Читать книгу Pragmatik der Veränderung - Группа авторов - Страница 21

4. Zusammenfassende Betrachtung: Helfen und Veränderung

Оглавление

Wir haben in diesem Beitrag helfendes Handeln als einen Handlungskomplex rekonstruiert, der in sehr unterschiedliche andere Handlungskomplexe eingebettet werden kann. Helfendes Handeln haben wir als Abnehmen von (Teil-)Handlungen konzipiert. Sprachliches Helfen ließ sich auf dieser Basis bestimmen als das Vorstrukturieren von Denk- und Handlungsalternativen bei der Handlungsplanung, die durch das helfende Handeln konkretisiert wird. Dieses Vorstrukturieren von Denk- und Handlungsalternativen kann unterschiedlich stark vorgenommen werden und beinhaltet dann je auf Denk- oder Handlungsalternativen bezogen ein Aktivieren bzw. Nennen von Wissen (schwache Vorstrukturierung), ein Bewerten von Alternativen basierend auf Bewertungskriterien bzw. Maßstäben (mittlere Vorstrukturierung) oder ein Gewichten von Alternativen (starke Vorstrukturierung). Voraussetzung dazu ist eine gemeinsame Zielvorstellung, die entweder vorgegeben (konstellationsabhängig ‚typisch‘) ist oder ausgehandelt wird. Diese Zielvorstellung kann während eines Hilfeprozesses, in dem in der Regel der Handlungskomplex des Helfens mehrfach ganz oder teilweise durchlaufen wird, immer wieder verändert oder neu ausgehandelt werden. Auch zur Entwicklung einer Zielvorstellung kann der Handlungskomplex Helfen eingesetzt werden, was in verschiedenen Gesprächstypen einen großen Stellenwert einnehmen kann (vgl. das Merkmal Prozessfokus, Pick 2017: 446-448). Das Helfen kann der Überwindung eines konkreten Handlungswiderstandes (z.B. dem Finden einer Entscheidung) dienen, aber auch mit dem Ziel eingesetzt werden, Hilfeempfangende dazu zu befähigen, das Nennen, Bewerten und Gewichten von Denk- und Handlungsalternativen künftig selbst vorzunehmen (vgl. Oevermann 2013). Dies geschieht zum einen, weil ihnen beim sprachlichen Helfen schrittweise gezeigt wird, wie man Wissen und Bewertungen bezogen auf Alternativen deliberiert. Zum anderen müssen Hilfeempfangende die von Helfenden vorgenommenen Vorstrukturierungen selbst nachvollziehen und mental integrieren. Dies ist immer dann besonders relevant, wenn eine Lösung (also die praktische Umsetzung des Handlungsplans) nicht im Einflussbereich des Helfenden liegt.

Grundlegend für das sprachliche Helfen ist, dass es als interaktionaler Prozess von (typischerweise) zwei Parteien konzipiert ist, die den Prozess beide mitbestimmen und verschiedene interaktionale Aufgaben übernehmen. Dieser Prozess ist durch Asymmetrien hinsichtlich Wissen, Können und persönlicher Erfahrungen der Beteiligten gekennzeichnet. Diese Asymmetrie muss für das Helfen eingesetzt werden, indem von Helfenden zumindest mental und probeweise Gewichtungen vorgenommen werden. Die zugrundeliegenden Asymmetrien sind allerdings nicht statisch, sondern können mit den Hilfeempfangenden interaktional ausgehandelt, verändert, probeweise durchgespielt oder auch verworfen werden. Zudem müssen Ziele gemeinsam interaktional geklärt werden, es muss der Handlungskomplex übereinstimmend in Gang gesetzt werden und es muss gemeinsam geklärt werden, welche Teilhandlungen übernommen werden sollen.

Wir gehen davon aus, dass (sprachliches) Helfen grundsätzlich darauf ausgerichtet ist, Veränderung anzustoßen oder herzustellen. Wir haben es dabei mit einer Veränderung in mindestens zwei Dimensionen zu tun: Zum einen steht am Ende des Handlungsprozesses, der durch das Helfen unterstützt wurde bzw. in den das Helfen eingebettet ist, eine Veränderung (Resultat). Diese manifestiert sich in einer (praktischen oder verbalen) Handlung (Autokauf, Kündigung etc.), die die Veränderung konkret herbeiführt, oder in einem (generell) veränderten Handeln in wiederkehrenden Situationen (Schuhbinden z.B.). Beides resultiert aus einem Planungsprozess, der in der Regel Denk- und Handlungsalternativen bewertet und gewichtet. Zum anderen ist eine Veränderung im mentalen Bereich der Hilfeempfangenden eine zentrale Dimension der beim sprachlichen Helfen angestrebten Form von Veränderung. Hier setzt eine Veränderung (lange) vor dem konkreten handlungspraktischen Resultat ein. Sie manifestiert sich in einem kommunikativen Prozess von je unterschiedlicher Dauer und Intensität, der durch Schleifen, in denen verschiedene Denk- und Handlungsalternativen durchgespielt, verworfen, umgewertet etc. werden, gekennzeichnet sein kann. Veränderung kann beim Helfen also sowohl in einem materialen, aktionalen Handlungs-Resultat als auch in einem mentalen Prozess bestehen.

Wir haben sprachliches Helfen als einen Handlungskomplex untersucht und verstehen unseren Beitrag damit auch als theoretischen und methodischen Impuls für die Untersuchung von sprachlichem Handeln. Mit dem Fokus auf Handlungskomplexe legen wir weder einzelne Sprechakte oder Äußerungen noch Gattungen oder Gesprächstypen als Untersuchungseinheiten zugrunde, sondern verstehen Handlungskomplexe als zusammengesetzt aus Einheiten funktional aufeinander bezogenen interaktionalen Handelns, die verschieden expandiert und in verschiedenen (institutionellen) Konstellationen verwendet werden können (vgl. Pick 2017a: 32-35). Wir haben in unserem Beitrag helfendes Handeln als einen solchen sprachlichen Handlungskomplex rekonstruiert, der in sehr unterschiedliche andere Handlungskomplexe und Gesprächstypen eingebettet sein kann. Diese Einbettung bedingt, dass das Helfen entsprechend der Konstellationen und deren (institutioneller) Bedingungen verschieden ausgeprägt ist, es aber dennoch grundlegend als derselbe sprachliche Handlungskomplex realisiert wird. Damit haben wir auch versucht, den Blick auf sprachliches Handeln etwas zu öffnen und ihn von einzelnen Konstellationen, Gesprächstypen oder Gattungen zu lösen. So hoffen wir, gerade durch das Vergleichen und Kontrastieren den Kern des Handlungskomplexes in seiner Beschreibung und Bestimmung deutlicher werden zu lassen, als das bei Betrachtung eines einzelnen gesellschaftlichen Handlungsfelds möglich gewesen wäre. In dieser Hinsicht möchten wir mit unserem Beitrag das Feld für weitere Forschung öffnen, die helfendes Handeln in verschiedensten Konstellationen empirisch untersucht, unseren Vorschlag für einen Begriff sprachlichen Helfens auf weitere Beispiele anwendet, kritisch überprüft und weiterentwickelt.

Pragmatik der Veränderung

Подняться наверх