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Die mittlere Phase der Romantik1

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Grenzen und Bezüge zur Frühromantik

Gegenüber der relativ einheitlichen, mit Jena als Zentrum auch in geografischer Hinsicht homogenen Frühromantik stellt sich das Erscheinungsbild der mittleren Phase der Romantik weit heterogener dar. Das ist in erster Linie dem wesentlich disparateren Zeitraum geschuldet: Während die Frühromantik nur wenige Jahre umfasst, erstreckt sich die sich daran anschließende Phase über rund anderthalb Dekaden. Andererseits lassen sich bei genauerem Hinsehen auch in der Frühromantik schon differente Strömungen ausmachen, die nach dem Ende der Jenaer Gruppe dann deutlicher zu Tage treten. Ein sinnfälliger Unterschied zur mittleren Phase der Romantik ergibt sich durch eine übernationale, europäische Orientierung der Schlegel-Brüder, die sich nach dem Ende des „Athenäum-Projekts“ deutlicher aktualisiert. Von Paris und später Köln aus gibt Friedrich Schlegel von 1803 bis 1805 eine Zeitschrift mit dem programmatischen Titel Europa heraus, deren Artikel jedoch, bei allem Akzent auf kulturelle „Mannigfaltigkeit“ (KFSA, Bd. 3, S. 329), das viel beschworene europäische Mittelalter häufig mit nationalen Einfärbungen präsentieren. Auch August Wilhelm Schlegels zwischen 1801 und 1804 in Berlin gehaltene Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst halten grundsätzlich eine europäische Perspektive ein. Diese ist jedoch auf merkwürdige Weise von nationalen Aspekten durchzogen. Die nationale Einfärbung seines Europa-Konzepts reicht von seltsamen Ansichten über die Körpergröße der deutschen „Recken“ (AWS-KAV, Bd. 2/1, S. 75) des Mittelalters und einer Stilisierung Deutschlands zum „Mutterland Europa’s“ (ebd., S. 25) bis zur Definition Europas als Synthese aus Christentum und „Deutscher Stammesart“ (ebd., S. 67). Mit einer national verkürzten Version Europas macht er den Weg frei für die Utopie einer deutsch-europäischen Literatur und Sprache der Zukunft: „Es ist [...] keine zu sanguinische Hoffnung, anzunehmen, daß der Zeitpunkt nicht so gar entfernt ist, wo das Deutsche allgemeines Organ der Mittheilung für die gebildeten Nationen seyn wird.“ (Ebd., S. 24) Bereits 1801, zu Beginn der ersten Berliner Vorlesung, geht Schlegel von einer eigenwilligen Identität von Universalismus/Kosmopolitismus und deutschem Nationalcharakter aus, der letztlich eine Gleichschaltung von europäisch und deutsch bedeutet: „Den Deutschen scheint die Lösung dieser Aufgabe vorbehalten zu seyn: sie allein verbinden Tiefe mit Universalität, und ihre Nationalität besteht darin sich derselben zu entäußern.“ (Ebd., Bd. 1, S. 195) Zwar hat Schlegel einen Begriff von Kulturnation im Auge, wenn er zu dieser Hochschätzung des vermeintlichen deutschen Charakters anhebt, ganz frei von chauvinistischen Zügen, die sich später unter dem Eindruck der französischen Okkupation deutscher Länder und den sich anschließenden Befreiungskriegen herausbilden, ist er jedoch nicht.

Auch der Kontrast von elitärer Frühromantik und volkstümlicher späterer Romantik trägt nicht sehr weit. Gewiss stehen die Bemühungen Arnims und Brentanos um das deutsche ‘ Volkslied’ sowie die Märchensammlung der Grimms in Kontrast zum Avantgarde-Bewusstsein des Athenäums, wie es sich exemplarisch in dessen quasi-testamentarischem Schlusstext, Friedrich Schlegels Essay Über die Unverständlichkeit, ausdrückt. Darüber darf aber nicht vergessen werden, dass das, was Schlegel unter einer auf Wiederholungslektüre angelegten „unverständlichen“ Literatur der Romantik versteht, bei Hoffmann, Arnim und anderen Vertretern der mittleren und späten Romantik stilbildende Gestalt annimmt.

Zeitgeschichtlicher Kontext

Die Entwicklung der mittleren Romantik, zumal die zunehmende Fokussierung auf nationale Fragen kann ohne das zeitgeschichtliche, politische Umfeld nicht verstanden werden. Herders und später A. W. Schlegels Überlegungen zur deutschen Kulturnation und zum deutschen ‘Volksgeist’ erhalten nach der Niederlage Preußens in der so genannten Doppelschlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 zusehends eine nationalistische, aggressiv antifranzösische Tendenz. Vorausgegangen waren bereits die militärische Niederlage Österreichs 1805 bei Austerlitz sowie die Gründung des Rheinbundes (1806). Die Niederlage Preußens führte zu einer völligen Auflösung der staatlichen Ordnung. Ohne Widerstand konnten die französischen Truppen in Berlin einziehen. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. wich mit seiner gesamten Residenz nach Ostpreußen zurück. Nur der Intervention Russlands war es zu danken, dass es nicht zur territorialen Auflösung Preußens kam. Es musste jedoch große Gebietsverluste hinnehmen. Im Frieden von Tilsit wurden 1807 die preußischen Gebietsverluste, eine weitgehende Beschränkung der Armee und sehr hohe Kontributionsleistungen an Frankreich geregelt. Die militärische Niederlage wurde als nationale Erniedrigung, aber auch als Zusammenbruch der überkommenen politischen Ordnung erfahren, auf die eine umfassende Reformpolitik reagierte. Diese stand unter der zwiespältigen Perspektive, die überlegenen Strukturen des nachrevolutionären Frankreichs zu übernehmen, ohne die bestehende feudale Macht und das sie tragende Recht anzutasten. Einer Modernisierung der Verwaltung, der Wirtschaft, der Gesellschaft sowie der Bildung stand ein Festhalten an einer absolutistischen Ordnung, ohne Verfassung oder demokratische Rechte, gegenüber, so dass man von einer „defensiven Modernisierung“2 gesprochen hat.

Besonderen Anteil hatten einige Romantiker an der Neugründung der Berliner Universität, die im Wintersemester 1810 ihren Lehrbetrieb aufnahm. Für die Rechtswissenschaft konnte man, auf Initiative Arnims, Friedrich Carl von Savigny gewinnen, den maßgeblichen Vertreter der historischen Rechtsschule, die romantischem Denken verpflichtet war. Neben dem Theologen Friedrich Daniel Schleiermacher, der schon dem Jenaer Kreis der Frühromantik angehörte, dem Arzt und Psychiater Johann Christian Reil, dessen Untersuchungen zum animalischen Magnetismus u.a. auf Hoffmann stark gewirkt haben, und Friedrich von der Hagen, der mit seinen philologischen und editorischen Bemühungen (Übertragung des Nibelungenliedes) den Romantikern nahe stand, war der Philosoph Johann Gottlieb Fichte der erste gewählte Rektor der Universität Berlin. Auch Brentanos Engagement bei der Eröffnungsfeier tat ein Übriges dazu bei, den Anschein zu erwecken, es handle sich um eine romantische Neugründung. Ein großer Teil der Berliner Professoren beteiligte sich im Zuge der seit 1812 beginnenden Befreiungskriege an einer breiten patriotischen Bewegung. Nach der für Preußen siegreichen Beendigung des Krieges, vollends nach dem Wiener Kongress und dem Beginn der Restauration, wurde allerdings sehr schnell klar, dass der preußische Staat kein Interesse an einer romantischen Universität hatte, sondern an gut und funktional ausgebildeten Staatsbeamten und verstärkt auch an den industriell verwertbaren Naturwissenschaften.

An der patriotischen Bewegung gegen die französische Hegemonie waren auch zahlreiche Romantiker beteiligt. Zwar haben sich hier insbesondere Autoren hervorgetan, deren literarische Bedeutung im umgekehrten Verhältnis zu ihrem nationalistischen Engagement steht; aber der antifranzösische Affekt findet sich auch in den literarischen und journalistischen Schriften etwa Kleists, Eichendorffs oder Arnims. In Kleists Gedicht Germania an ihre Kinder heißt es: „Zu den Waffen! Zu den Waffen! / Was die Hände blindlings raffen! / Mit der Keule, mit dem Stab, / Strömt in’s Tal der Schlacht hinab!“ Dass es sich beim Gegner der germanischen „Römerüberwinderbrut“ um „diese Franken“ handelt, liegt auf der Hand: „Alle Plätze, Trift und Stätten / Färbt mit ihren Knochen weiß; / Welchen Rab und Fuchs verschmähten, / Gebt ihn den Fischen preis; / Dämmt den Rhein mit ihren Leichen; / Laßt, gestäuft von ihrem Bein, / Schäumend um die Pfalz ihn weichen, / Und ihn dann die Grenze sein!“3

In dieselbe Richtung zielt der Publizist Ernst Moritz Arndt. In seiner Schrift Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze (1813) wendet er sich explizit gegen eine kosmopolitische und humanistische Verfälschung des ‘deutschen Nationalgeistes’. Und dass dies einher geht mit einem antijüdischen Ressentiment ist zeitgenössisch kein Einzelfall und auch nicht dadurch zu legitimieren, dass es sich bei ihren Trägern um ‘fortschrittliche’ Republikaner handelte: „ Verflucht aber sei die Humanität und der Kosmopolitismus, womit ihr prahlet! Jener allweltliche Judensinn, den ihr uns preist als den höchsten Gipfel menschlicher Bildung“4. Bereits in Geist der Zeit von 1806 verdankt sich, ähnlich wie in den literarischen Texten Eichendorffs und Fouqués, die Verklärung vermeintlich altdeutscher Ideale einer polemischen Kontraststellung gegenüber dem fremden ‘ Welschen’: „Lies unsre alten Geschichten, höre unsre alten Märchen erzählen und die Volkslieder absingen, sieh Dürers und van Eyks Bilder: Einfalt, Treue, Liebe, Wahrheit ist ihr Charakter; sie haben nicht den idealischen Geist des Südens, nicht das üppige Spiel, aber sie haben auch nicht die furchtbaren Lüste und Verdorbenheiten desselben“5. Exakt diese Konfliktlinie wird Eichendorff in seinen Texten, von Ahnung und Gegenwart und Das Marmorbild bis hin zu Dichter und ihre Gesellen in immer neuen Anläufen als sinnliche, weibliche Gefährdung des deutschen Mannes durchspielen.

Ein Extrem an patriotischer Kriegsbegeisterung zeichnet die Gedichte des Freikorpssoldaten Theodor Körner aus, die 1814 ein Jahr nach seinem Tod unter dem Titel Leyer und Schwert veröffentlicht wurden. Das ideologische Programm ist eindeutig: „Denn was, berauscht, die Leier vorgesungen, / Das hat des Schwertes freie Tat errungen“6. Das populärste Gedicht der Sammlung – Lützows wilde Jagd – hat es beinahe zu soldatischem Volksliedcharakter gebracht: „Die wilde Jagd und die deutsche Jagd / Auf Henkersblut und Tyrannen! – / Drum, die ihr uns liebt, nicht geweint und geklagt! / Das Land ist ja frei, und der Morgen tagt, / Wenn wir’s auch nur sterbend gewannen! / Und von Enkeln zu Enkeln sei’s nachgesagt: / Das war Lützows wilde, verwegene Jagd.“7 Zwar geht Körners Prophetie insofern auf, als deutsche Soldaten noch im Ersten und Zweiten Weltkrieg Leyer und Schwert im Tornister hatten, am Sieg der Alliierten über Napoleon – Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 und Waterloo im Juni 1815 – hatten die Freikorps jedoch nur einen sehr geringen Anteil.

Auf dem Wiener Kongress 1814/15 wurde die Machtverteilung nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Imperiums in der Weise geordnet, dass die vorrevolutionären, absolutistischen Verhältnisse wieder restauriert und entsprechend die republikanischen Bestrebungen entschieden zurück gedrängt wurden. Anstatt der vorher versprochenen Verfassung und nationalen Einheit etablierte sich im September 1815 die konservative Heilige Allianz, deren erklärtes Ziel es war, gestützt auf ein religiös fundiertes fürstliches Gottesgnadentum alle liberalen Bewegungen zu unterbinden und ihre Befürworter zu verfolgen. Die vor den Befreiungskriegen in Aussicht gestellte Meinungs- und Pressefreiheit ging unter in terroristischer Zensur, geheimpolizeilicher Überwachung und juristischer Willkür. Die Ermordung des Schriftstellers und vermeintlichen russischen Spions August von Kotzebue durch den Burschenschafter Karl Ludwig Sand im Frühjahr 1819 gab den Obrigkeiten den willkommenen Anlass, alle politisch Unliebsamen unter dem Feindbegriff ‘Demagogen’ zusammenzufassen und mit aller Härte zu verfolgen. Die letzten Jahre der mittleren Romantik sowie weite Bereiche der Spätromantik sind in der Weise von der Restauration gezeichnet, dass einerseits konservative Tendenzen zunehmen: Emanzipatorische Lebensentwürfe von Frauen wurden ebenso wieder in traditionelle Rollen zurück genommen wie die kulturelle und politische Akzeptanz der Juden (und anderer Randgruppen) wieder dementiert wird. Hierunter lassen sich auch biedermeierliche Tendenzen innerhalb der spätromantischen Literatur fassen, die die revolutionäre Spannkraft und Öffnung der Frühromantik durch Bereitstellung tradierter Ordnungen zurück nimmt. Andererseits wurden satirische Auseinandersetzungen mit den restaurativen Anstrengungen einer heftigen Verfolgung ausgesetzt. Dies bekam auch der Richter am Berliner Kammergericht Hoffmann zu spüren, einer jener Romantiker, der sich zwar der Indienstnahme durch Napoleon widersetzte, aber an der patriotischen Bewegung der Befreiungskriege nicht beteiligt war. In Preußen berief Friedrich Wilhelm III. im Oktober 1819 in Berlin die „Immediat-Kommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe“ ein. Zwar ließ sich Hoffmann, der dieser Kommission angehörte und nicht gerade ein Freund der Burschenschafts- und Turnbewegung war, nicht einschüchtern, sondern wies in allen Fällen, mit denen er befasst war (u.a. auch Ludwig Jahn), die Haltlosigkeit der Anschuldigungen in unparteiischen Gutachten nach. Aber erstens änderte sein mutiges Verhalten leider nichts am Schicksal der Betroffenen und zweitens zog sich Hoffmann später, im Zusammenhang einer Satire auf den Polizeidirektor von Kamptz in seinem Märchen Meister Floh (1822), Anschuldigungen und Verfolgung zu. Nur sein früher Tod im Juli 1822 bewahrte ihn vor einer drohenden Amtsenthebung.

Erstaunlicher Weise bleiben weite Bereiche der avancierten romantischen Literatur selbst dort einer frühromantischen Poetik verpflichtet, wo die Autoren sich, wie im Fall Arnims, Brentanos oder Eichendorffs, entschieden konservativ und restaurativ geäußert und engagiert hatten. Späte literarische Texte Brentanos oder Arnims unterscheiden sich in ihrem formalästhetischen Voraussetzungsreichtum nicht von denjenigen Hoffmanns. Das hohe Reflexionsniveau des theoretischen Entwurfs einer „progressiven Universalpoesie“ in der Frühromantik bildet den Maßstab, an dem sich die Erzählungen Arnims oder Hoffmanns nicht nur orientieren, sondern dem sie in einer Weise gerecht wurden, dass von ihnen starke Impulse auf die Literatur der Moderne ausging.

Städtische Zentren: Heidelberg und Berlin

Gegenüber der Jenaer Frühromantik ist die mittlere Phase der Romantik um die zwei städtischen Zentren Heidelberg und Berlin gruppiert, wobei Wien, Dresden und etwa Bamberg nicht unterschlagen werden dürfen. Zur Gruppe in Heidelberg gehörten neben Arnim und Brentano mit unterschiedlicher Verweildauer Joseph Görres, Friedrich Creuzer, Joseph von Eichendorff, Otto Graf von Loeben, Sophie Mereau, Karoline von Günderode und Bettine Brentano, spätere von Arnim. Die wichtigsten Erträge der Heidelberger Gruppe, die ungefähr zwischen 1805 und 1808 bestand (mit Ausläufern bis 1812), sind die von Arnim und Brentano gesammelten und bearbeiteten „alten deutschen Lieder“ mit dem Titel Des Knaben Wunderhorn (1805/06 und 1808), Joseph Görres’ Sammlung Die Teutschen Volksbücher (1807) und Arnims Novellensammlung Der Wintergarten (1809). Ebenso ist die Sammlung der Kinder- und Hausmärchen (1812/15) der Grimms zu nennen, die in Heidelberg angeregt und später in Kassel realisiert wurde. Charakteristisch für die Heidelberger Gruppe ist eine historisch-philologische Ausrichtung, die um eine mythengeschichtliche Orientierung bei Görres (Mythengeschichte der asiatischen Welt, 1810), Friedrich Creuzer, der seit 1804 Professor für klassische Philologie und ältere Geschichte in Heidelberg ist, und Johann Arnold Kanne sowie eine sprachgeschichtlich-etymologische bei Kanne und den Grimms erweitert wurde.

Anders als im Fall Heidelbergs lässt sich von einer einheitlichen Gruppe der Berliner Romantiker nicht sprechen; vielmehr existieren verschiedene Gruppierungen, die zum Teil nur lose miteinander verbunden sind. Am Anfang stehen die kurzfristigen Zeitschriftenprojekte Adam Müllers und Heinrich von Kleists, Phöbus und, als erste Tageszeitung, die Berliner Abendblätter, die Erzählungen und Dramen Kleists sowie Arnims Roman Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810), seine Dramen Halle und Jerusalem (1812) und Päpstin Johanna (1812) und die Novellensammlung von 1812, die die berühmte Erzählung Isabella von Ägypten enthält. Die politischen, gleichermaßen nationalen wie konservativen Tendenzen kommen in der Christlich-deutschen Tischgesellschaft zum Tragen, die Arnim und Adam Müller Anfang 1811 gründeten. Ihr gehörten in einem losen Verbund neben den Gründern u.a. Brentano, Chamisso, Eichendorff, Fichte, Fouqué und Kleist an. Ihre Feindbilder sind durch die Attribute der Tischgesellschaft genau benannt. Neben dem antifranzösischen Chauvinismus, der angesichts der politischen Großlage noch zu verstehen ist, macht sich ein irritierendes antijüdisches Ressentiment breit.

Ganz andere Intentionen hatte der von E.T.A. Hoffmann gegründete Seraphinen- oder Serapionsbund, dem Friedrich de la Motte Fouqué, Adelbert von Chamisso, Carl Wilhelm (Salice) Contessa, der Schauspieler Ludwig Devrient, der Psychiater David Friedrich Koreff und der Jurist Julius Eduard Hitzig angehörten. Nach dem Vorbild von Tiecks Phantasus ging die mit einem Gesprächsrahmen versehene Textsammlung Die Serapions-Brüder (1819/21) hervor. Zur mittleren Phase der Romantik gehören u.a. auch die übrigen literarischen Werke Hoffmanns: Fantasiestücke (1814/15), Nachtstücke (1816/17), Die Elixiere des Teufels (1815/16), Lebens-Ansichten des Katers Murr (1819/21); Eichendorffs erster Roman Ahnung und Gegenwart, 1812 im Manuskript fertig gestellt, anschließend in Wien unter Mitarbeit von Dorothea Schlegel überarbeitet und 1815 publiziert; Brentanos Drama Die Gründung Prags (1814/15), seine Erzählungen Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl (1817) und Aus der Chronika des fahrenden Schülers (1818); Arnims zweiter, Fragment gebliebener Roman Die Kronenwächter (1817) sowie zahlreiche Erzählungen, u.a. Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau (1817) und Die Majorats-Herren (1818). Berühmt geworden sind auch Chamissos Erzählung Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte (1814) sowie Fouqués Märchen Undine (1811), das Hoffmann zur Vorlage seiner gleichnamigen Oper diente.

Gegenüber der disziplinierten Textkritik Karl Lachmanns, Georg Friedrich Beneckes oder auch Jacob Grimms zeichnen sich die im engeren Sinn romantischen Textausgaben der Heidelberger Gruppe dadurch aus, dass sie stärker an einer kongenialen Um- bzw. Fortschrift interessiert sind. So ist Arnim von der philologisch höchst fragwürdigen Ausgabe des Nibelungenliedes durch Friedrich von der Hagen angetan, weil sie „besser mit der gesamten Natur dieser Dichtungen“ (AvA-CB, Bd. 1, S. 400) übereinstimme, also das Wesen des mittelhochdeutschen Textes treffe und einem breiteren Publikum an die Hand gebe. In seinen eigenen Textbearbeitungen ist er, wie er Brentano gegenüber bekennt, an den „grellsten Verkettungen von Altem und Neuem“ (ebd., Bd. 2, S. 490) interessiert. Beispiele für die ‘grelle’ Umschrift älterer Texte bietet Arnims erste große Erzählsammlung, Der Wintergarten von 1809, reichlich. Angesichts der Variation von u.a. Johann Gottfried Schnabels Wunderliche Fata einiger Seeleute, Johann Michael Moscheroschs Gesichte Philanders von Sittewald oder Johann Beers Die teutschen Winter-Nächte und Die kurtzweiligen Sommer-Täge drängt sich der Eindruck auf, Arnim erprobe in seinen schriftstellerischen Anfängen romantisches Schreiben als Umschrift einer spezifischen Texttradition. Von der Gräfin Dolores, jener, wie Eichendorff sagte, „Geschichte mit den tausend Geschichten“ (Eichendorff-DKV, Bd. 2, S. 203), und der Novellensammlung von 1812 über Die Kronenwächter bis hin zur späten Sammlung Landhausleben (1826) hat er sein Schreiben zu einer gleichsam antiquarischen bricolage ausgearbeitet.

Für die geplante Ankündigung von Christian Reuters Schelmuffsky ermuntert Arnim seinen Freund Brentano: „Du kannst zulügen, dass die Balken biegen.“ (AvA-CB, Bd. 2, S. 503) Auch für die Sammlung alter Lieder Des Knaben Wunderhorn gilt dieses poetische Programm. Inspiriert von Herders Volkslieder-Ausgabe von 1778/79 begannen Brentano und Arnim ihre Sammeltätigkeit um die Jahrhundertwende. Zwar taucht „der Begriff ‘ Volkslied’ an keiner Stelle der Titelei“8 auf, es war aber das entschiedene Interesse beider Herausgeber, beim Publikum den Eindruck einer sich selbst dichtenden Volkspoesie hervorzurufen, für die Mündlichkeit das entscheidende Kriterium sein sollte, weil diese mit Lebendigkeit und Authentizität identifiziert werden konnte. Mehr als die Hälfte der insgesamt 723 Lieder der Wunderhorn-Sammlung geht jedoch auf literarische Quellen zurück, die eine Zeitspanne von 1500 bis etwa 1750 umfassen. Hinzu kommt, dass das vermeintlich mündlich Überlieferte – ähnlich wie bei den Kinder- und Hausmärchen der Grimms – den Herausgebern von unterschiedlichen Beiträgern bereits in schriftlicher Form zukam und dass kaum eines der Lieder frei von einer Überarbeitung blieb. Dabei gingen Arnim und Brentano so weit, unterschiedliche Liedervorlagen zu kontaminieren.9 Die Lieder sind insgesamt durch ein hybrides Erscheinungsbild gekennzeichnet, in dem Tradition und ästhetische Neukonstruktion genau jenen „Kunstton“10 erzeugten, der seitdem mit dem typischen Volkslied-Ton assoziiert wird. Um den Charakter der Konstruktion und des Künstlichen zu kaschieren, verwenden beide Herausgeber fingierte Quellenangaben. Simulierte Authentizität wie z.B. „Aus mündlicher Überlieferung in Maria’s Godwi. Bremen 1802“ (FBA, Bd. 6, S. 16) steht neben einer archaisierenden Textqualität in der Angabe „Abgeschrieben vom Giebel eines Hauses in Arth in der Schweiz, durch Arnim“ (ebd., S. 15) und der ironischen Schwebe zwischen mündlicher und schriftlicher Tradierung in der häufigen Quellenangabe „Altes fliegendes Blatt“. Arnim spielt mit der Vorstellung, das vermeintlich naturpoetische Lied sei „ungedruckt und ungeschrieben zu uns durch die Lüfte [geflogen] wie eine weisse Krähe“ (ebd., S. 430). Aber der von Arnim und Brentano etablierte, von Heine und Eichendorff „nochmals formelhaft reduziert[e] und an das 19. Jahrhundert vermittelt[e]“11 Volksliedton wurde keineswegs – wie Joseph Görres in seiner Rezension des Wunderhorns suggerierte – „im Munde des Volkes gefunden“12. Es entspringt auch eher einem Wunschdenken, diesen Volksliedton einem „Strom milder Muttermilch“ oder „frischem, kühlem Bergwasser aus den Brüsten der Erde“13 zu vergleichen. Görres’ Koppelung der „Naturpoesie“14 an den lebendigen „Athem“ des Volkes hebt die weitgehende funktionale Einbindung romantischer Lyrik in größeren Prosa- oder Dramenkontexten hervor. Sowohl in Arnims als auch in Eichendorffs Romanen kommt den Liedern und lyrischen Einlagen die Aufgabe zu, die ‘tote’ Schrift in der ‘Lebendigkeit’ der Stimme zu verflüssigen. Besonders die zahlreichen integrierten Gedichte in Eichendorffs Ahnung und Gegenwart dokumentieren den Zwiespalt von Oralität und Literalität und die fortwährende Suspension des Episch-Narrativen im Lyrischen. Gleichzeitig bleibt aber Vorzeichen jedes Liedes innerhalb romantischer Prosa, dass es eben nicht gesungen, sondern aufgeschrieben ist. Auch jenseits der Integration lyrischer Formen in Dramen oder Prosa handelt es sich bei der ambivalenten Beziehung von Stimme und Schrift um eine zentrale Figur in der Literatur der mittleren Romantik. Die medientheoretische Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit wird zudem in zahlreichen Texten zum Einfallstor einer erotischen Dimensionierung und einer Geschlechtertypologie, in der die Frau mit der Lebendigkeit der Stimme zum Objekt des männlichen, schriftstellerischen Begehrens wird.

Stimme vs. Schrift

Die Kontrastierung von Stimme und Schrift prägt zahlreiche Texte der mittleren Romantik, zumal in der zweiten Dekade des 19. Jahrhunderts. Dies gilt für die inzwischen kanonisierten Prosaerzählungen und Romane Hoffmanns, Arnims oder Eichendorffs; es trifft aber auch auf die weitgehend in Vergessenheit geratenen Dramen dieser Zeit zu, ja es bestimmt geradezu ihre generische Struktur. Verglichen mit den Rührstücken von Kotzebue und Iffland, den Schicksalsdramen Zacharias Werners oder den bühnenwirksamen, ganz auf Affekte und Entscheidung abgestellten Dramen Kleists, die allerdings nur sehr bedingt in das Umfeld der Romantik gehören, haben die im eigentlichen Sinn romantischen Dramen weder den Weg auf die Theaterbühne gefunden noch sind sie als Lesedramen sonderlich erfolgreich gewesen. Nimmt man eine stringente Charakter- und Handlungsführung als Kern des Dramatischen, dann muss das Urteil über die meisten romantischen Stücke negativ ausfallen. Gegenüber einer entscheidungsorientierten Aktion zeichnen sie sich durch einen Zug zur epischen Breite und enzyklopädischen Summenbildung aus. Brentano etwa hat ungefähr 20 Dramen bzw. dramatische Entwürfe geschrieben, darunter das 1814 veröffentlichte historisch-mythologische Schauspiel Die Gründung Prags. Er variiert darin die böhmische Libussa-Sage auf mehreren hundert Seiten und versieht den Text mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat. Arnim verfasst 1811/12 ein auf 400 Seiten ausuferndes Drama mit dem Titel Halle und Jerusalem und lässt ihm ein noch verzweigteres und längeres Stück folgen: Päpstin Johanna. Von dem genannten Interesse an einer Simulation von Mündlichkeit im schriftlichen Text her lässt sich begreifen, warum in der Romantik Dramen geschrieben wurden, die ganz offensichtlich nicht für das Theater konzipiert waren, sondern allenfalls, was vielfach belegt ist, für eine Rezitation im kleineren Kreis. Über Liedeinschübe, gesprächsweise verknüpfte Erzählzyklen und integrierte Binnenerzählungen hinaus, mit denen in der Prosa die Präsenz einer aktuellen Stimme gewährleistet werden soll, eröffnet die (epische) Dramenform einer literalen Simulation der Stimme ein größeres Experimentierfeld. Das romantische Drama intendiert eine möglichst unendliche Entfaltung der Schrift auf einem Feld, das von seinen Voraussetzungen her, der dramatischen Dialogsituation, auf eine ständige Reoralisierung angelegt ist. Der medientheoretischen Grenzüberschreitung von Stimme und Schrift entspricht eine umfangreiche Intertextualität und Gattungshybridität, wie sie radikal in Arnims Halle und Jerusalem in Erscheinung tritt. In der Druckfassung bezeichnet Arnim den ersten Teil, „Halle“, als „Studentenspiel in drei Aufzügen“, den zweiten Teil, „Jerusalem“ als „Ein Pilgerabenteuer“. Beide werden noch unter ein gemeinsames Gattungsdach gebracht, das Gattungstheorie ad absurdum führt: „ Trauerspiel in zwei Lustspielen“. Bei Halle und Jerusalem handelt es sich um eine lose Adaption des barocken Trauerspiels Cardenio und Celinde von Andreas Gryphius, das seinerseits eine dramatische Bearbeitung der italienischen Übersetzung einer spanischen Novelle ist. Daneben hat Arnim in seinem Stück ein weit verzweigtes Netz von literarischen Traditionslinien geknüpft, die über das Drama des Sturm und Drang bis hin zu Shakespeares Tragi-Komödien und zum katholischen Erlösungsspiel Calderóns zurück führen. Generisches Prinzip von Arnims manieristischem Gesamtkunstwerk ist labyrinthische Summenbildung. Die zahlreichen liedhaften Einschübe sollen laut Szenenanweisung, ähnlich wie in Arnims Roman Gräfin Dolores, mit Musikbegleitung vorgestellt werden. Ihre zentrale Funktion besteht zum einen in der Simulation von Mündlichkeit, zum anderen in der Modulation von Themen und Motiven. Beide Funktionen charakterisieren auch zwei integrierte Maskenspiele, die den medientheoretischen Aspekt geschlechtstypologisch grundieren. Im ersten wird ein Brunnenmotiv im Kontext von Jungfräulichkeit eingeführt, das in der Schlussapotheose des Stücks seine ebenso erotische wie spirituelle Implikation erweist. Im zweiten Maskenspiel wird die Liebesintrige enggeführt. Im Fortgang des Stückes begibt der Held Cardenio sich auf eine Pilgerreise zum Grab der Mutter. Hier will er sein unbewusstes, inzestuöses Begehren sühnen. Das steinerne Grabmal der Mutter ist gleichzeitig eine Brunnenquelle, aus der inmitten der Wüste Wasser quillt. Genau genommen ist es der Mund der Mutter, der in der Dürre der Wüste Wasser spendet. Die Szenenanweisung lautet: „Ein Brunnen in der Wüste, an welchem ein weiblicher Kopf in Marmor aus einem Röhrlein das Wasser ausströmen läßt.“15 In der allegorischen Skulptur der Mutter lässt Arnim ein mediales wie erotisches Grundszenario der Romantik zusammenlaufen, das bereits in Brentanos Roman Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter von 1800/02 im Untertitel präsent ist: Inmitten der ‘ Wüste’ der männlichen Schrift ist es der mütterliche Mund und die Rede der Mutter und Geliebten, die die Schrift speisen. An diesem Brunnen geschieht auch die Offenbarung der verborgenen Familienkonstellation, die sich wie das Präludium eines ödipalen Dramas liest. Genau an der Stelle, wo jetzt die Quelle ist, hat einst der Vater die Mutter vergewaltigt und den Sohn Cardenio gezeugt, der sich, nachdem der Vater den Weg in die Ewigkeit gefunden hat, sich endlich mit dem steinernen Bild der Mutter vereinigen kann. Forciert taucht das nämliche ödipale Szenario u. a. noch einmal in Arnims Erzählung Seltsames Begegnen und Wiedersehen (1817) sowie in Brentanos Erzählungen Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl (1817) und Aus der Chronika eines fahrenden Schülers (1818) auf.

In der Tradition von Tiecks Universaldrama Leben und Tode der heiligen Genoveva (1800) hat Arnim kurz nach Halle und Jerusalem das Drama Päpstin Johanna geschrieben, in dem es zu einer vollständigen Auflösung der klassischen Einheitsforderung an Raum und Zeit kommt. Das Stück umfasst eine ebenso große Zeitspanne, wie es eine erhebliche Bewegung durch den Raum beschreibt. Beides lässt das Drama epische und romanhafte Züge annehmen. Die Verschleifung der Gattungsprofile treibt Arnim soweit voran, dass in der Forschung von einem „Universaldrama an der Grenze seiner generischen Selbstnegation“16 gesprochen wurde. In der manieristischen Einebnung der Grenzen von Epos und Drama – durchaus im Sinne der frühromantischen Universalpoesie Schlegels – ist keiner der romantischen Autoren weiter gegangen als er.

Historismus und Mythologisierung

In beiden hier vorgestellten Dramen Arnims und in Brentanos Die Gründung Prags zeigen sich im Zuge einer breit gestreuten intertextuellen Praxis stark historisch-mythologisierende Tendenzen, die vorher bereits die Dramen Zacharias Werners – Die Söhne des Thals (1803/04), Das Kreuz an der Ostsee (1806) und Martin Luther, oder: Die Weihe der Kraft (1806/07) – und Friedrich de la Motte Fouqués – die Trilogie Der Held des Nordens, bestehend aus Sigurd, der Schlangentöter, Sigurds Rache und Aslauga – auszeichneten.

Ganz ähnliche Strömungen lassen sich auch im romantischen Roman der mittleren Phase beobachten, der sich, anders als die Dramen, im literarischen Kanon etabliert hat. Zwar werden von Arnim, Hoffmann und Eichendorff die frühromantischen Ausrichtungen an Entwicklungs- und Künstlerthemen fortgeschrieben, die auch weiterhin im Zusammenhang von Liebesgeschichten entfaltet werden, aber mit der Erstfassung von Arnims Die Kronenwächter (1812) und vollends mit den Befreiungskriegen und der einsetzenden Restauration setzt sich eine Tendenz zur historischen Erzählung mit mehr oder weniger stark ausgebildeten mythischen Strukturen durch. Für die Spätromantik ab etwa 1820 sind die historischen Romane Walter Scotts stilbildend. Das gilt für Tiecks Aufruhr in den Cevennen (1826) und Vittoria Accorombona (1840), Wilhelm Hauffs Lichtenstein (1826) und zumal für die Scott-Adaptionen Willibald Alexis’ – Wallodmar (1824) und Schloß Avalon –, sehr eingeschränkt aber nur für den bedeutendsten historischen Roman der Romantik, Arnims Die Kronenwächter, erstens weil seine erste Fassung bereits aus dem Jahr 1812 stammt, zweitens und wichtiger weil die historische Perspektive stark mit Elementen der Sage und des Mythos versetzt und die formale Komposition des Textes erheblich voraussetzungsreicher ist als diejenige der Romane Scotts. Der Katalog von Themen und Fragestellungen in den historischen Erzählungen ist recht einheitlich: Legitimität von Herrschaft, Beziehung von Adel und Bürgertum, Widerstandsrecht, Bürgerkrieg, Nationenbildung, Katholizismus vs. Protestantismus. In den meisten Fällen führt die historische Reflexion zurück in die Krisen- und Schwellenphase in der Frühen Neuzeit ab etwa 1500, die mit der Durchsetzung absolutistischer Zentralmacht, der Entdeckung der Neuen Welt und mit Reformation und Humanismus das Ende des Mittelalters besiegelt. Mit dem Ende der napoleonischen Herrschaft und der einsetzenden Restauration sieht sich das intellektuelle Bürgertum offensichtlich vor die Notwendigkeit gestellt, seine eigene politische Stellung in historischen Zusammenhängen zu begreifen. Im Kern bezieht Arnim seine literarische Reflexion über Legitimität und Tradition von Herrschaft in Die Kronenwächter auf die mittelalterliche Kaiserprophetie, die auf die Kontinuität der Staufer-Herrschaft zielt. Arnim unterläuft jedoch das geheimbündlerische Projekt seiner Titel gebenden Wächter der Staufer-Krone. Sämtliche Nachkommen, obwohl eigentlich mit den besten genealogischen Referenzen ausgewiesen (vgl. AvA-DKV, Bd. 2, S. 660f.), lassen die notwendige Herrscherqualität vermissen. Sie werden entweder Händler, Künstler oder Verbrecher. Das Projekt der Kronenwächter wird als Mystifikation einer geburtsadligen Legitimation von Herrschaft in Arnims Roman zurückgewiesen. Wenn sich der diskontinuierlichen Struktur des Textes überhaupt ein homogener Sinn abgewinnen lässt, dann vielleicht der, dass überkommene, von der Geschichte überholte Herrschaftsansprüche nicht künstlich restituiert werden können. Aber diese vergleichsweise triviale politische Aussage verblasst angesichts der komplizierten formalen Struktur des Textes, seines intertextuellen Voraussetzungsreichtums, seiner Fantastik, die nicht vor einer Verdoppelung des Helden durch eine von Doktor Faustus vorgenommene Bluttransfusion zurück schreckt, und des komplexen Reflexionsniveaus von Historiografie, die immer auch Selbstreflexion der Beziehung von literarischer Fiktion und historischer Quellenlage ist. Die Kronenwächter behaupten genau darin ihr genuin romantisches Profil.

Auch etliche von Hoffmanns späteren Erzählungen haben historische Themen zum Gegenstand. Zu den wichtigeren zählen: Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Der Kampf der Sänger, Die Bergwerke zu Falun und Das Fräulein von Scuderi. Sie alle sind, nachdem sie zumeist schon in Zeitschriften publiziert waren, in der Sammlung Die Serapions-Brüder (1819/21) zusammengefasst und in ein fiktives Rahmengespräch eingebettet, das die tatsächlichen Zusammenkünfte Hofmanns und seiner ‘Serapions-Brüder’ in Berlin aufgreift und literarisch verarbeitet. Hoffmann verbindet in dieser Sammlung das melancholische Eingedenken an verlorene Zeiten und den narrativen Gestus des Historismus mit einer ‘serapiontischen’ Poetik. Neben den vielfältigen, teils widersprüchlichen Funktionen der Serapiontik besteht ihr wichtigster Indikator in der Vorgängigkeit des Visuellen.17 Im historischen Kontext hat Hoffmann sie auf ‘Schattenbilder’ bezogen, welche die doppelte Funktion erfüllen, die Vergangenheit gleichsam zu archivieren und sie in der Erzählung zu lebendiger Imagination zu bringen. Darüber hinaus gilt den Serapions-Brüdern eine Verbindung zum Fantastischen als ästhetisches Qualitätskriterium. So bezeichnen sie die Erzählung Das Fräulein von Scuderi als „wahrhaft serapiontisch“, „weil sie auf geschichtlichem Grund gebaut, doch hinauf steige ins Fantastische“ (Hoffmann-DKV, Bd. 4, S. 13). In auffallender Ähnlichkeit zu den Elixieren des Teufels (1815/16) steht zu Beginn der Erzählung, für die Hoffmann zahlreiche historische Quellen heranzog und die auf Edgar Allan Poe und das Genre der Detektiverzählungen prägende Wirkung ausübte, ein kindliches Trauma, das einen massiven Ordnungsverlust bedeutet. Wie bei vielen Novellen, am deutlichsten wohl in jenen Kleists, stellt die Erzählung den Versuch dar, diesen Bruch in die Kontinuität eines narrativen Diskurses zu überführen und damit verstehbar zu machen. Nicht alle historischen Erzählungen Hoffmanns erfüllen jedoch die Forderung des Phantastischen. So präsentiert sich Meister Martin über weite Strecken als Bilderreigen einer altfränkischen Daseinsweise, die ihre Vorbilder aus der Verklärung altdeutscher Kunstfertigkeit bezieht, wie sie bereits von Wackenroder und Tieck mit Albrecht Dürer in den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1797) und Franz Sternbalds Wanderungen (1798) bekannt ist.

Literarisch hat Hoffmann das Ende der Romantik mit einer seiner letzten Erzählungen Des Vetters Eckfenster (1822) vorweg genommen. In auffälliger Parallele zu seiner eigenen Situation zeichnet Hoffmann das Bild eines sterbenden romantischen Autors, der das Marktgeschehen eines Berliner Wochenmarktes nur noch von seinem ‘Oberstübchen’ aus betrachten kann. Noch einmal greift Hoffmann das für die mittlere Phase der Romantik charakteristische Verhältnis von Oralität und Literalität auf: In einer Aufspaltung seiner Person in zwei Figuren weicht der ‘ Vetter’ in die Rede aus, nicht im Sinne der lebendigen Stimme, wie sie die frühe Romantik konzeptualisierte, sondern in Form eines geisterhaften Monologs. Hoffmanns Erzählung thematisiert das Ende einer traditionellen Rolle des sich autonom wähnenden Autors, der längst den Bedingungen des Marktes unterworfen ist.

Grenzen und Bezüge zur Spätromantik

Von der mittleren Phase der Romantik, deren Ende ungefähr mit dem Tod Hoffmanns 1822 datiert, grenzt sich die Spätromantik der zwanziger bis vierziger Jahre durch einen stark ausgeprägten Katholizismus ab. Mit der Aufsehen erregenden Generalbeichte Brentanos 1817 und den späten religions- und literaturgeschichtlichen Erzählungen Eichendorffs distanzieren sich zwei wichtige Vertreter der Romantik von ihren früheren Schriften und entwerfen ein christlich-katholisches Programm, das sie auf die gesamte Romantik beziehen und das späteren Generationen eine differenzierte Sicht verstellte. Mit dem Übergang zur Spätromantik verschieben sich darüber hinaus die literarischen Zentren. Neben Wien, wo Friedrich Schlegel größtenteils bis zu seinem Todesjahr 1829 lebte, bildete München einen wichtigen Standort. Durch das von König Maximilian I. geschaffene kulturkonservative Klima zog es Brentano 1833 in die bayrische Residenzstadt, wo bereits Joseph Görres lebte, den er aus Heidelberger Zeiten kannte und den er für seine Christliche Mystik (1836-42) beriet. Welche literarischen Veränderungen die Romantik neben der katholischen Tendenz erfuhr, zeigt sich vor allem am Genre des historischen Romans. In Ludwig Tiecks Aufruhr in den Cevennen (1826) und Vittoria Accorombona (1840) etwa ist die für die mittlere Phase der Romantik charakteristische Ambivalenz von Alltäglichem und Phantastischen bzw. Wunderbaren zugunsten einer proto-realistischen Darstellungsweise aufgegeben. Gerade bei Tieck, der als einziger Autor in allen drei Phasen publizierte, zeigt sich andererseits, dass viele Themen der früh- und mittleren Romantik ihre Fortschreibung erleben. In seinen späten Erzählungen wie etwa Des Lebens Überfluß (1839), die starke Ähnlichkeiten zu Hoffmanns Des Vetters Eckfenster (1822) aufweist, oder Waldeinsamkeit (1840) bleibt das literarische Programm der Romantik präsent – zwar nicht mehr im Sinne einer ungebrochenen Affirmation, sondern im Modus einer ironischen Variation. Die mittlere Phase der Romantik gerät zur Kontrastfolie für die Spätromantiker, auf die sie sich kritisch wie humoristisch beziehen.

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