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5. Pop2 – ein enger Begriff

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Eine aus meiner Sicht brauchbare Beschreibung von Popmusik – nun im Sinne von Pop2 – hat Helmut Rösing formuliert:

„Sie [die Popmusik] ist meistens tonal oder modal ausgerichtet, sie arbeitet mit Akkorden und Akkordfortschreitungen der klassischen Harmonielehre, sie verwendet einfache formale satztechnische Strukturen, sie bevorzugt einen durchgehenden und eingängigen Beat, und sie huldigt dem Refrainprinzip mit Ohrwurmqualität: Musikalische Motive verdichten sich zu einer prägnanten Gestalt, deren Wiedererkennungswert mit jeder Wiederholung zunimmt. Jeder, der will, kann sich diesen Typ von Musik hörend aneignen – ohne musikalische Vorkenntnisse oder gar Expertenwissen“ (RÖSING 2012, 258).

Diese Charakterisierung ist sicherlich nicht erschöpfend (das braucht sie für meine Zwecke auch nicht zu sein). Es fehlt beispielsweise eine Aussage zum typischen Sound oder Klangcharakter, der bei Popmusik (Pop2) vor allem im Dienste der Eingängigkeit steht. Elementar für Pop2 scheint auch eine bestimmte zeitliche Rahmung zu sein: Es gibt kaum Stücke, die viel länger oder kürzer als drei bis vier Minuten dauern. Korrekturbedürftig ist wohl Rösings Hinweis auf die Akkordfolgen, da sie im populären HipHop keine oder keine dominante Rolle spielen. Das zeigt denn auch, dass Pop2 kein statisches, zeitloses, diskurs- oder kulturunabhängiges Phänomen ist.

Rösing beschreibt lupenreinen Pop2. Zudem gibt es sagenhaft viele abgestufte Formen davon, Musik also, die lediglich einige der fraglichen Aspekte besitzt, manche abgewandelt, manche nur angedeutet. Kommen wenige oder überhaupt keine der besagten Merkmale vor, dann hat die Musik wenig oder überhaupt nichts mit Pop2 zu tun. Im letzteren Fall spreche ich von Antipop; dazu später.

Bemerkenswerterweise beschäftigt sich der jüngere Popmusikdiskurs – zumindest der essayistisch-philosophische, beim empirischen sieht es etwas anders aus – mit allen möglichen Stilen (Rock, Blues, Folk, Jazz usw.) und vorzugsweise mit innovativen Musiker/innen und Bands von Rang und Namen, die aber nur partiell das fragliche Pop2-Schema erfüllen: Bob Dylan, die Stones, Zappa, Hendrix, David Bowie und dergleichen. Auf waschechte Popmusik der Marke Sweet, Slade, Smokie oder auf Peter Maffay, Roland Kaiser oder Lena Meyer-Landrut wird hingegen nur selten Bezug genommen. Das ist bemerkenswert, aber nicht überraschend. Je näher Musik und Musiker/innen dem Pop2-Muster kommen, desto austauschbarer und in musikphilosophischer Hinsicht uninteressanter werden sie. Selbstredend kommen bei der Auswahl der analysierten Musik auch die persönlichen Geschmacksvorlieben der Autorinnen und Autoren zum Tragen. Die Zahl der Aficionados und intimen Kenner von Take That oder Andrea Berg ist unter Musikphilosophen nun mal nicht sehr hoch, nehme ich an.

In einigen Stammbäumen der „Popmusik“ (Pop1) wird „Pop“ (Pop2) als ein separater Musikstil neben Blues, Jazz, Reggae etc. ausgewiesen. Das halte ich für irreführend. Die Textur von Pop2 bildet kein selbstständiges Idiom, vielmehr ist es so, dass vielen Popsongs ein bestimmtes Idiom zugrunde liegt: „Highway To Hell“ (Hard Rock), „Stand By Me“ (Soul), „Should I Stay Or Should I Go“ (Punk), „Our House“ (Ska) usw. Manche Musikstile bringen relativ problemlos Popmusik hervor, weil sie von Haus aus strukturell eine Pop2-Nähe aufweisen (Ohrwurmqualität, Refrainprinzip, einfacher Aufbau…). Andere Stile tun sich von ihrer Struktur her schwer. Dort geht die Transformation in Pop2 meistens auf Kosten der Eigentümlichkeiten des Idioms, das bis zur Unkenntlichkeit eingeebnet wird (man höre etwa Z. Z. Hills Hit „Downhome Blues“, bei dem vom Charakter des Blues nicht mehr viel übrig geblieben ist).

Pop2 ist kein Idiom, aber eine musikalische Gestalt. Man erkennt sie nicht zwangsläufig an Verkaufszahlen oder an der Position in den Charts. Hitparadenmusik ist zwar nolens volens populär, und das Meiste entspricht auch ziemlich genau dem fraglichen Muster von Pop2. Das Gros der jemals produzierten Popmusik bleibt allerdings kommerziell erfolglos und unbekannt (das fängt bei den meisten BSeiten von Singles an). Popmusik ist prinzipiell leicht und schnell begreifbar, meint Rösing. Darin besteht ihr nicht-esoterischer, nicht-elitärer Charakter. Den besitzt sie auch, wenn eine geübte Band ein Lied von Peter Fox oder Ed Sheeran just for fun im Hobbykeller oder auf einer Gartenparty spielt.

Weil mit Pop2 gewisse musikalische Eigenschaften einhergehen, kann man aus dem Substantiv Popmusik auch ein Adjektiv bilden, was mit Pop1 nicht funktioniert. Stücke können mehr oder weniger poppig sein, je nachdem wie genau sie dem Pop2-Schema entsprechen.

Der Deutungsrahmen von Popmusik (Pop2) – in der Linguistik spricht man vom Frame – löst einige unvorteilhafte Assoziationen aus: ökonomisch kalkulierte Gefälligkeit, Konventionalität, Konformität, Oberfläche ohne Substanz, kurzlebige Unterhaltungsware – lauter Pejorative, mit denen einst das komplette Feld von Pop1 abgewertet wurde. Nun ist es sicherlich so, dass Pop reinsten Kalibers diese pejorative Beurteilung in zahlreichen Fällen auch tatsächlich verdient. Doch längst nicht immer! Es gibt faszinierende, originelle Popmusik und abgedroschene, ärgerliche, langweilige und alles Mögliche dazwischen. Über die musikalische Qualität lässt sich von Fall zu Fall disputieren. Aber wie war das noch mit dem Geschmack?

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