Читать книгу Wohnwunschermittlung bei Menschen mit Komplexer Behinderung - Группа авторов - Страница 22
2.6.2 Recht auf Selbstbestimmung und informierte Zustimmung/Achtung vor der Würde des Menschen
ОглавлениеZum angemessenen Schutz ist das Prinzip der Freiwilligkeit auf Basis einer angemessenen Aufklärung im Sinne der informierten Zustimmung zentral. Die freiwillige Teilnahme stellt einen forschungsethischen Grundsatz dar, der aus dem Prinzip der Selbstbestimmung (Autonomie) potentieller Untersuchungsteilnehmer*innen erfolgt (von Unger 2014, S. 25). Aufgrund der Beschaffenheit von qualitativer Forschung handelt es sich hierbei nicht um eine einmalige Zustimmung zur Teilnahme. So ist es »[…] aufgrund der größeren Flexibilität und der eingeschränkten Planbarkeit explorativer Prozesse einer qualitativen Studie oft nicht möglich, zu Beginn genau zu bestimmen, wie der Forschungsprozess verlaufen wird und zu welchen Resultaten er führen wird« (von Unger 2014, S. 26). Aus diesem Grund ist es innerhalb qualitativer Forschung unabdingbar, die Freiwilligkeit ständig im Forschungsprozess zu überprüfen. Hieraus entsteht »ein dialogisches und prozesshaftes Verständnis« der informierten Zustimmung (von Unger 2014, S. 26). Das bedeutet, dass innerhalb des Prozesses der Datenerhebung und -auswertung die beteiligten Personen überprüfen, ob die Freiwilligkeit im Sinne der informierten Zustimmung auch weiterhin gegeben ist.
Gerade für den Personenkreis der Menschen mit Komplexen Behinderungen besteht – wie auch bei anderen vulnerablen Gruppen – die Gefahr eines »pseudo consent«, einer nur scheinbaren Einwilligung (Narimani 2014, S. 52). Dies kann z. B. dadurch gegeben sein, dass die möglichen Folgen einer Beteiligung an einer Erhebung nicht umfassend bedacht werden können oder eine Einwilligung aus anderen Motiven erfolgt, wie z. B. aus dem Wunsch, einer Person einen Gefallen zu tun, einem Gefühl von Verpflichtung, der Sorge vor negativen Folgen oder aus dem Eindruck, eigentlich keine andere Wahl zu haben. Die dadurch bestehende Gefahr von Grenzüberschreitung und Manipulation auf beiden Seiten muss bedacht und die Zustimmung kritisch hinterfragt und individuell abgewogen werden (Narimani 2014, S. 52).
Da die Interviewsituation kein neutrales, gleichbleibendes Setting darstellt und die (Re-)Konstruktion dialogisch erfolgt, muss »der Blick auf die gemeinsame Akteurschaft im Interview« gelenkt werden (Mey 2000, S. 146). Es ist bedeutsam, kritisch zu prüfen, ob durch die Art der Fragestellung Aussagen im Interview in eine von den Interviewer*innen bestimmte Richtung gelenkt werden und damit eine echte Partizipation und Wertschätzung der Erfahrung der Person verhindert wird. Für die Durchführung der Interviews und Erhebungen wurden folgende Aspekte als bedeutsam festgelegt:
• Grundlegend für die Projektdurchführung und -evaluation ist die Achtung und Wertschätzung der beteiligten Personen und ihrer Erfahrungen und Sichtweisen. Aufklärung, Einverständnis und Durchführung erfolgt bei den Menschen mit Behinderung in einfacher Sprache.
• Die Studienteilnehmer*innen sowie Angehörige und rechtliche Betreuer*innen wurden im Vorfeld – individuell angepasst – über den Umfang, die Durchführung und die Ziele der Studie, den Umgang mit ihren Daten sowie über mögliche Folgen schriftlich und mündlich, individuell angemessen und umfassend informiert. Das Einwilligungs- und Informationsschreiben wurden durch ein zertifiziertes Institut in Leichte Sprache übersetzt. Bei der mündlichen Information wurde den Kommunikationswegen der Studienteilnehmenden entsprochen (z. B. unter Einsatz von Veranschaulichungsmöglichkeiten). Anschließend stand ausreichend Zeit für die Entscheidung, an der Studie teilzunehmen, zur Verfügung.
• Die Studienteilnehmenden wurden im Vorfeld ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie ihr Einverständnis zur Teilnahme an der Studie zu jedem Zeitpunkt widerrufen können. Die involvierten Forscher*innen waren sich der besonderen Herausforderungen bewusst, reflektierten die Freiwilligkeit der Teilnahme konsequent mit und achteten und reagierten auf mögliche Belastungen der Teilnehmenden. Zudem wurde im weiteren Forschungsprozess geprüft, ob eine erneute Zustimmung, z. B. im Hinblick auf die Verwendung von bestimmten Ergebnissen, erforderlich war.
• Grundlegend für die Interview- und Projektdurchführung war die Achtung und Wertschätzung der Interview- und Projektteilnehmer*innen und ihrer Erfahrungen und Sichtweisen.
• Bei den Interviews erhielten die Studienteilnehmenden, die die Teilnahme nicht als professionelle Akteure realisierten, als Anerkennung für den zeitlichen Aufwand eine Aufwandsentschädigung im Wert von 30 € in Form eines Gutscheins für eine Aktion ihrer Wahl (Kino, Einkauf, Café-Besuch).
• Das Gesamtprojekt war an der EvH Bochum im Institut BODYS (Bochumer Zentrum für Disability Studies) angesiedelt. Hier arbeiten Forschende mit und ohne Behinderung und unterschiedlichen disziplinären Hintergründen in verschiedenen Projekten zusammen. Fragestellungen und Aspekte aus den Projekten werden im Rahmen eines regelmäßig (im Semester wöchentlich) stattfindenden Disability Forums diskutiert. Dieses Forum wurde auch für das vorliegende Projekt genutzt, um ethisch kritische Fragen zu beraten und Materialauszüge gemeinsam auszuwerten. Hierdurch wurde eine kritische Perspektive von außen ermöglicht. Fragen der gleichberechtigten Teilhabe von Befragten konnten auch mit der für die explorative Evaluation beauftragten Professorin Gudrun Dobslaw reflektiert werden.