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3. Was ist Popmusik? Kategorie, Phänomen, Deutungsmuster
ОглавлениеPopmusik ist zunächst einmal eine Kategorie. Es besteht keine Einigkeit darüber, was sie letzten Endes bedeutet. Das ist bei allen relevanten Kategorien so. Je bedeutsamer Kategorien sind, desto theoretisch umkämpfter sind sie (und es gibt erheblich stärker umkämpfte Kategorien als Popmusik), und je umkämpfter sie sind, desto vielfältiger und widersprüchlicher wird ihr Bedeutungsgehalt. Terminologische Klärungen sind deshalb generell unabschließbar, aber auch unverzichtbar. Sie dienen der Beseitigung von Ungereimtheiten und der Verständigung.
Popmusik ist eine begriffliche Kategorie und ein kulturelles Phänomen. Es lässt sich auf verschiedene Art und Weise analysieren: phänomenologisch, ontologisch, rezeptions- oder produktionsästhetisch, ökonomisch, kulturtheoretisch, soziologisch, historisch, literarisch, autobiographisch, auch musikalisch. Kein Ansatz seziert die Sache so, als liege sie zur Obduktion fix und fertig vor einem. Jeder Zugang trägt vielmehr zur Konstitution (oder Konstruktion) des Erkenntnisobjektes bei. Aussagen zum Phänomen Popmusik sind deshalb keine Abbilder des zu Erkennenden, sondern, in den Worten Hans Jörg Sandkühlers, „Artefakte: geladen mit epistemisch-wissenskulturellen und praktischen Voraussetzungen, epistemischen und praktischen Bedürfnissen und Interessen sowie mit Einstellungen des Meinens, Glaubens und Überzeugtseins, des Wünschens und Befürchtens“ (SANDKÜHLER 2009, 11).
Kategorien und Phänomene entwickeln sich, sie besitzen ihnen eingeschriebene Geschichten. Mir scheint, dass die Genese der Popmusik-Kategorie, das heißt die kulturellen und gesellschaftlichen Motive, Wissenskulturen, Denkstile und Machtverhältnisse, die zu ihrer diskursiven Konstruktion beigetragen haben (und weiterhin beitragen), bisher bestenfalls rudimentär erforscht worden sind. Das gilt auch für die verwandten Begriffe „populäre Musik“ und „Popularmusik“ (vgl. WICKE 1992). Oder gibt es schon Judith Butlers der „Popmusik“, Autorinnen und Autoren also, die mit genealogischer Kritik gegen die Ontologisierung von „Popmusik“ streiten und die Fragwürdigkeit dieser Bezeichnung bloßlegen? Ich sehe eher einen recht unkritischen, affirmativen Umgang mit dieser Kategorie, und zwar allen voran bei Popmusik-freundlichen Autorinnen und Autoren.
Popmusik ist eine Kategorie, ein Phänomen und ein Deutungs- und Ordnungsmuster. Mit „Popmusik“ wird ein bestimmter Musikbereich klassifiziert, was notgedrungen bedeutet, dass es andere Musikbereiche geben muss, die außerhalb dieses Bereichs lokalisiert werden. Wenn beispielsweise Diedrich Diederichsen von einer Popmusikphase „nach Punk“ (DIEDERICHSEN 2014, 441) schreibt, dann konstruiert er damit ein historisches Kontinuum, sozusagen Post-Punk-Pop. Punk wird zu einem markanten Wendepunkt innerhalb einer übergreifenden Entwicklungslinie. Es gibt demnach Popmusik vor Punk und es gibt Popmusik nach Punk, so wie man ebenfalls zu sagen pflegt, es gebe einen Jazz vor und einen Jazz nach dem Bebop oder klassische Musik vor und nach Schönbergs Einführung der Zwölftontechnik. Wer mit dem Konstrukt einer Post-Punk-Pop-Phase operiert, will vermutlich Bands wie die Swans, Pere Ubu, Sonic Youth und die Melvins unter einen Hut bringen, vielleicht auch weiter Entferntes wie die Beasty Boys oder meinetwegen Nirvana. Doch niemand käme auf die Idee, solch eine Phase zu statuieren, um dann beispielsweise über Mats Gustaffson zu sprechen und erst recht nicht über jemanden wie Enno Poppe, obwohl doch überhaupt nicht gesagt ist, dass deren Musik vom Punk unberührt geblieben ist. Das erinnert daran, dass Deutungsmuster Zusammenhänge stiften, Kontinuitäten bilden und Grenzen ziehen, auch dort, wo bei näherer Betrachtung andere Ordnungen sinnvoller wären oder überhaupt keine Grenzen hingehören. Darauf muss man bei der Kategorie Popmusik gefasst sein.
Ich möchte nun zwei gängige Verwendungsweisen dieser Kategorie etwas schärfer in den Blick nehmen.