Читать книгу Wohnwunschermittlung bei Menschen mit Komplexer Behinderung - Группа авторов - Страница 9
1 Projekthintergrund Friederike Koch und Karin Tiesmeyer
ОглавлениеDas Bundesteilhabegesetz (BTHG) verweist auf die rechtliche Verpflichtung, soziale Teilhabe für Menschen mit Beeinträchtigungen in Richtung einer »möglichst selbständige[n] und selbstbestimmte[n] Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern« (§ 4 Abs. 1, 4 SGB IX; § 2 Abs. 1, SGB XI) und die Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts zu befördern (§ 9 Abs. 3 SGB IX; § 2 Abs. 2, SGB XI).
In den letzten Jahrzehnten hat sich in der Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen ein Wandel vollzogen. So hat die Ausrichtung auf Selbstbestimmung und soziale Teilhabe zu vielfältigen ambulanten Unterstützungsangeboten geführt, bei denen gemeindeintegriertes Wohnen sowie Sozialraumorientierung einen hohen Stellenwert einnehmen. Hierdurch wurden die Wahlmöglichkeiten in Bezug auf das Wohnen für Menschen mit Assistenzbedarf deutlich verbessert.
Neuere Untersuchungen belegen jedoch, dass nicht alle Menschen gleichermaßen von diesen Veränderungen der Angebotslandschaft profitieren. So zeigt sich in Erhebungen, dass Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf in ambulanten Settings deutlich unterrepräsentiert sind (Seifert 2010, S. 377 f.; Franz & Beck 2015; Schädler et al. 2008). Hinzu kommt, dass mit Einführung der Pflegeversicherung (1995) die Gefahr gesehen wird, Menschen mit hohem Unterstützungs- und Pflegebedarf auf Pflegeheime zu verweisen (ex. Seifert et al. 2001; Thimm et al. 2018). Wohnangebote sind nach wie vor überwiegend entlang der Höhe des Hilfebedarfs ausdifferenziert und Wahlmöglichkeiten damit für Menschen mit Komplexer Behinderung deutlich eingeschränkt (Franz & Beck 2015, S. 164 f.). In der Folge verbleiben vor allem Menschen mit hohem Unterstützungs- und Pflegebedarf7 in besonderen Wohnformen (vor Einführung des BTHG: »stationären Wohnangeboten«), wodurch die Segregation dieses Personenkreises befördert wird.
Diese Studienergebnisse werden im aktuellen Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen (BMAS 2021) erneut untermauert:
»So zeigen die Statistiken zu den betreuten Wohnformen, dass Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung besonders häufig in besonderen Wohnformen leben, obwohl Studienergebnissen zufolge dies oft nicht ihre bevorzugte Wohnform ist. Hinsichtlich der Verwirklichung der eigenen Wünsche und bezüglich der freien Wahl des Wohnortes ist dieser Befund als problematisch einzuschätzen« (BMAS 2021, S. 380).
Und weiter heißt es dort: »Die Ermöglichung einer selbstbestimmten Lebensführung erfolgt neben der Bereitstellung geeigneten barrierefreien Wohnraums wesentlich über Wahlmöglichkeiten im Hinblick auf Unterstützungsformen« (BMAS 2021, S. 384). Damit ist die Umsetzung des Artikels 19a der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und die Frage, inwiefern Menschen mit Beeinträchtigung das Recht haben, »ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben« (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, S. 17 f.), »wesentlich von Art und Umfang vorhandener Beeinträchtigungen beziehungsweise der erforderlichen Unterstützung« beeinflusst (BMAS 2021, S. 384). Die Wohnqualität, die Verfügbarkeit und Qualität sozialer Dienste sowie die Rahmenbedingungen der Finanzierung von wohnbezogenen Hilfen sind für viele Menschen mit Beeinträchtigungen eng miteinander verknüpft. »Dies gilt insbesondere für Personen mit kognitiven und/oder erheblichen körperlichen und Sinnesbeeinträchtigungen, die auf umfassende und häufig dauerhafte personelle Unterstützung zur Bewältigung ihres Alltags (z. B. Haushaltsführung, Gesundheitsförderung und Pflege, psychosoziale Unterstützung) angewiesen sind.« (BMAS 2021, S. 384).