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2. Linguistische Veränderungsforschung

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Linguistische Veränderungsforschung ist ein im Entstehen begriffenes Feld, das in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen hat, was sich an einer zunehmenden Anzahl an Publikationen in diesem Bereich zeigt zu der auch dieser Sammelband gehört (siehe auch Pawelczyk und Graf (Hrsg.) (under review)). Grundsätzlich unterscheiden sich die existierenden Studien danach, ob sie Sequenzen fokussieren, die als Indikatoren für klientenseitigen Wandel angesehen werden können (Voutilainen, Peräkylä und Ruusuvuori 2011; Pawelczyk i.d.B.), oder Handlungen der Agent*innen, die an sich in der Lage sind, Veränderungsprozesse anzustoßen (vgl. Scarvaglieri 2015, i.d.B.; Spranz-Fogasy et al. revised; Kabatnik et al. i.d.B.; Spranz-Fogasy et al. i.d.B.) bzw. sie unmittelbar realisieren (Pick und Scarvaglieri i.d.B.). Zudem werden interaktive Loci – längere interaktive Passagen wie Turns, Phasen, Sitzungen oder sitzungsübergreifende Aktivitäten (vgl. Bercelli, Rossano und Viaro 2008, 2013; Voutilainen, Rossano und Peräkylä 2018; Graf und Jautz i.d.B.; Buchholz i.d.B.) – untersucht, in denen Veränderungen zunächst ausgehandelt und dann interaktiv umgesetzt werden. Darüber hinaus werden auch vermehrt embodied practices in den Blick genommen, die – in Zusammenarbeit mit sprachlichen Praktiken, aber auch für sich alleine stehend – als veränderungsinitiierend bzw. allgemeiner, veränderungsrelevant für bestimmte helfende Formate wie Physiotherapie etabliert werden (Ortner i.d.B.). Und schließlich geht es auch darum, wessen Version bzw. Definition einer Situation oder Sachlage im Kontext von sozialer Arbeit als Ausgangpunkt für eine als notwendig eingestufte Veränderung im Sinne eines Eingreifens in z.B. Familien genommen wird (Rüegger i.d.B.).

Eine der ersten Arbeiten, die „client change“ im Titel führt, entstammt der Zusammenarbeit des Linguisten Peter Muntigl mit dem Psychotherapeuten Adam Horvath. Sie beschreiben insbesondere zwei Prozesse, die auf der Mikroebene der Interaktion zu Veränderung führen: Zum einen läßt die sprachliche Nominalisierung von problematischen Verhaltensweisen des Patienten (etwa als „this letting him down“ (Muntigl und Horvath 2005: 224)) das fragliche Verhalten als eine eigene, vom handelnden Patienten separate Entität erscheinen und etabliert damit eine mentale Distanz zu diesem Verhalten. Dies wiederum erschwere es den Patient*innen, „to attribute the negative behavior as a central part of their identity“ (Muntigl und Horvath 2005: 225). Zum anderen arbeiteten Therapeut*innen daran, „causal relations between problem behaviors“ (ebd.) zu konstruieren, welche den Ursprung der Problematik außerhalb des Patienten verorteten. Dies ermöglicht es den Patient*innen, eine veränderte Perspektive auf sich selbst und das eigene Verhalten zu gewinnen, was zu psychischer Gesundung und zum Verschwinden von Symptomen beiträgt. Mittels Mikroanalysen agentenseitigen Handelns weisen Muntigl und Horvath in ihren Analysen also auf spezifische sprachliche Verfahren hin, die grundsätzlich in der Lage sind, die Perspektive der Patient*innen zu verändern und damit hilfreiche Veränderungen psychischer und behavioraler Art anzustoßen. Als Indikator dafür, dass dies auch tatsächlich geschieht, werten die Autoren, dass die konkret untersuchte Patientin im Therapieverlauf diese sprachlichen Verfahren übernimmt (Muntigl und Horvath 2005: 226), also selbst mittels Nominalisierung und Konstruktion von kausalen Verhältnissen eine Distanz zum problematischen Verhalten etabliert.

Ähnlich sehen auch Voutilainen, Peräkylä und Ruusuvuori (2011) in ihrer einflussreichen Arbeit über „therapeutic change in interaction“ die veränderte Reaktion des Patienten auf „conclusions“ des Therapeuten – zusammenfassende Handlungen „that suggest something on the basis of the preceding discussion“ (Voutilainen, Peräkylä und Ruusuvuori 2011: 351) – als Indikator für eine Veränderung, die über eine rein sprachliche Anpassung hinausgeht und auf ein Fortschreiten der Patient*innen innerhalb der „zone of proximal development“ (ebd.: 362; vgl. Leiman und Stiles 2001) hindeutet. Graf (2011, 2015, 2019) zeigt, wie Veränderung in Coaching-Prozessen im Kontext der kommunikativen Basis-Aktivität „Co-Constructing Change“ zu einem Thema interaktiver Aushandlung und Ratifizierung zwischen Klient*in und Coach wird. Veränderung wird hier explizit thematisiert und evaluiert (im Kontext einer weiteren kommunikativen Basis-Aktivität, „Evaluating the Coaching“), so dass die Aussagen der Beteiligten zum Indikator für Veränderung sowie für den interaktiven Umgang damit gemacht werden können. Scarvaglieri (2013, 2015) identifiziert als Ausgangspunkte für hilfreiche Veränderung in der Psychotherapie u.a. die therapeutenseitige Benennung von Erlebnissen der Patient*innen, durch welche der Anschluss an gesellschaftlich etablierte Wissensbestände hergestellt und die Perspektive so verändert wird, dass andere Handlungsoptionen sichtbar werden. Zudem bezweckt das Vorgehen der Therapeut*innen das patientenseitige Verstehen der eigenen biographischen Situation, durch welches die Patient*innen dieser Situation gegenüber handlungsfähig werden (Scarvaglieri 2013). Mit dem Benennen patientenseitiger Erfahrungen wird also auch hier eine konkrete sprachliche Verhaltensweise identifiziert, die das Potential hat, hilfreiche Veränderung auszulösen. Dabei wird auch auf Theorien der kognitiven Linguistik zurückgegriffen (Scarvaglieri subm.), die in Form der Metaphernanalyse einen wichtigen Einfluss auf die qualitative Erforschung von helfenden Berufen gehabt haben (Überblick bei Tay 2013; Schmitt 2014). Dieser Ansatz schreibt der Verwendung der passenden Metaphorik bzw. dem situativ angemessenen „Wechselspiel der Sichtweisen“ (Buchholz 1998: 561) zentrale Bedeutung für Veränderung zu – indem die aktuell passende Metapher gewählt wird, gelingt es Patient*innen, neue und andere Aspekte ihres Selbst zu sehen und zu verstehen. Schmitt schildert z.B., wie in einer Supervision das Verhalten eines Beraters metaphernanalytisch als „drängende[s] ‚in-Bewegung-bringen‘“ (Schmitt 2000: 168) erkannt und daraufhin so korrigiert werden konnte, dass der Betreute mehr Eigenständigkeit und Selbstverantwortung entwickeln konnte (s. auch Buchholz u.a. 2008; Tay 2013). In der Arbeit von Bercelli, Rossano und Viaro (2013) findet sich über das Identifizieren einzelner diskursiver Praktiken, die Veränderung initiieren oder fortführen, hinaus der Aspekt der “supra-session courses of action“: die Autoren nehmen dabei eine Perspektive auf Veränderung ein, die das interaktive und thematische Zusammenspiel diskursiver Praktiken über mehrere Sitzungen untersucht. Konkret beschreiben sie den veränderungsrelevanten Zusammenhang von „enquiry“ und „elaboration“ im Kontext von „change of stance“ auf Seiten der Patient*innen. Und schließlich diskutiert die Arbeit von Voutilainen, Rossano und Peräkylä (2018) den Zusammenhang zwischen Themenentwicklung und sequenziellem Kontext, ebenfalls entlang von Therapieprozessen, als Manifestation und Emergenz von Veränderung der Patient*innen.

Mit dem vorliegenden Band werden diese Ansätze aufgegriffen und weiterentwickelt, so dass das Potential des „microanalytic sequential process design“ (Elliott 2010) ausgeschöpft werden kann. Gleichzeitig soll der ebenfalls u.a. von Elliott (2010) geäußerten Kritik entgegengetreten werden, dass gerade qualitative Untersuchungen aus der Konversations- und Gesprächsanalyse nur allgemein beschreibend die Gesprächsstruktur der Therapiesitzungen untersuchen, anstatt sich spezifisch dem Veränderungsprozess zu widmen. So stellen sich sämtliche der im Band versammelten Beiträge der Aufgabe, den Prozess helfender Interaktion im Detail zu dokumentieren und mikroanalytisch zu untersuchen. Dabei werden auch, in Ergänzung zu den oben diskutierten, bereits vorliegenden Studien, zum einen weitere sprachliche Verfahren herausgearbeitet, mit denen Agent*innen Veränderungen anstoßen oder realisieren. Zudem werden Indikatoren für Veränderungen auf Seite der Klient*innen identifiziert. Diese empirische Erweiterung des Phänomenbereichs bereitet die ausstehende theoretische Systematisierung von Veränderung in helfenden Berufen vor. Anders als etwa bei der Klassifizierung von Elliott (2010; s.o. 1)), der anhand von Methoden der Forschung kategorisiert, kann dabei jedoch das sprachliche Handeln zwischen Klient*innen und Agent*innen im Hinblick auf seinen Zusammenhang zu Veränderung erfasst und zum Ausgangspunkt der theoretischen Systematisierung werden (vgl. Pick (Hrsg.) 2017). Schließlich werden die sprachlich-interaktiven Verfahren auch vor dem Hintergrund der jeweiligen professionellen Interaktion in die professions-endemischen Theorien von Veränderung im Sinne von Peräkylä und Vehviläinens (2003) professional stocks of interaction knowledge interpretiert.

Pragmatik der Veränderung

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