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ОглавлениеVorwort
Natalie Bloch, Dieter Heimböckel (Luxemburg)
Mit dem Verhältnis von Theater und Ethnologie nimmt dieser Tagungsband ein vielschichtiges und komplexes Gefüge in den Blick, das in disziplinübergreifenden Beiträgen und in Hinblick auf das Gegenwartstheater untersucht wird. Dabei wird zum einen die Frage gestellt, inwieweit die Ethnologie theoretisch und analytisch zu einem erweiterten Verständnis aktueller Internationalisierungs- und Interkulturalitätsprozesse im zeitgenössischen Theater beizutragen vermag; zum anderen werden theatrale Arbeiten untersucht, die selber einen ethnologischen, d.h. verfremdenden, Blick auf das Eigene werfen. Denn das Theater des 21. Jahrhunderts weitet den Blick in die Welt: Verschiedenste Spielarten internationaler Koproduktionen und Theaterfestivals zeugen von einem Internationalisierungstrend, der im Zuge der Globalisierung alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst. Mit dieser (veränderten) strukturellen Ausrichtung nehmen allerdings nicht nur interkulturelle Kulturkontakte zu, sie wirken sich auch auf den Produktionsprozess und die theatrale Ästhetik aus und rücken damit den Aspekt der Interkulturalität, wie die vorliegenden Beiträge dokumentieren, zusätzlich in den Fokus der Auseinandersetzung. In dieser Entwicklung ist jedoch nur unter Vorbehalt ein Fortschritt in Hinblick auf interkulturelle Verständigung oder Kompetenz zu sehen. So ist die Frage, wie Andere oder Fremde im Theater vorkommen, repräsentiert und damit interpretiert werden, von größter Brisanz und beinhaltet politische und ethische Dimensionen, wie beispielsweise die aktuelle Debatte um das Black-Facing oder die Kritik postkolonialer Theoretiker an einer unreflektierten Form des Interkulturalismus vorführen. Wie schon andernorts betont wurde, sind Fremdheitsdarstellungen jedoch auch „Bestandteil einer reziproken Beziehung“,1 die weit über die kulturelle Andersartigkeit hinausweist. Somit sind sie immer auch eine Darstellung des Eigenen, die sowohl ganze Nationen wie auch einzelne Subjekte für ihre Selbstvergewisserung benötigen. Das Ineinandergreifen von kulturellen, ästhetischen und ethnischen Aspekten in Theaterproduktionen mit einer interkulturellen Ausrichtung lässt insofern eine Verknüpfung von theaterwissenschaftlicher und ethnologischer Perspektive hinsichtlich der Untersuchung dieser Theaterformen sinnvoll erscheinen. Darüber hinaus ist die Erforschung interkultureller Phänomene im Theater mit ähnlichen Schwierigkeiten wie die Ethnologie konfrontiert, nämlich mit der Suche nach einem adäquaten Kulturbegriff, der für den Umgang mit dem Fremden grundlegend ist. Denn in Anbetracht der kulturellen Vielfalt und der Hybridität der Kulturen ist der klassische Dualismus von Eigenem und Fremdem kaum aufrechtzuerhalten. Dementsprechend hat man sich in der ethnologisch, kulturanthropologisch und postkolonial fundierten Kulturtheorie von einem ‚Containermodell‘ der Kultur verabschiedet – unter anderem mit der Konsequenz, dass die Beschäftigung mit dem, was als kulturell fremd gilt, nicht mehr unbedingt an einen fremden Ort gebunden ist, sondern bereits „vor der eigenen Haustür“2 beginnen kann.
Die vorliegenden Beiträge diskutieren mit unterschiedlichen Ansätzen – wie den Postcolonial und Performance Studies, aber auch der Kulturanthropologie und soziologischen Theorien – interkulturelle Theaterproduktionen, Inszenierungen und -texte ebenso wie institutionelle und strukturelle Entwicklungen des Theaters und dokumentieren so aktuelle Forschungspositionen. Sie gehen insgesamt auf eine internationale Tagung zurück, die vom 26. bis zum 28. Juni 2014 an der Universität Luxemburg ausgerichtet wurde und dort Teil eines größeren Forschungsprojekts zum Thema Prozesse der Internationalisierung im Theater der Gegenwart ist. Zu danken ist in diesem Zusammenhang der Universität Luxemburg für die Förderung des Projekts und Christopher Balme dafür, dass er als Herausgeber von Forum Modernes Theater die Aufnahme dieses Bandes in die Reihe unterstützt hat.
Esch-sur-Alzette, im Mai 2016