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C’est du Chinois

Theater für Experten des Nicht-Verstehens

Bart Philipsen (Leuven)

Das Forschungsthema ‚Theater und Ethnologie‘ mag auf den ersten Blick andere Schwerpunkte nahelegen, als den des sprachlich Fremden im geläufigen Sinne. Die Frage der Anderssprachigkeit und die damit zusammenhängenden Verständigungs- und Übertragungsprobleme in internationalen bzw. interkulturellen Theateraufführungen werden in heutigen Produktionen längst mittels eingeblendeten Übertiteln gelöst (oder übersprungen). Die exemplarischen Überschneidungen zwischen ethnologisch-anthropologischen, soziologischen und theaterwissenschaftlichen Interessen situieren sich vor allem seit den grundlegenden Arbeiten von Victor Turner und Richard Schechner in erster Linie im Bereich des kulturell Performativen, wobei sowohl nach der Theatralität und Dramatik bestimmter kultureller Praktiken und Prozesse gefragt als auch auf das Potential zur ästhetischen (und kritischen) Reflexion solcher ‚cultural performances‘ in künstlerischen Praktiken, im Besonderen im Bereich des Theaters, fokussiert wird.1 Das Interesse für ethnologisch-anthropologische Fragestellungen hat in den Theaterpraktiken sowie in der Theaterwissenschaft, vor allem in den USA und Europa, ebenfalls zu einer zunehmenden Aufmerksamkeit für einerseits nicht-europäische Theateraufführungen und Praktiken und andererseits nicht-dramatische und durchaus zeremonielle bzw. kultisch-rituelle Aspekte vormoderner europäischer Aufführungstraditionen geführt. Die Verschiebung des Interesses zum kulturell Fremden sowie zum Rituellen ging und geht nicht selten mit einer Kritik am ‚abendländischen‘ Diskurs-primat einher, einer Infragestellung der westlichen Tradition psychologisch gesteuerten Texttheaters, insbesondere des modernen Dramas (Szondi), dessen Handlung ganz von dialogisierenden Personae, das heißt also: exklusiv durch verkörperte Sprechakte durchgeführt wird.2 Diese Tendenz zu nicht-dramatischen bzw. nicht-diskursiven Theaterpraktiken könnte allerdings auch als Folge des Interesses an fremdsprachigen Theaterformen oder kulturellen Performances betrachtet werden; ist das Verstehen in solchen Fällen doch überwiegend auf eine andere als linguistische, d.h. eher auf eine materielle, sinnliche oder körperliche Zeichensprache angewiesen. Die Kritik am Text- bzw. Diskursprimat der westlichen Theatertradition und die Verlagerung des Fokus auf nicht-semantische, körper- oder dingbetonte Zeichensprachen droht freilich auch eine althergebrachte kolonialistische (ggf. orientalistische oder exotistische) Repräsentationslogik zu bestätigen, auch wenn augenscheinlich nur materielle performative Praktiken betont werden.3 Die einseitige Aufwertung von Musikalität (oder sprachlicher Materialität), Sinnlichkeit und Ritualismus in nicht-europäischen oder nicht-angloamerikanischen Aufführungen, und die spiegelverkehrte Abwertung abendländischer Diskursivität setzen eine durchaus problematische Dichotomisierung fort, die den Fremden nur um den Preis der Sprachlosigkeit bzw. der stummen Körperlichkeit und der grundsätzlichen Unverständlichkeit als den absolut Anderen zu schätzen droht. Dabei verliert man vielleicht aus dem Auge, dass der westlichen Denk- und Wahrnehmungsmustern und diskursiven Modellen öfters zur Last gelegte ‚Logozentrismus‘ in der sich globalisierenden Welt wohl kein exklusiv europäisch-angloamerikanisches ‚Übel‘ mehr ist; überall sind diskursive Mechanismen der Vereinheitlichung, Reduktion, Ein- und Ausschließung sowie der dichotomisierenden Logik wirksam, um kulturelle und linguistische Differenzen entweder zum Zweck weiterer Globalisierung homogenisierenden Strategien zu unterziehen oder (und zugleich) zu bestimmten (sogar marktwirtschaftlichen) Zwecken einer durchaus nationalistischen Identitätspolitik zu unterwerfen. Sprach- und Diskurspolitik und die durch diese eingesetzten performativen Strategien sind wohl wesentliche Instrumente solcher Identität und Homogenität produzierenden Mechanismen, und genuine kulturelle Differenzerfahrungen werden nicht zuletzt solchen Gegenstrategien abgewonnen werden müssen, die eine homogenisierende diskursiv-semantische Logik unterminieren und pervertieren.

Aus diesem Grund wird längst keiner mehr bestreiten, dass Sprachlichkeit als solche – d.h. linguistische Diskursivität – inzwischen einen nicht unbedeutenden Faktor in der Debatte über Theater und Ethnologie, eben auch im oben erwähnten erweiterten Sinne des Interkulturellen, darstellen kann. Das dürfte mit einem verschärften Bewusstsein der in vielen großstädtischen Räumen anwesenden kulturellen Vielfalt oder ‚Multikulturalität‘ zusammenhängen, durch die alte binäre und dichotomische Kategorien und diskursive Strategien des Eigenen und des Fremden schwer unter Druck geraten sind und kulturelle sowie auch sprachliche Hybridität keine Ausnahme mehr bilden. Die Erfahrung kultureller Differenz hat nicht nur zu einer verfeinerten und differenzierteren Semantik von Alterität und Differenz jenseits von und manchmal quer zu den alten Grenzziehungen des Eigenen und des Fremden geführt, sondern die reflektierte Sprachlichkeit der produzierten Repräsentationen kultureller Differenz überschneidet sich auch mit der realen Wahrnehmung einer Multilingualität, die Konzepte wie Muttersprache und Fremdsprache und die in ihnen wirksamen Kräfte der Zuordnung und Zugehörigkeit in Frage stellt.4

Die mit der Hürde der Fremdsprachen bzw. der Anders- und Vielsprachigkeit verbundenen Schwierigkeiten lassen sich kaum von der Problematik der Übersetzung trennen. So wie ethnologisch-anthropologische Fragestellungen den Kultur- und Geisteswissenschaften neue Impulse gegeben haben und Performativitäts- und Theatralitätskonzepte paradigmatisch für andere kulturelle Forschungsobjekte geworden sind,5 so lässt sich auch der aktuelle Erfolg der Übersetzungswissenschaft in den Geisteswissenschaften verstehen. Nicht nur ist sie seit einiger Zeit als eine akademisch (und theoretisch) salonfähige Forschungsdisziplin sowohl in literaturwissenschaftlichen bzw. theoretischen und hermeneutischen als auch in kulturwissenschaftlichen Debatten, etwa über Prozesse kulturellen Transfers, ausdrücklich anwesend; so ausdrücklich, dass man von einem translational turn6 in den Kulturwissenschaften spricht; die Sensibilität für Sprachdifferenz und Sprachlosigkeit in der Theoriebildung (und selbstverständlich auch der Praxis) der Übersetzungswissenschaft bedeutet auch für die Philologie eine Herausforderung und eine Möglichkeit, sowohl ihren Gegenstand als auch ihren Auftrag grundsätzlich neu zu überdenken. Denn die Einsicht in die unaufhebbare Differenz zwischen der unaufhaltsamen und kaum einzugrenzenden Dynamik des Sprechens und den homogenisierenden Standards der (National-)Sprache(n) (langue), die Einsprachigkeit als kulturpolitisches Projekt fördern und konstituieren, zwingt nicht nur das Geschäft des Übersetzens zu einer grundsätzlichen Reflexion über den Akt des Übersetzens und dessen Koordinaten, Grenzen und Ziele; sie führt auch dazu, dass jede Art von Sprach-Wissenschaft sich mit einem Objekt konfrontiert sieht, das den es konstituierenden Beschreibungs- und Zuweisungsstrategien Widerstand leistet und sich ihnen als festumrissenes Wissensobjekt letztendlich entzieht. Die Infragestellung der dichotomischen Logik des Eigenen und des Fremden, die mittlerweile jeder zeitgenössischen wissenschaftlich fundierten ethnologischen Perspektive zugrunde liegen muss, wird wohl nirgendwo konkreter als in Übersetzungspraktiken, wobei literarische Übersetzungen wegen der erhöhten Sensibilität fürs Sprachliche als exemplarisch gelten können. Aber der wichtigste Ertrag dieser Entwicklung dürfte die Erfahrung jener sich in jeder vermeintlich ‚einsprachigen‘ Sprache (d.h. in jeder sich als eine einheitliche Nationalsprache präsentierenden Sprache) unverfügbar machenden bloßen Sprachlichkeit sein, die sich nicht semantisch auflösen lässt und weder in Übersetzungsprozessen noch in irgendwelchen Erklärungsprozessen innerhalb einer Sprache zu ‚klären‘ ist: die „Fremdsprache des bloßen Sprechens“, so Werner Hamacher in dem Aufsatz „Kontraduktionen“, ist wie die Sprache eines „inneren Ausland[s] […], in dem keine politische und keine nationalsprachliche Autorität gilt“.7 Diese Sprachlichkeit ist kein idiomatischer Kern, sondern eher der niemals zu verrechnende Rest, der übrigbleibt, wenn linguistische und hermeneutische Kategorien und Operationen an ihre Grenzen stoßen – ein Eigentümliches, das paradoxerweise keinem Sprecher und keiner spezifischen Sprache als identifizierbare Eigenschaft oder idiomatische Substanz gehört, da es sich – um Novalis’ berühmtes Diktum zu zitieren – „nur um sich selbst kümmert“ und die Absichten und Strategien des wollenden und (gut) meinenden Subjekts sowie der sprachpolitischen Grenzziehungen unterläuft.8 Es könnte am ehesten noch mit Hilfe von Walter Benjamins Begriff ‚Mitteilbarkeit‘ erhellt werden, mit dem ebenfalls auf ein performatives Mitteilen gezielt wird, das nichts Spezifisches mitteilt oder meint bzw. keinen kommunikativen Inhalt, sondern nur unmittelbar die Sprache als Medium vermittelt (oder dazu einlädt, sie miteinander zu teilen). Die Analogie bringt auch die messianische Tendenz von Benjamins Werk ins Spiel. Deren profanere Bedeutung liegt nicht zuletzt in einem impliziten Versprechen, dass die Bereitschaft, sich dem Anderen zu eröffnen, ohne ihn unbedingt verstehen zu wollen oder von ihm verstanden werden zu wollen – Letzteres wäre noch einmal der gute Wille des Verstehens, der den/die Anderen der Bestimmung einer wollenden Subjektivität unterwirft –, zu einer Begegnung im ‚unmittelbaren‘ Medium der Sprache führen kann.9

Sind wir damit vom ursprünglichen Schwerpunkt ‚Theater und Ethnologie‘ ins (zu) weite Feld des Philologischen, Literarischen und (Sprach-)Philosophischen abgedriftet, d.h. in ein Feld, von dem das Theater im zeitgenössischen Sinne, als performative oder aufführungsorientierte künstlerische Praxis, sich vor allem seit der sogenannten postdramatischen Wende hat emanzipieren müssen? Wohl kaum, denn das prekäre Moment des Durchquerens von Sprachlichkeit oder Mitteilbarkeit bzw. ‚Unmittelbarkeit‘ eines Verstehens, das zwar versprochen bleibt, aber keine sichere Auskunft – weder Gelingen noch Scheitern – versprechen kann, betrifft ebenfalls einen wesentlichen Aspekt und eine Möglichkeit des interkulturellen Theaters. Es handelt sich um die Aufgabe, sprachlich bedingte Verstehens- und Verständigungsprozesse samt Missverständnissen durchzuspielen und einen Raum der Begegnung jenseits eines vom ‚guten Willen des Verstehens‘ bestimmten Diskurses zu eröffnen. Der von ethnologischen, anthropologischen und soziologischen Impulsen ausgelöste performative turn in den Kulturwissenschaften und dessen Fruchtbarkeit für theaterwissenschaftliche Theoriebildung und Aufführungsanalyse mögen die sprachphilosophische oder -pragmatische Performativität am Anfang überblendet haben; aktuelle Theatertheorien und Analysemodelle bedienen sich mittlerweile jedoch längst eines hybriden Performativitätskonzepts, in dem sich linguistisch-rhetorische und aufführungsanalytische Ansätze ergänzen.10 Das gilt besonders für solche Performances, in denen die Beziehungen zwischen Sprechakten und deren Verkörperungen hervortreten, Sprechakte also als Handlungen oder Ereignisse oder „unselbstverständliche“ Vorgänge aufgeführt werden, welche die vermeintlich evidente, quasi-natürliche semiotische Beziehung zwischen Sprechendem und Sprache, Körper und Wort in Frage stellen.11 Eine besondere, für das Thema des interkulturellen Theaters als ‚Theater der Anderen‘ sehr relevante Zuspitzung dieser Sprach-Ereignishaftigkeit liegt dann vor, wenn die Fremd- oder Anderssprachigkeit selber reflektiert, die mit ihr verbundene Problematik der Sprach- und/als Kulturzugehörigkeit thematisiert und die Kommunikations- und Verständigungsproblematik mit dem Publikum geteilt und als Moment der Aufführung mitinszeniert wird. Die Inszenierung des Sich-Verständigens als eines performativen Ereignisses ist nur die theatralisierte Vorführung bzw. performance von auch im Realen sich in bestimmten dramatisch-theatralischen Rahmen und nach einschlägigen (Spiel-)Regeln vollziehenden Sprechakten. Sie ermöglicht es allerdings, einen ‚schrägen‘ Blick auf die Performativität des täglichen Verstehens zu werfen und dessen Nicht-Evidenz zu reflektieren.

Theater und Ethnologie

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