) des menschlichen Seins adressiert (Frevert & Wulf, 2012).

Emotionen im Unterricht

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