Читать книгу Pragmatik der Veränderung - Группа авторов - Страница 19

Beispiel II: Kurzzeitgesprächspsychotherapie

Оглавление

Bevor wir zum Helfen beim Entwickeln von Handlungsalternativen kommen, möchten wir anhand eines Beispiels aus einer Kurzzeittherapie das Helfen beim Umstrukturieren mentaler Prozesse noch etwas genauer beobachten. In therapeutischen Gesprächen ist eine wesentliche Aufgabe der Therapeut*innen, Klienten dabei zu helfen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen neu bewerten und verstehen zu können (s. die Beiträge zur Psychotherapie i.d.B. sowie spezifisch zum Verstehen Scarvaglieri i.d.B.). Im dem Auszug aus der dritten Sitzung einer Gesprächspsychotherapie geht es um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der familiären Situation, in der sich die Patientin (PA) als Kind befunden hatte, und der gegenwärtigen familiären Konstellation. Der Therapeut (TH) möchte PA dabei helfen, die Parallelen zwischen beiden Situationen zu erkennen.



Der Therapeut spricht in dem Beispiel eine Reihe von Wissenselementen an, die auf eine Parallelisierung der gegenwärtigen biographischen Situation der Patientin mit ihrer Kindheit hindeuten und trägt damit zur Entwicklung von Denkalternativen über diese Situation bei. Er spricht von „Rollenverteilungen“ „in der Familie“ (PF 126), beschreibt diese Rollen kurz oder bittet die Patientin, sie selbst zu beschreiben, und formuliert als „Hintergedanken“, dass sie „irgendwó […] die Rolle heute noch“ (PF 147-148) spiele. TH arbeitet auf diese Weise an dem Wissen der Patientin über sich selbst, über charakteristische Verhaltensweisen und Beziehungsmuster und deren Entstehung. Dies beruht auf Theorien, wonach eine Kongruenz zwischen Selbstbild und Selbststruktur (Eckert 2000, Biermann-Ratjen 2006a) wesentlich ist für eine heilsame Veränderung der Patient*innen – wenn diese ihr Selbst erkennen und verstehen, werden sie in die Lage versetzt, pathogene mentale und behaviorale Strukturen einzuhegen und zu verändern. In diesem Beispiel bringt TH Wissenselemente ein, die die Patientin bei diesem Prozess unterstützen sollen, sie also auf die Spur der Identifikation von zentralen Elementen, die ihr Erleben prägen, setzen sollen. Anders als ein psychoanalytisch arbeitender Therapeut formuliert er zentrale Wissenselemente jedoch nicht selbst – er deutet ihre gegenwärtige Beziehung zum Ehemann nicht explizit als Wiederholung von Beziehungsstrukturen der Primärfamilie. Dieses Wissen deutet TH lediglich an, etwa mit „irgendwó – des is mein Hintergedanken dabei – spielen Sie die Rolle heute noch“ (PF 147-184), um auf diese Weise eine Wissenssuche bei der Patientin anzuregen. Diese soll selbst das entsprechende Wissen finden; Basis dieses Vorgehens ist zum einen die Annahme, dass eine Erkenntnis über das eigene Selbst, die man selbst gewinnt, größere therapeutische Wirksamkeit entfaltet als eine von einer anderen Person vermittelte Erkenntnis (Biermann-Ratjen 2006b), zum anderen, dass die Patient*innen selbst über den Zeitpunkt, zu dem eine Erkenntnis verbalisiert und verarbeitet werden kann, entscheiden sollten (Freud 1948: 250f.; Thomä & Kächele 2006: 311f.).

Hinsichtlich des vorgelegten Modells zum Helfen geht TH also wie folgt vor. Zunächst aktiviert er relevantes Wissen bezüglich der Eigenschaften der Klientin und ihrer Schwester (PF 114-117) und vertieft so das Themenfeld der familiären Rollenverteilungen. Damit wird dieses Thema als für die Klientin relevanter Bereich ihrer Denk- und Wissensstrukturen gesetzt. Nachdem die Klientin zunächst lediglich einzelne Wissenselemente über ihre Schwester verbalisiert, diese aber nicht in Bezug zu sich selbst stellt, konkretisiert TH das zu aktivierende Wissen und kommt auf die Rollenverteilung in der Familie zu sprechen (PF 125-134). Dazu nennt er zunächst Fachwissen („also in der Familie gibt s ja Rollenverteilungen“ (PF 126)), das er als allgemeines Wissen weiter vertieft („eine Rolle kann man nur spielen, wenn alle mitspielen“ (PF 128). Ohne abzuwarten, ob die Klientin nach diesem ersten Abnehmen der Teilhandlung – Fokussierung auf die Rollenverteilung – nun selbst weitere Denkschritte vornimmt, konkretisiert TH weiter. Er fokussiert mit „Sie ham auch ne ganz bestimmte Rolle gespielt“ (PF 128-129) weg von der allgemeinen familiären Rollenverteilung hin zur Rolle der Klientin und macht deutlich, dass er diese für besonders relevant hält. Damit stellt er der Klientin die Aufgabe, ihre eigene Rolle im Verhältnis zu den Rollen anderer Familienmitglieder zu explorieren. Mit Wissen zu ihrem Rollenverhalten in konkreten Situationen muss die Klientin diese vom TH relevant gesetzten Denkalternativen selbst füllen. Später im Gesprächsverlauf nimmt TH dann eine weitere Gewichtung der Denkalternativen vor, indem er darauf hinweist, dass er aufgrund seines Expertenwissens davon ausgeht, dass Erkenntnisse über die Rolle der Klientin in ihrer Familie auf ihre aktuelle Lebenssituation übertragen werden können („irgendwó […] spielen Sie die Rolle heute noch“ (PF 147)). Damit gewichtet er nun die Denkalternative bezogen auf die Fokussierung der eigenen Rolle als das zentrale Element, auf das die Klientin ihr Erfahrungs-/Erlebniswissen hin beleuchten soll.

Wir haben es also in diesem Gesprächsausschnitt mit einer Form sprachlichen Helfens zu tun, die sich zum einen stark auf Denkalternativen (und nicht auf Handlungsalternativen) bezieht und zum anderen ein Umstrukturieren von Klientenwissen im Fokus hat. Basierend auf ihrem Expertenwissen über psychische Ursache-Wirkungszusammenhänge können helfende Personen mental vorstrukturieren, welches Wissen für Klienten auf welche Weise relevant wird und in welchen Dimensionen eine Umstrukturierung dieses Wissens sinnvoll angestrebt werden kann. Damit nehmen sie strukturell eine Bewertung und Gewichtung von Denkalternativen vor, die sie jeweils mit fortschreitender Verbalisierung des klientenseitigen Erlebnis-/Erfahrungswissens weiter in Richtung einer Gewichtung von Denkalternativen zuspitzen. Das Helfen besteht also darin, dass Therapeut*innen bestimmte Denkalternativen für die Patient*innen aktivieren, bewerten oder gewichten, die diese dann selbst mit ihrem konkreten Wissen/Erleben in Verbindung bringen müssen (vgl. Scarvaglieri 2013: Kap. 7.3). Die von den Patient*innen verbalisierten Wissenselemente werden aktiviert und sprachlich so verarbeitet (Scarvaglieri 2013: Kap. 7.2; Scarvaglieri 2015), dass den Patient*innen bestimmte Umstrukturierungsmöglichkeiten mentaler Prozesse nahe gelegt werden (in unserem Beispiel hinsichtlich einer grundsätzliche Parallelität zwischen den Rollen in Erstfamilie und gegenwärtiger Familie), so dass Ansatzpunkte für therapeutische Veränderungsprozesse entstehen (vgl. Scarvaglieri i.d.B., subm.).

Es handelt sich in diesem Beispiel insgesamt um ein schwaches bis mittelstarkes Helfen, da zentrale Wissenselemente vom Helfenden nicht vollständig ausformuliert, sondern nur angedeutet und der Beschäftigung durch die hilfeempfangende Personen anheimgestellt werden. TH regt eine Wissenssuche an und etabliert (gewichtet) auch bereits mehrere Suchfoki. Diese werden von der Patientin zum Teil auch aufgenommen, sie formuliert vereinzelte biographische Wissenselemente, kommt aber nicht zu dem von TH angezielten Schluss über die Parallelität der aktuellen und der früheren Beziehungsstrukturen bzw. darüber, dass sich die eine Situation aus der anderen entwickelt hat. Daran, dass TH nicht auf diesem Schluss besteht, dieses Wissen, nachdem es von PA nicht entwickelt wird, nicht selbst formuliert, sondern schließlich einen von PA initiierten Themenwechsel akzeptiert, zeigt sich, dass in der Gesprächstherapie generell ein eher schwaches Helfen vorliegt, bei dem von Therapeutenseite zwar Wissenselemente formuliert und in ihrer Relevanz für PA auch bewertet werden. Die weitergehende Bewertung, Gewichtung, Ergänzung und Verarbeitung von Wissen aber bleiben zu großen Teilen den Patient*innen überlassen. Dies ist funktional, weil die Gesprächspsychotherapie eine Persönlichkeitsumstrukturierung (im Sinne der angesprochenen Kongruenz zwischen Selbstbild und Selbststruktur) und damit eine vergleichsweise weitgehende Veränderung anstrebt, welche von außen zwar angeregt, letztlich aber nur von der Klient*in selbst vollzogen werden kann. Hier zeigt sich damit noch deutlicher, dass sprachliche Hilfeprozesse, egal ob sie auf Denk- oder Handlungsalternativen abzielen, lediglich in einem Abnehmen (durch Vorstrukturieren) mentaler Teilhandlungen bestehen. Diese mentalen Handlungen aber müssen von den hilfeempfangenden Personen übernommen und somit auch selbst nachvollzogen werden. Dies kann – anders als beim praktischen Helfen (z.B. Schuhebinden) – nicht von der helfenden Person übernommen werden. Hier zeigt sich damit erneut (s. Beispiel der genetischen Beratung), dass das Helfen in eine je spezifische Konstellation eingebunden ist und an institutionelle Zwecke angepasst realisiert wird.

Nachdem wir das Vorstrukturieren von Denkalternativen nun an zwei verschiedenen Beispielen mit stärkerer Fokussierung auf Wissenserweiterung (genetische Beratung) und stärkerer Fokussierung auf Wissensumstrukturierung (Kurzzeittherapie) untersucht haben, möchten wir nun ein Beispiel aus einem verkaufenden Gesprächstyp untersuchen, das auf die mentale Vorstrukturierung von Handlungsalternativen ausgerichtet ist.

Beispiel III: Verkaufsgespräch beim Autohändler



In diesem Verkaufsgespräch1 in einem Autohaus spricht der Verkäufer eine Reihe von Faktoren an, die er bei der Entscheidung für ein bestimmtes Modell für relevant hält. Indem er diese Kriterien nennt, strukturiert er das Handlungsfeld der Klienten vor und hilft ihnen, bei der Entscheidung für ein Modell. Das Transkript setzt mit der Thematisierung des „Verbrauch[s]“ (PF 1) ein, der für die Klientin eine hohe Bedeutung hat, da sie „in der Woche so vierhundert Kilometer […] jobtechnisch“ (PF 2-3) unterwegs ist. Der Berater bewertet das Fahrzeug-Modell „Mini One“ als „vom Verbrauch her […] mehr als ausreichend“ (PF 5-6). Daraufhin spricht er mit dem „Grundpreis“ (PF 7), dem Motortyp („Diesel“ (PF 6)) und der Geschwindigkeit bzw. Beschleunigung („spritziger“ (PF 8)) drei weitere Faktoren an, die den Autokauf beeinflussen können und in den kommenden Passagen weiter verhandelt werden. Bezogen auf das Helfen ist hier relevant, dass V Handlungsalternativen anhand von Kriterien bewertet, nicht aber explizit eine der Alternativen (Benziner oder Diesel) gewichtet. Durch das Nennen von Kriterieren strukturiert er den Entscheidungsprozess für die Kundin zu einem bestimmten Grad vor, die letztendliche Gewichtung der Alternativen und damit die Wahl eines bestimmten Modells, die im Prinzip in ein praktisches Kaufhandeln münden würde, aber überlässt er der Kundin. Dass dieses Gewichten der Kundin überlassen bleibt und diese es auch vornimmt, zeigt sich, als die Kundin eine gängige Maxime (Ehlich & Rehbein 1977: 58-65) formuliert, wonach es „wenn man viel fährt, eher schlauer [ist] n Diesel zu kaufen“ (PF 14) und damit das Gewichten anhand des Kriteriums Kilometerleistung probeweise durchführt. Diese Maxime wird mittels „also“ als eine Schlussfolgerung formuliert, für die KF die Bestätigung des Verkäufers sucht. Dieser bestreitet die Gültigkeit der Maxime („Nein“ PF 14) und führt als Begründung an, dass, anders als „früher“ (PF 14) Diesel nur noch „zehn Cent“ billiger sei „wie Benzin“ (PF 15-16). Darauf schließt er mit „auf der andern Seite“ diesem Aspekt widersprechendes Wissen an, wonach Diesel-Motoren einen „circa zwei drei Liter günstigeren Verbrauch“ (PF 17) aufweisen, was allerdings wiederum „gegen die paar tausend Euro Mehrkosten“ (PF 18) bei der Anschaffung des Diesels gegengerechnet werden müsse. Damit weist er zwar den Schluss der Kundin zurück, ein bestimmtes Kriterium als kaufentscheidend zu gewichten, nimmt selbst aber keine eigene Gewichtung vor, sondern nennt zusätzliche Kriterien.

Es handelt sich hier also um ein Helfen, das die Klientin mit einem klaren Ziel initiiert, und bei dem der Agent eine Reihe von Faktoren nennt, die die Entscheidung der Klientin über die ihr zur Verfügung stehenden Optionen, dieses Ziel zu erreichen, beeinflussen können. Damit strukturiert er zum einen vor, in welchen Dimensionen die Klientin über ihre Handlungsoptionen denkt (so gibt er der Frage der Ausstattung im Gespräch eine höhere Bedeutung als die Klientin ihr ursprünglich zuzumessen scheint), auf welchen Aspekten sie also eine etwaige Entscheidung aufbaut. Zudem bewertet er einige der Faktoren auch eindeutig, misst etwa den Treibstoffkosten geringere, dem Anschaffungspreis und der Ausstattung höhere Bedeutung zu. Hier handelt es sich somit um eine mittlere Vorstrukturierung der Handlungsalternativen, die durch das Bewerten von Alternativen ohne deren Gewichtung realisiert wird. Eine Gewichtung und damit Entscheidung für ein bestimmtes Modell wird der Kundin überlassen. Diese wird mit mehrfachem Verweis auf die Möglichkeit einer „Probefahrt“ (u.a. PF 52) sowie durch Übergabe von „Katalog“ (PF 190) und „Kärtchen“ (PF 191) auf einen anderen Zeitpunkt verschoben.

Hier kann nicht ausführlich diskutiert werden, dass der Verkäufer die weit überwiegenden Kriterien für eine der Alternativen (Benziner) nennt, damit also etwas in Richtung eines Gewichtens dieser Alternative geht. Zudem setzt er die Möglichkeit der Zusatzausstattung relevant, die die Kundin von der gesparten Differenz des Preises zu einem Dieselfahrzeug kaufen könnte. Hier liegt es offenbar in seinem Interesse als Verkäufer, dass die Kundin gar nicht erst die Handlungsalternative, nur einen Benziner (ohne weitere Ausstattung) zu kaufen und so einfach weniger Geld auszugeben als vorgesehen, in Erwägung zieht. Es wird erneut deutlich, dass und wie das Helfen jeweils von der Konstellation, in der es verwendet wird, geprägt ist. Diese bedingt in diesem Beispiel, dass der Verkäufer seine Interessen bei der Bewertung von Alternativen einfließen lässt2, ohne dass strukturell aus dem rekonstruierten Handlungskomplex ausgebrochen würde.

Pragmatik der Veränderung

Подняться наверх